Märchen, Sagen und Erzählungen, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Märchen, Sagen und Volkserzählungen Ortssagen
Der Siedelstein Legenden von Jesus und Petrus
Schlangenmärchen Schildbürgerschwänke
Schlangenstein Räthsel
Schloss-Sage Bauernregel
Geschichtliche Sagen  



Märchen aus Gottschee, Brüder Grimm, 1795

Gottschee, Märchen der Brüder Grimm, Eisenach 1795



Erzählung, Dr. Carl Stiegler

In den Urwäldern der Gottschee, Dr. Carl Stiegler, 1943







Märchen, Sagen und Volkserzählungen, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Einzelne Schlangenmärchen und die Schlossage, die ich hier bringe, sind bereits gedruckt, alles übrige ist bisher unbekannt. Ich veröffentliche die Sagen und Schwänke nach den Erzählungen der Frau Gertrude Tschinkel und der Herren Perz, Tomitsch und Tschinkel.

Die Zahl der eigentlichen Märchen und Sagen ist geringer als die der scherzhaften Volkserzählungen. Für das freie, glänzende Spiel der phantastischen Märchenwelt fehlt dem (im Grunde nüchternen) Gottscheer die nöthige Zuneigung. Die geschichtlichen Sagen konnten sich aus Mangel an großen Ereignissen nicht voller entfalten. Was an romantischen Sagenstoffen noch im Volke lebt, hat sich in der gebundenen Form der Lieder reicher und besser bewahrt. Auch die poesievolleren Legenden werden im Liede festgehalten, jene, die sich dem Gebiete des Niedrigkomischen und des Lehrhaften nähern, werden in Prosa erzählt. Am beliebtesten sind die komischen und satirischen Volkserzählungen, die auf gegenseitiger Neckerei beruhen. Sie werden noch heute tagtäglich in einfacher, ungebundener Form erzählt, täglich abgeändert und erweitert; ihre Zahl ist thatsächlich unbegrenzt.
Die Märchen schließen sich an mythische und abergläubische Vorstellungen an und sind also innerlich verwandt mit den bereits erzählten Hexen- und Waldfrauengeschichten.

Die Gottscheer Märchen berichten zumeist
von Schlangen. Bekannte Motive werden hier auf örtliche Verhältnisse übertragen. Nach dem Gottscheer Volksglauben gibt es Schlangen, die Kronen tragen. Die gekrönte Schlange ist immer weiß, wohnt an einem Baume, verbrennt alles, wenn sie durch den Wald streicht. Naht sich ihr jemand, so thut sie einen Pfiff, worauf von allen Seiten Schlangen zu ihrer Hilfe herbeieilen. Märchen von gekrönten Schlangen sind ja überall verbreitet.

(Vgl. Grimm, Anmerkungen zu den Märchen, 17 u. 105. Hier erfahren wir von Schlangenkronenmärchen aus Österreich, Tirol, Vorarlberg, Hessen, Niederlausitz. Vgl. auch Grimm, Sagen, Nr. 221 und 459, Mythologie, 4, 571 ff.; Birlinger, l, 145; Rochholz, Alemannische Sagen, 2, 5 f.; Müllenhoff, 355; Grohmann, Aberglauben und Gebräuche aus Böhmen, 79. Ähnliche Märchen hörte ich in Eisenstein (Böhmerwald). Für die Krainer Slowenen vgl. Österreichisch-ungarische Monarchie, 383.)







Der Siedelstein, Dr. Adolf Hauffen, 1895

In der Schlangenkrone der Gottscheer Märchen befindet sich ein Edelstein, der shidlschtoin. Er ist sehr schwer zu erringen, macht den Besitzer reich und gesund, löscht ihm Hunger und Durst und verleiht ihm beständiges Glück. Nach der Gottscheer Volksetymologie heißt der Siedelstein so, weil alles Glück sich bei ihm angesiedelt hat. Es ist aber der alte sigestein, der zauberkräftige, siegverleihende Stein der germanischen Mythe. In der alten Thidreksage kommt er ebensogut vor, wie in den heutigen Märchen der Faröer-Inseln und ausführlich beschreibt ihn der österreichische Erzähler des Mittelalters, der Stricker. Das Gottscheer Wort shidlschtoin ist aus der jüngeren (in Anlehnung an Siegel gebildeten) Form sigelstein infolge der volksthümlichen Umdeutung entstanden. Man glaubt noch heute an diesen Stein. Wenn jemand rasch reich geworden ist, so sagt man, er hat den shidlschtoin, oder er hat einen schkratl (vgl. oben S. 92 f.). Den Stein kann man auch dem Erben hinterlassen oder der Tochter als Mitgift schenken.







Schlangenmärchen, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Von einem vor einigen Jahren verstorbenen Grundbesitzer der Pfarre Mösel erzählt man sich folgendes Geschehnis: Dieser Mann sah einmal in einer Grube einen Haufen Schlangen beisammen. Er ritt nach Hause, holte sich ein Rad, machte es glühend und warf es in die Grube. Da stoben die Schlangen auseinander, er nahm rasch den Siedelstein und sprengte, von den Schlangen verfolgt, eiligst heim. Zu Hause angelangt, streichelte er sein Pferd über den Schweif und sagte: "Du hast mich heute gerettet." Da fuhr eine Schlange hervor, die im Schweif verborgen war, und stach ihn in die Brust, so dass er starb. Seine Kinder aber behielten den Stein und wurden reich.

Ein zweites Märchen berichtet: Ein Wanderer verirrte sich im Walde und fiel in eine tiefe Grube, deren es in dem Gottscheer Steinboden so viele gibt. Er hatte sich nicht verletzt, denn er fiel weich auf: eine gewaltige Menge von Schlangen deckte den Boden. Unter ihnen erhob sich die große, weiße Schlange mit dem shidlschtoin dem Kopfe und befahl den übrigen, des Wanderers zu schonen. Die Schlangen leckten viel an dem shidlschtoin. Da er hungrig und durstig war, wagte er es auch, daran zu lecken und stillte damit Hunger und Durst. Und der Wanderer blieb viele Jahre bei den Schlangen. Da versprach ihm die große, weiße Schlange ihn wieder an das Tageslicht zu bringen, wenn er über seinen Aufenthalt bei den Schlangen schweigen wolle. Dies versprach er. Sie nahm ihn nun auf den Rücken und trug ihn aus Grube und Wald und durch die Lüfte bis vor eine Stadt, wo er wieder zu Menschen kam. Man erzählt ferner, in der Grube seien auch Bilche gewesen, denen er rothe Fäden um den Hals band, und man habe später viele so gezeichnete Thiere gefangen.

Ein drittes. Vor Zeiten gab es Schlangen im Walde, die thaten viel Schaden. Da sprach ein Mann zu den anderen: "So ihr mein Weib und meine Kinder versorgen wollt, wenn ich umkomme, so will ich alle Schlangen vertilgen." Die anderen versprachen dies und er gieng in den Wald. Da machte er einen Kreis und ein Feuer in der Mitte und stieg auf einen Baum. Da kamen alle Schlangen zum Feuer und verbrannten. Doch zuletzt kam eine große weiße Schlange, die schlug mit ihrem ungeheuren Schweif so um sich, dass sie alle Bäume niederwarf, auch den, worauf der Mann saß. Und er fiel herab und schlug sich todt. So kann man die Schlangen vertreiben, aber einer muss sich opfern. (Elze, 31 f. Eine ähnliche Sage in Tirol (Zingerle, Sagen, Nr. 211) und bei den Slowenen, Österreichisch-ungarische Monarchie, 383. und Krek, 71 f.)

Andere Schlangen gelten für verzauberte Mädchen oder Jünglinge. Vor vielen Jahren kam ein Bursche in die Stadt Gottschee und begegnete einem Mädchen, das war die große weiße Schlange. Die sagte ihm, er könne sie mit Hilfe einer einjährigen Haselruthe erlösen. Die solle er im Walde holen, da werde sie ihm als weiße Schlange begegnen mit Schlüsseln in der kaia (Maul). Die sollte er ihr mit der Haselruthe herausschlagen, da werde alles vom Himmel fallen, Hagel und Regen, Blitz und Donner, er dürfe sich aber nicht fürchten. Der Bursche gieng nun, ihrem Wunsche folgend, in den Wald um die Haselruthe. Auf dem Rückwege überfiel ihn ein schreckliches Ungewitter und neben einer kleinen tascha (Tanne) traf er die weiße Schlange. Er aber fürchtete sich und wagte es nicht, ihr die Schlüssel aus dem Maule zu schlagen; denn er war noch sehr jung. Als nun die Schlange an ihm vorüber war, sagte sie: "Du hättest mich erlösen und dich selbst glücklich machen können. Nun muss ich Schlange bleiben. Wenn aber aus diesem Tannenbäumchen einst ein großer Baum geworden und daraus eine Wiege gemacht ist, so kann mich das Kind erlösen, das darin gewiegt wird." Mit diesen Worten verschwand die Schlange. Der Erzähler fügte noch hinzu: "Und das ist wahr, das hat mein ena (Großvater)
erzählt, der lange auf dem Friedrichstein oben gewohnt hat."

(Elze, 32 f. Eine theilweise ähnliche Sage erzählen die Brüder Grimm (Deutsche Sagen, Nr. 13) von einer verzauberten Schlangenjungfrau, bei der auch ein junger Bursch aus Angst die Erlösung unterlässt. Die oben erwähnte Frist für die Erlösung, bis aus dem Baume eine Wiege wird u. s. w. kommt öfter vor. Vgl. Knoop, Allerhand Scherz, 4; Birlinger, 1, 7. Schlangen mit Schlüsseln im Munde; vgl. bei Vernaleken, 125; Birlinger, l, 6; Zingerle, Sagen, Nr. 209, 403 f. u. a.)

Ein fünftes. Ein paar Eheleute waren reich an Gütern, aber kinderlos. Da beteten sie um ein Kind und sollte es auch nur ein Hündchen sein; umsonst! Sie beteten um ein Kätzchen, auch vergeblich. Da beteten sie um eine Schlange und ihre Bitte ward erfüllt. Als nun der Schlangensohn zwanzig Jahre alt wurde, wählten ihm die Eltern das schönste Mädchen zum Weibe. Da sich das Mädchen weigerte, sollte sie einen Balken, besteckt mit schuershochn (Schermessern), emporklettern. Sie versuchte es, aber der Schmerz war so groß, dass sie lieber nachgab und das Weib der Schlange wurde. Als sie in der Brautnacht weinte, sagte die Schlange: "Du wirst mich erlösen." Da ließ sie ab zu weinen und redete freundlich mit der Schlange. Am Morgen aber krachte das Haus und es barst die Schlangenhaut (lacha) oder latscha) (Mhd. lasche, der Lappen, Fetzen.
) und ein schöner Jüngling stand vor dem Mädchen und sie küssten sich. Er aber sagte: "Die Haut bewahre wohl, es ist zu unserem Glücke." Sie aber hasste diesen Schlangenbalg und als er einst aus war, verbrannte sie ihn.

