2. Das Junktim zwischen An- und Umsiedlung

Zunächst schaltete sich jetzt der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, HEYDRICH, ein, indem er in einem Brief an Außenminister v. RIBBENTROP die Durchsetzung der Slowenenumsiedlung durch das Auswärtige Amt bei der kroatischen Regierung forderte:

"Die Umsiedlungsarbeiten sind z. Zt. ins Stocken geraten. . . . Gemäß Anordnung
des Reichsführers SS, RKFDV, sollen, beginnend mit dem 15. 10. 1941, in laufenden Transporten 12 000 Volksdeutsche aus der Gottschee in der Untersteiermark angesiedelt werden. Hierfür ist die Evakuierung von rund 45 000 Slowenen unumgänglich erforderlich. Die kroatische Regierung verweigert in Anbetracht ihrer inneren Lage die Aufnahme dieser zu Evakuierenden. Damit ist die vom Führer befohlene Inlandnahme der Gottscheer-Volksdeutschen in Frage gestellt. Ich bitte Sie, auf die kroatische Regierung entsprechend einwirken zu wollen, damit diese unumgänglich notwendige Inlandnahme dieser Volksdeutschen noch vor Einbruch des Winters abgeschlossen werden kann. Von hier aus sehe ich leider keine andere Ausweichmöglichkeit, zumal die seinerzeit von mir abgelehnte und störende Zwischenschaltung Kroatiens in die Gesamtumsiedlungsarbeit im Südosten seinerzeit durch den Gesandten Kasche veranlaßt wurde. " (11)

HEYDRICH fährt hier im typischen Stil der SS - "unumgänglich notwendige Inlandnahme" - grobes Geschütz auf, wobei zwei Aspekte seiner Argumentation hervorgehoben werden müssen: der Hinweis auf die "vom Führer befohlene Inlandnahme", die normalerweise keinen Widerspruch zuließ, und der Wink mit dem Zaunpfahl, zielend auf den Sündenbock KASCHE als den indirekten Urheber der Misere (12), die nach Meinung HEYDRICHS zu vermeiden gewesen wäre, wenn seine Pläne nicht durch KASCHE bei HITLER durchkreuzt worden wären.

Die Reaktion v. RIBBENTROPS war dementsprechend: KASCHE wurde angewiesen, der kroatischen Regierung mitzuteilen:

"Wegen der Einsiedlung der Volksdeutschen aus Gottschee ist die Übernahme der 45 000 Slowenen aus der Untersteiermark durch Kroatien noch in diesem Herbst notwendig." (13)

Doch KASCHE war noch nicht gewillt aufzustecken. Am 8. Oktober 1941 hatte er mit Gauleiter UIBERREITHER eine Unterredung, in der er sich dessen Unterstützung ausdrücklich sicherte.

"Besprechung mit Uiberreither wegen der Umsiedlung der 45 000 Slowenen. Uiberreither äußerte größte Bedenken wegen fortgeschrittener Jahreszeit. Meine Bedenken sind folgende: Infolge Umsiedlungs-Stopps und erfolgter Aufrechnung hat Kroatien keinerlei Möglichkeit weiterer Aussiedlung nach Serbien, wäre aber verpflichtet, noch
26 000 Slowenen aufzunehmen. Einsiedlung von 45 000 Slowenen hätte deshalb Aussiedlung von 19 000 Serben nach Serbien zur Folge, was unmöglich. Sichere Folgen der weiteren Einsiedlung wäre eine neue Bildung kommunistischer Unruhen und erhebliche weitere wirtschaftliche Belastungen Kroatiens und dadurch Beeinträchtigung der Reichsinteressen." (14)

Besonders die beiden letzten Punkte von KASCHES Gedankengang "neue Bildung kommunistischer Unruhen und erhebliche weitere wirtschaftliche Belastungen" waren
ein starkes Gewicht in der Waagschale der Entscheidung über das Umsiedlungsproblem; denn starke deutsche Kräfte waren im Partisanenkampf auf dem Balkan gebunden, und der Rußlandfeldzug beanspruchte die kriegswirtschaftliche Potenz Deutschlands. KASCHES Bedenken kam somit eine erhebliche Bedeutung zu.

Doch inzwischen erstickte die weitere Entwicklung den Konflikt, der sich zwischen Auswärtigem Amt und SS angebahnt hatte; denn Dr. STIER vom RKFDV-Stabshauptamt, der die prekäre politische Situation der Kroaten erkannt hatte, stellte nun Überlegungen an, die auf andere Weise den Knoten lösen sollten.

