Das Gottscheer Hochland, Grundlinien einer Landeskunde, von Edgar Lehmann, Wissenschaftliche Veröffentlichungen des Museums für Länderkunde zu Leipzig, 1933.



Prof. Dr. Edgar Lehmann (1905–1990)


Bevölkerungsverteilung und Bevölkerungsverschiebung

Auch in der Bevölkerungsverteilung spiegelt sich deutlich der Landschaftscharakter wider. Den dichter besiedelten Talungen stehen die stark bewaldeten Hochgebiete mit einer bedeutend geringeren Volkszahl gegenüber. Der Friedrichsteiner Wald und das Rieg-Göttenitzer Bergland sind sogar völlig unbesiedelt. Auch in den großen Talungen ist der Siedlungsstreifen gelegentlich durch Waldareale unterbrochen. Eine Ausnahme bildet die Pölland-Tschermoschnitzer Talung. In ihr hat die Gunst der Lage und des Bodens eine zusammenhängende Siedlungsflur entstehen lassen, ähnlich wie in den nördlichen Teilen der Gottscheer Talung und in dem zwar weniger klimabegünstigten, aber fruchtbaren Hochtalboden von Merleinsrauth-Obergraß. Als Übergangsgebiete kann man die Vorlagen des Hornwaldes auffassen. Wie ein Keil schiebt sich die relativ dicht besiedelte Nesseltal-Altenmarkter Talung zwischen diese beiden Landschaftseinheiten, in die wir auch die Mulde von Altlag einbeziehen.

Zur raschen Übersicht können wir diese Verhältnisse auch zahlenmäßig belegen, indem wir die auf die landschaftlichen Einheiten bezogenen Dichten zusammenstellen. Auf Grund einer planimetrischen Ausmessung der natürlichen Räume, deren gesamte Einwohnerzahl wir nach dem Spezialortsrepertorium vom Jahre 1910 (1) berechnen, ergibt sich folgendes Bild:


Landschafts-Einheiten Areale in qkm Einwohnerzahl Dichte
Gottscheer Talung ohne Stadt 131,73 5131 39
Gottscheer Talung mit Stadt 7662 58
Rieger Talung 114,63 2662 23
Merleinsrauth-Obergrasser Talung 12,27 1513 68
Nesseltal-Altenmarkter Talung 45,33 2437 54
Tschermoschnitz-Pöllander Talung 11,36 1089 96
Gebiete östlich der Pöllander Talung 29,06 649 22
Hornwald 164,80 1734 11
Südöstliche Vorlagen des Hornwaldes 85,72 1404 16
Nordwestliche Vorlagen des Hornwaldes,
einschließlich Mulde von Altlag
135,11 2308 17
Friedrichsteiner Wald
(anökumenisches Gebiet)
37,23 - -
Rieg-Göttenitzer Bergland (anökumenisches Gebiet) 73,91 - -
Gesamtes Gottscheer Hochland 831,15 26 289 32