Sobald er heimkehrte und dieses vernahm, verließ er sie. Sie aber war guter Hoffnung und konnte nun nicht gebären sieben Jahre lang. Da zog sie aus nach ihrem Mann. Auf dem Wege begegnete ihr eine weiße Frau. Die sagte ihr: "Dein Mann lebt mit einer Zauberin in ihrem Schlosse, da nimm drei Spielzeuge!" Sie nahm die Spielzeuge und gab zwei der Zauberin, damit sie mit ihrem Manne reden könne. Als sie aber zu ihm kam, schlief er noch von einem Zaubertrank;
da gab sie das letzte Spielzeug hin. Nun vermied er den Zaubertrank, sprach mit dem Weibe und sie gebar einen Sohn. Die Zauberin aber ward vertrieben und sie lebten noch lange glücklich miteinander. (Erzählt vom Herrn Pfarrer Jaklitsch, veröffentlicht von Schröer, 475 f. Vgl. Zingerle, Sagen, Nr. 400 f.)

Einen sehr ähnlichen Inhalt zeigt das Gottscheer Lied von der schönen Marie (Nr. 98). Marie findet jeden Morgen den Thau von der Feldfrucht, die sie zu jäten hat, abgekehrt. Sie wünscht, dass der geheimnisvolle Thäter ihr Geliebter würde. Da erscheint die lange Schlange und sagt: "Das soll geschehen, heirate mich. Noch ehe du deine Brautkleider ausziehst, werde ich meinen Schlangenbalg ablegen und ein schöner Jüngling sein. Meine Mutter gieng im ersten Paare hinter dem Kreuz (d. h. sie war aus sehr guter Familie, da in den meisten Gottscheer Dörfern nur den angesehensten Mädchen das Recht zukommt, bei Processionen das erste Paar zu bilden). Sie hat mich bei einer hohlen Buche geboren und weggelegt (vgl. die Lieder Nr. 79 ff.), im Walde bin ich herangewachsen. Die wilden Reben haben mich gefatscht, der kühle Wind hat mich gewiegt." Da antwortet das Mädchen: "Ehe ich die Schlange heirate, klettere ich lieber den Sägebaum (shaglpam) hinauf, der mit lauter Messern besteckt ist. (Ein alter Zug aus der geistlichen Literatur, Lucifer wünscht auf einer mit Messern besetzten Säule zum Himmel klettern zu dürfen. Vgl. Creizenach, Geschichte des neueren Dramas, l, 204.
)

Der Sägebaum wächst empor, da erschrickt sie und heiratet doch die Schlange. Vor der Kirche gibt das Mädchen die Schlange in ein Körbchen. Nach der Trauung schlägt sie auf Anrathen der Schlange diese dreimal mit einer Haselruthe um die Mitte. Da fällt der Schlangenbalg ab und ein schöner Jüngling steht vor ihr. Am nächsten Morgen begeben sie sich zu den Eltern des Mädchens und feiern die Hochzeit.

Dieses Lied hat einen slowenischen Kehrreim: "Mare, Bog pomagaj!" (Maria, Gott helf uns) und erweist schon dadurch seinen fremden Ursprung. Das slowenische Lied
des gleichen Inhaltes: "Die schöne Vida"' ist etwas kürzer, es erwähnt nichts vom Leben der jungen Schlange im Walde, nichts vom Sägebaum. Anderseits hat die Schlange hier neun Schweife mit neun Schlüsseln und ist ein verzauberter Königssohn. Die Verwandlung mit drei dreijährigen Ruthen wird genauer geschildert:


Da kaco vujdre z pervoj sibo,
Ona je od glave clovek.

Da jo vujdre z drugoj siboj,
Grata do pojasa clovek.

Da jo vujdre z tretjoj siboj,
Te ze grata do pet clovek.
Wie sie schlug mit erster Ruthe,
Ward die Schlange Mensch vom Haupte.

Wie sie schlug mit zweiter Ruthe,
Ward die Schlange Mensch zu Hüften.

Wie sie schlug mit dritter Ruthe,
Ward die Schlange Mensch zu Fersen.


In allen diesen Berichten geschieht die Entzauberung durch eine Haselruthe. Die Haselstaude, die den Göttern geweiht war, hatte von je Zauberkraft: sie schützte vor Unheil und Krankheiten, sie führte zur Erschließung von Schätzen und zur Erforschung der Zukunft. Die weiße, gekrönte Schlange wohnt an ihrer Wurzel und heißt darum auch Haselwurm; mittelst eines Haselstockes kann man sie fangen. Die Haselstaude schützt vor Schlangen, das hat ihr Maria verliehen. Eine ganz besondere Kraft aber haben die Hiebe der Haselruthe. (Grimm, Märchen (Anhang. Legenden Nr. 10); Perger,Pflanzensagen, 245; Rosenkranz, 181.)







Schlangenstein, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Eine verdunkelte, allegorische Bedeutung kommt der Schlange im Liede Nr. 65 zu. Wie es hier geschieht, so ist noch heute die allgemeine Meinung, dass man Schlangen, die einen Menschen bedrohen, durch Milch anlocken könne. Zur Heilung von Schlangenbissen bedient man sich eigener Schlangensteine (catschnschtoin, slow. kaca = Schlange). Legt man solch einen Stein auf die Wunde, so soll er sich vollsaugen vom Gift und anschwellen. Wenn man ihn dann
nicht rasch in die Milch wirft, so zerspringt er. Solche Steine vererben sich noch heute von Mutter auf Tochter und werden sehr wert gehalten. Die schädlichen Folgen des Schlangenbisses kann man auch durch Beschwörungen wegbannen. In der Pfarre Nesselthal lebt ein Hufschmied, der als Schlangenbanner bekannt ist. Von weit her kommen die Landleute mit gebissenen Rindern oder Pferden zu ihm. Er spricht nun mit großer Feierlichkeit seine Beschwörungsformel und das Schlangengift hat alle Kraft verloren. Die Zauberformel wollte uns der Mann nicht nennen, die sei sein Geheimnis; doch versicherte er, dass alles im Namen Gottes geschehe.







Schloss-Sage, Dr. Adolf Hauffen, 1895

An Gottscheer Sagen gibt es nur einige wenige, die sich an bestimmte Baulichkeiten oder Orte anschließen. Erinnerungen an die Türkeneinfälle im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert sind noch im Volke lebendig; doch die Ereignisse jener Zeit waren zu entsetzlich und trostlos, als dass sie die sagenbildende Schaffenskraft geweckt hätten. Erinnerungen bewahrt man ferner an die Besetzung Gottschees durch die Franzosen (1809) und an das Räuberunwesen späterer Zeiten. Wie in ganz Krain, so gab es in Gottschee noch bis in die Vierzigerjahre unseres Jahrhunderts richtige Räuberbanden. Besonders bekannt im Volksmund ist der Räuberhauptmann Michor (vulgo Roschar), der in Pölland gehaust hat. In Lichtenbach zeigt man noch an einem Hause die Schießscharten, woraus man auf die belagernden Räuber geschossen hat. Der herumziehende (im Jahre 1799 geborne) Bettler Brausse erzählt noch viel von seinem Verkehr mit den Räubern.

Eine aus dem vorigen Jahrhundert stammende Gottscheer Sage erzählen auch die Brüder Grimm. (Deutsche Sagen, Nr. 147 (Gottschee). Sie stammt aus der anonymen Sammlung Volkssagen, Eisenach 1795, 173-188.)







Geschichtliche Sagen, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Auch die Lebensgeschichte der Veronika von Desinze, die Valvasor nach der Cillier Chronik ausführlich erzählt, dürfte viel Sagenhaftes enthalten. Graf Friedrich von Cilli soll seine erste Gattin im Bette erstickt haben, heiratete nach deren Tode seine Geliebte, Veronika, 1424 und lebte mit ihr auf dem von ihm neu erbauten Schlosse Friedrichstein bei Gottschee. Doch sein Vater Hermann, der wegen dieses Bundes mit einem armen Edelfräulein zürnte, ließ den Sohn gefangen nehmen, seine Burg niederreißen, die flüchtig herumirrende Veronika festsetzen und der Zauberei anklagen. Das Gericht sprach sie frei, doch Graf Hermann ließ sie in einer Wanne ertränken, verzieh darauf seinem Sohne und stellte das Schloss Friedrichstein wieder her.







Ortssagen, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Von dem Orte Graflinden erzählt man, Graf Friedrich habe dort auf einer seiner Reisen unter einer Linde geruht und so dem Orte den Namen gegeben.

Unweit Römergrund hegt auf einer Anhöhe die kleine Ortschaft Thurn mit geringen Überresten eines runden thurmartigen Gebäudes. Von diesem erzählt die Sage Folgendes: Vor langer Zeit, als die jetzige Sprachinsel noch unbewohnt und von Urwald bedeckt war, stand dieser Thurm als einziges Gebäude auf der weiten Strecke von Reifnitz bis Möttling. Hier wohnte ein habsüchtiges Ehepaar, das zwei allerliebste Kinder, einen Sohn und eine Tochter, hatte. Das Mädchen heiratete nach Reifnitz, der Sohn aber zog in fremde Lande und trat in den Dienst eines Grafen, der viele Kriege führte. Die Eltern errichteten hierauf im Thurme eine Herberge, die für viele verderblich werden sollte. Ein Saumpfad führte an dem Thurme vorüber, weit und breit der einzige Weg, so musste er von vielen Reisenden benutzt werden. Es traf sich daher oft, dass einer oder der andere in dem Thurme nächtigte. Im Schlafe wurden dann die Gäste von den Wirtsleuten, denen ein paar baumstarke Hausknechte Beistand leisteten, ermordet und beraubt.

Der Leichnam wurde in ein nahes Erdloch geworfen. Dieses traurige Los traf viele Wanderer, bis der Himmel über die Mörder eine furchtbare Strafe verhängte. Der Sohn dieser Leute hatte nach langem Aufenthalte in der Fremde, von Heimweh getrieben, die Reise zu den Eltern angetreten. Nachdem er einige Tage bei der Schwester in Reifnitz geweilt hatte, langte er des Abends spät im Elternhause an, wo er die erste Nacht unerkannt zubringen wollte. Im Schlafe aber ermordeten ihn die Eltern, die ihn für einen durchreisenden Grafen hielten und warfen den Leichnam in den Abgrund zu den übrigen Opfern. Des andern Tages kam, von bangen Ahnungen gequält, auch die Tochter aus Reifnitz daheim an; wo sie aus dem Munde der Eltern erfahren musste, dass diese ihr eigenes Kind, den einzigen Sohn, aus Geldgier ermordet hatten.

Diese Sage, die heute in Gottschee als wirkliche Begebenheit berichtet wird, gehört zu den weitverbreiteten Erzählungen von verdächtigen Herbergen, die oft genug der Wirklichkeit entsprachen.

