Konflikt bei der Ankunft


1. Der Protest der Gottscheer Bevölkerung über die Zustände im Ansiedlungsgebiet und die Reaktion der betroffenen Dienststellen

Nachdem es den Umsiedlungsdienststellen unter Leitung Dr. STIERS und der Volksgruppenführung weitgehend gelungen war, die Widerstände gegen die Option auszuräumen, trat eine weitere Krise ein.

Der erste Umsiedlertransport war am 14. November 1941 von Gottschee über Laibach nach Gurkfeld ins Ansiedlungsgebiet der Gottscheer abgegangen (1). Dabei hatten sich bereits Schwierigkeiten technischer Art ergeben (2).

Kennzeichnend für die Stimmung der in der Südsteiermark angekommenen Gottscheer war die Tatsache, daß unter ihnen wegen der vorgefundenen Zustände, z. B. wegen der Wohn- und Arbeitsverhältnisse, sich Unruhe verbreitete (3), aber auch Unbehagen aufkam über die Ansiedlung in einem Gebiet, aus dem die ehemaligen Bewohner zwangsweise kurz vorher ausgesiedelt worden waren oder gerade noch ausgesiedelt wurden.

Die Berichte dieser ersten Ansiedler wirkten auf die noch in der Heimat ihrer Umsiedlung harrenden Gottscheer niederschmetternd. Empörung griff in der Gottschee um sich, denn man fühlte sich allgemein hinters Licht geführt, besonders aber von der Volksgruppenführung, die absichtlich die Lebensbedingungen im Ansiedlungsgebiet lange Zeit verschleiert, geheimgehalten oder sogar maßlose Versprechungen gemacht hatte (4). Einige Gottscheer reagierten spontan und schritten zur Selbsthilfe.

"Es kamen mehrere Fälle vor, daß die Umsiedler ihr Umsiedlungsgut von der Bahnstation auf eigene Kosten in ihre Heimat wieder zurückbeförderten. Die Führung setzte sich in solchen Fällen gleich ein, um den Leuten einen Schreck einzujagen; sie teilte den Umsiedlern mit, daß sie nichts mehr besitzen, weder Haus noch Grund, ihr Besitztum ist in den Händen der DUT und die gibt diesen Besitz nicht mehr zurück." (5)

Der Zorn wandelte sich in Mutlosigkeit. Den Taktiken der Umsiedlungsbehörden und der Volksgruppenführung waren die einfachen Gottscheer Bauern nicht gewachsen.

Hinzu kam noch, daß die Volksgruppenführung sich teilweise selbst Illusionen über die "präzise" Ansiedlung hingegeben hatte. Nun rächten sich bitter die Versäumnisse der Ansiedlungsbehörden, die im Vertrauen auf das vom Gauleiter angestrebte Hinausschieben der Gottschee-Ansiedlung nur langsam die Ansiedlungsvorbereitungen betrieben hatten (6).

Wenn bereits diese Umstände die Umsiedlung erschwerten, so mußte der DUB in Laibach am 11. Dezember 1941 dem Stabshauptamt in Berlin berichten, daß infolge Benzinmangels die für den 20. Januar 1942 vorgesehene Umsiedlungsfrist vermutlich um ein bis zwei Monate verlängert werden müsse, eine Tatsache, die zur Verschlechterung der Stimmung noch beitrug. "Die Gegenpropaganda nutzt diese Situation außerordentlich scharf aus und führt dazu, daß Optanten ihre Optionserklärungen zurückzuziehen beabsichtigten. Durch erneute Beratung wird versucht, diese Zurückziehungen auf ein Minimum zu beschränken, was im großen und ganzen für Gottschee bisher auch erreicht werden konnte." (7)

Diese offizielle Beurteilung der Situation und ihre Bewältigung treffen zweifellos für die Gottscheer Bauern zu. Etwas anders verhält es sich aber mit den deutschen Bewohnern der Stadt Gottschee.