Diese den landschaftlichen Charakter gut erläuternden Zahlen sagen noch nichts über die absolute Menge der Bevölkerung, über ihre nationale Zusammensetzung, über ihre Dichte im Verhältnis zu den Flächen, die wirklich zum Lebens- und Nährraum dienen. Der Weg, auf dem sie entstanden ist, führt über die Ausscheidung des Waldes als Anökumene und die Neuberechnung der auf die produktiven Flächen entfallenden Einwohnerzahlen. Es ist vielleicht einzuwenden, daß es nicht richtig ist, den Wald als Anökumene zu betrachten, weil so mancher Gottscheer Bauer in Form von Kohlenbrennereien oder Kahlschlag aus seinem Waldanteil einen bescheidenen Gewinn zieht. Aber der bäuerliche Waldbesitz ist vielfach recht klein. Die riesigen, zusammenhängenden Waldkomplexe sind in Händen der Fürst Auerspergschen Erben bzw. ihrer Pächter, die - der Billigkeit der Löhne wegen - fremdstämmige Wanderarbeiter beschäftigen (2). Verteilt man, dieser Tatsache entsprechend, die jeweilige Bevölkerungsmenge in Gestalt der gewählten Kopfzahlsignaturen auf den ihr wirklich zur Verfügung stehenden Nährraum, so ergibt sich eine überraschend gleichmäßige Dichte der Siedlung. Es leben im Durchschnitt etwa 75 bis 8o Menschen auf dem Quadratkilometer der produktiven Fläche, unter der wir somit nur die Äcker, Wiesen und Weiden verstehen. Als Ausdruck dieser Gleichförmigkeit der Bevölkerungsverteilung erscheinen auf unserem Kärtchen die Kopfzahlsignaturen in einer Dichte, die es kaum noch gestattet, die Abstände zwischen ihnen abzulesen. Es ist dies aber kaum ein Mangel der Darstellung. Wir waren bestrebt, weder die Übersichtlichkeit der gewünschten, absoluten Genauigkeit zu opfern noch umgekehrt. Bei einer mannigfaltigen Lagerung der Bevölkerungsverhältnisse würden die Flächen verschiedener Dichte wie verschieden enge Raster wirken. Ein subjektives Moment, das unserem Kärtchen anhaftet, ist die unregelmäßige Verteilung der Kopfzahlsignaturen. Aber durch diese an die wirkliche Verteilung angenäherte Anpassung hoffen wir eher zur richtigen Vorstellung zu verhelfen, als durch die Anwendung der Gitter- oder Reihendarstellung, die viel leichter die Nachteile eines bloßen Kartogramms in sich trägt (3).

Erst seit 1869, d. h. seit der ersten amtlichen Zählung, stehen über die Volksverschiebungen Angaben zur Verfügung. Die Bilanz der Volksbewegung wird nicht von einem Rückgang der Geburten in passivem Sinne beeinflußt. Eine im Ländchen immer erneut festgestellte Durchschnittszahl von 3 - 5 Kindern innerhalb einer Familie stimmt gut zu den in den Statistiken von 1870 bis 1910 angeführten Werten der natürlichen Ab- und Zunahme der Bevölkerung. In den benachbarten slawischen Gebieten liegt der Geburtenüberschuß in gleicher, Höhe wie im Gottscheer Land, so daß die Sprachinsel nicht durch ein schlechteres Verhältnis zwischen Geburt und Sterblichkeit gegenüber ihrem Umland im Nachteil ist, wie es z. B. in manchen sudetendeutschen Gemeinden der Fall ist (s. Janicek , 1923).



Bevölkerungsverteilung im Gottscheer Hochland (Stand 1910).


Vergleicht man also die folgenden Zahlen, so handelt es sich durchwegs um Volksverschiebungen durch Abwanderung. Ihre großen Ausmaße erklären sich bei weitem nicht allein durch die Kargheit des schlecht genutzten Bodens, sondern vor allem durch eine gerade am Ende des vorigen Jahrhunderts einsetzende Übersee-Auswanderung, die von dem unruhigen Hausierergeist des Gottscheers noch stark gefördert wurde.



Landschafts-Einheiten 1869 1890 1910 (4)
Gottscheer Talung ohne Stadt 3412 4760 5131
Gottscheer Talung mit Stadt 4460 5918 7662
Rieger Talung 2634 3059 2662
Nesseltal-Altenmarkter Talung 3290 3146 2437
Tschermoschnitz-Pöllander Talung 1193 1165 1089
Höhen östlich der Tschermoschnitzer Talung 629 778 649
Merleinsrauth-Obergrasser Talung 1235 1757 1513
Hornwald 2100 2170 1734
Südöstliche Vorlagen 2052 1891 1404
Nordwestliche Vorlagen 2751 2917 2308
Gesamteinwohnerzahl 23 826 27 561 26 289


Diese Zahlen sprechen für sich selbst. Die gleichen geographischen Grundlagen, die schon bei der Analyse der Bevölkerungsverteilung zum Ausdruck kamen, wirken sich auch auf die Statistik der Volksverschiebungen aus. Die großen Talungen sind für den Zeitraum 1870 - 1910 stationär oder steigen in ihrer Bevölkerungszahl, wie z. B. die Gottscheer Talung und der Hochtalboden von Merleinsrauth-Obergraß. In der Rieger Talung verhindern die dürftigen Böden um Hinterberg und Mrauen ein Ansteigen der Bevölkerungssumme, in der relativ fruchtbaren Nesseltal-Altenmarkter Talung, die sogar Abnahme aufweist, liegt dies in einer allzu starken Aufteilung, namentlich der guten Böden des Nesseltaler Poljes, begründet.