(Als wahre Begebenheit wird diese Mordthat der Eltern berichtet für das Jahr 1618 aus Leipzig, für 1649 aus Böhmen, in neuerer Zeit von Gregorovius aus Corsica (2,27). Zacharias Werner hat den Stoff dramatisch behandelt in seinem "24. Februar". Das deutsche Volkslied dieses Inhaltes ist aus dem achtzehnten Jahrhunderte belegt und heute bekannt in Schlesien, Hessen, Böhmen, Bayern, Brandenburg. Schleswig-Holstein u. s. w. Vgl. Erks Deutscher Liederhort, Nr. 50 a bis 50 c, besonders 1, 177; Böckel, 108; Müllenhoff, 534 f.
)

Auch in der Nähe von Gottschee gab es an den Handelsstraßen nach Kroatien noch im Anfange unseres Jahrhunderts genug berüchtigter Gasthäuser. Das deutsche Volkslied gleichen Inhalts von den Mordeltern ist überall bekannt.

An eine wunderschöne Monstranze in Göttenitz, über deren Herkunft niemand etwas Genaueres weiß, knüpft sich nachfolgende Ortssage. In dem Hause Nr. 25, das jetzt den Namen Zirgaisch führt und vor Zeiten zu einem Herrschaftsbesitz gehört haben soll, lebte zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts ein sehr schönes und tugendhaftes Mädchen, die Tochter schlichter Leute. Die Kunde von der Schönheit dieses Mädchens verbreitete sich im ganzen Lande und bis an die Ufer der blauen Adria hin. Von verschiedenen Gegenden kamen die Jünglinge herbei, um die Hand der holden Jungfrau zu werben. Auch ein Jüngling aus einer vornehmen Laibacher Familie befand sich unter den Werbern. Diesem beschloss das Mädchen - Elshe (Elisabeth) soll es geheißen haben - als Gattin zu folgen, und es wurde bestimmt, dass die Verlobung im nahen Rieg bei Verwandten der Braut gefeiert werden sollte.

Im Walde vor Rieg nun war es, wo die ahnungslose Braut von einem vorher abgewiesenen Werber, welcher weit herauf von der Adria gekommen war, mit Hilfe seiner zahlreichen Begleitung dem erwählten Bräutigam und ihren Angehörigen entführt wurde. Der Entführer brachte die schöne Elshe nach Fiume und segelte mit ihr ohne Aufenthalt von dort seiner fernen Heimat zu. Einige Jahre darauf, an einem Sonntage, als der Priester sich gerade zum Altare begab, um das heilige Messopfer darzubringen, fand er das Tabernakel halb geöffnet und als er näher trat, entdeckte er die von unbekannter Hand gewidmete prachtvolle Monstranze, deren Metallwert allein auf 700 Gulden geschätzt wird. Die Monstranze zeigt die Jahreszahl 1517, und es ist allgemein der Glaube, dass die entführte Elshe, die Spenderin derselben gewesen sei. (Mitgetheilt vom Lehrer Petschauer in Göttenitz.)

Also eine Entführung über die Adria hin, wie in unserem Gottscheer Liede Nr. 45 und der slowenischen Ballade "Lepa Vida".







Legenden von Jesus und Petrus, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Eine Reihe Gottscheer Erzählungen berichten von Wanderungen des Herren mit Petrus unter den Menschen. Jakob Grimm (Mythologie 1, XXIX-XXXIV) hat schon gezeigt, dass dieses Motiv von der Wanderung Gottes oder mehrerer Götter auf Erden fast allen Mythologien gemeinsam ist und dass die alten Germanen insbesonders viele solcher Wandermythen erdichtet haben. Im Mittelalter wurden sie im Anschlusse an die Wanderungen Jesu und seiner Jünger in Judäa allmählich in christliche, zum Theil in moralisierende Erzählungen umgewandelt. Im sechzehnten Jahrhunderte haben vor allem Hans Sachs, Burkard Waldis und Agricola, aus volksthümlicher Quelle schöpfend, ähnliche Legenden bearbeitet. Heute sind sie im Volksmunde überall verbreitet.

In Gottschee haben diese Volkslegenden den gemeinsamen Titel Jeshisch unt got shain Peatr (Jesus und Gottes Peter). Die erste lautet:

1. Jesus und Petrus treffen einen Knecht am Feldrande liegend. Sie fragen ihn nach dem Wege ins nächste Dorf. Zu faul aufzustehen, zeigt der Knecht nur mit dem Fuße hin und sagt: "Dort, bu, br weartn ruabm hubm gahot'' (wo wir im vergangenen Jahre Rüben gehabt haben). Mit diesem ungenügenden Bescheide ziehen sie weiter und fragen ein Mädchen, das sie am Felde arbeiten sehen, nochmals nach dem Wege. Das Mädchen läuft gleich mit und zeigt ihnen den rechten Weg. Da sagte der Herr zu Petrus: "Du, Peatr, dia poidai babr (werden wir) wrhairotn." Petrus erwiderte: "Lai dos et, 's bar ju schuada (schade), um dos wlaisiga diarndle, ben shi dan waulan knacht pakamot." Jesus aber meint: "Grot deschbagn: buas hewot dar waula knacht uanin a wlaisigas baip uan ? (Gerade deswegen, was würde der faule Knecht ohne ein fleißiges Weib anheben.) Ar miasot ju wrkam." (Er müsste ja verkommen.)

2. Einmal übernachteten sie bei einem Bauer, der ihnen das gapidnt (Raum über der Dreschtenne) als Schlafstätte anwies. Als in der Früh die Drescher kamen und die beiden schlafend fanden, weckten sie sie und als diese nicht aufstehen wollten, schlugen sie auf Petrus ein, der ihnen zunächst lag. Da sprach Jesus zu Petrus: "Umar (herüber) i
lig du, umar, Peatr, shishtn shlugnt shai bidr di (sonst schlagen sie wieder dich), ben shai kamant." Als die Drescher nach einer Stunde wieder erschienen, schlugen sie diesmal auf den ein, den sie ihrer Meinung nach früher verschont hatten. Und so bekam Petrus zum zweitenmale Schläge.

3. Jesus und Petrus kamen einst in der Zeit des Feldbaues zu einem Bauer, der gerade seinen Acker umpflügte. "Lot shi`s pauan, lot shi`s ?" (Lässt sich's pflügen, lässt sich's?) fragten sie den Bauer. "'S lot shi laibar, lai hert (hart) is, hert", erhielten sie zur Antwort; "'s brt ubr polda (bald) ragn (regnen), 's afle (der Frosch) hot gaquacat!" "Du brt's afle ragn gabm", sagte Jesus und sie giengen weiter. Beim nächsten Bauer erhielten sie eine ähnliche Auskunft; es werde bald regnen, denn "dr huana hot nachtn gakrant" (der Hahn hat gestern abends gekräht). Da sagte Jesus wieder zu Petrus: "Damon (dem) brt dr huana ragn gabm" und zog weiter. Als sie beim dritten Bauer dieselbe Frage stellten, gab dieser zur Antwort: "Hert is wrailich, ubr got brt wrlaicht polda ragn gabm; ben ar lai polda ragn luasot (ließe)." Da lachte Jesus und sagte zu Petrus: "Dort brt's afle unt dr huana ragn gabm, dan babm ubr biar ragn luasn !" (dem aber werden wir regnen lassen.)

4. Jesus und Petrus übernachten bei einem Bauer, der sie sehr freundlich aufgenommen hat. Der Bauer hat einen Stadel voll Weizen. Um ihm Arbeit zu ersparen, zündet Jesus die eingebrachte Feldfrucht an. Die Spreu verbrennt, der Weizen aber bleibt übrig. Ein missgünstiger Nachbar denkt, dass könne er auch so machen, und zündet seinen Weizen an. Ihm aber brennt Haus und Hof ab.

5. Jesus und Petrus lassen ein Ross beschlagen. Um es dem Schmiede bequemer zu machen, schneidet Jesus den Fuß ab, lässt das Hufeisen draufschlagen und heilt den Fuß wieder an. Ein Bauer, der es mit angesehen hat, versucht ein nächstesmal das gleiche. Ihm aber gelingt natürlich das Wiederansetzen des Beines nicht.







Schildbürgerschwänke, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Zu der humoristischen Volkspoesie der Gottscheer gehören vor allem die zahlreichen Schildbürger-Schwänke, die heute noch immer wieder erzählt werden. Ähnliche Geschichten sind ja uralt und überall verbreitet. Schon die Griechen des Alterthums hatten ihr Abdera. Jede deutsche Landschaft besitzt ihr Städtchen oder ihr Dorf, an dem meist seit dem frühen Mittelalter mit oder ohne Grund der Fluch der Lächerlichkeit haftet und sich in sagenhaften Schwanken forterbt. In Deutschland besonders bewirkt es die vorherrschende Neigung zu kräftiger individueller Entwicklung leichter, dass die Meinungen und Thaten Andersdenkender ins Lächerliche gezogen werden. Die Nebenbuhlerschaft wetteifernder Nachbardörfer weckt die volksthümliche Necklust. In allen deutschen Landschaften singen Nachbarorte aufeinander Neckreime, deuten die Ortsnamen boshaft und satirisch um. Schärfer gefasst werden diese Schwanke zu köstlichen Satiren auf die Kleinstädterei und den Aberwitz kurzsichtiger Gemeindeverwaltungen.

Weltbekannt ist in diesem Sinne das Städtchen Schilda in Sachsen. Es ist sprichwörtlich geworden und hat allen diesen Geschichten den Namen gegeben. Einen ähnlichen Ruf genossen oder genießen noch in Niedersachsen: Krähwinkel, Schöppenstedt und Buxtehude; in Mecklenburg: Teterow; in Pommern: Darsikow und Zanow; in Schlesien: Polkwitz; in Thüringen und Franken: Friedrichrode, Wasungen, Blankenburg, Ummerstadt, Karlstadt; im Vogtlande : Triptis, Auma und Bodelwitz; im Rhöngebirg: Ditges; in Bayern: Fünsingen und Schrobenhausen; in Schleswig-Holstein: Büsum, Kisdorf u.a.; in Schwaben: Tripstrill, Ganslosen, Bopfingen, Obernau, Winterhausen und Reutlingen; in der Pfalz: Ladenburg und Hirschau; in Hessen: Schwarzenborn; im Elsaß: Garburg; bei den
Siebenbürger Sachsen: Beleschdorfu.a.1; bei den Tschechen: Pielouc; bei den polnischen Juden: Chmel und in der Provence: Tarascon, Doch selbst hervorragende Städte, z. B. Köln, Bonn, Ulm werden komischer Thaten wegen verspottet und mit Scheltnamen versehen, auch ganze Volksstämme müssen sich die Stichelreden der Nachbarn gefallen lassen (man denke an die Schwabenstreiche), weil einzelne auffallende an sich harmlose Eigenschaften durch die Spottlust zur Caricatur verzerrt werden.