Hier hatte sich ja bereits ein fester oppositioneller Kern während der Vorbereitungen für die Umsiedlung bemerkbar gemacht. Diese Gruppe war unter derartigen Umständen nicht bereit, ohne bestimmte Zusicherungen hinsichtlich der wirtschaftlichen und finanziellen Zukunft umzusiedeln. Am 14. Dezember 1941 telegrafierte der DUB an den für die städtische Ansiedlung zuständigen Sachbearbeiter in Marburg, in Gottschee seien Gerüchte aufgekommen, wonach in Rann und Gurkfeld, den beiden Städten, in denen die Gottscheer Stadtbevölkerung angesiedelt werden sollte, nicht genügend Wohnungen vorhanden seien (8). Zwei Tage darauf wurde der DUB beruhigt. "Wohnungsverhältnisse in Rann und Gurkfeld geklärt. Winterquartiere für Stadt Gottschee jedenfalls sichergestellt (9). ... Alle Gerüchte sind unzutreffend und auf überspitzte Forderungen gewisser Kreise zurückzuführen" (10).

In dieser Antwort dringt unüberhörbar die Kritik an "gewissen Kreisen" durch. Noch wagte es ein Abteilungsleiter des Ansiedlungsstabes nicht, offen die Volksgruppenführung zu nennen; denn diese - und nicht die Stadtbevölkerung - war hier zweifellos gemeint, wie sich später herausstellen sollte.

Die Haltung der Volksgruppenführung zu den Forderungen und Wünschen von Teilen der Gottscheer Stadtbevölkerung begann sich abzuzeichnen: Sie unternahm
zunächst nichts gegen die Unzufriedenheit der Städter, die sich zum Monatsende hin immer mehr steigerte, im Gegenteil, sie trug noch zur Verbreitung der "Gerüchte" bei.


Sprachinsel- und Aussiedlungsgebiet

14 Tage später kam die Unzufriedenheit des oppositionellen Teils der Gottscheer Städter zwei Tage vor ihrer geplanten Umsiedlung offen zum Ausbruch. Am 2. Januar 1942 telegrafierte der Stellvertreter des DUB, Dr. REDELL, in größter Sorge an das Auswärtige Amt, an das Stabshauptamt und nach Marburg an die dortige RKFDV-Dienststelle,

"nach soeben aus Gottschee eingegangenen Nachrichten protestieren Umsiedler aus Stadt Gottschee gegen den am 4. Januar vorgesehenen Abtransport nach Steiermark, da angeblich dort Unterkünfte nicht ausreichend vorbereitet sind. Sie verweigern Ausreise und sollen angeblich bereit sein, Umsiedlungserklärungen zu widerrufen, falls Ausreise nicht bis mindestens Mitte März verschoben werden kann. Auf die Unmöglichkeit der Terminverschiebung wurden sie aufmerksam gemacht. Volksgruppenführung nimmt selbst keine Stellung dagegen, so daß vermutet werden muß, daß sie die Wünsche der Umsiedler unterstützt. Halten es dringend für erforderlich, daß Reichskommissar Volksgruppenführung energisch darauf hinweist, daß das Deutsche Reich durch Umsiedlungsvertrag an Fristen gebunden ist und Umsiedler demzufolge auch gewisse Schwierigkeiten in Kauf nehmen müssen. . . . Haben Stabsführer LAFORCE vom Reichskommissariat Marburg hierhergebeten, um mit Gottscheer Volksgruppenführung Klärung herbeizuführen." (11)

Das Pulverfaß war explodiert. Die offiziellen Umsiedlungsdienststellen in der Gottschee standen der Situation zunächst offensichtlich hilflos gegenüber, einmal, weil die Volksgruppenführung nichts gegen den Aufruhr unternahm, zum andern, weil sie die Berechtigung der vorgebrachten Beschwerden höchstens bezweifeln, nicht aber zurückweisen konnten; denn es war auch beim DUB bekannt, daß die Ansiedlung im "Ranner Dreieck" nur mangelhaft vonstatten ging.

Die Gottscheer übergaben dem DUB Dr. WOLLERT eine Protestschrift (12), in der sie die Gründe für ihr Verhalten ausführlich darlegten. Darin betonten sie, sie seien "der größte und wichtigste Teil der Gottscheer Stadtbevölkerung" und hätten nach der Rückkehr ihrer Quartiermacher (13) aus Rann "die Überzeugung erhalten, daß unseren gerechten Wünschen und Bedürfnissen nur zu sehr geringem Teil entsprochen worden ist". Die Behandlung des Umsiedlungsgutes sowohl in der Gottschee bei der Abfahrt als auch im Ranner Gebiet bei der Ankunft wecke wenig Vertrauen. "Die Summen, die hier an Schäden entstanden sind, sind sehr beträchtlich und wären bei etwas mehr Umsicht vermeidbar gewesen." Bestürzung habe die Tatsache hervorgerufen, daß man die Gottscheer nur in Notquartieren unterbringen wolle. Sie bitten weiter um Klärung von 6 Punkten:

"1. Es wurde uns von der Gottscheer Volksgruppenführung zugesichert und immer wieder erklärt, daß das sogenannte Rannerdreieck eine Gottscheer-Siedlung werden soll, was natürlich selbstverständlich voraussetzt, daß in diesem neuen uns zugewiesenen Lebensraum fremdartige Einflüsse nicht zur Geltung kommen dürfen. Bis heute können wir feststellen, daß wir
Gottscheer, obwohl wir unsere nationale und wirtschaftliche Selbständigkeit und Tüchtigkeit einwandfrei unter Beweis stellen können, eine Art Staatsbürger zweiter Kategorie darstellen. Alle maßgebenden Posten sind, wenn vielleicht auch nur vorderhand, durch Volksdeutsche aus der Steiermark und andere besetzt, und sind unsere Interessen wegen Unkenntnis unserer Verhältnisse, wie wir sehen, nicht so vollwertig vertreten, wie wir es wünschen müssen.

2. ... Wenigstens die größeren Interessenten könnten, eventuell mit der Verpflichtung, späterhin für Rann zur Verfügung zu sein, vorläufig des Raummangels wegen außer Rann Gurkfeld (14) angesiedelt werden ...

3. Um eine ganz klaglose Einteilung sicherstellen zu können, müßte aus der Bürgerschaft eine entsprechende Vertretung ausgewählt werden. Diese Vertretung sollen die Unterfertigten selbst nominieren. .. .

4. Betriebe und Unternehmungen, welche auf Gebieten, die für Gottscheer reserviert sind, angesiedelt wurden, sind wieder an Gottscheer zu übergeben, falls sie jetzt in Händen von Nichtgottscheern sind.

5. Eine Frage von ganz besonderer Bedeutung erblicken wir in Angelegenheiten des allfälligen Verkaufes des städtischen Besitzes. Es wäre uns allen äußerst unangenehm, wenn dieser Besitz vor der erfolgten Aussiedlung der Gottscheer an die Emona (15) verkauft oder übergeben werden würde.

6. Insbesondere bitten wir zu veranlassen, daß die Spar- und Darlehenskasse in Gottschee, die wir in Zeiten schwerster nationaler Bedrückung, ... aufgebaut haben, in die neue Heimat mit allen Reserven von rund 400 000 RM umgesiedelt wird. Diese Anstalt wäre in Rann . .. in derselben Form als reine Gottscheer Geldanstalt wieder aufzurichten, . . ."

Es kristallisiert sich heraus, daß die Städter zu den Ansiedlungsbehörden, aber auch zu der Volksgruppenführung kein Vertrauen haben; denn diese hatten ja offensichtlich Leute als Quartiermacher nach Rann geschickt, die in wirtschaftlichen Fragen nicht kompetent genug waren, um die Ansprüche entsprechend vertreten zu können. Deshalb fordern die Protestierenden nun in Punkt drei eine von ihnen bestimmte Vertretung für ihre Interessen.

Neben den Forderungen, die sich auf den wirtschaftlichen und finanziellen Bereich erstrecken, schält sich aber aus allen Punkten ein Anspruch heraus, der den Ansiedlungsbehörden, deren leitende Männer vorwiegend Steiermärker waren, ganz besonders suspekt erscheinen mußte: die geschlossene Ansiedlung. Bei den Geschäftsleuten der Stadt Gottschee spielen hierbei selbstverständlich auch wirtschaftliche Motive eine Rolle. Formulierungen wie "fremdartige Einflüsse" und "nationale und wirtschaftliche Selbständigkeit" weisen aber auf, daß die Gottscheer die Abwehr aller Fremden - seien es nun Slowenen oder Reichsdeutsche - verbanden mit dem unbedingten Willen, unter sich zu bleiben, "daß das sogenannte Ranner Dreieck eine Gottscheer-Siedlung werden soll".

Dieses Ideal einer geschlossenen Gottscheer Gemeinschaft hatte allen volkstumsbewußten Gottscheern während der langen Jahre des Nationalitätenkampfes vorgeschwebt, und es war ihnen auch am 26. April 1941 versprochen worden.