Ab- und Zunahme der Bevölkerung von 1870 - 1921.


Alle außerhalb der Talungen gelegenen Siedlungsräume aber sind durchweg starke Abnahmegebiete. Nur um 70 Menschen vermag die Bevölkerung des Hornwaldes von 1870 bis zum Höhepunkt der Entwicklung im Jahre 1890 zuzunehmen, und die Bevölkerung der nordwestlichen Vorlagen, in die jedoch die Mulde von Altlag einbezogen ist, verzeichnet als Höchstzunahme 160 Menschen. Die Bevölkerungszahl der anderen Waldbergländer steigt auch bis 1890 überhaupt nicht, während die Talungen, mit Ausnahme des Nesseltal-Altenmarkter Tiefenzuges, bis zu diesem Zeitpunkte eine bedeutende Zunahme aufweisen. Wie erwähnt, enthält die jugoslawische Volkszählung vom Jahre 1921 leider nur Zahlenangaben für die Gemeinden. Für alle jene Gemeinden, die in einer der von uns ausgesonderten Landschaftseinheiten aufgehen, gilt die Feststellung, daß ihre Einwohnerzahl gegenüber dem Bestand von 1910 noch weit geringer geworden ist. Es gibt kaum eine Gemeinde, in der die Volksmenge nicht noch unter die Einwohnerzahl vom Jahre 1869 gesunken ist. Als Beispiel für diese Entwicklung der Einwohnerzahl wählen wir aus jeder Landschaftseinheit eine bezeichnende Gemeinde aus, während wir uns für die Verdeutlichung der Volksverschiebung innerhalb der anderen Gemeinden mit dem Hinweis auf der Ab- und Zunahme der Bevölkerung von 1870 - 1921 (5) begnügen.


Gemeinden 1869 1890 1910 1921
Hinterberg (Rieger Talung) 691 762 657 591
Mösel (Gottscheer Talung) 1301 1315 1158 1095
Malgern (Nordwestliche Vorlage) 734 763 614 527
Langenthon (Hornwald) 875 985 698 586
Obergraß (Merleinsrauth-Obergraßer Talung) 553 788 680 555
Döblitsch (Südöstliche Vorlage) 1096 1024 840 756
Nesseltal (Nesseltal-Altenmarkter Talung) 1879 1750 1343 1076


Überdies sind im "Urbar der Herrschaft Gottschee vom Jahre 1574" viele Orte verzeichnet, die heute nicht mehr bestehen, umgekehrt sind allerdings wieder neue Orte an anderer Stelle entstanden, von denen natürlich im Urbar nicht die Rede ist. Soweit die sehr dürftigen Hilfsquellen der älteren Zeit Auskunft erteilen, hat sich die Bevölkerungsentwicklung zuerst mehr in aufsteigender Richtung bewegt, um dann fast beständig zu sinken. Als Beispiel wählen wir die Gemeinde Mösel aus, für die unser spärliches Material am besten ausreicht. Nach Koblar (1892) lebten in dieser Pfarre i. J. 1745 nur 910 Menschen. Als Kaiser Josef II. in den Jahren 1783/87 eine bessere kirchliche Einteilung der österreichischen Erblande vornahm, nach der im Umkreis einer Wegstunde und in Orten über 700 Einwohnern eine Pfarre errichtet werden sollte, zählte der Möseler Bezirk 1503 Seelen. Im Jahre 1822 umfaßt die gleiche kirchliche Einheit 1814 Einwohner. Das ist ein Höhepunkt der Entwicklung, der - wenn wir uns an die Auskunft der Matriken der Pfarre Mösel halten - bis auf den heutigen Tag nicht wieder erreicht wurde. Die Bevölkerungskurve sinkt bis auf 1135 Menschen nach der Volkszählung vom Jahre 1921, nachdem sie im Jahre 1842 den Stand von 1398 Einwohnern, im Jahre 1856 von 1475 Einwohnern, im Jahre 1880 von 1499 Einwohnern gezeigt hatte. Im Jahre 1929 wurde übrigens ein geringes Ansteigen der Bevölkerung auf 1224 Köpfe vermerkt (Erker, 1930).