Manche dieser Geschichten sind uralt, viele wurden in Schwankbüchern des sechzehnten Jahrhunderts zum Theile nach dem Volksmunde aufgezeichnet und wanderten wieder ins Volk zurück. Von größter Nachwirkung war das Schildbürgerbuch, das 1597 von einem ungenannten Verfasser veröffentlicht, bis in unsere Zeit immer wieder neu bearbeitet herausgegeben wurde. Die einzelnen Schwanke daraus sind jetzt überall im Volke verbreitet.
Diese Geschichten kennt man nun auch in Krain. In Oberkrain gibt es einzelne Dörfer mit sehr empfindlichen Einwohnern: die einen darf man nicht fragen, wie viel es auf der Uhr ist, die andern, wo ihre Kirchenglocke ist u. s. w., es steckt ein verborgener Hohn in solchen Fragen.

Als eigentlicher Lalenort Krains gilt im Volksmunde der Markt Reifnitz. Gewiss ohne Schuld. Die betriebsamen Reifnitzer kommen mit ihren Sieben und Holzfässchen weit herum und sind daher überall bekannt. Sie fallen auf durch ihre merkwürdig gezwängt klingende slowenische Mundart (mit ganz geschlossenen u- und o-Lauten) und ihre spitzfindigen Gesichter. Die Slowenen erzählen von den Reifnitzern allerlei Schildbürgergeschichten und auch die Gott
scheer haben darum ihre alten Volksschwänke auf Reifnitz, das ihr nächster größerer Nachbarort ist, übertragen. Sie singen auch ein kurzes Spottlied auf die Reifnitzer (Nr. 134), worin sie deren Holzwaren, die auf Eseln in die Fremde befördert werden, erwähnen. Die Gottscheer haben aber außerdem in ihrer Sprachinsel ein Schilda; das ist das kleine, 132 Einwohner zählende Hornberg. Auch hier wird wie anderwärts nur ein Zufall die Wahl dieses Ortes bewirkt haben. Zwar behaupten viele Gottscheer, man erkenne von weitem jeden Hornberger an den Gesichtszügen, an der Redeweise und am ganzen Gehaben und bezeichnend ist auch die Geschichte, die ein Pfarrer in Hornberg erlebt und mir erzählt hat:

In diesem Orte stand neben der Kirche (wie überall in Gottschee) eine prächtige Linde. Eines Tages kam der Pfarrer dahin und merkte, dass der blühende Baum gefällt war. Als er nach dem Grunde fragte, meinte ein Hornberger, sie hätten befürchtet, dass ein Windstoß die Linde auf die Kirche werfen und so diese beschädigen könnte. "Einen solchen starken Wind gibt es gar nicht", meinte der Geistliche. "Ja, was thun wir aber," versetzte der Hornberger, "wenn ein noch stärkerer Wind kommt?" Dieser Logik gegenüber verstummte der Pfarrer.

Natürlich haben die Hornberger all die Streiche, die die Gottscheer von ihnen erzählen, nicht ausgeführt. Denn fast alle die Schwanke sind fremden Ursprungs, die meisten sehr alt. Einige stehen schon im Schildbürgerbuch des 16. Jahrhunderts (1-4, zum Theil 5-7, 26), andere werden auch von den sieben Schwaben (10) oder von Münchhausen (9) erzählt. Die meisten sind über das ganze deutsche Gebiet hin bis nach Schwaben, Schleswig-Holstein, Pommern und Siebenbürgen nachweisbar.

(Die Parallelen, die ich zu den einzelnen Schildbürgergeschichten gebe, ließen sich natürlich bedeutend erweitern. Doch genügt es, wenn mehrere weit entfernte deutsche Landschaften genannt werden, um das Alter, die weite Verbreitung und den deutschen Ursprung dieser von den Gottscheern (zum Theil auch von den Slowenen) erzählten Schwänke nachzuweisen.)

Ist nun auch die Mehrzahl der nun folgenden Schwänke ihrem Inhalt nach schon bekannt, so ist doch, meiner Ansicht nach, ihre wörtliche Wiedergabe in der schlichten Form, in der sie in der Gottscheer Sprachinsel erzählt werden, nicht ohne Wert. Sie weichen alle von den bereits bekannten Fassungen in mehr oder minder wichtigen Punkten ab, sie sind auf heimische Verhältnisse übertragen, zum Theil wohl auch durch wirkliche Ereignisse abgeändert oder angeregt, und darum durchwegs mit örtlicher Färbung versehen und durch volksthümliche Anschaulichkeit ausgezeichnet. Statt Reifnitz und Hornberg setze ich, um niemanden zu verletzen, Schilda ein.

1. In Schilda ließ man einst ein schönes, neues Haus aufbauen. Leider hatte man vergessen, daran auch Fenster anzubringen. Als nun das Haus fertig war und der Eigenthümer die Wohnung beziehen wollte, war es darin stockfinster. Sogleich wurde der Ortsshupon (Schultheiß) gebeten, die Dorfinsassen zu veranlassen, dass sie in das neue Gebäude, das die Zierde der ganzen Ortschaft sein sollte, das Tageslicht hineintrügen. Bereitwilligst kamen nun diese herbei, die einen mit Schaufeln, die andern mit Säcken. Einer hielt immer den Sack, der andere schaufelte aus Leibeskräften Licht hinein. Wenn man glaubte, der Sack sei schon voll Tageslicht, wurde er schnell zugeschnürt, damit es nicht entweiche. Als man aber in der finsteren Wohnung die Säcke entleerte, blieben die Zimmer, zum Erstaunen aller, so finster wie zuvor. Nun erst kam man darauf, Fenster anzubringen und der Eigenthümer konnte sein Haus beziehen.

2. Eine Magd in Schilda schöpfte einst mit einem
Schaff Wasser aus dem Bache. Zu ihrem Erstaunen sah sie am Boden des Schaffes ein Thier, das sie nicht kannte. Es war ein Krebs. Sie trug ihn in die Stube und legte ihn auf den Tisch. Bald erfuhren sämmtliche Schildbürger von dem sonderbaren Ding mit den zwei Scheren. Niemand aber wusste, was für ein Wunderding das sei. Nun erinnerte man sich eines siebzehnjährigen Jünglings, der als der klügste unter allen Schildbürgern galt. Zu ihm wurde schnell geschickt, damit er komme und das Ding besehe. "Ei, das ist ja ein Schneider mit zwei Scheren," sagte er, "solche habe ich schon oft gesehen, bin ja ein weltprobierter Mann, in Altfriesach hütete ich drei Jahre hindurch Böcke und auch bei der Kulpa war ich schon dreimal. Dort sah ich viele solcher Schneider, wie sie badeten." So sprach der kluge Jüngling. Nun wollte sich der Ortsshupon eine neue Hose machen lassen und breitete seinen Stoff auf dem Tische aus. Auf den Stoff' wurde der Krebs als Schneider gelegt. Neugierig schauten die umstehenden zu. Doch dieser Schneider schnitt nicht, sondern kroch nur nach rückwärts auf dem Stoffe umher. "Er zeigt nur an, wie man zuschneiden soll", sprach der erfahrene Jüngling. "Zuschneiden muss ein anderer." Schnell suchte man eine Schere und nun schnitt man, wohin der Krebs kroch, bis zuletzt der ganze Stoff' in kleine Flecke zerschnitten war.

Als nun der Ortsvorsteher sah, dass aus dem so arg zugerichteten Stoffe unmöglich mehr eine Hose verfertigt werden könne, gerieth er in Zorn und sprach: "Dieser Schneider hat noch nicht ausgelernt, er versteht sein Handwerk noch nicht. Was hat er bei uns zu schaffen?" Zugleich gab er den Befehl, den Kerl zu verbrennen. "Nein," sagte seine Frau, "wenn wir ihn verbrennen, ist er zu schnell hin. Wir werfen ihn lieber in die Rinshe, wo er ersaufen muss, das Ersaufen ist ein bitterer Tod." Ihr Rath
wurde befolgt. Der Krebs wurde in einem Korbe nach Gottschee gebracht und bei der steinernen Brücke in die Rinshe geworfen.

3. Die Schildbürger-Kirche ist schon sehr alt, so dass ihr Dach mit Moos und Gras bewachsen ist. Ein geiziger Insasse hätte nun gern seinem Stiere dieses Gras vergönnt. Er that ihm darum einen Strick um den Hals, warf den Strick über das Kirchendach und zog nun aus allen Kräften daran und hob den Stier in die Höhe. Dieser hatte noch nicht das Dach erreicht, als er schon seine Zunge weit aus dem Maul herausstreckte, denn der Hals war ihm zu fest zusammengeschnürt. Der Schildbürger und seine zusehenden Landsleute aber meinten, der Stier sei schon sehr hungrig und habe ein großes Verlangen nach dem Grase. Als er endlich auf das Dach gebracht wurde, konnte er nicht mehr fressen, denn er war verendet. Nun bereute der geizige Schildbürger seine thörichte That.

4. Die Schildbürger ließen einst einen tiefen Brunnen graben. Als er nun fertig war, wollte man den Brunnengräber wieder an das Tageslicht befördern. Aber wie es anstellen ? Eine Leiter wollte man nicht hinunterlassen, weil man fürchtete, sie zerdrücke den Arbeiter in der finsteren Tiefe. Endlich hatte einer einen guten Einfall: Quer über die Öffnung des Brunnens wurde eine dicke Holzstange gelegt. Nun hielt sich der stärkste Schildbürger mit beiden Händen fest daran und ließ den Körper frei in den Brunnen hangen. "Nun" sprach er, "komme einer her und klettere an mir hinab, bis er sich an meinen Füßen festhalte." Es geschah. "Nun
komme ein zweiter her und thue desgleichen", sprach er weiter. Es geschah ebenfalls. So kletterte auch ein dritter hinab, bis er sich an den Füßen des zweiten festhielt. Auf diese Art sollte ein vierter, fünfter und sechster hinabsteigen, bis diese Menschenleiter an den Boden des Brunnens reichte. An dieser sollte dann der Brunnengräber emporklettern und die einzelnen Schildbürger wieder zurückkehren. Der Einfall war also ganz gut. Doch was geschah?

Kaum kletterte der dritte Schildbürger hinab, als schon dem obersten, der die Stange hielt, das Körpergewicht der frei Hangenden zu schwer wurde. "Mandr (Männer)," rief er, "wartet ein bisschen, ich muss mir in die Hände spucken, um fester anpacken zu können." Aber o weh, als er die Hände losließ, um darauf zu spucken, konnte er die Querstange nicht mehr erreichen. Alle drei Bauern fielen in die finstere Tiefe und giengen, wie der Brunnengräber, jämmerlich zugrunde.

5. Einst wurde in Schilda eine Ortsshuponwahl abgehalten. Aber es kam zu keinem Ergebnisse, denn jeder Insasse wäre gern Schultheiß geworden. Endlich einigte man sich dahin, dass derjenige als gewählt erscheinen sollte, der sein Weib in der Finsternis von hinten erkennen würde. Das gab viel Kopfzerbrechen. Nur einer fand ein Mittel: er rieb den Leib seines Weibes tüchtig mit Knoblauch ein. In der Nacht wurden nun sämmtliche Schildbürger Weiber auf eine Wiese geführt, wo jede ihren Kopf in einen Heuschober stecken musste. Keinem gelang es, sein Weib zu erkennen, außer dem Findigen, der dem Knoblauchgeruch nachgieng. Der wurde nun Ortsvorsteher.


