11. bis 13. Jahrhundert, Jahrhundertbuch der Gottscheer, Dr. Erich Petschauer, 1980.


Die Geschichte des Gottscheerlandes ist eindeutig ein Kapitel Kärntner und Tiroler Geschichte. Das feine historische Wurzelgeflecht, aus dem die ehemalige Sprachinsel Gottschee in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts erwachsen sollte, gedieh vor allem auf dem Boden des mittelalterlichen Reichslehens und Herzogtums Kärnten. Zu ihm gehörte die Krainische Mark, das spätere Herzogtum und Kronland Krain der österreichisch-ungarischen Monarchie. Niemand vermochte im 11. Jahrhundert vorauszusagen oder auch nur zu ahnen, daß es sie einmal geben würde, das Herzogtum Krain und die vom sloweni-schen Volkstum umschlossene deutsche Volksinsel Gottschee.Die spätere Sprachinsel im Karst entstand vielmehr am Ende einer schier unübersehbaren Kette von Zuständen und Zufällen, Entwicklungen und Entscheidungen auf der politischen Ebene. Sie verflochten sich, wiederum zufällig, während eines bestimmten und kurzen Zeitraumes zu einem Knoten: zu dem größten, aber auch letzten Siedlungsunternehmen eines Kärntner Adelsgeschlechts im südlichen Ostalpenvorland. Wäre auch nur ein einziges Glied nicht in diese Kette eingefügt worden, hätte das Wort "Gottschee" nie auf einer krainischen Landkarte gestanden. Versuchen wir nun, die teilweise verschütteten Kettenglieder an das Tageslicht der Geschichtsschreibung zu heben und sie in der richtigen Reihenfolge neu zusammenzufügen.

Um das Jahr 1070 erschien auf der politischen Bühne Kärntens ein Adelsgeschlecht, das sich "von Ortenburg" nannte und den Titel reichsfreier Grafen führte. Seine Abstammung war bis tief in das 20. Jahrhundert umstritten. Die Genealogen glaubten, daß die Ortenburger gleichen Ursprungs seien wie die Kärntner Herzöge aus dem Hause der Spanheimer, die von 1122 bis 1269 den Herzogshut trugen. Sie mußten nach dieser Theorie nicht nur die gleiche Ahnenreihe besitzen wie die Grafen von Ortenburg in Kärnten, sondern auch wie das Geschlecht gleichen Namens in Bayern. Diese aus dem 19. Jahrhundert stammende Ansicht ist durch die Forschungen des Genealogen Dr. Camillo Trottar überholt. Auf ihn beruft sich auch der ehemalige Regensburger Domkapitular Dr. E. Graf von Ortenburg-Trambach in seinem zweibändigen Werk:"Geschichte des herzoglichen, reichsständischen und gräflichen Gesamthauses Ortenburg", das sich auf die bayerischen Ortenburger bezieht. In einem Anhang führt er jedoch zur Abstammung der Grafen von Ortenburg in Kärnten unter anderem aus: "Die Herkunft dieser Ortenburger, die nach Jaksch (Geschichte Kärntens) im Jahre 1142 als Grafen erschienen, deren Anfänge sich aber bis in das Jahr 1070 zurückführen lassen, lag bis in die neueste Zeit im Dunkeln. Huschberg hält diese Ortenburger für nachgeborene Söhne Spanheimer Herzöge, was schon deshalb nicht richtig sein kann, weil dieses Geschlecht, noch bevor die Spanheimer die Herzogwürde in Kärnten erhielten, urkundlich erscheint. Andere Autoren, wie Tangi in seiner "Geschichte der Grafen von Ortenburg in Kärnten", sehen in dem urkundlich 1058 erscheinenden "Friderikus, filius comites epponis" den Stammvater der Grafen von Ortenburg in Kärnten und Bayern. Erst den Forschungen des anerkannten, gewiegten und gründlichen Genealogen, Dr. Camillo Trottar, verdanken wir volle Klarheit über die Abstammung der Grafen von Ortenburg in Karaten sowie den unumstößlichen Nachweis, daß von einer Stammesgleichheit der im 15. Jahrhundert ausgestorbenen Grafen von Ortenburg in Kärnten mit den von Spanheimer Herzögen abstammenden Grafen von Ortenburg (richtiger: "Ortenberg") in Bayern keine Rede sein kann.