Etwas anders sind die Verhältnisse bei der Stadt Gottschee gelagert. Die Bevölkerungsbewegung ist hier wegen ihrer innigen wirtschaftlichen Verknüpfung mit den Landgemeinden von den gleichen geographischen Einwirkungen betroffen wie die gesamte Sprachinsel. Es ist dies aber nicht so zu verstehen, als ob die Bevölkerungsverhältnisse der Stadt gleichsam einen empfindlichen Wertmesser für die statistische Gesamtsituation des Landes abgeben. Diese Einschränkung gilt besonders für die neuere Zeit, in der sich in Gottschee-Stadt eine bescheidene Industrialisierung zeigt.

Wie die wichtige Quelle des "Urbars der Herrschaft Gottschee vom Jahre 1574" und die Geburts- und Sterbematriken (6) der Stadtpfarre ausweisen, scheint die Bevölkerungsziffer in der Vergangenheit nahezu stationär gewesen zu sein. Während im Jahre 1574, d. h. zur Zeit als das Urbar aufgeschrieben wurde, nach roher Berechnung etwa 350 - 45o Menschen in der Stadt lebten, ist diese Zahl nach den Daten des Liber mortuum auch am Ende des 17. Jahrhunderts wohl kaum überschritten worden. Selbst im 18. Jahrhundert sinkt die Bevölkerungsziffer noch manches Mal unter den für das Jahr 1574 errechneten Stand. Der Grund für dieses stationäre Verhalten dürfte nicht nur in der Ungunst der Bodenverhältnisse, einem strengen Zunftzwang und den sich wiederholenden Volksseuchen (Valvasor, 1669) zu suchen sein, sondern auch in außergewöhnlichen Ereignissen, die auf das Leben der Stadt einwirkten. So berichtet Valvasor von einem großen Brande, der die Stadt im Jahre 1684 heimsuchte. Es soll uns das nicht verleiten, bereits für die ältere Zeit eine Abwanderung aus dem Ländchen anzunehmen. Denn die Statistik weist auch in wirtschaftlich besser gestellten Landschaften für diese Zeit eine hohe Sterblichkeitsziffer auf, welche die Vermehrung der Bevölkerung stark herabdrückt.

Im Laufe des 19. Jahrhunderts wächst die Zahl der Bevölkerung beträchtlich an. Im Jahre 1817 leben nach dem "Hauptausweis" über die Einteilung des Laibacher Gouvernementsbezirkes in dem Städtchen 601 Einwohner, im Jahre der ersten amtlichen Volkszählung (1869) bereits 1048 Einwohner. Wie die folgende Aufstellung auf Grund der Spezialorterepertorien zeigt, steigt diese Zahl schnell auf das Dreifache.


Jahr Einwohner
1880 1332
1890 1169
1900 2179
1910 2531
1921 3000
1930 3100


Diese lebhafte Volksbewegung in aufsteigender Linie findet ihre Begründung in dem allgemeinen industriellen Aufschwung der Zeit. So ist die Bevölkerungszunahme im Jahre 1869 auf die Gründung einer Glashütte (s. Braune, 1890) zurückzuführen, die eine größere Anzahl von Arbeitern mit ihren Familien in die Stadt zog. Der plötzliche Rückgang im Jahre 1890 geht freilich nicht allein auf die Auflassung dieser Hütte (1886) zurück, sondern hauptsächlich auf die gerade in dieser Zeit einsetzende Auswanderung nach Amerika. Wenn sich die Einwohnerzahl im Gegensatz zu der sinkenden Bevölkerungskurve, die wir nach 1900 überall im Lande beobachteten, bald wieder verdoppelt, so kommt darin ein besonderer verkehrsgeographischer Faktor zum Ausdruck. Es ist die Eröffnung der Bahnlinie Laibach - Gottschee, die mit der Gründung des Kohlenwerkes bei der Stadt Hand in Hand geht (7).