6. Die Schildbürger hätten sich im Winter gerne vor Wind und Kälte geschützt. Da spannten sie im Spätherbst um das ganze Dorf ein Netz und glaubten, Wind und Kälte werde nicht hindurchdringen. Den ganzen Winter lebten sie nun der Einbildung, es sei in Schilda viel wärmer als sonst. Niemand aber durfte das Dorf verlassen, damit nicht beim Durchbrechen des Netzes ein kalter Wind hereinwehe. Im Frühjahre giengen sie täglich zum Netze und steckten den Zeigefinger hindurch, um zu fühlen, ob es draußen noch kalt sei. Als sie endlich eines Tages keine Kälte mehr zu verspüren glaubten, entfernten sie das Netz. Nun erst giengen sie an ihre Feldarbeiten, die sie schon längst hätten verrichten sollen.

7. Einem Fuhrmann, der ein überaus schönes, prächtiges Füllen besaß, begegnete einst ein Schildbürger. Dieser wollte dem Fuhrmanne das Füllen abkaufen, denn es gefiel ihm sehr. Der Fuhrmann aber wollte es um keinen Preis hergeben, worüber der Schildbürger sehr traurig wurde. Auf seinem Wagen hatte der Fuhrmann einen großen Kürbis. So etwas hatte der einfaltige Schildbürger noch nicht gesehen und fragte, was es sei. "Das ist ein Pferde-Ei," versetzte der Fuhrmann, "daraus kann man ein schönes Füllen ausbrüten." Der Schildbürger war darüber sehr erfreut und kaufte den Kürbis um eine hübsche Summe. Zu Hause angelangt, legte er ihn auf den warmen Ofen und setzte sich darauf; um es auszubrüten. Tag und Nacht saß
er auf dem vermeintlichen Pferde-Ei und wartete mit Ungeduld auf das Auskriechen des Füllens. Zur Zeit der Heumahd nahm er es einmal in seinen Heuantheil und legte es an die Sonne. "Dies große Ei braucht viel Wärme," sprach er, "vielleicht wird es die Sonne leichter ausbrüten, als ich." Nach Sonnenuntergang nahm er es, um es wieder mit seinem Leibe zu wärmen. Plötzlich fiel es ihm aus der Hand und rollte in eine tiefe Grube, wo durch das entstandene Geräusch ein Hase aus seinem Schlafe aufgeschreckt wurde und dann davon eilte. Der Schildbürger hielt den Hasen für sein junges Füllen und lockte es, um es zur Rückkehr zu bewegen, doch es hatte längst das Weite gesucht. Der Schildbürger war sehr traurig darüber, tröstete sich jedoch bald, als er in der Grube neben dem zerbrochenen Kürbis eine Menge kleiner Kürbiskörner fand, die er für junge Pferde-Eier hielt.

8. Einmal giengen sämmtliche Schildaer Bauern in den Wald, um die Bären, die ihnen auf ihren Feldern sehr viel Schaden anrichteten, zu verscheuchen. Als sie am Abend wieder in ihr Dorf zurückkamen, stellten sich alle im Kreise auf dem Dorfplatze auf, um sich zu zählen. "Denn", sagten sie, "vielleicht ist einer abgängig, vielleicht ist jemandem ein Unglück zugestoßen." Und richtig, als man zählte, fehlte einer. Man zählte öfter und immer noch fehlte einer, da der Zählende jedesmal vergaß, sich selbst mitzuzählen. Alle riefen: "Wer mag es sein? Ich bin hier, ich fehle nicht."
Als man sich nun nicht mehr zurechtfinden konnte, stellte der Klügste unter ihnen den Antrag: "Gehen wir hinaus zu unserem Bach und stecken wir unsere Nasen in den Sand, so viele Tüpfel im Sande zu sehen sind, ebensoviel sind unser." Dieser Antrag wurde einstimmig an
genommen. Man gieng hinaus und nun wurde erst recht gezählt. Es gab soviele Nasentüpfel, als am Morgen Schildbürger in den Wald gezogen waren. Lärmend vor Freude kehrten sie in das Dorf zurück.

9. Schida hatte in früheren Zeiten viel von den Bären zu leiden. Diese waren schon so zudringlich geworden, dass sie im Dorfe herumliefen, wie heutzutage die Hunde. Aber fangen konnte man sie nicht und auf sie zu schießen, wagte auch niemand. Endlich hatte ein dortiger Bienenzüchter einen guten Einfall. Er stellte seinen Wagen auf den Dorfplatz und bestrich die Deichsel mit Honig. Bald kam ein Bär in das Dorf, roch den süßen Honig und lief schnell hinzu. Gierig fraß er davon und steckte auch die Wagendeichsel in seinen Rachen, als ob er sie verschlingen wollte. Da sprang der Eigenthümer des Wagens heran und schob diesen rasch vorwärts, damit die Deichsel noch tiefer in den Rachen des Bären dringe. Der Bär ließ es geschehen, denn er dachte nur an den süßen Honig. Der kluge Schildbürger aber schob so lange, bis die Deichsel durch den Körper des Bären gedrungen war und hinten herauskam. Schnell steckte er den Setznagel in die Deichsel, der Bär konnte nun nicht mehr zurück und war gefangen. Der Bauer schlug darauf tüchtig mit einem Dreschflegel auf den Bären los, bis dieser verendete.

10. Die Schildbürger hätten gerne die Kunst des Schwimmens erlernt, aber sie wagten sich nicht in das Wasser, weil sie sich vor dem Ersaufen fürchteten. Sie wollten daher diese Kunst auf trockenem Lande erlernen. Auf Anrathen ihres Bürgermeisters giengen sämmtliche Bauern auf das Feld, wo das Heidekorn (Buchweizen) in vollster Blüte stand. "Hier", sagten sie, "ertrinken wir ge
wiss nicht, hier können wir das Schwimmen erlernen." Auf ein gegebenes Zeichen legten sich nun alle auf das Heidekorn und schickten sich zum Schwimmen an. Alle aber fielen infolge ihres Körpergewichtes sogleich zu Boden. "Gut, dass wir nicht in das Wasser gegangen sind," sprachen sie, "wir wären alle ertrunken."

11. In Schilda wurde einst Kirchweih abgehalten. Viele Leute aus den benachbarten Pfarren hatten sich zu dem Feste eingefunden. Da aber die Kirche in Schilda sehr klein ist, so mussten viele Andächtige während der Messe außerhalb der Kirche stehen. Dazu kam noch ein furchtbares Gewitter, das die frommen Beter in die umliegenden Häuser verscheuchte. Dies verdross die Schildbürger. Damit nun beim nächsten Kirchweihfeste alle Theilnehmer in der Kirche Platz hätten, wollten sie diese, erweitern. Eines Morgens machten sich sämmtliche Bauern auf, giengen in die Kirche und versuchten mit ihren Rücken die Kirchenmauern auseinander zu schieben. Vor Anstrengung stand ihnen der Schweiß auf der Stirne. Da zogen sie die Röcke aus und breiteten diese um die Mauern der Kirche (eine Klafter entfernt) aus, damit sie später sehen könnten, um wie viel die Kirche größer geworden sei. Dann schoben sie wieder von innen aus allen Kräften bis
zum späten Abend und glaubten mit Bestimmtheit, die Kirche sei größer geworden. Während nun die Schildbürger in der Kirche mit großer Anstrengung arbeiteten, kamen Zigeuner in das Dorf, eigneten sich die ausgebreiteten Röcke an und machten sich aus dem Staube. Als am Abend die klugen Schildbürger die Röcke nicht mehr fanden, sprachen sie: "Wir haben zu fest geschoben, die Röcke sind schon unter die Kirchenmauern gekommen, doch das schadet nichts, wenn nur die Kirche größer geworden ist." Und sie waren alle froh.

12. In Schilda wurde einmal Messe gelesen. Die Frau, die die Messe gezahlt hatte, wollte dem Geistlichen, wie es Brauch ist, auch ein Frühstück verabreichen. Sie kochte Kaffee, doch ohne ihn zu mahlen. Sie schüttete die ganzen Kaffeebohnen in das siedende Wasser und gab, um ihn wohlschmeckender zu machen, ein Stück Speck in den Topf. Der Geistliche hatte schon lange in der Stube auf das Frühstück gewartet. Endlich erschien die Frau mit einer großen Schüssel und sprach zum Geistlichen: "Ich koche den Kaffee schon so lange, ich weiß nicht, wie es kommt, dass die Bohnen nicht weich werden wollen. Doch hoffe ich, dass er Euch gut schmecken wird, denn ich habe einen großen Trumen (Mhd. drum, allgemein bayrisch trum
) (Stück) Speck hineingegeben." Der Geistliche lachte und dachte sich seinen Theil. Ob er mit Appetit gegessen, erzählte er nicht weiter.

13. Eine andere Frau wollte dem Geistlichen ein nobles Frühstück vorsetzen. Sie kaufte Krebse und schlachtete jeden mit der Hacke. Doch zu ihrem Erstaunen blutete keiner. Sie kochte sie nun und alle wurden roth. Da sprach sie zum Geistlichen: "Als ich sie geschlachtet hatte, blutete keiner, das ganze Blut blieb in ihrem Leibe. Die Hitze hat es ihnen nun zur harten Haut herausgetrieben, das ist doch wunderbar."

14. In der Franzosenzeit anno 1809 waren die Schildbürger in großer Angst. Sie fürchteten, Napoleon werde in ihre Ortschaft kommen und diese plündern. Damit er nicht hin fände, nahmen sie den Wegweiser "Nach Schilda" weg, trugen ihn in eine tiefe Grube und bedeckten ihn mit Laub. Und richtig, kein Franzose hat Schilda gesehen. Erst nach Beendigung des Krieges holten sie den Wegweiser wieder aus der Grube hervor und stellten ihn auf seinen Bestimmungsort.

15. Die Schildbürger wollten wissen, wie die Seele des Menschen aussehe. Sie steckten darum einen Sterbenden in einen Sack, um dessen Seele zu fangen. Nachdem er verschieden war, durchsuchten sie den Sack genau und fanden am Boden versteckt einen Schwabenkäfer, der sich zufällig in die Ecke verkrochen hatte. Diesen Käfer hielten sie nun für die Seele des Verstorbenen.

