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20.
Jahrhundert / II.,
Jahrhundertbuch der Gottscheer, Dr. Erich Petschauer, 1980.
Der
Tragödie
letzter Akt
Was nun kam, trieb die Gottscheer in ein Dickicht kaum verhüllter
Gewalt und unverschleierten Terrors. Ein Jahrhundertbericht kann über
ihre letzten Jahre auf dem Boden des alten ortenburgischen Urwaldlehens
nicht hinweggehen, etwa weil man irgendwo nur ungern an die Anschläge
auf die Freiheit, die Menschenwürde und -rechte im Gottscheerland
erinnert wird oder weil sie mit dem Nationalsozialismus zusammenhängen.
Sie spielten sich auf drei Ebenen ab. Ebensowenig steht der gewissenhafte
Historiker vor der Frage, ob er das, was die Slowenen den Gottscheern
antaten, was den Slowenen von Seiten des Deutschen Reiches geschah und
was schließlich die Gottscheer selbst unternahmen, um zu überleben,
verschweigen, beschönigen oder manipulieren wolle. Ihm ist vielmehr
aufgegeben, den Untergang der Sprachinsel Gottschee nach Möglichkeit
leidenschaftslos, wenn auch nicht kritiklos, darzustellen.
Wie man die Entwicklungen, Ereignisse und Entscheidungen der beteiligten
Persönlichkeiten und Institutionen auch dreht und wendet, das Gottscheerland
gerät unaufhaltsam in die tragische Verstrickung, aus der kein Weg
herausführt. Alles, was die Gottscheer fortan tun, ist falsch.
Die Banschaftsverwaltung in Laibach zog die Zügel bald straffer an.
Der "Schwäbisch-deutsche Kulturbund", die kulturelle Organisation
der Deutschen in Jugoslawien, hatte auch in Gottschee mehrere Ortsgruppen
gegründet. Er wurde verboten. Damit war auch der Gottscheer Jugend
die legale Grundlage für ihre Kulturarbeit entzogen. Das Verbot war
auf die Beobachtung der Sicherheitsbehörden zurückzuführen,
daß junge Gottscheer mit jungen Reichsdeutschen Verbindung aufnahmen
und hielten. Unter diesen befand sich im Sommer 1933 ein Philologie-Student
namens Volker Dick, ein Pfarrerssohn aus Freiburg im Breisgau. Er widmete
sich zunächst der Mundart und durchwanderte das "Ländchen"
zu Studienzwecken. Er unterhielt sich vielfach mit Bäuerinnen und
Bauern, auch mit jungen Leuten, und sammelte Material für seine Arbeit.
Dabei fiel ihm auf, daß hier weniger die sprachwissenschaftliche
Diskussion, als vielmehr ein neues, wirtschaftliches Denken not tat. Ohne
dazu von einer Dienststelle oder Organisation in Deutschland aufgefordert
oder beauftragt worden zu sein, machte er es sich zu seiner persönlichen
Aufgabe, in der Jugendbewegung das Interesse dafür zu wecken.
Schwäbisch-Deutsche
Kulturbund, Gottschee, 1940
Bereits bei seinem nächsten Besuch stellte er einen "Aufbauplan"
zur Diskussion. Er sollte den weiteren wirtschaftlichen und kulturellen
Verfall als Folge der Auswanderung, Unterdrückung und Entmutigung
der Bevölkerung aufhalten. Dick fand damit bei der ländlichen
Jugend viel, bei der Volksgruppenführung in der Stadt einiges Verständnis.
Die Volksgruppenführung war keine öffentliche Einrichtung, die
durch Wahlen oder Berufung zustandegekommen war, sondern sie bestand in
der Spitze aus zwei Männern,
auf die man kraft ihrer Persönlichkeit allgemein hörte und die
vorübergehend auch amtliche Funktionen ausübten; Rechtsanwalt
Dr. Hans Arko aus der Stadt Gottschee und Geistlicher Rat Josef Eppich,
Pfarrer in Mitterdorf. Pfarrer Eppich gehörte durch Wahl seit 1927
dem "Gebietsausschuß" - entsprach etwa einem Landtag in
Österreich - als Vertreter der Gottscheer Wähler an. Die realen
Möglichkeiten, für seinen "Wahlkreis" etwas zu tun,
waren gleich Null. Dr. Arko war vorübergehend stellvertretender Bezirksvorsitzender
der 1929 von König Alexander I. verordneten "Staatspartei".