Diese vom Lande verschiedene Entwicklung der Bevölkerungsbewegung der Stadt hat auch eine andere Entwicklung der nationalen Zusammensetzung gezeitigt. Während im Lande, wie wir sahen, das sprachliche Mischungsverhältnis bei allen Schwankungen der Bevölkerungszahl in den letzten fünfzig Jahren unverändert bleibt, verändert es sich in der Stadt zu ungunsten der Deutschen, je höher die Bevölkerungsziffer anschnellt. Im Jahre 1880 wohnen 89 % Deutsche in der Stadt, im Jahre 1910 nur 73 %, und nach den staatlichen Änderungen des Weltkrieges hat sich der deutsche Bevölkerungsanteil durch den Zuzug slawischer Beamter und Bediensteter noch verringert. Die Abnahme der Deutschen bereits im Jahre 1910 erklärt sich aus der merkwürdigen Abneigung des Gottscheers, Bergmannsdienste im Braunkohlenwerk zu leisten.

Angesichts dieser Tatsachen mag man, besonders im Hinblick auf die Gefahr der Entdeutschung, erwarten, daß das Gebiet in größerer Menge Menschen aus den Nachbarlandschaften ansaugt. Wenn das bisher nur in einem sehr beschränkten Maße geschehen ist, so erklärt es sich aus der ebenfalls sehr geringen Siedlungsdichte der Nachbarschaft. Die Abwanderung aus dem politischen Bezirk Tschernembl ist z. B. während der Jahre 1890 - 1910 (Österreichische Statistik 1890 und 1910) noch stärker gewesen als in der Gottschee. So verstehen wir das im allgemeinen gleichbleibende Verhältnis in der nationalen Zusammensetzung der Bevölkerung. Steigt die Kurve der Bevölkerungsanzahl, so steigt im allgemeinen auch der Anteil der slawischen Minderheiten in den Grenzgebieten, fällt die Kurve, so sinkt auch die slawische Volkszahl. Dieses allgemeine Ergebnis läßt auch folgende Tabelle erkennen:


Landschafts-Einheiten 1890 1910
Deutsche Slawen Deutsche Slawen
Nesseltaler-Altenmarkter Talung 966 2254 841 1516
Rieger Talung 2840 112 2460 83
Tschermoschnitz-Pöllander Talung 805 358 758 327
Merleinsrauth-Obergrasser Talung 721 944 789 631
Hornwald 1968 210 1607 62
Südöstliche Vorlagen 665 966 646 725
Nordwestliche Vorlagen 2895 10 2203 22


Bei der Berechnung und Zusammenstellung dieser Übersicht fallen ein paar Sonderfälle auf, auf die wir wegen ihrer nationalen Bedeutung aufmerksam machen. In Bistritz und Maierle führte die Tatsache, daß der "Deutsche Schulverein" den Einwohnern eine Schule stiftete, zu folgendem sprunghaften Wechsel in dem statistischen Niederschlag:


1890 1900 1910
Deutsche Slawen Deutsche Slawen Deutsche Slawen
Bistritz 8 58 58 5 34 20
Maierle 65 167 164 60 88 114