16. Die Bilche galten den Schildbürgern stets als Leckerbissen. Einst hatten sie ein junges Exemplar gefangen und sieben Jahre gemästet. Als er fett genug war, und sie ihm den Garaus machen wollten, gieng er ihnen durch in den Wald. Die Schildbürger eilten ihm nach, bis er sich in eine hohle Buche versteckte. "Wir werden ihn schon herauskriegen", sagten sie. Doch der Eingang in das Bilchloch war hoch oben, nahe den Ästen. Da die Buche sehr dick war, konnten sie nicht hinaufklettern. Eine Leiter war nicht zur Hand, so mussten sie sich auf eine andere Art helfen: Der stärkste unter ihnen stellte sich an den Buchenstamm; auf dessen Schultern trat ein zweiter, auf diesen ein dritter, bis endlich der vierte mit der Hand in das Baumloch greifen konnte. "Mandr, ich hab' ihn schon", rief er voll Freude. Da glitt der unterste aus, der zweite und dritte fielen herab, während der vierte hoch oben mit der rechten Hand in dem Loche hangen blieb. "Wie sollte man nun den Mann wieder herunterkriegen?" dachten die drei Schildbürger und hielten Rath miteinander. Eiligst wurde in das Dorf um eine Leiter geschickt, doch sie war zu kurz, um dem Armen zu helfen. Da führte der
Zufall dessen Bruder, einen Holzknecht, herbei. Der wusste Rath. Er stieg auf die letzte Sprosse der Leiter und hieb mit seiner Hacke dem Bruder die in der Höhle steckende Hand ab. Der so Befreite fiel zu Boden und sprach: "Eine Hand mehr oder weniger. Mein Bruder hat mir geholfen, über einen Bruder steht nichts auf."

17. Ein Schildbürger fuhr einst in die Heuantheile, um ein Fuder Heu aufzuladen. Auf der Hinfahrt blieb der Wiesbaum in einer Dornenhecke hangen. Da der Bauer ihn nicht mehr losmachen konnte, hackte er ein Stück ab und fuhr mit dem halben Wiesbaume weiter. Nachdem das Heu aufgeladen war und man das Fuder binden wollte, war der Wiesbaum zu kurz. Da legte sich der Schildbürger auf Anrathen seines Weibes auf das Fuder, um den Wiesbaum zu ergänzen. Nun band man das Fuder und das Bindseil kam so fest um den Hals des Mannes, dass er nicht mehr reden konnte. Er machte den Mund auf; als ob er lachen wollte und streckte die Zunge heraus. Seine Kinder, die hinter dem Wagen einherliefen, sprachen: "Vater, Ihr habt leicht lachen, Ihr fahrt, wir aber müssen laufen." Der Vater konnte nicht antworten; zu Hause an gekommen, war er bereits todt. Das Bindseil hatte ihm die Kehle zugeschnürt.

18. Ein Bettler kam einst nach Schilda. Es war gerade Weihnachtszeit. Auf dem Wege fiel ihm eine in Stalzern erbettelte Blutwurst aus dem Sacke, ohne dass er es merkte. Es dauerte nicht lange und ein Schildbürger gieng vorüber. Er hatte noch nie etwas von einer Blutwurst gehört, eine solche weder gesehen, noch gegessen. Er blieb stehen, betrachtete sie neugierig und dachte: "Was ist denn das für ein Thier? Es hat ja hinten und vorne Hörner, vielleicht bringt es noch manches Unheil über
Schilda." Eiligst lief er heim und erzählte, was er gesehen. Bald giengen mehrere Männer, unter ihnen der Ortsshupon, mit Doppelgewehren versehen hinaus, um das Thier zu erlegen. Langsam schlichen sie heran, damit es sie nicht bemerke, davoneile oder gar sie angreife, und feuerten dann aus ihren Flinten tüchtig auf das vermeintliche Thier. Nachdem es ganz zerschmettert und unschädlich gemacht war, besahen sie es näher und sprachen: "Ei, wie viele Eier hat dieses Thier in sich gehabt!" (Nämlich die Reiskörner in der Blutwurst.) "Was hätte das Junge gegeben! Gut, dass wir dieses Thier erlegt haben." Jubelnd kehrten sie in ihr Dorf zurück und erzählten von ihrer That.

19. Einst fiel in Schilda so hoher Schnee, dass von der Kirche nur mehr das Dach zu sehen war. Die Insassen wollten nun, dass die Kirche wieder wachse. Da gab der Ortsshupon den Befehl, jeder Bauer müsse eine Fuhre Dünger zur Kirche führen. Bereitwilligst vollzogen sie den Befehl. Die Kirche wurde nun tüchtig gedüngt, indem rings herum auf den hohen Schnee der Mist geworfen wurde. Infolge der Wärme schmolz natürlich der Schnee, bald waren die Mauern der Kirche wieder zu sehen und die Schildbürger meinten, ihre Kirche sei infolge des reichlichen Düngers wieder gewachsen.

20. In ihre Glockenstube konnten die Schildbürger nicht gelangen, da keine Treppen hinaufführten. Eine Leiter wollten sie nicht anbringen; dazu waren sie zu gescheit. "Denn", sagten sie, "ein Wind könnte sie umwerfen und einen von uns erschlagen." Nun rissen einmal die Glockenseile, da sie schon sehr alt waren. Wenn die Leute nun noch läuten wollten, so mussten sie die hohe Linde neben der Kirche emporklettern und von dort in den Thurm steigen. Da aber die Schildbürger fürchteten, ein starker Wind könnte die Linde auf die Kirche schleudern und diese beschädigen, so hieben sie den alten, ehrwürdigen Baum um. Um jetzt noch läuten zu können, nehmen sie mehrere lange Feuerhaken und schlagen mit diesen vom Boden aus fest auf die Glocken los.

21. Mit einem Holzapfel fütterte einst ein Schildbürger eine Sau zwei Jahre lang und hoffte, dass sie sehr fett würde. Aber wie fütterte er sie? Den Holzapfel band er an eine Schnur und ließ ihn in den Stall hinunter. Wollte nun die Sau den Apfel erwischen, so zog er ihn schnell empor in der Meinung, die Sau werde durch den bloßen Anblick gesättigt werden. Natürlich wurde die Sau täglich elender, endlich so zaundürr, dass sie bei einer kleinen Spalte aus dem Stalle entweichen konnte. Der Schildbürger hatte das arme Geschöpf; das zu seinem Erstaunen vor Hunger und Schwäche schon nach einigen Schritten zusammengebrochen war, bald eingeholt, schlachtete es und hieng es an die Wand. Plötzlich kam ein Windstoß, das Schwein fiel herab in das Netz einer Spinne und blieb dort hangen. Das war gewiss eine fette Sau für - eine Spinne. Der Schildbürger suchte die Sau, fand sie aber nicht mehr, die Spinne hatte sie bereits gefressen.

22. Ein Schildbürger gieng einst in den Wald, um eine Buche, die am Rande einer tiefen Grube stand, zu fällen. Da er fürchtete, der hohe Baum könnte in die Grube fallen, aus der er dann nicht mehr herauszubringen wäre, nahm er ein langes Seil, kletterte auf den Baum und band es um den Wipfel. Das andere Ende des Seiles aber band er um den Hals seines Pferdes, damit dieses die Buche beim Fallen von der Grube wegziehe. Doch was geschah? Der Schildbürger hatte so dumm in die Buche gehackt, dass sie in die Grube fallen musste und dem Pferde, das in entgegengesetzter Richtung zog, den Kopf vom Rumpfe riss. Der Schildbürger weinte über dieses Unglück. Bald aber tröstete, er sich wieder und sprach: "Ziehen wird das Pferd freilich nicht mehr, da ihm das Ding fehlt, wo man das Kummet hinauf thut (er wusste nicht, dass dieses Ding Kopf heißt), aber Töpfe auf den Markt tragen wird es doch noch können."

23. In der Nacht ritt einst ein Schildbürger auf seinem dürren Gaul durch einen Hohlweg. Nur mit knapper Noth konnte sich das Pferd zwischen den Felsen durchwinden, während Sattel und Reiter stecken blieben. Der Schildbürger glaubte, er befinde sich noch immer auf seinem Pferde und trieb es mit Schlägen und Schimpfworten weiter, doch es bewegte sich nicht. Erst am Morgen sah er, dass er auf dem bloßen Sattel sitze, während das Pferd schon längst das Weite gesucht hatte.

24. Ein Schildbürger ritt einst auf seinem Schimmel bei einem Zaune vorbei. Da wollte er was besorgen, ohne absteigen zu müssen. Er hielt das Pferd an, stellte sich mit dem linken Fuße auf den Sattel, mit dem rechten auf den Zaun. Während er nun das Seinige besorgte, dachte er sich: "Wenn jetzt jemand käme und ,hü, Schimmel'.' riefe, das wäre eine nette Bescherung." Die Worte "hü, Schimmel!" aber sprach er ohne zu wollen laut aus. Der Schimmel folgte sofort dem Befehle seines Herrn und der Reiter fiel in den D - .

25. Die Schildbürger wollten einst ihren Dorfteich räumen, d. h. den angesetzten Sand und Schlamm entfernen. Sämmtliche Ortsinsassen giengen in die Lache und wühlten mit ihren Füßen den Boden auf in der Meinung, der Schlamm werde sich im Wasser auflösen. Dann ließen sie das Wasser abrinnen und hofften damit auch den Schlamm zu entfernen. Zu ihrem Erstaunen blieb der Boden des Teiches wie vorher mit Schlamm und Sand bedeckt.

26. Die Schildbürger säeten Salz in der Hoffnung, ein Salzkraut zu gewinnen. Es wuchsen aber nur Brennnesseln. Der Bürgermeister kannte dieses Kraut nicht und berührte es. Als ihn nun die Nesseln brannten, meinte er, eine Schlange steche ihn und lief laut schreiend in das Dorf zurück.

27. Die Schildbürger haben auf ihrer Kirche den Thurm nur angeschraubt. Ahnen sie, dass ein starker Wind kommt, so schrauben sie ihn ab und bewahren ihn in einer Scheune.

28. Ein Schildaer Mädchen wurde von seiner Mutter in den Wald geschickt mit der Mahnung: ahin nindrt et nan (nirgend an). Das Mädchen aber verstand: ahin um unt um uan, stieß an einen Baum und erschlug sich.

Daneben gibt es noch andere Schildbürger-Schwänke, von denen ich nur Andeutungen erfahren habe. Dass die Schildbürger eine Zeitlang alle fünf Tage den Bürgermeister wechselten, dass ein Bock ihnen die Bassgeige zertrümmerte, dass ein Schildbürger die Welt probieren wollte, nach Karlstadt kam, einen Spiegel zerschlug, eingesperrt wurde und befriedigt wieder heimkehrte. Und ähnliches mehr.







Räthsel, Dr. Adolf Hauffen, 1895

Die Volksräthsel der Gottscheer sind meist in der Art jener Räthsel, die im alten Schildbürgerbuche (Nr. 25) dem Kaiser vorgelegt werden. Sie klingen nämlich absichtlich sehr zweideutig, haben aber eine ganz harmlose Lösung. Beispiele sind mir wohl erlassen. Außerdem werden aber auch Räthsel aus dem Naturleben aufgegeben. Z. B.


A baisr okr,
shbuarz gashanat,
a baishr mon,
dar guat shanan kon.
Ein weißer Acker
Schwarz besäet,
Ein weiser Mann,
Der gut säen kann

Lösung: Papier, Schrift, Schreiber.