Dr. Graf von Ortenburg-Trambach teilt ferner mit, daß im Traditionsbuch des Stiftes St. Castulus in Moosburg/Oberbayern, wenige Kilometer von dem 739 gegründeten Bischofsitz Freising entfernt, ein "Dominus Adalbertus de Carinthiae, also ein Herr Adalbert aus Kärnten, Sohn des Freisinger Vogtes", erscheint. Der Vogt, im damaligen Sprachgebrauch auch "Vizedom" und "Vizedominus" genannt, verwaltete die Lehen des Bistums Freising am Lurnfeld als Freisinger Vizedom. "Da nun überdies dieser Adalbert von Ortenburg in einem Privileg Kaiser Heinrichs IV. für das Stift St. Lambrecht, dd. Verone 1096 als Freisinger Vogt bezeichnet wird, kann kein Zweifel sein, daß der in den Urkunden von 1093 und 1096 als Adalbert de Hortenburg (Ortenburg) Genannte, mit dem im Traditionsbuch des Stiftes von St. Castulus genannten Freisinger Vizedom Adalbert ein und dieselbe Person ist. Dank der Feststellungen Trotters wissen wir nun auch, daß dieser Vizedom, d. i. Vogt, zwei Söhne hatte, Adalbert und Otto. Wir haben in diesem Otto, der zweifellos bayerischer Herkunft ist, den Stammvater der Grafen von Ortenburg zu sehen."

Wir brechen daher nichts über das Knie, wenn wir die Abstammung der Grafen von Ortenburg auf folgende Kurzformel bringen: Die Grafen von Ortenburg in Kärnten stammen aus Bayern und die bayerischen Grafen von Ortenburg aus Kärnten.

Diese kleine genealogische Studie war zweckmäßig, um Verwechslungen vorzubeugen. Damit ist klargestellt, daß nur die Grafen von Ortenburg in Kärnten die spätere Sprachinsel Gottschee kolonisiert haben konnten. Obwohl sie reichsfreie Grafen waren, konnten auch sie nicht irgendwo nach Belieben über bebaubares Land verfügen. Aller Grund und Boden gehörte ja dem gewählten deutschen König. Dieser gab ihn dem Adel, den Bischöfen, Klöstern, Abteien und Stiften "zu Lehen". Allgemein gesagt befand sich demgemäß aller Grund und Boden samt den darauf lebenden Untertanen in den Händen des Adels und der Kirche.

Die unmittelbaren Lehensträger des Königs waren berechtigt, ihre Lehen an niedere Adelsgeschlechter weiterzugeben. "Lehen" bedeutete in jedem Fall Abgaben. "Zu Lehen" konnten auch andere abgabenträchtige Einkünfte vergeben werden, wie Mauten, Zölle, das Münzrecht usw.

Wie wir bereits in der Einführung feststellten, hatten die Grafen von Ortenburg in Kärnten ihre Lehenschaften in Unterkrain aus den Händen der Patriarchen von Aquileja empfangen. Diese selbst waren unmittelbare Lehensempfänger des Königs, der zugleich ja Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war. Wir könnten es bei dieser Feststellung bewenden lassen, und sogleich mit dem Siedlungsunternehmen beginnen. Das hat auch die bisherige Geschichtsschreibung über Gottschee getan. Deshalb wissen die Gottscheer immer noch nicht genau, wann und von welchem Patriarchen die Ortenburger ihre Lehenschaften in Unterkrain erhielten und ob
der Urwald, auf dem ihre Vorfahren angesiedelt wurden, schon damals dazugehörte. Die Belehnung der Grafen aus Kärnten durch die Patriarchen, ihr 350 Jahre andauerndes Schutz- und Trutzbündnis und das auf den menschlichen und moralischen Qualitäten Ortenburgs fußende Treueverhältnis zu dem hohen Kirchenfürsten waren die unabdingbaren Voraussetzungen für das Entstehen des Gottscheerlandes.