Auf das Parteigefüge in der Bundesrepublik Deutschland bzw. in der
Republik Österreich übertragen, wäre sie heute den Christlich-Sozialen,
der Österreichischen Volkspartei bzw. einer liberal-demokratischen
Richtung zuzuordnen.
Geistlicher
Rat Josef Eppich, Pfarrer
August Schauer,
1930
Die beiden Männer befürchteten angesichts der Versteifung des
slowenischen Kurses gegenüber der Sprachinsel, daß die Jugend
in ihrer Kulturarbeit Äußerlichkeiten der Hitlerjugend nachahme.
Die ersten Zeichen deuteten sich 1934 bereits an. Arko und Eppich hielten,
trotz der schlechten Erfahrungen seit 1918, immer noch an dem Grundsatz
der Staats- und Volkstreue fest. Die erwartete Aktivität der Jugend
kam und war anscheinend nicht aufzuhalten. Allerdings blieb sie ihrem
Wesen nach und hinsichtlich der Inhalte der Kulturarbeit gottscheerisch.
Die Heimabende, die Gesprächs- und Diskussionsstoffe, selbst das
Singen waren auf die Traditionen der Heimat gerichtet. Bei Zeltlagern
und Wanderungen wurden zwar bekannte, deutsche Wanderlieder, auch zackige
Lieder der deutschen Staatsjugend gesungen, es wurden aber auch mehr und
mehr Mundartlieder ausgegraben, ja, einige neue Mundartlieder breiteten
sich rasch über das ganze Siedlungsgebiet aus, weil sie den echten
gottscheerischen Volksliedcharakter besitzen und nicht der Hektik der
dreißiger Jahre entsprangen. Der junge Bauernsohn Peter Wittine
aus Rieg war der Verfasser.
1935 geschah etwas scheinbar Bedeutungsloses. Ein Gymnasiast namens Willi
Lampeter aus Mitterdorf wurde vom Gymnasium in Gottschee verwiesen. Sein
Direktor war der Ansicht, er habe sich als Schüler eines slowenischen
Gymnasiums doch etwas zu sehr für nationale deutsche Belange eingesetzt,
auch wenn er seiner Abstammung nach Gottscheer sei. Für Lampeter
war die Relegierung eine Aufforderung, sich nun erst recht national-politisch
hervorzutun. Innerhalb weniger Monate galt er als der Exponent der Gottscheer
Jugend, die allmählich zu erkennen gab, daß sie sich allein
für die Zukunft des Gottscheerlandes verantwortlich fühlte und
die Ablösung der alten Führung zum gegebenen Zeitpunkt anstrebte.
Gerechterweise muß hervorgehoben werden, daß der Ruf nach
einer geistigen und wirtschaftlichen Neuorientierung im Rahmen der Traditionen
des Gottscheerlandes nicht erst von der Jugend, die auf die mächtigen
Anstöße von außen reagierte, gefordert wurde. 1931 schrieb
der "Gottscheer Kalender", den Pfarrer August Schauer in Nesseltal
herausgab und inhaltlich gestaltete: "Der Gottscheer Bauer muß
seinen Blick wieder der Heimat zuwenden. Er muß wieder Vertrauen
zu seiner Scholle bekommen und aus seiner Lethargie gerissen werden, indem
die Gottscheer Landwirtschaft aus ihrer bisherigen Isolierung herausgeführt
und Produktion wie Absatz auf genossenschaftlicher Basis organisiert werden."
Klare Vorstellungen, wie dies vonstatten gehen sollte, brachte allerdings
erst der "Aufbauplan".
Das Projekt, das Volker Dick mit der Jugend diskutierte, ging folgerichtig
davon aus, daß aus den uns bekannten Gründen zu wenig Arbeitskräfte
zurückgeblieben waren,
um bei gleichbleibenden landwirtschaftlichen Produktionsmethoden den stark
abgesunkenen Lebensstandard den gestiegenen Ansprüchen anzupassen.