Jetzt schienen die Ansiedlungsbehörden das vom "Führer" und vom "Reichsführer-SS" gegebene Versprechen nicht einlösen zu wollen. Das brachte die Gottscheer um so mehr in Harnisch, als sie auf ihre 600 Jahre alte Geschichte mit Stolz zurückblickten. Daher brachten sie ihren Unmut auch gegenüber den Reichsbehörden offen zum Ausdruck.

In dieser Haltung waren sich protestierende Städter und Volksgruppenführung sogar einig. Auch diese versuchte, eine möglichst geschlossene Ansiedlung der Gottscheer zu erreichen und ihre Führungsansprüche im Ansiedlungsgebiet durch die spätere Übernahme der wichtigsten Funktionen sicherzustellen. Die Planungsgrundsätze (16) der Experten, von denen die Volksgruppenführung wußte, sahen zwar nicht eine reine Gottscheer Siedlung im "Ranner Dreieck" vor, jedoch war in den Planungsskizzen die dominierende Rolle den Gottscheern ebenso zugedacht wie die Erhaltung ihres Volkstums.

Warum unternahm nun die Volksgruppenführung nichts, um die Städter aufzuklären und dadurch zu beruhigen? Wie reagierten die Ansiedlungsbehörden in Marburg und Rann auf die Protestschrift?

Auf den Notruf des DUB-Stellvertreters vom 2. Januar 1942 schickte der Stabsleiter der RKF-Dienststelle in Marburg den Führer des Ansiedlungsstabes Südmark, BLISS, und dessen für die städtische Ansiedlung zuständigen Sachbearbeiter SCHALLERMAIER sofort am 3. Januar 1942 in die Gottschee.

Beide machten zunächst Zwischenstation beim DUB-Stellvertreter in Laibach. Sowohl dieser als auch der Vertreter des Auswärtigen Amtes beim DUB erklärten, "daß die Beunruhigung der Gottscheer Umsiedler einzig und allein durch falsche Gerüchte-Verbreitung seitens Angehöriger der Volksgruppenführung entstanden sei (17)." Auch der Gebietsbevollmächtigte der Umsiedlungskommission in der Stadt Gottschee, Dr. KNUTH, bestätigte die Ansicht des stellvertretenden DUB, als BLISS ihn in Gottschee danach fragte. Dr. KNUTH ging sogar einen Schritt weiter, indem er offen LAMPETER als einen der "Gerüchteverbreiter" nannte. In der Stadt Gottschee erwarteten BLISS etwa 100 Gottscheer Umsiedler, die ihre Optionserklärung zurückzuziehen beabsichtigten. Die folgenden Aufgaben habe er sich gestellt:

"1. die Menschen für die Umsiedlung zu begeistern und ihre Bedenken zu zerstreuen,
 2. die in dem beigefügten Schreiben [die Protestschrift der Gottscheer] aufgeführten Beschwerdegründe zu      entkräften und zu widerlegen,
 3. die Rädelsführer der Gerüchteverbreitung festzustellen." (18)

Gemäß dem Protokoll konnte der Leiter des Ansiedlungsstabes Südmark mit seinem Sachbearbeiter alle drei Probleme voll lösen.

Zu Punkt 1 erwähnte er, die Gottscheer seien nach seinen Ausführungen tief beschämt gewesen und hätten mit Tränen in den Augen gebeten, ihnen ihren Kleinmut nicht nachzutragen. Die Volksgruppenführung habe absolut versagt und die Gerüchte sogar selbst verbreitet.

Zu Punkt 2 bemerkte BLISS, daß nach seiner Richtigstellung der in der Protestschrift aufgestellten Forderungen die Umsiedler erklärt hätten, "Die Ursache für die Verfassung dieser Denkschrift sei einzig und allein darin zu sehen, daß seitens Angehöriger der Volksgruppenführung Gerüchte verbreitet würden, die in ihnen den Eindruck entstehen lassen mußten, daß sie sich in absolut unsichere Lebensverhältnisse begeben würden."

Zu Punkt 3 konstatierte BLISS: "Der Hauptschuldige ist der Mannschaftsführer LAMPETER." Damit war nach BLISS eindeutig der Sündenbock für den Aufruhr gefunden.