A durai muatr,
a griandr wuatr
kugalata kindr
Eine dürre Mutter,
Ein grüner Vater
Runde Kinder

Lösung: Die Weinrebe



A puclatr wuatr,
a holai muatr,
gaschtrainaitai kindr
Ein buckliger Vater
Eine hohle Mutter
Geschälte Kinder

Lösung: Die Tretmühle für das Getreide



Roat nidr,
grian auf,
plub dribr,
gal drauf.
Roth nieder
Grün auf
Blau drüber
Gelb drauf

Lösung: Flachs



Sehr alt ist das nachfolgende Räthsel. Es ist schon vor dem 10. Jahrhundert in lateinischer Sprache belegt und heute noch in der Schweiz bekannt. Vgl. Rochholz, 237. Es lautet:

Shich i`s,
Sho nim i`s et.
Shich i`s et,
Sho nim i`s.
Seh ich`s
So nehm ich`s nicht.
Seh ich`s nicht,
So nehm ich`s

Lösung: Eine hohle Nuß



Betheuerungsformeln der Gottscheer sind z. B. taushnt kafmos mearlain (Kaufmaß Möhren); taushnt nokinta (nackte) mandr; taushnt belwa (Wölfe) u. ä. ´S ischt a schonta (Schande) in ol shibm pforan u. a.

Scherzhafte Antworten sind z. B. auf die Frage:
Buhin pischtu gaban ? (Wo bist du gewesen ?) Hin af d
a keara. (Bis zur Wendung.)
Bues trug
aschtu ? (Was trägst du ?) Buas et mug gean. (Was nicht gehen kann.)








Bauernregel, Dr. Adolf Hauffen, 1895


Nun noch einige Bauern- und Wetterregeln:



Schmoaronsch roat,
Schubonsch koat.
Schubonsch roat,
Pochat da hauschwrashichr proat.
Morgens roth,
Abends Koth.
Abends roth,
Bäckt die Hausfrau sicher Brot.


Das heißt, da wird es schön und sie muss für die fleißigen Feldarbeiter Brot backen.

Ist zu Gregori (12. März) Sonnenschein, so zeigt das ein warmes Jahr, viel Hirse und Wein an.
Wenn sich die Katze putzt, muss man achten, nach welcher Richtung sie sich wendet. Wendet sie sich dem Süden zu, so kommt der Jauk (Südwind, slow. jug) u. s. w.


Beim Wiegen singen die Gottscheer Mütter: Prutai ninai, prutai nanai, oder zun prutai, zun tschutschai ! Prute (ein Wort unbekannter Abstammung) heißt gottscheerisch die Wiege, tschutschn heißt in der Kindersprache schlafen.

(Die Deutsche Sprachinsel Gottschee, Dr. Adolf Hauffen, 1895)







Gottschee, Gebrüder Grimm, Eisenach 1795



Grimm, Jakob 1785-1863, Wilhelm 17786-1859


In der unterkrainischen Stadt Gottschee wohnen Deutsche, die sich in Sprache, Tracht und Sitten sehr von den andern Krainern unterscheiden. Nahe dabei liegt eine alte, denselben Namen tragende und dem Fürsten Auersperg zuhörende Burg, von der die umwohnenden Leute mancherlei Dinge erzählen. Noch jetzt wohnt ein Jägersmann mit seinen Hausleuten in dem bewohnbaren Teil der verfallenen Burg, und dessen Vorfahren einem soll einmal ganz besonders mit den da hausenden Geistern folgendes begegnet sein.

Die Frau dieses Jägers war in die Stadt hinuntergegangen, er selbst, von Schläfrigkeit befallen, hatte sich unter eine Eiche vor dem Schloß gestreckt. Plötzlich so sah er den ältesten seiner beiden Knaben, die er schlafend im Haus verlassen, auf sich zukommen, wie als wenn er geführt würde. Zwar keinen Führer erblickte er, aber das fünfjährige Kind hielt die Linke stets in der Richtung, als ob es von jemanden daran gefaßt wäre. Mit schnellen Schritten eilte es vorbei und einem jähen Abgrund zu. Erschrocken sprang der Vater auf, sein Kind zu retten willens, faßte es rasch und mühte sich, die linke Hand von dem unsichtbaren Führer loszumachen. Mit nicht geringer Anstrengung bewerkstelligte er das zuletzt und riß die Hand des Kindes los aus einer andern, die der Jäger nicht sah, aber eiskalt zu sein fühlte.

Das Kind war übrigens unerschrocken und erzählte, wie daß ein alter Mann gekommen sei, mit langem Bart, roten Augen, in schwarze Kleider angetan und ein ledernes Käppchen auf, habe sich freundlich angestellt und ihm viele schöne Sachen versprochen, wenn es mit ihm gehen wolle, darauf sei es ihm an der Hand gefolgt.

Abends desselben Tages hörte der Jäger sich bei seinem Namen rufen; als er die Tür aufmachte, stand der nämliche Alte draußen und winkte. Der Jäger folgte und wurde an ebendenselben Abgrund geleitet. Der Felsen tat sich auf, sie stiegen eine Steintreppe ab. Unterwegs begegnete ihnen eine Schlange, nachher gelangten sie in eine immer heller werdende Gruft. Sieben Greise, mit kahlen Häuptern, in tiefem Schweigen saßen in einem länglichen Raume. Weiter ging der Jäger durch einen engen Gang in ein kleines Gewölbe, wo er einen kleinen Sarg stehen sah, dann in ein größeres, wo ihm der Greis achtundzwanzig große Särge zeigte, in den Särgen lagen Leichname beiderlei Geschlechts. Unter den Verblichenen fand er einige bekannte Gesichter, wovon er sich jedoch nicht zu erinnern wußte, wo sie ihm vorgekommen waren. Nach diesem wurde der Jäger in einen hell erleuchteten Saal geführt, worin achtunddreißig Menschen saßen, worunter vier sehr junge Frauen, und ein Fest begingen. Allein alle waren totenblaß, und keiner sprach ein Wort. Durch eine rote Tür führte der Alte den Jäger zu einer Reihe altfränkisch gekleideter Leute, deren verschiedene der Jäger auch zu erkennen meinte, der Greis küßte den ersten und den letzten. Nunmehr beschwor der Jäger den Führer, ihm zu sagen, wer diese alle seien und ob ein Lebendiger ihnen die noch entbehrte Ruhe wiedergeben könne.

»Lauter Bewohner dieses Schlosses sind es«, versetzte hohlstimmig der Alte, »die weitere Bewandtnis kannst du aber jetzt noch nicht erfahren, sondern wirst es demnächst einmal.« Nach diesen Worten wurde der Jäger sanft hinausgeschoben und merkte, daß er in einem naßfeuchten Gewölbe war. Er fand eine alte verfallene Treppe, und diese in die Höhe steigend, gelangte er in einen etwas weiteren Raum, von wo aus er durch ein kleines Loch vergnügt den Himmel und die Sterne erblickte. Ein starkes Seil, woran er stieß, und das Rauschen von Wasser ließ ihn mutmaßen, er befinde sich auf dem Grunde einer hinter dem Schlosse befindlichen Zisterne, von wo aus man das Wasser mittels eines Rades hinaufwand. Allein unglücklicherweise kam niemand in drei ganzen Tagen zum Brunnen, erst am Abend des vierten ging des Jägers Frau hin, die sehr staunte, als sie in dem schweren Eimer ihren totgeglaubten Mann herauszog.

Die Verheißung des alten Wegweisers blieb indessen unerfüllt, doch erfuhr der Jäger, daß er ihn in dem Vorgeben, diese Geister seien die alten Schloßbewohner, nicht belogen hätte. Denn als er einige Zeit darauf in dem fürstlichen Saal die Bilder der Ahnen betrachtete, erkannte er in ihren Gesichtszügen die in der Höhle gesehenen Leute und Leichen wieder.







In den Urwäldern der Gottschee, Dr. Carl Stiegler, 1943


Durch Buchenwald rattert mein Auto auf einem Sträßchen, das mit Felsbrocken übersät ist. Grüngolden blitzt die Sonne durch jahrhundertalte Baumkronen. Tannen stehen da, die schon zu Napoleons Zeiten turmhohe Bäume gewesen sein mögen, dazwischen mädchenhafte, silberleibige Birken, wilde Birnbäume, deren Frucht im Herbst den braunzottigen Bären lockt, Ebereschen, Haselnuß und Schneeball.

Dann und wann öffnet sich der Blick in kleine Waldwiesen, wo inmitten Bocksbart, Glockenblumen, weißem Wiesenklee, gelbem Enzian und akeleiblättrigen Rauten im Tau der bleichen Junimorgendämmerung der starke Gottscheer Rehbock zur Äsung zieht.

An den Hang der breiten Waldschlucht ist das Dörfchen hingeklebt mit seinen wenigen schindelbedachten, moosüberzogenen Häuschen.

Hollunderbüsche duften schwer und bittersüß, hinter der fernen Waldhöhe winkt der Kirchturm des Pfarrdorfes, Grillen lärmen über dem parkartig bewaldeten jenseitigen Berghang. Dort, wo die Wasser der Kulpa das Gottscheer Land von Kroatien scheiden, zieht tiefblau und safrangebordet ein Gewitter heran, das die unferne Adria zusammengebraut hat.

Kein Wipfel rührt sich - ein üppiges, junges Mädchen mit seltsam braunblassem Gesicht unter blonder, deutscher Haarkrone sitzt nacktfüßig mit schlaftrunkenen, weichen Augen auf der Treppe einer Hütte. Es ist die Stunde Pans.
Wahrhaftig - Wirklichkeit gewordene Waldmärchen sind diese verwunschenen Dörfer des Gottscheer Landes.
Der einheimische Jagdherr, bei dem ich mir ein paar Gottscheer Böcke schießen will, bereitet mir einen Emp
fang wie weiland in der Bibel der Vater seinem verlorenen Sohn. Er bedauert, daß ich so spät gekommen bin; denn die Böcke werden jetzt, Ende Juni, schon sehr faul. Keine zehn Minuten von seinem Haus entfernt stehe in einer Buchendickung ein ganz kapitaler Achterbock, der wohl so an die dreißig Zentimeter aufhabe. Diesen habe er für mich autgehoben.

Freilich, ob es nun so spät an der Zeit noch glücken werde, wisse er nicht. Der Bock sei schon sehr heimlich geworden.

An den Wänden hing eine hübsche Sammlung selbsterbeuteter Gottscheer.

Bei Gott, das waren Gehörne! Urig, knuffig, mit Rosen so breit wie sie bei uns in den Bergen Hirsche vom vierten oder gar fünften Kopfe haben, mit Perlen daumennagelgroß, tiefschwarz, mit langen, schneeweiß blitzenden Kronenenden oder auch schokoladenbraun. Achter-und sogar Zehnerböcke darunter, auch manche bizarrgeformte "Riedinger Böcke" mit unglaubhaft dicken Stangen.

Ich glaube kaum, daß man mit Ausnahme Südschwedens. irgendwo in Europa noch stärkere Rehböcke finden kann als hier.