Darüber hinaus sollte der "Aufbauplan" - und dieses Ziel
wurde immer wieder stark betont - einen auch materiell begründeten
Anreiz zum Bleiben in der Heimat bewirken.
Führen wir uns noch einmal den verhängnisvollen Kreislauf, der
zu der katastrophalen, durch die Weltwirtschaftskrise verstärkten
Notlage geführt hatte, vor Augen: Der Gottscheer Bauer hatte wegen
des Arbeitskräftemangels das fortwährende Roden vernachlässigt
und vor allem auf den Hutweiden und höher gelegenen Hügeln dem
Wald den Vortritt gelassen. Das Futterangebot sank, als weitere Folge
ging der Viehbestand entscheidend zurück. Weniger Milch und Dünger
waren das Ergebnis. Weniger Dünger bedeutet weniger Feldertrag und
Verminderung der Anbaufläche. Schlußfolgerung: Die Abwanderung
stieg weiter.
Der "Aufbauplan" kehrte diese rückläufige Entwicklung
einfach um: Neurodung der Hutweiden und Wiesen = mehr Vieh = mehr Milch
und Kälber = mehr Dünger = mehr Anbaufläche = insgesamt
Steigerung des Umsatzes auf dem Bauernhof. Der Plan sah ferner die Hereinnahme
ertragreicherer Obstsorten und die konsequentere Pflege der Obstbäume,
wie die Verwertung der Obsternten durch Süßmosterei vor. Fachleute
zum Ausbau dieses Wirtschaftszweiges wurden aus Deutschland geholt. Systematisch
sollte außerdem der Fremdenverkehr ausgebaut werden. Zu diesem Zweck
wurden aussichtsreiche Verhandlungen mit einem deutschen Reisebüro
aufgenommen. Als ersten bemerkenswerten Anziehungspunkt für die Fremden
baute die Jugend in dem idyllisch gelegenen Walddorf Pogorelz einen befestigten
Weg. Als weitere Leistung im freiwilligen Arbeitsdienst befestigte sie
den Wanderweg von Morobitz auf die Krempe, den schönsten Aussichtspunkt
des Gottscheerlandes in das schluchtartig eingeschnittene Kulpatal und
die Berglandschaft Kroatiens, dann in der Nähe von Altfriesach eine
Skihütte, und als Krönung baute die Jugend des Oberlandes ein
Kulturheim in Mitterdorf. Da gab es eine herbe Enttäuschung. Am Vorabend
der Einweihung dieses Heimes wurde ein bei der Behörde angemeldeter
Fackelzug durch Mitterdorf veranstaltet. Dieser wurde von auswärts
herbeigeholten slowenischen Jugendlichen brutal beendet. Mit Schlagstöcken,
Zaunlatten, Prügeln und anderen "Geräten" bewaffnet,
brachen sie aus der Finsternis und schlugen Frauen und Kinder nieder.
Die anwesenden Gendarmen schritten nicht ein. Die Gottscheer, auf eine
solche Tat nicht gefaßt, konnten sich gar nicht verteidigen, denn
bevor die männlichen Teilnehmer auch nur ihre Fäuste gebrauchen
konnten, waren die Spukgestalten wieder im Dunkeln verschwunden. -
Ein ständig fließendes und sicheres Einkommen sollten zwei
genossenschaftliche Einrichtungen, die für das "Ländchen"
neu waren, den Bauern bringen: Koppelweiden und eine moderne Molkerei.
Die Musteranlage einer Koppelweide wurde, wiederum als freiwillige Gemeinschaftsleistung
der Jugend, im Ortsbereich von Hohenegg/Katzendorf angelegt. Eine auf
die Maße des Gottscheers zugeschnittene Molkerei ging in die Planung.
- Um auch den Mädchen und Frauen einen dauernden Nebenverdienst zu
verschaffen, griff man auf alte Formen der Heimarbeit zurück. Das
farbenfrohe Besticken von Taschen- und Trachtenkopftüchern wie das
Weben von Gürteln wurde organisiert. Selbstverständlich wurde
auch die Holzschnitzerei, die älteste Form der Gottscheer Heimarbeit,
neu belebt. Auch für diese Wirtschaftszweige stand ein Fachmann aus
Deutschland zur Verfügung. Um einen Markt für diese Erzeugnisse
zu öffnen, wurde 1936 in Gottschee-Stadt eine Genossenschaft gegründet,
die den Vertrieb in Deutschland übernahm. In der Sprachinsel selbst
kümmerten sich um das Heimwerken besonders die Geschwister Hilde
und Herbert Erker aus Mitterdorf, Sophie Kren aus Ort sowie die Geschwister
Olga und Hans Spreitzer aus Pöllandl. Außerdem haben Herbert
und Hilde Erker in unzähligen Heimabenden alte deutsche und gottscheerische
Lieder wieder zum Klingen gebracht.