Bevor wir dem ersten Ortenburger nach Unterkrain folgen, empfiehlt es sich, einen Streifzug durch die Geschichte des Patriarchats von Aquileja zu unternehmen. Das Bistum Aquileja wurde wahrscheinlich bereits im zweiten nachchristlichen Jahrhundert durch den hl. Hermagoras gegründet. Die Stadt Aquileja, damals noch Hafenstadt, an der oberen Adria zwischen Triest und Venedig gelegen, war ursprünglich ein militärischer Stützpunkt der Römer. Die Bischöfe von Aquileja legten sich aus eigener Machtvollkommenheit im Jahre 568 den Patriarchentitel zu. Als zu Beginn des 6. Jahrhunderts - nach dem Abzug der Römer - slawische Stämme in den Ostalpenraum und in das Gebiet des heutigen Slowenien einzusickern begannen, erhielt Aquileja den Auftrag, sie zu christianisieren. Damit wurde die an diesen Namen gebundene Kirchenprovinz beträchtlich nach Osten erweitert und erstreckte sich unter anderem nun über weite Teile des Ostalpenraumes und seines Vorgeländes, auch des späteren Herzogtums Krain und der "Windischen Mark". Der Patriarch, zum Erzbischof erhoben, war zugleich Landesherr eines Staatswesens, des "Patriarchenstaates". Als solcher führte er von Reichs wegen den Titel eines Herzogs von Friaul und eines Reichsfürsten in Italien. Seine Machtposition war verknüpft mit dem jeweiligen Stand der Auseinandersetzungen zwischen den Kaisern und den Päpsten.

Er nahm in Oberitalien eine Schlüsselstellung ein. Beide Parteien waren daran interessiert, auf dem Stuhl des heiligen Hermagoras Männer zu wissen, deren sie sicher sein konnten. Nach vorausgegangenen Abmachungen zwischen Kaisern und Päpsten berief der Kaiser den Patriarchen, während der Papst ihm die "Konfirmation", d. h. die Bestätigung als Erzbischof, erteilte. Solange der Kaiser das Recht besaß, die Bischöfe allenthalten in Deutschland einzusetzen, regierten in Aquileja deutsche Grafen.

Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang für unser Thema das Jahr 811. Im Jahre 739 hatte der hl. Bonifazius die Bistümer Freising/Oberbayern und Salzburg gegründet. 789 setzte Karl der Große beim Vatikan die Erhebung des Bistums Salzburg zum Erzbistum durch. Salzburg begann im großen Stil den Ostalpenraum zu kolonisieren. Der Erzbischof - Patriarch in Aquileja - sah dadurch seine Interessensphäre angegriffen. Es kam zu Streitigkeiten, Eifersüchteleien und kriegerischen Auseinandersetzungen. Karl der Große machte dem 811 ein Ende, indem er die Drau als Demarkationslinie zwischen den beiden streithaften Erzbistümern bestimmte. Die Drau wurde dadurch auch zur Sprachgrenze.

1075 brach der "Investiturstreit", der Streit um die Einsetzung der Bischöfe, offen aus. Papst Gregor VII. verbot die Einsetzung von Bischöfen durch Laien. Damit wollte er in erster Linie Kaiser Heinrich IV. (1056 bis 1106) treffen, denn dieser war, kirchenrechtlich gesehen, ja Laie. Heinrich IV. stattete im Gegenzug die Bischöfe durch Lehenshergabe mit noch größerer, weltlicher Macht aus, um sie stärker an das Reich und an seine Person zu binden. Insbesondere stattete er den Patriarchen von Aquileja mit weltlichen Lehen in Krain aus. Die Mark Krain gehörte inzwischen als weitgehend selbständige Verwaltungseinheit zu Karaten. Da eben eine sedisvacanz
bestand, tat der Kaiser ein übriges und ernannte 1077 einen Mann seines persönlichen Vertrauens, seinen Kanzler Sieghard, zum Patriarchen.