Und wie ich so trunkenen Jägerherzens in dem Anblick dieser wahrhaft urigen und einzigartigen Trophäen schwelge, muß ich Gagerns gedenken. Gagerns, des Sängers dieser letzten nordischen Wälder an der Schwelle des Morgenlandes, dieser Wälder, in denen schon die Edelkastanie reift und fremde Blumen des Südens blühen!
Gagerns, des Sängers der urigen Böcke dieser Landschaft, die die Herbheit des Nordens auf eine unbeschreibliche Weise vermählt mit der Glut und dem Zauber des Orients.

Mittlerweile ist das blauschwarze Gewitter über die Kulpa gerückt und hängt unheildrohend über den frühsommerüppigen Wiesen und Baumgruppen des jenseitigen Hanges.

"Heute wird es wohl nichts mehr mit der Jagd werden", sagt mein Gastgeber. "Die Gewitter sind hier so ungebärdig und hinhaltend. Wenn sie schon längst verzogen sind, pflegt der Regen noch stundenlang zu strömen. Wir wollen uns auf die hintere Veranda setzen, da können Sie regengeschützt sehen, wie das Gewitter über die kroatischen Waldberge zieht, und wir können dabei zu Abend essen und uns über die Jagd in den Gottscheer Wäldern unterhalten."

Gern bin ich damit einverstanden. Vom nahen Dorfwirtshaus holt das Mädchen mit den blonden Haaren und den weichen blauen Augen einige Krüge kleinen Landweines, dazu gibt es schneeweißes, flaumiges Brot und roten Schinken.

Während wir unser Abendmahl verzehren, hat sich das Unwetter voll entfaltet. In grauen Strähnen strömt der Regen über die vor kurzem noch sonnenglühenden Bergwiesen, zischen schwefelgelbe Blitze über gewitterdunkle Baumgruppen, kracht urwelthaft der Donner. Sehr bald ist die Gewalt des Wetters gebrochen - strenge Herren regieren nicht lange - doch den ganzen Abend strömt, wie der Gastgeber vorausgesagt, der Regen.

Und so sitze ich und trinke den gelben Wein und rauche und lausche den jagdlichen Erzählungen meines Gegenübers.

Prachtvoll, wie er zu erzählen weiß von dem Fang der Bilche, die es hier in diesen verschollenen Wäldern noch massenhaft gibt, von den Sauen, die wintersüber des Waidmanns Herz erfreuen, von den Wölfen, die bei hohem Schnee aus Kroatien herüberwechseln, und vom Meister Petz, dem König der Gottscheer Urwälder.

Oh, wie köstlich er von diesem zu erzählen weißl

Da sammelt ein biederes Bäuerlein nicht weit von seinem Hofe, am Rande eines Hanges, Wildbirnen. Plötzlich gewahrt er hinter seinem Rücken eine hohe, schwarze Gestalt, die wie er Birnen aufklaubt. Er wendet sich um,
diesem mit scharfen Worten sein Tun zu verbieten, doch da erstirbt ihm jeglicher Laut auf der Zunge. Vor ihm steht ein mächtiger, schwarzbrauner Bär, mit beiden Tatzen behaglich sich die bittersüßen Wildbirnen zu Gemüte führend. Das Bäuerlein stößt einen markerschütternden Schreckensschrei aus, doch der Bär kümmert sich kaum darum, die süßen Früchte sind ihm wichtiger.

Schlimmer wäre es aber beinahe dem Postboten von Niederfliegendorf ergangen.

Der zieht fröhlich pfeifend mit seinem prallgefüllten Briefränzlein durch die Wälder, da sieht er urplötzlich in einer kleinen Waldblöße unter einer mächtigen Buche einen großen braunen Bären schlafend liegen.

Unser Postbote ist beileibe kein Held, aber er kann an dem schlafenden Bären nicht vorbeigehen, es juckt ihn und es reizt ihn, und ehe er sich Rechenschaft zu geben weiß, hat er einen spitzen Kieselstein ergriffen und ihn nach dem Bären geschleudert.

Und wie es der Zufall wollte, traf der Kiesel den Bären gerade oberhalb des linken Augenlides. Der Bär erwachte, stieß ein ärgerliches Brummen aus, eräugte seinen Widersacher und nahm ihn kurzerhand an.

Laut schreiend rannte der Postbote bis ins Dorf, wo er atemlos, käsebleich vor Schrecken und mit schlotternden Knien ankam. -

Gegen Mitternacht hörte der Regen zu rauschen auf. Ich wälze mich noch schlaflos im federnprallen, dumpfheißen Bauernbett, und langsam zerfließen mir die wirrgewordenen Gedanken.

Und aus blaugeballten Gewitterwolken stürzt sich Bregostan, der Herr der Bergwälder, und reißt mit ungestümen Armen den schlankgliederigen, mondscheinleuchtenden Leib Rojenitzas an seine liebeslodernde Brust.

Ach was, denke ich mitten im Traum, das sind doch alles nur Gagernsche Phantasien. Ich liege hier inmitten der Gottscheer Urwälder und will, so mir Hubertus gnä
dig ist, morgen früh einen kapitalen Rehbock erlegen. Doch ich komme nicht los von den südslawischen Göttern; immer wieder greift Bregostan lüstern nach dem lilienfarbenen Leib Rojenitzas.

Schweißgebadet höre ich den Ruf des Jagdherrn. Ich springe mit beiden Füßen aus dem Bett, entzünde die hohe, rote Kerze, die auf meinem Nachttisch steht, kleide mich in aller Hast an und stehe in wenigen Minuten unten im Wohnzimmer.

Ein Schluck heißen Tees, und schon geht es in die Nacht hinaus. Unweit des Dorfes biegen wir in einen winzigen Pirschpfad ein. Klatschnaß schlägt Gebüsch hinter uns zusammen. Der Weg führt jäh aufwärts. Der Himmel über uns ist tiefblau, im Osten jagen noch letzte, tintenschwarze Wetterwolken, und Sterne glitzern in feuchtem Glanz.

Unendlich zögernd verblaßt die Nacht, verglimmt das Geflimmer der goldenen Sterne, webt graues Licht durch den Buchenurwald, den wir durchschreiten.

An einer riesigen Doline macht mein Führer halt.

"Dort drüben, am Dolinenrand, sehen Sie, dort, wo die Jungbuchen stehen, pflegt der starke Bock einzuziehen, es sind kaum hundert Schritt bis dorthin. Sie erkennen ihn sofort an seinem mächtigen Gebäude und an seinem hohen Gehörn, dessen Enden schneeweiß blitzen", flüstert mir mein Führer zu. "Ich werde weiter pirschen gegen die Fliegendorfer Wiesen zu, wo auch ein sehr braver Bock in den ersten Junitagen sehr regelmäßig ausgetreten ist. Eine Stunde nach Sonnenaufgang hole ich Sie wieder ab."

Unsagbar langsam entschwinden die Schatten der Nacht, wächst aus bösem Grau Gefels und Gestrüpp der Doline.
Plötzlich bohren sich meine Augen in das täuschende Fahllicht des erwachenden Tages. Strebt nicht dort drüben ein schwarzer Wildkörper der Buchendickung zu? Das Glas fliegt an die Augen. Eine riesige Bache ist es, und dahinter wurlt es nur so, fünf, sechs, sieben, acht
Frischlinge sind es, die im Gänsemarsch der Mama folgen. Nun sind sie schon in der Dickung untergetaucht.

Ich lasse mein Glas sinken. Mit einem Male ist es helllichter Tag. Überall singen die Vögel, Ein warmer roter Schein überschimmert die jungen Buchen, die jenseits der Doline stehen.

Und wie ich den versonnenen Blick hebe, ragen am Rande des Himmels wie ferne Träume die blauen Karawanken empor, wo Slatorog, der weiße Gamsbock mit den goldenen Krucken im ewigen Schnee seine ewige Fährte zieht.

Der Bock kommt nicht mehr. So schreiten wir in Glanz und Geflimmer des Veitstages dem Dorfe zu.

Am Abend sitze ich wieder an der Doline an. Der Bock bleibt wieder unsichtbar. Am nächsten Morgen versucht der Jagdherr mir den Bock zuzudrücken. Sein vierzehnjähriges Töchterlein hilft mit.

Ich stehe im Buchenwald.

"Hier mittendurch geht sein Wechsel", sagt der Jagdherr. "Wenn er kommt, kommt er bestimmt ganz langsam und wechselt dem dortigen Dickicht zu." Dabei weist er auf einen kleinen, knapp hundert Schritte entfernten Fichtenhorst, lüftet seinen Hut und entfernt sich mit einem kräftigen Waidmannsheil.

Ich bin allein. Wunderselig und verzaubert lehne ich am riesigen Stamm einer silbergrauen Buche. Grüngoldene Dämmerung webt um mich. Vögel jubilieren im Gelaub, diamanten glitzert und sprüht es im flaschengrünen Moos.
Da fahre ich in jähem Schrecken zusammen. Der markerschütternde Schrei eines Kindes gellt durch den dämmergrünen Wald. Und ehe ich mich's versehe, flüchtet ein mächtiger schwarzer Bär mit kremefarbener
Halskrause quer durch das räume Stangenholz.

Ich traue meinen Augen nicht, ich glaube immer noch,
ein Spuk will mich äffen, aber es ist so, kein Rehbock mit hellblitzendem Gehörn, sondern ein riesiger Bär, der König der Gottscheer Urwälder, taucht eben im Fichtenhorst unter.

Wie sich hernach herausstellte, war das Mädelchen des Jagdherrn in einer winzigen Dickung auf den schlafenden Bären gestoßen, der auf das Geschrei des Kindes hin sofort die Flucht ergriff.

"Das ist der Bär, von dem ich Ihnen gestern so viel erzählte", erklärte der Jagdherr, als wir uns kurz darauf zusammengefunden hatten, "ein ganz kapitales Stück. Ich dachte nicht, daß er jetzt schon im Revier stecken könnte, pflegt er doch sonst erst zur Zeit der Reife der wilden Birnen zuzuwechseln."

Am Abend sitze ich auf den Fliegendorfer Wiesen an. Um mich ist Duften und Blühen und Summen, In den verschollenen Dörfern hinter den riesigen Wäldern läuten die Abendglocken. Die Sonne sinkt blutrot hinter dem fernblauen Triglav. Immer tiefer fallen die Schatten, immer schwerer, immer sehnsüchtiger duften die farberloschenen Wiesen.

Schon will ich meinen Platz verlassen, da schreckt am jenseitigen Waldrand mit urtiefer Stimme ein Bock.
Und schon steht er wie ein graues Waldgespenst, sichernd, mit dunkler, lauscherüberragender Krone in der Wiese.
Im Zielfernrohr kann ich ihn noch gut erfassen.

Knall und rotspritzendes Feuer.

Er war keiner der ganz starken Gottscheer, um derentwillen ich in diese urigen Wälder gereist war, obgleich er 24 cm in der Höhe maß und schwarz und stockig war wie nur je ein Gagernbock. Aber was tut das schon! Wenn ich seine Krone an der Wand erblicke, sind sie wieder um mich, jene letzten keuschen nordischen Wälder, deren Ränder schon der Gluthauch des Schirokko küßt.

(Dr. Carl Stiegler, In Firnschnee und Urwaldschatten, 1943)

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