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Neue
Tracht |
Trachtenkopftücher |
Stickereien |
Die Voraussetzung für das Gedeihen der teilweise völlig neuen
Wirtschaftslage war jedoch das Funktionieren der Landwirtschaft. Hier
war es mit Diskussionen und guten Ratschlägen allein nicht getan.
Man benötigte praktische Beispiele, das betriebswirtschaftliche Vormachen
und - Geld! Woher nehmen? Nur eines war sicher: vom jugoslawischen Staat
war kaum eine finanzielle Unterstützung zu erwarten.
Da hatte Dr. Hans Arko eine rettende, wiederum traditionsgebundene Idee:
Er schlug vor, die Reichsregierung zu bitten, das Hausierpatent Kaiser
Friedrichs III. aus dem Jahre 1492 zu erneuern und den überlieferten
Wanderhandel der Gottscheer in zeitgemäßer Form und Zahl wieder
aufleben zu lassen. Auf Dicks Betreiben erklärte sich das Reichswirtschaftsministerium
dazu bereit, und veranlaßte bei der inneren Verwaltung das Nötige.
Probeweise wurden in den Wintermonaten 1934/35 einige Dutzend ausgesuchte
Bauern nach Deutschland entsandt, um das Hausieren erst einmal einzuführen.
Der Versuch glückte im großen und ganzen. Das Hausieren lief
in der Form ab, wie es in diesem Buch bei der Behandlung des 19. Jahrhunderts
ausführlich beschrieben ist. In den drei Wintern von 1935/36 bis
1937/38 wurden dann jeweils rund 300 Männer zugelassen. Sie wurden
einzeln und in unterschiedlich großen Gruppen auf die für das
außergewöhnliche Unternehmen geeignet erscheinenden Städte
verteilt. In München arbeiteten beispielsweise 15 Mann, in Dessau/Anhalt
waren es zwei, oder in Schwäbisch-Gmünd einer. Die Männer
übten ihr Geschäft in der überlieferten Tracht aus (siehe
Abbildung im Buch). Sie wurden zuerst von Studenten und, von der Saison
1935/36 an, von Mitgliedern des VDA (Volksbund für das Deutschtum
im Ausland) beraten und betreut.
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Gottscheer
Hausierer |
Spendenabzeichen
- VDA, Kameradschaftsopfer
Gottschee, 1934/1939. |
Organisatorisch erfaßt waren die Männer aus der Sprachinsel
im "Gottschee-Hilfswerk", das in Gottschee-Stadt und in Dessau/Anhalt
je eine Geschäftsstelle unterhielt. Die letztere wurde 1938 nach
Berlin verlegt. In der Heimat richtete Dr. Arko in seiner Anwaltskanzlei
ein Büro ein und besetzte es mit einer Fachkraft für Korrespondenz
und Buchhaltung. Seltsam genug für Gottschee, daß in einer
rein den Männern vorbehaltenen Einrichtung eine Frau die Geschäfte
führte, Frau Paula Suchadobnik aus der Stadt.
Die Wanderhändler aus Gottschee hatten von ihrem Reingewinn einen
bestimmten Prozentsatz für die Organisation des Hausierwerkes und
für einen Härtefond, aus dem Fehlschläge finanziell ausgeglichen
werden sollten, abzuliefern. Der Antragsteller mußte sich bereits
daheim verpflichten, seine Überschüsse gezielt in der eigenen
Landwirtschaft einzusetzen. Außerdem mußte er schriftlich
versprechen, nach Ablauf der Saison heimzukehren und nicht in Deutschland
zu bleiben. Der Reingewinn bewegte sich in der Regel zwischen wenigen
hundert und mehreren tausend Mark. Wegen der Devisenbewirtschaftung durften
die Hausierer ihren Verdienst nicht unmittelbar über Post oder Bank
überweisen, sondern die Auszahlung erfolgte über die Spar-
und Darlehenskasse in Gottschee.