LAMPETER, dem nebenbei noch angekreidet wurde, daß er trotz Benachrichtigung zu spät zu dieser wichtigen Versammlung erschienen war, hatte in der Diskussion das Wort ergriffen und zudem noch die Bedenken der Umsiedler unterstrichen, indem er unter anderem behauptete, die zugewiesenen Häuser in Rann seien schlechter als die in Gottschee, in den besten säßen Slowenen und Reichsdienststellen, der augenblickliche hohe Umsatz der Geschäfte trüge. BLISS bezeichnete in der Versammlung diese nach Ansicht LAMPETERS sachlichen Feststellungen als Gerüchte und bewertete sie "geradezu als verbrecherisch" in der augenblicklichen Situation.

Der Eklat war nicht mehr zu übersehen: vor den Augen der erstaunten Gottscheer kam es zum offenen Zerwürfnis zwischen zwei Männern, die beide der Eliteformation des "Dritten Reiches" angehörten.

BLISS war sich dieser Sachlage bewußt: seine Fassungslosigkeit und Empörung über LAMPETERS Verhalten äußerte sich in seiner persönlichen Meinung, die er im Protokoll festhielt: "LAMPETER ist durch verschiedene Ehrungen, die ihm für seine bisher geleistete Volksgruppenarbeit zuteil wurden, größenwahnsinnig geworden und politisch für deutsche Verhältnisse absolut unbrauchbar. Als SS-Führer schäme ich mich, ein derart politisches Kind in der Uniform der SS und in dem Rang eines Sturmbannführers sehen zu müssen. Wäre mir vom Reichsführer SS die Aufgabe zugeteilt worden, die Herr LAMPETER zu leisten hatte und ich hätte ein derartiges Verhalten an den Tag gelegt, weiß ich eines bestimmt, daß ich verdientermaßen degradiert und zur politischen Schulung einem Konzentrationslager zugeführt worden wäre. . . . Die kommenden Führer der Gottscheer Umsiedler dürfen sich meines Dafürhaltens auf keinen Fall aus den Reihen der Volksgruppenführer zusammensetzen, sondern müssen durch reichsdeutsche Aktivisten erstellt werden." (19)

Das war das politische Todesurteil über den Mannschaftsführer LAMPETER, abgegeben von einem Manne, der für die Ansiedlung der Gottscheer im gegenwärtigen Augenblick einer der wichtigsten war. Wenn auch die Beurteilungen "größenwahnsinnig" und "politisches Kind" erheblich über das Ziel hinausschießen, so decken doch diese Übertreibungen gerade LAMPETERS Charakterzüge, politische Verhaltensweisen und Fehleinschätzung reichsdeutschen, speziell nationalsozialistischen Hierarchiedenkens auf, die in ihrer Summierung LAMPETER bereits in den nächsten Tagen zu Fall bringen sollten.

Daß BLISS die tatsächliche Führung der Volksgruppe durch LAMPETER so interpretierte, als habe LAMPETER während der Umsiedlung einen Machtkampf gegen den nominellen Volksgruppenführer SCHOBER inszeniert, um selbst an die Spitze zu kommen, zeugt einerseits von Ignoranz (20), andererseits aber auch von seinem krampfhaften Bemühen, alle nur denkbaren Vorwürfe gegen LAMPETER hochzuspielen (21).

Im übrigen läßt sich BLISS Rabulistik mit derjenigen, die LAMPETER gegenüber der "inneren Opposition" angewendet hatte, durchaus vergleichen. Wie stark der An
siedlungsstabsleiter seine eigene Position gegenüber LAMPETER einschätzte, ist daraus zu ersehen, daß er eine von LAMPETER im Anschluß an die Versammlung versuchte Unterhaltung ablehnte.

BLISS war es also gelungen, durch sein Eingreifen die protestierenden Städter zu beruhigen und sie zur Umsiedlung zu bewegen (22). Sein Argument, in diesem Kriege opfere nur der deutsche Soldat, der vor Leningrad und vor Moskau falle, war anscheinend nicht ohne Eindruck geblieben.

LAMPETERS Ansehen hatte eine erhebliche Einbuße erfahren. Sein Versuch, Ansiedlungsstab und Städter gegeneinander auszuspielen, indem er einerseits den Städtern die Ansiedlungsbehörden als unfähig und indem er andererseits dem Ansiedlungsstabsleiter die Protestierenden als Querulanten hinstellte, hatte sich als Bumerang erwiesen.

