3. Der Konflikt zwischen dem Gauleiter und dem Stabshauptamt

Zur Beurteilung des politischen Hintergrundes, auf dem sich diese Auseinandersetzung abspielte, ist es wichtig zu wissen, daß der Chef der Zivilverwaltung und Gauleiter UIBERREITHER bereits seit dem Sommer 1941 in einen zunehmenden Interessenkonflikt mit dem RKFDV geraten war. Dabei spielte UIBERREITHERS Haltung zu den großen Zügen der Volkstumspolitik in der Südsteiermark, die in der Hauptsache gekennzeichnet war durch tatsächliche und geplante Austreibung von Slowenen, durch die Germanisierung der "Windischen" und durch die geplante Ansiedlung der Gottscheer und anderer Volksdeutschen Gruppen, die größte Rolle.

"Nach den ersten Umsiedlungsplänen von Mai und Juni 1941 trat bei UIBERREITHER . . . deutlich das Bestreben in den Vordergrund, jede Unruhe in der Untersteiermark zu vermeiden. Diese Tendenz stand sowohl einer Aussiedlung von Slowenen, die immerhin zu über 90% dem "Steirischen Heimatbund" (22) beigetreten waren, als auch einer Ansiedlung der Gottscheer entgegen." (23)

Gegenüber den Gottscheern nahm UIBERREITHER eine etwas zwielichtige Position ein. Natürlich konnte er nicht öffentlich gegen die ursprünglich von ihm selbst gebilligte Konzeption eines völkischen Grenzwalles, gebildet von den Gottscheer Deutschen, Stellung nehmen. Im Laufe des Jahres 1941 wurde seine eigentliche Haltung gegenüber den Gottscheern, die auch aus persönlichen Ressentiments gegenüber dieser Volksgruppe zu resultieren schien, jedoch immer deutlicher. UIBERREITHER ließ sogar während eines Gesprächs durchblicken, daß er die völkische Substanz der Gottscheer für nicht wertvoller erachte als die der Slowenen, die für die Gottscheer ausgesiedelt werden müßten.

"Da die Aussiedlung der Slowenen aus dem Ranner Dreieck seiner Ansicht nach mehr Beunruhigung der Volkstumsarbeit und Beeinträchtigung wehrwirtschaftlicher Belange nach sich ziehen würde als die Rettung der Gottscheer wert sei und an Vorteilen bringe, lehnte UIBERREITHER im September/Oktober 1941 die Ansiedlung der Gottscheer ab. Da er aber auch keinen anderen Weg zur Unterbringung der Gottscheer zeigte, kam er in Konflikt mit dem RKFDV [HIMMLER], der das Stabshauptamt strikt anwies, die Gottscheer schnellstens aus ihrer Notlage zu befreien und in der Untersteiermark anzusetzen." (24)

Seine Einstellung ließ den Gauleiter gegenüber der Aktivität des Stabshauptamtes in einen Grundsatzkonflikt mit HIMMLER als RKFDV geraten. Am 11. Oktober 1941 (25) legte das Stabshauptamt Himmler den Entwurf einer Anordnung vor, der als "Anordnung 53/I Betr.: Absiedlung der Untersteiermärker aus dem Save-Sotla-Streifen" am 18. Oktober 1941 verteilt wurde. In dem Begleitschreiben wies das Stabshauptamt zunächst auf die Zusammenarbeit mit dem SD und der VoMi bei der Vorbereitung der Maßnahmen hin, betonte dann aber auch einschränkend:

"Der Gauleiter UIBERREITHER hat noch Bedenken gegen die Regelung, da er entgegen seiner früheren Ansicht jetzt den Standpunkt vertritt, daß aus der Grenzbevölkerung nur wenige Eindeutschungsfähige herauszufinden sind. Die vorerfolgte Erfassung des Umsiedlungsstabes Marburg hat aber bereits einen sehr großen Anteil an Eindeutschungsfähigen ergeben." (26)

Dr. STIER als Verfasser des Entwurfs gab gegenüber HIMMLER also Differenzen mit UIBERREITHER zu, hatte sich aber gleichzeitig dadurch abgesichert, daß er die Meinung des Gauleiters als objektiv nicht haltbar kennzeichnete.

Logischerweise stimmte der Reichsführer-SS daher auch dem Entwurf zu.

"Zur Freimachung des Save-Sotla-Streifens und des Ranner Dreiecks in der Untersteiermark sind die dort wohnenden Slowenen bzw. Windischen (im folgenden kurz "Untersteirische Grenzbevölkerung" genannt) sofort abzusiedeln und in das Altreich zu überführen. ... Die Untersteirische Grenzbevölkerung soll eingedeutscht werden, soweit sie als geeignet befunden wird. Ich behalte mir vor, über ihre spätere Wiederansiedlung je nach ihrer Führung und Eignung unter Berücksichtigung ihres bisherigen Besitzstandes zu gegebener Zeit zu entscheiden.