Die Überschüsse
des "Härtefonds", der kaum einmal in Anspruch genommen
werden mußte, waren als Grundstock für den Bau der Molkerei
bestimmt. Die Pläne für den Bau und das Netz von 22 Abrahmstationen
waren 1938 fertig. Mit ihrer Ausführung sollte 1943 begonnen werden.
Wie aber stand es mit den praktischen Beispielen? Dick schlug vor, Jungbauern
bzw. Bauernsöhne zur landwirtschaftlichen Ausbildung nach Deutschland
zu schicken. Willie Lampeter aus Mitterdorf und Martin Sturm aus Loschin
setzten diesen Gedanken in die Tat um. Die beiden jungen Männer hatten
sich bis 1937 als unumstrittene Führer der bäuerlichen Jugend
durchgesetzt. Wer genauer hinsah, konnte beobachten, daß sich Lampeter
eine disziplinierte Gefolgschaft herangezogen hatte. Die jungen Männer,
die er nun zur landwirtschaftlichen Ausbildung nach Deutschland schickte,
gehörten diesem Kreis an. Volker Dick bereitete auch ihnen die Wege.
Die Ausbildung in den modernen landwirtschaftlichen Betriebsmethoden geschah
auf der Rauhen Alb, wo sie ähnliche klimatische und bodenqualitative
Voraussetzungen wie in der Heimat antrafen. Sie arbeiteten im Sommer 1937
auf hierfür ausgewählten Höfen. Danach faßte Willi
Lampeter die rund 60 Mann zu einer "Winterschule" zusammen.
Sie hatte den Zweck, den künftigen Musterbauern das theoretische
Rüstzeug für ihre wirtschaftlichen Führungsaufgaben zu
vermitteln.
Dr. Arko und Pfarrer Eppich befanden sich angesichts dieser Aktivitäten
- auf das Gottscheerland bezogen - in einer innenpolitisch schwierigen
Lage. Auf der einen Seite sahen sie mit Genugtuung den Bemühungen
der Jugend um die Sicherung der Zukunft des Gottscheerlandes zu, zum anderen
sahen sie aber auf Grund ihrer Erfahrungen voraus, daß die jugoslawischen
Behörden sie keinesfalls gewähren lassen würden. Da sich,
zum Dritten, die Jugend nichts mehr dreinreden ließ, versuchten
die beiden "Alten" wenigstens auf dem kulturellen Sektor gegenzusteuern
und - vielleicht! - noch etwas zu retten. Am 13. August 1935 überreichte
Dr. Arko dem neuen jugoslawischen Ministerpräsidenten Dr. Milan Stojadinavic
eine Denkschrift mit der Bitte, wenigstens die restlichen deutschen Schulabteilungen
bestehen zu lassen und dafür die erforderlichen deutschen Lehrkräfte
zu genehmigen. Die gleiche Denkschrift übermittelte er im Oktober
1935 der Banschaftsverwaltung in Laibach. Diese gab erst im Herbst 1936
eine Antwort dahingehend, sie könne so lange für Gottschee nichts
tun, wie in Kärnten Slowenen entnationalisiert würden. Pfarrer
Eppich unternahm darauf in Wien und Klagenfurt Vorstöße mit
dem Ziel, die paritätische Behandlung der slowenischen Minderheit
in Kärnten und in der Gottschee zu erreichen. Den Kärntner Slowenen
wurde volle Kulturautonomie angeboten, der Chef der Banschaftsverwaltung
in Laibach aber war nicht einmal bereit, eine Vertretung der Gottscheer
anzuhören. Er begründete seine ablehnende Haltung mit der Bemerkung,
die Banschaftsverwaltung sei hierfür nicht zuständig. Hier trat
das slowenische Gesamtkonzept in Sachen Gottschee abermals zutage. Der
Banus erklärte sich für die Minderheitenrechte der Gottscheer
für nicht zuständig, wohl aber für jene der Slowenen in
Kärnten.