Inzwischen hatte auch das Bistum Freising im östlichen Krain zu siedeln begonnen und sich durch die Gewinnung des Klosters Innichen als Eigenkloster im Pustertal einen kolonisatorischen Mittelpunkt geschaffen, von dem aus die Bischöfe immer neue Kolonisten in ihre Krainischen Lehensgebiete entsandten.

Zurück zu den Grafen von Ortenburg.

Ihre enge Anlehnung an die Patriarchen von Aquileja muß bereits im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts erfolgt sein. Dafür spricht unter anderem die Mitteilung von Türk auf Seite 9 seines Buches über die Stadt Spittal an der Drau, daß die Stammburg der Grafen von Ortenburg im Jahre 1093 bereits fertiggestellt war. Sie stand, was heute noch die Ruinen bezeugen, südlich der Drau bei Baldramsdorf, also eindeutig auf aquilejischem Interessensgebiet. Wann die Belehnung der Ortenburger mit den Lehenschaften am Lurnfeld, bzw. wann ihre Erhebung in den Grafenstand erfolgt ist, läßt sich beim heutigen Stand der Forschung nicht eindeutig feststellen. Jedenfalls findet man in den Regesten der Regierungszeit Kaiser Heinrichs IV. darüber keine Anhaltspunkte. - Wir sind damit auch zu der Frage zurückgekehrt, wann welcher Patriarch den Grafen von Ortenburg die Lehen in Unterkrain übertragen hat. Die Antwort gibt das Patriarchenverzeichnis von Klebel (siehe Carinthia I, Jahrgang 153, Seite 325). Es führt in dem oben abgegrenzten Zeitraum folgende Patriarchennamen auf:

1086 bis 1121 Ulrich I., vermutlich ein Graf von Treffen,
1130 bis 1132 Ulrich Graf von Ortenburg, erwählt "vor dem 30. Mai 1130", vom Papst als Patriarch bzw. Erzbischof jedoch nicht konfirmiert,
1132 bis 1161 Peregrin I., Herzogsohn aus dem Hause Spanheim,
1161 bis 1182 Ulrich II., Graf von Treffen,
1191 bis 1204 Peregrin II., nach Klebel vielleicht ein Neffe Peregrins I.

Die Schlüsselfigur in dieser Reihe ist ohne jeden Zweifel Graf Ulrich von Ortenburg. Er wurde von dem zuständigen Gremium rechtens zum Staatsoberhaupt des Patriarchenstaates gewählt und war damit zum Patriarchen vorgeschlagen. Da ihm jedoch der Heilige Stuhl, d. h. das Kardinalskollegium, die Konformation versagte, mußte er gemäß der Verfassung auch als Landesherr zurücktreten. Die eigentlichen Gründe für das Verhalten des Vatikans sind nicht mehr ganz aufzuhellen. Vermutlich war Ulrich den alten Herren in Rom an Jahren zu jung und in den priesterlichen Weihen noch nicht fortgeschritten genug. Dennoch blieb er als Staatsoberhaupt bis zur Wahl seines Nachfolgers voll handlungsfähig und konnte Entscheidungen nach seinem Dafürhalten treffen. Ulrich von Ortenburg hatte demgemäß annähernd zwei Jahre Zeit, den Wohlstand seines Hauses durch die Verleihung neuer Güter in Unterkrain zu mehren. Zwar existiert in der bisher zugänglichen Literatur keine Urkunde, wann er die Belehnung ausgesprochen hat, doch ein späteres familiäres Ereignis unterstützt die eben festgelegte logische Folgerung und läßt die Fixierung auf das Jahr 1131 zu:

Im Jahre 1140 heiratete der uns bereits bekannte Graf Otto I. von Ortenburg die Auersperg-Tochter Agnes. Wir nehmen das Jahr 1140 zunächst nur zur Kenntnis, um rasch die nähere Bekanntschaft mit dem Hause Auersperg nachzuholen. Umfassende
Auskünfte über dieses Geschlecht gibt der in der Gottscheer Literatur bisher kaum bekannte Bibliothekar Franz Xaver Richter, der 1830 in dem Wiener "Neuen Archiv für Geschichte, Staatenkunde, Literatur und Kunst" eine 19 Beiträge umfassende Arbeit über die Fürsten und Grafen von Auersperg veröffentlichte. Er stützt sich dabei laut Untertitel auf die bis dahin noch nicht publizierten Unterlagen. Die Auersperger tauchten, aus Schwaben kommend, als "Freie" aller Wahrscheinlichkeit nach bereits im 10. Jahrhundert in Krain auf. Sie nannten sich "Ursperg". Gesichert ist der Name des Stammvaters Adolph. Er starb um 1060. Eine zweite Linie der Auersperg ließ sich etwa zur gleichen Zeit in Friaul nieder. Dort brachten sie mehrere neue Geschlechter, die sich italienische Namen zulegten, hervor. Trotzdem blieb die Familienbindung mit der krainischen Linie erhalten. Beide Gruppen traten in der Landespolitik hervor. In Friaul gewann den größten Einfluß am Patriarchenhof bzw. im Parlament des Patriarchenstaates die Familie Cucagna. In Krain gelangten die Auersperger durch enge Anlehnung an das Kärntner Herzoghaus rasch zu Ansehen und Einfluß. Sie wirkten vor allem als Ministerialen, d. h. als Beamte am herzoglichen Hof. Sie wurden sehr bald Erblandkämmerer und Erblandmarschälle. Adolfs Söhne Konrad I. und Peregrin I. - nicht zu verwechseln mit dem Patriarchen Peregrin II. - bauten die Stammveste ihres Hauses in der Nähe von Reifnitz, die unter der Bezeichnung "Oberhaus" in die krainische Geschichte eingehen sollte.

In der Zeit, in der wir uns eben bewegen, waren die Auersperger erst "Hochfreie", obwohl sie bereits die aufgeführten hohen Ämter ausübten. Trotzdem gelang es ihnen nicht, in den höheren Geburtsadel aufzusteigen. Hingegen verstanden sie es ausgezeichnet, sich mit hohen und höchsten Adelsgeschlechtern zu verschwägern - so auch mit den Grafen von Ortenburg. Beide Geschlechter hatten nüchterne Gründe für das Zustandekommen der Ehe, die dann nicht ganz glücklich verlief. Die Ortenburger waren bei der Inbesitznahme ihrer Lehen in Unterkrain unvermittelt Nachbarn der Auersperger geworden. Die Nachbarschaft bedeutete in jener Zeit jedoch keineswegs ein friedfertiges risikoloses Nebeneinander. Man trug selbst kleine Meinungsverschiedenheiten mit Privatkriegen, den "Fehden", aus. Verwandtschaft schloß diese oft sehr blutig verlaufenden Auseinanderetzungen nicht aus. Die klugen Ortenburger wollten sich mit Agnes ein Stück krainische Bodenständigkeit erheiraten, denn in den Augen des altansässigen Adels waren sie ja "Zugereiste". Die Auersperger aber sahen in dieser Heirat einen weiteren Gewinn an Standesehre, also eine Prestigeangelegenheit.