Mit Rücksicht darauf, daß es sich bei der Mehrzahl der abzusiedelnden Bevölkerung um Menschen handelt, die nicht betont deutschfeindlich und mit den in der Untersteiermark Einzudeutschenden verwandt sind, sind die Abzusiedelnden gut zu behandeln.

Ich bitte den Chef der Zivilverwaltung in der Untersteiermark, Gauleiter Dr. UIBERREITHER, als meinen Beauftragten, dafür Sorge zu tragen, daß durch entsprechende Aufklärung der Bevölkerung eine Unruhe möglichst vermieden wird. Dabei bitte ich im Zusammenhang mit den Dienststellen, die die Absiedlung durchführen, besonders zu betonen, daß die Abgesiedelten, soweit sie sich in ihren Zwischenunterkünften gut führen und der ihnen nachgewiesenen Arbeit nachgehen, Aussicht haben, später zu ihrer Zufriedenheit in einem noch festzustellenden Gebiet wieder angesetzt zu werden. .. ." (27)

Die Handschrift Dr. STIERS ist leicht erkennbar: Die Rigorosität der grundsätzlichen Entscheidung wird gemildert durch die psychologisch geschickte Taktik, mit der die Maßnahme durchgeführt werden soll. - Andererseits wird die Relativität des Grundsatzes: "sind gut zu behandeln" sehr deutlich, wenn in das Ermessen der Polizei gestellt wird: "persönliche Habe kann in soweit mitgenommen werden, als es die Transportverhältnisse zulassen". Die verklausulierte Diktion des letzten Satzes verrät die beträchtliche Ungewißheit der den Slowenen gemachten Versprechungen: die
Einschränkung "soweit sie sich ... gut führen" wird noch verstärkt durch die ihr folgende Formulierung "Aussicht haben", und diese wird durch die Unsicherheit hinsichtlich Zeit und Ort noch einmal gesteigert.

Weiterhin sichert sich Dr. STIER gegenüber dem Gauleiter ausdrücklich ab, indem er diesen als Beauftragten des RKFDV für die notwendigen Aufklärungsmaßnahmen verantwortlich macht (28).

Ende Oktober zeigte sich, wie nötig diese Vorsichtsmaßnahme gewesen war.

Am 28. Oktober erschien im Stabshauptamt Berlin der Standortkommandant Wien der Waffen-SS, Brigadeführer MAX v. BEHR, unaufgefordert, wie Dr. STIER bemerkt. Er trug Dr. STIER seine Eindrücke von der Slowenenaussiedlung vor, deren Beginn er zufällig am 21. Oktober in Rann miterlebt hatte. U. a. hatte v. BEHR ein Gespräch geführt mit dem politischen Kommissar in Rann, d. h. mit dem höchsten zivilen Beamten des von der Aussiedlung betroffenen Gebietes. Dieser hatte geäußert:

"Die Kundmachung war zu diesem Zeitpunkt noch nicht angeschlagen und wurde erst herausgegeben, während die erste Umsiedlung bereits lief. . . . Der politische Kommissar erklärte .. ., daß es sich hier um eine wertvolle Bevölkerung handele, die auch die Deutschen mit Freude als Befreier begrüßt hätten. Es wäre bedauerlich, daß diese wertvolle Bevölkerung umgesiedelt würde und auch menschlich schwer zu vertreten. Der Gauleiter habe sich bis zuletzt gegen diese Maßnahme gewehrt, aber habe schließlich es auf Befehl durchführen müssen. Einen Grund für die ganzen Maßnahmen konnte der politische Kommissar nicht angeben. .. ," (29)

Erst bei einem Vertreter des Gauleiters hatte der SS-Brigadeführer das Motiv für die Aussiedlung erfahren:

". . . der Grund für die Umsiedlung sei, daß man sonst die Gottscheer, die aus der Provinz Laibach herausmüßten, in Lager nehmen müßte und da sei es besser, die Slowenen in Lager zu bringen. Auch in diesem Gespräch gewann ... v. BEHR den Eindruck, als ob der Gauleiter nur sehr ungerne an die Herausnahme der Grenzbevölkerung gegangen wäre."

Kritisch resümierend stellt Dr. STIER ganz klar heraus:

"Aus diesem Bericht. .. ging im ganzen hervor, daß die in der Anordnung Nr. 53/I vom Reichsführer befohlene Aufklärung der Bevölkerung nicht genügend durchgeführt sei und daß insbesondere der Eindruck bestehe, als ob die ganzen Maßnahmen trotz allergrößter Bedenken des Gauleiters durchgeführt würden, der Reichsführer-SS also gewissermaßen ,schuld' an den ganzen Schwierigkeiten sei."

Die Atmosphäre zwischen Gau und RKVDF-Stabsstelle könnte kaum treffender eingefangen sein: Die Dienststellen des Gaues bis zu seinen höchsten Vertretern lassen einen prominenten SS-Angehörigen deutlich spüren, daß man in der Steiermark mit den Entscheidungen aus Berlin gar nicht einverstanden ist (30). Nur so ist beispielsweise das Versagen in der rechtzeitigen Aufklärung der slowenischen Bevölkerung zu erklären; denn bereits am 10. Oktober 1941 wußte man ja in Graz von HIMMLERS Entscheidung. Die Gaubehörden konnten aber ihren Unmut dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie alle Umsiedlungsmaßnahmen, soweit der Gau daran beteiligt war, nur schleppend betrieben. Wenn Dr. STIER in seinem Vermerk gar die Formulierung "der Reichsführer-SS . . . ,schuld' ... sei" benutzte, dann wollte er vermutlich damit aufzeigen, wieweit der Gauleiter in seiner "Sabotage" gegangen war.