Jugoslawischer Ministerpräsident Stojadinovic
Von Seiten des Ministerpräsidenten Stojadinovic erging überhaupt
keine Antwort an Dr. Arko. In der großen Politik galt er jedoch
als deutschfreundlich. Möglicherweise war daher seine Hand im Spiel,
als im Sommer 1935 die Zügel, die man dem "Schwäbisch-deutschen
Kulturbund" angelegt hatte, gelockert wurden.
Daß man in Laibach das Gesamtkonzept zur Beseitigung der Sprachinsel
Gottschee schließlich auch auf den wirtschaftlichen Sektor ausdehnte,
bewies im Juni 1936 der Erlaß eines "Grundverkehrsgesetzes".
Es bestimmte, daß jeder Besitzwechsel innerhalb einer 50-km-Zone
entlang der Staatsgrenze vom Kriegs- bzw. Innenministerium genehmigt sein
müsse. Dieses Gesetz bedeutete, obwohl Gottschee innerhalb der 50-km-Sperrzone
lag, noch keinen lebensbedrohenden Eingriff. Dieser wurde allerdings bereits
im Dezember im Rahmen der Durchführungsbestimmungen nachgeholt. Darin
wurde eine Kommission eingesetzt, die von Fall zu Fall zu prüfen
hatte, ob der jeweilige Besitzwechsel im Interesse des Staates lag oder
nicht. Mit anderen Worten: Ein Besitzwechsel der Gottscheer untereinander
war nunmehr ausgeschlossen. Was beabsichtigt war, zeigte die Praxis sehr
bald. Frei gewordene Besitze von Gottscheern konnten von Slowenen für
ein Spottgeld erworben werden. Die slowenischen Jugendorganisationen "Sokol"
und "Orjuna" unterstrichen die Maßnahmen der Behörden
mit verbalen Drohungen, deren geschmackloseste lautete: "Wir werden
den Hauptplatz in Gottschee mit euren Köpfen pflastern."
Die rechtliche Unsicherheit erreichte immer neue Höhepunkte. Dr.
Michitsch umreißt sie in der Kulturbeilage Nr. 58 der "Gottscheer
Zeitung" wie folgt:
"Rechtsunsicherheit, mangelnder Rechtsschutz gegen Ermessensmißbrauch,
Fehlen einer innerstaatlichen Instanz, die bei einer Verletzung des Minderheitenschutzes
hätte befaßt werden können, die Völker- und staatsrechtlich
völlig unzulässige Diskriminierung der nationalen Minderheit
durch Verordnungen und Dekrete behördlicher Willkür."
Die Praxis dieser "Rechtslage", der Widerstand gegen dieses
System der Unterdrückung, wuchs namentlich bei der Jugend. Sie hatte
einen Weg gesucht und gefunden, den weiteren wirtschaftlichen Verfall
aufzuhalten, weil sie es als ihr legitimes Menschenrecht ansah, nicht
tatenlos zuzusehen, wie die Heimat von politischen Mächten zugrundegerichtet
wurde. Sie fand auch einen Weg, um wenigstens notdürftig einen kulturellen
Ausgleich zu schaffen. Ein unsichtbares Ringen um die Mundart und die
Schriftsprache hatte eingesetzt. Wo dies möglich war, erteilten die
wenigen Geistlichen jungen und älteren Menschen deutschen Sprachunterricht.
Hunderte von Fibeln tauchten auf und gingen von Hand zu Hand.
Oberschulrat Hermann Petschauer, Bürgermeister Franz Lusser, Dr. Viktor
Michitsch
Immer lauter erhob sich in den Jahren 1936 und 1937 der Vorwurf gegen
die alte Führung, sie tue zu wenig zur Durchsetzung der Lebensrechte
und der kulturellen Forderungen der Gottscheer. Die Jugend meinte, sie
selbst könne durch energischeres Auftreten eine Änderung der
staatlichen jugoslawischen Minderheitenpolitik in Gottschee erzwingen.