Er war gleich nach der Agramer Konferenz auf der Rückreise nach Berlin über Marburg a. d. Drau gefahren, um dort am Sitz der RKFDV-Stelle in der Untersteiermark die Verhältnisse in seinem Sinne zu klären. Dabei mußte er eine erschreckende Feststellung machen:

"Es wurde von den Marburger Herren [gemeint sind der Dienststellenleiter und sein Stellvertreter] allgemein zugegeben, daß die Ansiedlungsvorbereitungen nicht weit genug gediehen waren, obwohl der Umsiedlungsbefehl des Reichsführers-SS bereits am 14. Juli erteilt war. Der Unterfertigte machte daraufhin den Vorschlag, die Umsiedler zunächst ohne Planung in die von Slowenen geräumten Häuser einzuweisen (15)."

Zu den mit der Slowenenaussiedlung verbundenen Problemen kam nun also die mangelhafte organisatorische Vorbereitung der Ansiedlung der Gottscheer hinzu, weil die untersteirischen Behörden, wahrscheinlich unter dem Eindruck der Haltung des Gauleiters, mit einer Umsiedlung vorläufig nicht gerechnet hatten. - Doch Dr. STIER war entschlossen zur Improvisation, auch gegen die Neigungen des Gauleiters.

"Der Unterfertigte hatte bei seinen Besprechungen in Marburg SA-Standartenführer SEFTSCHNIGG und SS-Sturmbannführer LAFORCE auf das eindringlichste darauf hingewiesen, daß der Reichsführer-SS voraussichtlich mit einer Verschiebung der Umsiedlung nicht einverstanden sein würde." (16)

Doch auch Gauleiter UIBERREITHER hatte sein Spiel noch nicht verloren gegeben. Er ging dabei so weit, der Gottscheer Volksgruppenführung am 4. Oktober 1941 durch einen Mittelsmann mitzuteilen, daß die Umsiedlung nicht stattfinden könne. Besorgt telegrafierte ebenfalls schon am 4. Oktober 1941 der DUB Dr. WOLLERT aus Marburg an den Chef des Stabshauptamtes GREIFELT:

"Da diese Nachricht begreifliche Bestürzung bei der Volkgruppenführung hervorruft und die inoffizielle Art ihrer Übermittlung Zweifel an ihrer Richtigkeit bei mir auslösten, besuchte ich heute nachmittag mit LAFORCE [Stabsleiter des RKFDV-Marburg] und STÜRER [Leiter der DUT Marburg] den Gauleiter persönlich. Der Gauleiter erklärte: da ein Junktim zwischen Räumung des Ansiedlungsgebietes und der Gottscheer Umsiedlung bestehe, die Räumung aber nicht nur auf den Widerstand der kroatischen Regierung, sondern auch der kroatischen Bevölkerung stoße, die die ankommenden Slowenen bereits an der Grenze abzuschlachten gedroht habe, könne die Umsiedlung in diesem Jahre nicht mehr stattfinden. Die kroatische Regierung würde die mit der Aufnahme der Slowenen verbundene politische Belastung nur auf ausdrückliches Verlangen des Führers übernehmen."

Auf eine Zwischenfrage des DUB bemerkte der Gauleiter, daß
"er auf die Unmöglichkeit der Aussiedlung bereits vor ca. 10 Tagen in Berlin persönlich hingewiesen habe. Außerdem habe Dr. STIER als Vertreter des Reichskommissars an den Besprechungen mit den Kroaten teilgenommen. Hieraus hätte das Reichskommissariat alle notwendigen Schlüsse selbst ziehen können. ... Ich erklärte hierauf, daß ich mich damit zunächst nicht abfinden könne, insbesondere, da mir noch vor 5 Tagen in Berlin die Weisung des Reichsführers mit auf den Weg gegeben sei, wonach die Umsiedlung durchzuführen sei. Damit endete dieser ziemlich kühle Empfang." (17)

Der Gauleiter glaubte offenbar, Dr. STIER nicht ernst nehmen zu müssen. Hätte es sich nicht um den Gauleiter gehandelt, dann wären solche Äußerungen von der SS sicherlich als unverantwortliche "Gerüchtemacherei" gebrandmarkt worden. Indessen, UIBERREITHER hatte sich abgesichert, indem er "die inoffizielle Art" bei der Mitteilung an die Gottscheer gewählt hatte. Eine deutliche Spitze hat UIBERREITHERS Argumentation gegen das Stabshauptamt, dem er mindestens Mangel an Logik vorwirft, wenn nicht sogar Unfähigkeit: es "hätte ... alle notwendigen Schlüsse selbst ziehen können", wenn es die Situation richtig beurteilt hätte - wie UIBERREITHER unterstellt.