Fraglich war nun, ob er seine Autorität gegenüber der Mehrheit der Volksgruppe erhalten, ob seine "Mannschaft" - zumindest deren Führer - zu ihm stehen würde und ob er sein - wenn auch bereits lädiertes - Ansehen beim Stabshauptamt in Berlin würde wahren können; denn beim Gauleiter konnte er wegen seiner kategorisch vorgebrachten Planungsvorstellungen kaum auf Unterstützung hoffen.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

1
 Tätigkeitsbericht des Informationsreferenten WAGNER bei der EWZ-Kommission Sonderzug vom 16. 11. 1941 an die EWZ-Zentrale Litzmannstadt; NAW Roll 306, frame 2433884 f. Über den Ablauf der Transporte s. u. Anhang II, S. 160 ff. und Anhang V S. 175 f.

2
 Bericht des DUB vom 11. 12. 1941 an das Stabshauptamt; BA R 49/28.

3
 Dok. d. Vertreibg. V, S. 35, Bericht des Bauern . . :"Die Häuser, die die Umsiedler bezogen hatten, waren meistens in einem verwahrlosten Zustand. Die Gegend war ärmer als die in der Gottschee. Die Häuser und Höfe durchwegs in schlechterem Zustand als die, die wir verließen. Am meisten störte mich sowie auch die anderen die Tatsache, daß aus diesem Gebiet die einheimische Bevölkerung, Slowenen, zwangsweise ausgesiedelt wurde. Wie sollte man in diesen Häusern schlafen, die man den anderen Leuten weggenommen hat! . . . Nun war es uns klar, warum man uns den Ansiedlungsort verschwieg." Vgl. auch ebda. S. 34.

4
 Bericht des Leiters des Kreissiedlungsstabes Rann, STIGER, vom 31. 12. 1941; Abschlußbericht des Leiters des Kreissiedlungsstabes Gurkfeld, BUSSE, vom 24. 1. 1942; Bericht des Leiters des Kreissiedlungsstabes Lichtenwald, MEYER, 1941; alle drei Berichte im Besitz des Verf.

5
 Dok. d. Vertreibg. Bd. V, a.a.O. S. 34.

6
 dazu s. o. S. 53.

7
 Bericht des DUB vom 11. 12. 1941 an das Stabshauptamt; BA R 49/28. Nur in dem etwas vagen Begriff "Gegenpropaganda" erwähnt der DUB die oppositionellen Strömungen innerhalb der Volksgruppe.

8
 Telegramm Dr. WOLLERTS vom 14. 12. 1941 an SCHALLERMAIER; im Besitz d. Verf.

9
 Tatsächlich verhielt es sich so, daß für die von Dr. WOLLERT angeforderten 300 Wohnungen in Rann nur 35 zur Verfügung standen, von denen nur 28 sofort zu beziehen waren. Nach Bericht über "Ansiedlung Gottschee" von STIGER, Ansiedlungsstabsleiter, am 31.12.41; i. Bes. d. Verf.

10
 Telegramm SCHALLERMAIERS vom 16. 12. 1941 an Dr. WOLLERT; i. Besitz d. Verf.

11
 Telegramm von Dr. REDELL am 2. 1. 1942 an das Auswärtige Amt Berlin; im Bes. d. Verf.

12
 Eingabe der 61 Gottscheer Städter vom 2. 1. 1942 an den DUB Dr. WOLLERT; im Besitz d.Verf.

13
 ebda.: "Es sei nebenbei bemerkt, daß in diese Quartiereinteilungs-Kommission auch Leute unserer Wirtschaft zu bestimmen gewesen wären, welche mehr Sachkenntnis nachweisen könnten."

14
 "außer Rann Gurkfeld" bedeutet: außerhalb von Rann oder Gurkfeld.

15
 Bei der "Emona" handelt es sich um eine private italienische Gesellschaft, die im Auftrage der italienischen Regierung mit dem DUB die finanzielle Regelung der Umsiedlung abzuwickeln hatte.

16
 Planungsgrundsätze, s. o. S. 70 ff.

17
 Bericht vom SS-Untersturmführer BLISS, Ansiedlungsstab Südmark, vom 4. 1. 1942, Marburg; im Besitz d. Verf.

18
 ebda.

19
 ebda.

20
 s. o. S. 102 f.

21
 Der Fall "STURM":s. Gedächtnisschrift v. LAMPETER vom 9. 2. 1942; BA NS 21/ vorl. 160; STURMS Befehlsverweigerung vom 10. 12. 41 mußte BLISS nachträglich sanktionieren.

22
 Telegramm Dr. REDELLS vom 5. 1. 42 an Dr. WOLLERT, Berlin; im Besitz des Verf.

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