Das ist eine Ausnahmeerscheinung, die eine Warnung für die Auswertung der Statistik in sich schließt. Unsere Beobachtungen an Ort und Stelle haben gelehrt, daß wahrscheinlich eine Unstimmigkeit bei der Bearbeitung der Zählungen vorliegt. Denn es handelt sich weder um nationalen Gesinnungswechsel noch um Volksverschiebung durch Abwanderung, sondern allein um die Auswirkung einer deutschen Schulgründung, die die Beherrschung der hochdeutschen Sprache bei den zum großen Teil nur gottscheerisch sprechenden Weinbauern von Maierle sicherte. Welche Gefahr allerdings für den Bestand des Deutschtums vorliegt, wenn der Sprachunterricht slowenisch erteilt wird, das zeigt sich klar in der Obergraß-Merleinsrauther Talung. Dort beherrscht man das Hochdeutsche ebenso schlecht wie das Slowenische. Man spricht nur "gottscheerisch", soweit man nicht schon - und das ist mindestens bei einem Viertel der Bewohner der Fall - den Slowenisierungsbestrebungen durch den Zwang der slowenischen Schule zum Opfer gefallen ist. Auch in diese Verhältnisse spielt ein geographisches Moment hinein. Man muß beklagen, daß die frühere österreichische Verwaltung kein Auge für die natürliche Geschlossenheit des Gottscheer Hochlandes hatte. Die deutschen Gemeinden sind nicht in einer Verwaltungseinheit zusammengefaßt, sondern gehören sechs verschiedenen, mehr oder weniger slawischen Bezirken an. Gerade die gefährlichen Orte in den Randgebieten sind oft in slowenische Gemeinden einbezogen. Solche Ortschaften geben häufig Anlaß zu widersprechenden oder mindestens wechselnden Angaben über ihr nationales Gepräge. So bezeichnet z. B. Czörnig (1878) im Jahre 1878 die Ortschaften Bresowitz und Saderz als sprachlich gemischt, während sie kaum 10 Jahre später Gehre (1886) als rein deutsch vermerkt. Heute sind die Deutschen in beiden Dörfern in der Minderheit.

Um den heutigen Stand der Bevölkerungsverteilung zu verstehen, genügt es nicht, die statistische Bevölkerungsentwicklung zu überschauen. In der Gegenwart wie in der Vergangenheit wirken auf die Volksverschiebungen geographische Gesetzmäßigkeiten. Die Nationalitätsgrenze springt häufig schroff von Bergrücken zu Bergrücken, von Geländestufe zu Geländestufe. Ist erst einmal nach langem zähen Andrängen eine Stufe im Gelände oder ein Höhenzug erklommen, so geht die Slawisierung fast plötzlich und mit schnellem Erfolg bis zur nächsten natürlichen Grenze vor sich. Czörnig konnte die Siedlungen Neuwinkel und Alben im Westen des Hochtalbodens von Merleinsrauth-Obergraß als sprachlich gemischt bezeichnen, heute sind die Slawen längst auf die westliche Flanke des scheidenden Rückens vorgedrungen. Sehr bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine Abhandlung von slawischer Seite, die die Ziele der Slawisierung zum Gegenstand hat. Ohne daß der Verfasser (Ante Beg, 1911) die natürlichen Grundlagen bewußt berücksichtigt, gibt doch die Art seiner Vorschläge einen interessanten Anhaltspunkt. Wenn er z. B. andeutet, daß der slawische Vorstoß über die Obergraß-Merleinsrauther Talung zur Gottscheer Talung in einer weit nach Norden und Süden ausgreifenden Kurve vor sich gehen sollte, so ist das ein bezeichnendes politisch-geographisches Symptom. Denn das läuft praktisch auf eine Umgehung der scheidenden Bergzüge innerhalb der Gottscheer Sprachinsel hinaus und treibt die Slawisierung gerade in Richtung auf jene Stelle des Ländchens vor, an der die Natur die geringsten Schranken aufgerichtet hat und an der lediglich die durch gute Verkehrsbeziehungen geeinte Masse des Deutschtums den Schutz ersetzt, den sonst Bergwälder und Talungsstufen übernommen haben. Ein anderes Beispiel für die natürlich gebundene Art der Volksverschiebung läßt sich im südlichen Teil der Nesseltal-Altenmarkter Talung feststellen. Noch vor 25o Jahren war diese Gegend mit Altenmarkt als Hauptplatz von Gottscheern bewohnt (Wolsegger, 1882). Als jedoch der deutsche Siedlungsboden vom Kulpatal aus von den Slawen erstiegen war, erlag er verhältnismäßig schnell den Slowenisierungsbestrebungen, die erst wieder am Querriegel von Unterdeutschau zum Stillstand kamen.