1938 hielt Lampeter dann die Zeit für gekommen, die Volksgruppenführung
zu übernehmen. Er ging allerdings von einem entscheidenden Trugschluß
aus: Ohne daß es ausgesprochen wurde, erwartete er, das Deutsche
Reich werde das betont zielstrebige Auftreten einer jungen Volksgruppenführung
gegenüber dem jugoslawischen Staat offiziell abdecken. In einem Punkt
schien es freilich so zu sein. Im November 1938 erhielt Dr. Hans Arko
von der "Arbeitsstelle" Gottschee im VDA, Berlin, die Mitteilung,
er sei als Volksgruppenführer abgesetzt. Woher die Initiative zu
diesem Brief kam, war leicht zu erraten. Daheim warf man dem Abgesetzten
unter anderem noch Vetternwirtschaft bei der Auswahl der Hausierer vor.
Verbittert resignierte der Rechtsanwalt. Er hatte nicht einmal die Möglichkeit
erhalten, in angemessener Form freiwillig abzutreten. Der geistliche Rat
in Mitterdorf aber wartete
nicht erst ab, bis die Reihe an ihm war. Er übergab zum 1. Jänner
1939 die Schriftleitung der "Gottscheer Zeitung" an einen jungen
Mann, den Berufsjournalisten Herbert Erker. Seine journalistische Ausbildung
hatte er beim "Deutschen Volksblatt", der Tageszeitung der Deutschen
in Jugoslawien, in Neusatz (Novi sad) erhalten, deren Hauptschriftleiter
war ja der Gottscheer Dr. Franz Perz aus Mitterdorf.
Ein dreiköpfiges Gremium, bestehend aus Kaufmann Josef Schober (Stadt
Gottschee), Willi Lampeter und Martin Sturm, wurde geschaffen. Schober
übernahm den Vorsitz und wurde künftig als "Volksgruppenführer"
bezeichnet. Er war bis dahin im öffentlichen Leben kaum hervorgetreten.
Die Tatsachen sollten auch bald beweisen, daß der noch jugendliche
Lampeter (Geburtsjahr 1919) den wesentlich Älteren lediglich als
Aushängeschild benutzte. Die zahlreiche Anhängerschaft Lampeters
aber fühlte sich durch die neue Entwicklung in ihren Ansichten, Absichten
und Leistungen bestätigt.
Eine der ersten Maßnahmen des neuen Führungsgremiums war die
Überreichung einer Ergebenheitsadresse an den deutschen Konsul in
Laibach. Darin hieß es unter anderem, die Gottscheer seien bereit,
Weisungen aus dem Reich entgegenzunehmen. In die politische Wirklichkeit
übertragen sollte das jedoch nicht bedeuten, daß sie auf ihre
gewachsene Traditionen verzichten wollten. Sie sympathisierten zwar mit
den "Erneuerern" im donau-schwäbischen Raum, ohne jedoch
auf ihr politisches Konzept bedingungslos einzugehen. "Die Gottscheer
Führung hatte ganz klare, politische Vorstellungen", erläuterte
der damals 19jährige Jugendführer in Gottschee, Richard Lackner,
Erich Petschauer 1973 in einem Gespräch über die dreißiger
Jahre und fuhr fort: "Wir wußten, daß wir auf keinen
Fall Einfluß auf allgemein politische und staatspolitische Veränderungen
nehmen konnten, und unsere ganze Konzeption war auf der Tatsache aufgebaut,
daß wir uns als Sprachinsel im jugoslawischen Königreich befinden,
daß wir aus dieser Situation heraus tätig sein müssen,
um den Untergang, die Vernichtung von Gottschee zu verhindern."
Trotz der Ergebenheitsadresse und der vordergründigen programmatischen
Einordnung in die Zwänge des großen politischen Kraftfeldes
bewahrte sich die neue Führung innerlich einen gewissen Vorbehalt
hinsichtlich der Handlungsfreiheit der Gottscheer. Er klingt auch bei
Richard Lackner 1973 noch nach: "... weil wir aus einem sehr eigenständigen
Denken und eigenständiger Sicht unsere Sache selbst machen wollten.
Wir wollten den Typ des Gottscheers schaffen, der bereit war, die Erneuerung
seiner Heimat mitzumachen."
Berlin, 1. September 1939. Hitler greift Polen an. Drei Wochen später:
Die Republik Polen existiert nicht mehr.