Der Ehe zwischen Otto und Agnes entsprossen drei Söhne und zwei Töchter. Der Zweitgeborene, Otto II., wurde zum Fortpflanzer seines Geschlechts. Er war es auch, der etwa um 1165 die erste, hitzige Fehde mit seiner Verwandtschaft, den Auerspergern, vom Zaune brach. 1160 war der Vater seiner Mutter Agnes gestorben. Eben diese Agnes verlangte nun von ihrer Sippe die Herausgabe des väterlichen Erbes. Es wurde ihr verweigert. Da friedliche Verhandlungen ergebnislos blieben, überfiel Otto das "Oberhaus" und zerstörte es teilweise. (Siehe F. X. Richter, Seite 618.) Otto von Ortenburg stützte sich bei diesem Privatkrieg auf Burg Ortenegg. Sie stand wenige Kilometer südlich des "Oberhauses" und ebenfalls unweit von Reifnitz, wo die für ganz Unterkrain zuständige Großpfarre der Patriarchen von Aquileja untergebracht war. Die Veste der Grafen aus Karaten lag auf einem leicht zu verteidigenden Bergrücken. Jene Mauerreste waren zu Beginn der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts noch zu sehen. Die Bezeichnung Ortenegg schließt von vornherein aus, daß ein
anderer als ein Ortenburger die befestigte Anlage gebaut oder - was auszuschließen ist - eine bereits vorhandene Burg mit diesem Namen versehen haben könnte. In beiden Fällen ist erwiesen, daß die Grafen von Ortenburg nach dem damaligen Lehensrecht über Burg Ortenegg verfügen konnten. Niemand durfte jedoch auf Grund und Boden, der ihm nicht gehörte, bzw. zu Lehen gegeben war, Bauwerke errichten oder eigenmächtig in Besitz nehmen. Tat er es dennoch, so gehörte schon damals das errichtete Bauwerk dem Besitzer des Bodens. Niemand durfte auch auf Grund und Boden siedeln, der ihm nicht zustand. Außerdem: Da die Errichtung eines Bauwerkes dieser Größenordnung Jahre beanspruchte, mußten die Grafen von Orten-burg die Rechte auf das Baugelände von Ortenegg bereits Jahre vorher empfangen haben.

Wenn man ausschließt, daß Graf Ulrich von Ortenburg nach seiner Wahl zum Oberhaupt des Patriarchenstaates zum Lehensherrn seiner Verwandten wurde, kann dies nur sein Nachfolger Peregrin I., der Herzogsohn aus Karaten, gewesen sein. Der Zeitpunkt der Lehensvergabe hätte sich dadurch nur geringfügig verschoben. Ein Umstand läßt sich mangels urkundlichen Nachweises allerdings nicht schlüssig klären: Befand sich der Urwald zwischen Reifnitz und Kulpa, das spätere Siedlungsgebiet der Gottscheer, bereits bei den ursprünglichen Lehenschaften der Ortenburger In Unterkrain? Wahrscheinlich nicht. Sicher wissen wir nur soviel, daß er eine "Zugehörung" von Reifnitz war. Darüber wird noch in weiterer Behandlung des 13. Jahrhunderts zu sprechen sein.

Das 12. Jahrhundert können wir nicht verlassen, ohne einer ortenburgischen Stadtgründung, die allerdings erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die Gottscheer Bedeutung erlangte, zu gedenken: Spittal an der Drau, Mittelpunkt Oberkärntens. Sie erfolgte mit der Stiftung eines "Spittels" für die Armen und Hilfsbedürftigen. Türk überliefert das Ereignis wie folgt:

"Am Gründungstag, dem 11. April, hat Erzbischof Albert (von Salzburg, Anmerkung des Verfassers) in Gegenwart vieler hervorragender weltlicher und geistlicher Personen eine Urkunde ausgestellt, worin verkündet wird, daß die Grafen von Ortenburg, Erzpriester Hermann und Otto II. (Söhne Ottos I.), zu ihrem Seelenheile eine Kapelle mit einem Spitale auf eigenem Grund, in proprio fundo, erbaut und dieses mit Gütern zum Besten der Armen ausgestattet haben." - Das Schlüsselwort dieser Urkunde lautet: Seelenheil:

Das 13. Jahrhundert, dem wir uns nun zuwenden, ist ein Zeitraum weiteren Niederganges des Reiches nach innen und außen, der Selbstzerflelschung des Adels, des Heranwachsens der Städte, in denen die Bürger regieren und neue Maßstäbe setzen. Handel und Wandel blühen und die Raubritter schmarotzen an den Erfolgen des Bürgerfleißes. Die Kirche richtet das Denken der Gläubigen vollends auf das Jenseits. Sie verspricht allen Schichten des Volkes alle Freuden des Ewigen Lebens, wenn sie nur auf Erden gute Werke tun. Dome, Pfarrkirchen, Stifte und Stiftungen entstehen in großer Zahl, der himmelanstrebende gotische Kirchturm ist der beredtste Ausdruck der inneren Haltung. Die Klöster füllen sich mit Adeligen, Mönchen und Nonnen, die Kreuzzüge verzeichnen stärksten Zulauf. Die allgemeine Frömmigkeit wächst ins Ungemessene. Dennoch überwiegen die schlechten Werke auf Erden.
Die Grafen von Ortenburg sind allerdings in dieser Hinsicht nicht ganz Kinder ihrer Zeit. Auch sie stiften zwar zahlreiche sakrale Einrichtungen, namentlich in
Krain, sie beteiligen sich jedoch kaum an Fehden. Die beiden hervorragendsten Gestalten des 13. Jahrhunderts aus dem Hause Ortenburg, Friedrich I. und Friedrich
II., genießen vielmehr den Ruf erfolgreicher und uneigennütziger Friedensstifter.

Die schweren inneren Zerwürfnisse innerhalb der Adelsschicht führen schließlich zum "Interregnum", der "kaiserlosen, schrecklichen Zeit". Sie dauert von 1254 bis 1273. In diesen knapp 20 Jahren gab es zwar deutsche Könige, aber keine wirkliche Führung des Reiches. Gesetzlosigkeit und Geistesverwirrung beherrschten das Land.

Mit dem Niedergang des Adels und seiner Feudalherrschaft gewinnt der Bauer in doppeltem Sinn an Boden. Zwar mußte jedermann auch noch gegen Ende des Jahrhunderts einen Herrn haben, aber das Verhältnis der Landbevölkerung zu den Grundherren hat sich gewandelt. Der Bauer ist aus der bedingungslosen Abhängigkeit herausgetreten, vertragsfähig, also Vertragspartner seines Herrn geworden. Der Ausdruck "Holde" für den Bauern wird gebräuchlich und in die Wirklichkeit übertragen. In seinem tiefsten Sinn bedeutet dieses Wort das gegenseitige Holdsein, das heißt, das bis dahin nur in der Adelsschicht übliche Schutz- und Trutzbündnis wird abgewandelt auf das Verhältnis zwischen Herr und Untertan übertragen. Der Grundherr ist verpflichtet, seine Bauern zu schützen, diese hingegen haben bestimmte Abgaben und Leistungen zu erbringen, insbesondere den Kriegsdienst, sobald sie dazu aufgerufen werden. Die Schollenflucht, die zeitweilig mit dem Anwachsen der Städte geradezu einer Landflucht gleichkam, wird nicht mehr mit der früheren Strenge geahndet zumal es immer schwieriger geworden war, die Flüchtigen aufzuspüren. Mit der Anhebung ihres Standes auf die Ebene der Vertragsfähigkeit stieg begreiflicherweise das Selbstbewußtsein der Bauern. Da und dort erhob sich Widerstand gegen Grundherren, die ihren Bauern noch mit der überlieferten Strenge begegneten.