Für das slawische Vordringen vom Tal auf die Hänge liegen ebenfalls zahlreiche Beispiele vor. Noch am Ende des vorigen Jahrhunderts waren die Mühlen an der Kulpa von Gottscheern bewohnt, wie auch die Orte Wosail und Sürgern an der Cabranka sprachlich gemischt waren. Heute leben in beiden Orten ausschließlich Slawen, während man die Kulpabewohner vielleicht als slowenisierte Gottscheer ansehen darf, die sich ihres Deutschtums noch dann und wann erinnern. In dieser Hinsicht spielen auch die Abhänge gegen den Möttlinger Boden die gleiche Rolle wie die Talhänge. Die Orte Gaber, Unter-Rodine, Kälbersberg, Petersdorf, Straßenberg, Döblitsch, Gritsch, Jerneisdorf sind schon seit längerem slawisch: der Kampf der Sprachen beginnt sich auf die Vorlagen des Hornwalds zu erstrecken, wie das Beispiel der oben angeführten Ortschaft Bistritz zeigt. Hier ist eine breite Mischzone entstanden, im Gegensatz zu dem sonst ziemlich geschlossenen Charakter des Gottscheer Landes, dieser Sprachinsel im echtesten Sinne des Wortes.

Wenn man den Ursachen der Volksverschiebungen nachgeht, so muß man sich dabei der Tatsache bewußt sein, daß es sich im Ländchen trotz spärlicher Naturausstattung doch leben läßt. Es steht der erschreckende Rückgang der Bevölkerung innerhalb der letzten 50 Jahre in keinem richtigen Verhältnis zu den natürlichen Bedingungen. Es scheint die Neigung zu groß, wirtschaftliche Schwierigkeiten der eigenen Person und der engsten Familie über die Bodenständigkeit zu stellen. Das Gefährliche des heutigen Zustandes kennzeichnet folgender Umstand: Der Bauer wartet in vielen Fällen nur auf die passende Gelegenheit zur Auswanderung und bringt in seiner Resignation gegenüber der geringen amerikanischen Auswanderungsquote auch nicht die Kraft auf, allen Schweiß an eine intensive Bearbeitung und Nutzung seiner dürftigen Scholle zu setzen. Die Weidegründe, die in den meisten Fällen weit mehr als die Hälfte des Kulturareals einnehmen, sind vielfach mit Gestrüpp bewachsen und wenig gepflegt. Nur wenig Vieh ist auf ihnen zu sehen. Die Entvölkerung des Landes ist bereits soweit fortgeschritten, daß zur Durchführung einer intensiv betriebenen Landwirtschaft die nötigen Arbeitskräfte fehlen (8). Eine ständig wachsende Bodenentwertung ist die wirtschaftliche Folge. Das verarmte Gottscheer Land dürfte aus diesen Gründen wirtschaftliche Werte, nämlich produktive Menschen, solange nicht an das Ausland abgeben, als der Fortbestand der Volksgemeinschaft nicht gesichert ist. Das heißt: Die Bodennutzung ist bis zum höchstmöglichen Ertrag zu steigern. Nur dort, wo die Natur auch dann noch dazu zwingt, sollte der Gottscheer zum Wanderstab greifen. Der Prozentsatz derer, die von diesem Los betroffen sind, wird immer noch groß genug sein (9).