Der DUB zog sich gegen den mächtigen Gauleiter sehr geschickt aus der Affäre, indem er auf die ihm noch vor fünf Tagen erteilte Weisung HIMMLERS hinwies. Der Schlußsatz beleuchtet schlagartig die Atmosphäre des Gesprächs, in dem der Gauleiter den DUB konsequenterweise als Vertreter des Stabshauptamtes behandelte. Beim Stabshauptamt reagierte man sofort auf diesen Affront des Gauleiters; der DUB erhielt noch am selben Tage vom Stabshauptamt die Nachricht, daß es die Umsiedlung "unter allen Umständen" noch in diesem Jahre durchführen wolle (18).

Aber auch UIBERREITHER konnte nach seiner Einschätzung der Lage noch hoffen. Am 8. Oktober 1941 traf er sich mit dem Agramer Gesandten KASCHE, wobei sich beide in der Beurteilung der Situation einig waren (19). Taktisch schienen sie auch in einer günstigen Lage zu sein, zumal selbst der SD-Chef der Untersteiermark Bedenken gegen die Aussiedlung der Slowenen hatte (20) und der Führerentscheid in der augenblicklichen militärischen Situation logischerweise für den Umsiedlungsstop ausfallen mußte.

Doch Dr. STIER war inzwischen nicht untätig geblieben, und nachdem er "entgegen den Bedenken des Auswärtigen Amtes und des Marburger SD einen Bericht über die Durchführbarkeit der Absiedlung ausgearbeitet hatte, der vom Hauptamtschef dem Reichsführer-SS vorgelegt wurde und zur Grundlage des Absiedlungsbefehls von Reichsführer-SS wurde", konnte das Stabshauptamt am 10. Oktober 1941 nach Laibach an den DUB und nach Marburg an die RKFDV-Dienststelle funken:

"Umsiedlung Gottschee wird auf Befehl des Reichsführers-SS durchgeführt. Slowenen werden in das Altreich evakuiert. Weitere Weisungen folgen." (21)

Die Würfel waren gefallen, sicherlich zur Überraschung UIBERREITHERS durch HIMMLER, nicht durch HITLER. Das war nur möglich geworden, weil der Vorschlag Dr. STIERS alle außenpolitischen Komplikationen vermied und die Aussiedlung der Slowenen zu einer innerdeutschen Angelegenheit machte, die in den Kompetenzbereich HIMMLERS als Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums fiel. Durch diesen Schachzug hatte das Stabshauptamt den von KASCHE und UIBERREITHER erhofften Führerentscheid umgangen.

Die Umsiedlung konnte nun beginnen.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

11  Telegramm HEYDRICHS vom 26. Sept. 1941 an RIBBENTROP; PA Büro des Staatssekretärs, Jugoslawien, Bd. 2, 161536.

12
 dazu auch: Sturmbannführer GRUBER vom Reichssicherheitshauptamt, der bereits am 21. 6. 41 wahrend der Vorbereitungen des Umsiedlungsvertrages mit Italien skeptisch geäußert hatte, "ob es nicht doch zweckmäßig wäre, in den Gottscheevertrag eine Umsiedlung von Slowenen [nach Italien] für den Fall vorzusehen, daß sich Kroatien nicht an die Vereinbarung des Gesandten Kasche halten sollte". Vermerk von CREUTZ, Berlin, 23. 6. 41; BA R. 49, 967.

13
 Bericht über die Umsiedlung von Kasche vom 20. 11. 41; im Besitz d. Verf.

14
 ebda.

15
 Vermerk von Dr. STIER vom 8. 5. 43; Handakte Dr. Stier.

16
 Vermerk von Dr. STIER vom 8. 5. 43; Handakte Dr. Stier.

17
 Blitz-Fernschreiben: Dr. WOLLERT an SS-Gruppenführer GREIFELT vom 4. 10. 1941; im Besitz d. Verf.

18
 Brief Dr. WOLLERTS vom 6. 10. 41 an die Volksgruppenführung Gottschee; im Besitz d. Verf.

19
 Bericht KASCHES vom 20. 11. 41; im Besitz d. Verf.

20
 Vermerk: Dr. STIER, 8. 5. 1943; Handakte Dr. Stier.

21
 Fernschreiben von CREUTZ am 10. 10. 41 "an beteiligte Dienststellen"; Handakte Dr. Stier.

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