Doch holen wir nun aus der Fülle der Ereignisse des 13. Jahrhunderts gleichsam die Kettenglieder heraus, die für das Entstehen des Gottscheerlandes unerläßlich waren: Mit dem Niedergang des Reiches sank auch der Stern Aquilejas. Venedig war zur wirtschaftlichen und militärischen Großmacht emporgewachsen, und die Patriarchen fühlten sich bedrängt und wichen zu Beginn des Jahrhunderts nach Udine aus, wo ihr Palais heute noch zu sehen ist. Kaiser Friedrich II. (er regierte von 1212 bis 1250) verzichtete für sich und seine Nachfolger endgültig auf die Mitwirkung bei der Einsetzung von Bischöfen. Schon 1251, nach dem Tode des letzten deutschstämmigen Patriarchen, Berthold von Andechs-Meran (1208 bis 1251), setzte der Papst einen Italiener zu dessen Nachfolger ein.

Mit dem Namen des vorläufig letzten deutschen Patriarchen ist ein entscheidendes Ereignis verbunden: Patriarch Berthold belehnte die Grafen von Ortenburg 1247 mit Reifnitz und seinen Zugehörungen, zu denen auch der Urwald, das spätere Siedlungsgebiet der Gottscheer, zählte. Die Auersperger hatten aus hier unwesentlichen Gründen darauf verzichtet. Im gleichen Zuge wurde den Ortenburgern Schloß Zobelsberg als Feudallehen zugesprochen. Reifnitz taucht als Lehen der Ortenburger im übrigen in dem Teilungsvertrag zwischen Graf Friedrich II. und seinem Bruder Heinrich erneut auf. Damit ist erwiesen, daß die Kärntner Grafen von Ortenburg spätestens 1247 wußten, daß ihnen von seiten der Patriarchen die Erschließung des Urwaldes in Unterkrain durch Besiedlung zugedacht war. Es sollte aber immer noch fast drei Menschenalter dauern, bis seine deutsche Kolonisation energisch in Angriff genommen wurde.


Die lange Verzögerung entstand hauptsächlich durch die Entwicklung der großen Politik. Erst Ende September 1273 einigten sich die Kurfürsten auf die Wahl des Schweizer Grafen Rudolf von Habsburg zum Deutschen König. Mit überraschender Tatkraft setzte er sich gegenüber dem Adel, dem Raubrittertum und dem jungen Eroberer Ottokar II., König von Böhmen, durch. Im Rahmen seiner politischen Konzeption ernannte er den Grafen Fiedrich II. von Ortenburg zum Landeshauptmann in Krain. Friedrich hatte drei Söhne: Meinhart I., Otto V. und Albrecht II. Der alternde Graf war nach dem Tode seines Bruders Heinrich alleiniger Herr über die Besitzungen der Ortenburger in Kärnten und Krain. Es liegt nahe und ist sicher kein Wunschdenken der Gottscheer, wenn sie annehmen, daß Graf Friedrich sich bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts mit Plänen für die Besiedlung des Urwaldes beschäftigte. Daß sie nur langsam reiften, lag nicht allein an der allgemeinen politischen Situation im Reich und in Kärnten, sondern das Unternehmen mußte wohl überlegt sein. Friedrich von Ortenburg war nicht der Mann, der etwas überstürzte. Er residierte in Laibach und überließ bereits vor der Jahrhundertwende seinem ältesten Sohn weitgehend die Verwaltung der Liegenschaften in Unterkrain.

Keine Urkunde kündet davon, wann die Planung des "Siedlungsunternehmens Urwald" konkrete Formen angenommen hat. Insbesondere fehlt jeder Nachweis, ob noch Friedrich II. oder erst sein Sohn Meinhart den unmittelbaren Anstoß zum Beginn gegeben hat. Welcher Ortenburger immer es auch war, er wußte, daß ein kolonisatorisches Unternehmen dieses Ausmaßes nicht ohne gründliche Vorbereitung gelingen konnte. Wer hat sie durchgeführt?


(Aus dem "Jahrhundertbuch der Gottscheer" von Dr. Erich Petschauer)

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