Es ist hinsichtlich der Auswanderung noch auf ein soziologisch-geographisches Moment aufmerksam zu machen. Der Gottscheer geht nicht als Bauer, Siedler oder Farmer nach Übersee; er sucht als Arbeiter in Fabriken der Vereinigten Staaten Beschäftigung, und zwar nach unseren Erkundungen besonders in Brooklyn, Cleveland, Chicago und Kansas City (10). In jüngster Zeit besitzt allerdings Kanada für Landarbeiter größere Anziehungskraft. Aber selbst in diesem Falle sind die bestimmenden Momente für die Auswanderung nicht agrarische Konjunkturerscheinungen, sondern der Ausdruck des internationalen Arbeitsmarktes schlechthin. Denn es bleibt gleichgültig, ob der Gottscheer in einer der großen Fleischfabriken Chicagos Arbeitsgelegenheit findet oder ob er als Landarbeiter auf einer großen extensiv betriebenen Farm seinen Lebensunterhalt bestreitet: die an sich schon überaus große Entwurzelung von der eigenen Scholle, wie sie durch jede Auswanderung bedingt ist, wird durch diese industriell basierte Arbeitsmöglichkeit innerlich noch gefördert. Die Eigenschaften eines rechten Landmannes, der mit seinem Sinnen und Denken an Haus und Hof hängt, werden leicht im negativen Sinne durch eine kapitalistische Denkweise beeinflußt, und die Gefahr ist recht groß, daß der gute Vorsatz schwindet, nach Erwerb einiger Geldmittel den verschuldeten Hof von den Hypothekenlasten zu befreien. Es muß allerdings betont werden, daß so mancher brave Gottscheer diese Gefahr mit der ihm eigenen großen Heimatliebe überwunden hat. Die innige Verbundenheit mit dem deutschen Muttervolk, deren sich jede Gottscheer Familie bewußt ist, wird auf alle Zeit der beste Garant sein für die Erhaltung dieses Vorpostens deutscher Kultur.


Anmerkungen:

1) Die jugoslawische Volkszählung vom Jahre 1921 bringt nicht die Ortschaften, sondern nur die Einwohnerzahlen der Gemeinden, die sich zum Teil mit den natürlichen Landschaftseinheiten überschneiden und daher eine genaue Berechnung der Dichte nicht ermöglichen.

2) Ihre Zahl ist gering und leider durch das Auerspergsche Forstamt nicht festzustellen.

3) Auch der vorzüglichen Sprachenkarte der Gottschee von Wutte auf Grund der Volkszählung von 1900 (Deutsche Erde, 1909) haftet diese durch die Eigenart des Kartogramms bedingte Schwäche an. Man vermutet mehr Sprachvorland, in dem eine der wetteifernden Sprachen die Mehrheit besitzt, als in Wirklichkeit vorhanden ist.

4) Nach den Spezialortsrepertoiren von 1869, 1890 und 1910.

5) Da die Volkszählung vom Jahre 1921 nur die Gemeinden berücksichtigt, wurde dieses Kärtchen mittels eines, die örtlichen Verhältnisse abwägenden, rechnerischen Verfahrens entworfen.

6) Die Sterbematriken (I. liber mortuorum) der Pfarre Gottschee beginnen mit dem Jahre 1669.

7) Die Eingemeindung der Flecken Huterhäuser und Gnadendorf spielt in diesem Zusammenhang nur eine geringe Rolle.

8) Über Arbeitermangel klagt fast jeder bäuerliche Besitzer.

9) Nach "La Revue economique de Belgrade" - Belgrad, 4. Jahrg. 1929 - wanderten aus ganz Jugoslawien im Jahre 1921 nach den Vereinigten Staaten 12 461 Personen, im Jahre 1922 (nach Quotenfestsetzung der U.S.A.) 5436 Personen, im Jahre 1928 nur 4796 Personen aus. Dafür steigerte sich die Auswanderung nach Kanada, die 1921 nur 87 Personen betrug, auf 5921 im Jahre 1928. Es ist aber nicht ersichtlich, wieviel von diesen Summen auf das Gottscheer Land entfallen.

10) Die Arbeit von P. Roßnagel: "Die Stadtbevölkerung der Vereinigten Staaten von Amerika nach Herkunft und Verteilung" (Schriften des Deutschen Auslandsinstitutes, Stuttgart, Bd. 25) gibt hierüber keine Auskunft.

www.gottschee.de