Als Fazit ist festzuhalten, daß der Gauleiter im Herbst 1941 mit allen Mitteln eine Aussiedlung der Slowenen verhindern wollte. Diese Einstellung erklärt sein Zusammengehen mit dem Agramer Gesandten KASCHE ebenso wie seine unterschiedliche Argumentation gegenüber den Gottscheern und gegenüber Dr. STIER. Daher kommt es auch zu dem Kuriosum, daß der Gauleiter selbst nur wenige Slowenen für "eindeutschungsfähig" erachtete, während sein höchster Beamter im Absiedlungsgebiet die Bevölkerung generell als wertvoll ansieht.

Dagegen legte Dr. STIER als Vertreter des Stabshauptamtes von vornherein das Schwergewicht auf die Umsiedlung der Gottscheer noch im Herbst 1941, derentwegen die Slowenen zu weichen hatten. Die Kooperation zwischen Gauleiter und Agramer Gesandten durchkreuzte er, indem er die Aussiedlung der Slowenen zu einer "innerdeutschen" Angelegenheit machte. Ebenso deckte er vor HIMMLER unmißverständlich die taktisch bedingte und daher wechselnde Haltung des Gauleiters auf. Deshalb vermochte sich das Stabshauptamt gegenüber dem Gau durchzusetzen: die "Absiedlung" der Slowenen lief an - die Um- und Ansiedlung der Gottscheer konnte parallel dazu beginnen.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

22  Der Beitritt zum "Steirischen Heimatbund" bedeutete - zumindest theoretisch - Option für das Deutsche Reich.

23
 Niederschrift Dr. STIER, Antwort 4; im Besitz d. Verf.

24
 ebda.

25
 Bereits in der Formulierung "Betr.: Umsiedlung Gottschee - Herausnahme der Untersteirischen Grenzbevölkerung" wird der enge Konnex zwischen beiden Aktionen deutlich.

26
 Schreiben GREIFELTS vom 11. 10. 41 an Reichsführer-SS; Handakte Dr. Stier.

27
 Anordnung Nr. 53/I des RKFDV Berlin, 18. 10. 41; NAW Roll 279 frame 2400650 ff.

28
 Interessant für die Stellung der zentralen Leitstelle des RKFDV zu den volkspolitischen Vorstellungen des "Nationalpolitischen Referenten" des Gauleiters ist die im Einleitungssatz wechselnde Bezeichnung der Auszusiedelnden: "Slowenen" bzw. "Windische". Eine deutliche Kritik wird darin sichtbar, wenn man Dr. STIERS Stellungnahme vom 17. 6. 41 zu diesem Phänomen betrachtet: "Zu der Begriffsbestimmung ,Slowenen' und ,Windische' ist darauf hinzuweisen, daß der Sprachgebrauch in Marburg von dem sonst hier üblichen abweicht. Die beiden Ausdrücke zeichnen keinen Volkstumsunterschied, sondern lediglich eine Haltungsfrage der einzelnen Menschen. Diese von Dr. CARSTANJEN eingeführte Unterscheidung beruht darauf, daß vor 1918 in der ,Steirer' (Stajerc) Partei die nach Deutschland Ausgerichteten politisch zusammengefaßt waren. Ihnen stand die Partei der Liberalisten gegenüber, die sich ausdrücklich als Slowenen bezeichneten. Dementsprechend geht auch heute noch diese Aufteilung nach Slowenen und Windischen mitten durch die einzelnen Bevölkerungsschichten und Familien. Diese Aufteilung findet auch bei einigen Herren unserer Dienststelle keinen Anklang, zumal das Wort ,windisch' vielfach als Schimpfwort angesehen wird." Vermerk von Dr. STIER, Berlin 17. 6. 41; Handakte Dr. Stier. Dr. STIER will demnach fest umrissene Begriffe und entsprechende Definitionen für Volkstumsunterschiede haben, die ihm Dr. CARSTENJEN offensichtlich nicht bieten kann, weil es einfach keine gravierenden Volkstumsunterschiede in der Südsteiermark gab, so daß dieser zu der dem Stabshauptamt unzulässig erscheinenden Hilfskonstruktion greift, Haltungsunterschiede zu Volkstumsunterschieden zu deklarieren.

29
 Vermerk von Dr. STIER vom 28. 10. 41; Handakte Dr. Stier.

30
 Als Pendant dazu ist das Verhältnis der in der RKFDV-Dienststelle Marburg tätigen SS-Führer zum "Nationalpolitischen Referenten" des Gauleiters anzusehen. S. o. S. 34 f.

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