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Linienschiff "Schleswig-Holstein"
beschießt die
Westerplatte
bei Danzig |
Deutsche
Soldaten
an
der
polnischen
Grenze |
Hitler
verkündet
den Überfall auf Polen, 1.09.1939 |
Berlin, 6. Oktober 1939. Hitler gibt in einer Reichstagsrede bekannt,
er halte es für notwendig, die Nationalitäten in Europa umzusiedeln,
damit die Grenzen zwischen den Völkern genauer gezogen werden könnten.
Das deutsche Volk werde seine Vorposten zurückziehen. Daß ihm
damit ernst zu sein schien, wurde tags darauf deutlich. Er ernannte den
Reichsführer SS, Heinrich Himmler, zum "Reichskommissar für
die Festigung deutschen Volkstums". Die neue Aufgabenstellung Himmlers
war so neu nicht mehr, wie sich an der von langer Hand vorbereiteten Südtiroler
Umsiedlung erwies. Der mit den Italienern ausgehandelte Umsiedlungsvertrag
war im Juni 1939 in Kraft getreten, die Verhandlungen mußten
also bereits Monate vorher begonnen
haben. Im August und September 1939 richteten sich die italienischen
und
deutschen Umsiedlungsdienststellen in Südtirol ein. Die deutschen Volksgruppen in Ost- und Südosteuropa gerieten in Panik.
Sie nahm auch in Jugoslawien Ausmaße an, daß sich der deutsche
Gesandte in Belgrad genötigt sah, im "Deutschen Volksblatt"
die wenig glücklich formulierte Erklärung abzugeben, die Umsiedlung
der Deutschen aus Jugoslawien sei "nicht aktuell".
Heinrich
Himmler (1900-1945), einer der Hauptverantwortlichen für den millionenfachen Mord an
den europäischen Juden
Heinrich Himmler hatte durch die Ernennung zum "Reichskommissar für
die Festigung deutschen Volkstums" erheblichen Machtzuwachs erfahren.
Zur Steuerung des neuen Arbeitsgebiets errichtete er in Berlin das "Stabshauptamt"
und unterstellte es dem damaligen Brigadeführer Ulrich Greifelt.
Dem Reichskommissar wurden auch die volkspolitisch tätigen Organisationen
im deutschen Reich unterstellt, vor allem die "Volksdeutsche Mittelstelle"
(VOMI), die dem "Stab des Stellvertreters des Führers"
angehört hatte, und der "Volksbund für das Deutschtum im
Ausland (VDA)", der sich trotz Unterstellung unter die VOMI noch
eine gewisse Selbständigkeit als kultureller Betreuer deutscher Menschen
mit fremder Staatsangehörigkeit bewahrt hatte. Die Festigung dieses
Volkstums war nun nicht mehr gefragt.
Begreiflicherweise waren auch die Gottscheer von der Ankündigung
Hitlers tief betroffen. Gerüchte liefen von Dorf zu Dorf, niemand
wußte etwas Genaues. Die Führung der Sprachinsel schwieg. Sie
handelte nach außen so, als ob es keine Umsiedlung geben würde.
Die überraschend vorgenommene und uneingeschränkte Zulassung
des Kulturbundes schien ihr recht zu geben. Die jugoslawische Regierung
sprach die Genehmigung mit dem Hinweis aus, man sei in Kärnten den
Slowenen entgegengekommen. Innerhalb weniger Wochen entstanden 25 Ortsgruppen
des Kulturbundes, auch in Dörfern, in denen noch keine bestanden
hatte.
Die Neuzulassung der Kulturbundorganisation gestattete es Willi Lampeter,
einen schon länger gehegten Plan zu verwirklichen: Im Herbst 1939
stellte er die "Gottscheer Mannschaft" auf. Die Kulturbundsatzung
wurde zu diesem Zweck dergestalt umgebaut, daß jedes Bundesmitglied
zwischen 18 und 50 Jahren der "Mannschaft" automatisch angehörte.
Lampeter trat als "Mannschaftsführer" an ihre Spitze. In
den Ortsgruppen hießen die Leiter der Mannschaftsabteilung "Sturmführer".
Eine lebhafte kulturelle Tätigkeit kam rasch in Gang. Sie war verbunden
mit disziplinären Pflichtübungen nach dem Muster reichsdeutscher
Organisationen.
Die zur Schau getragene, fast hektische Geschäftigkeit - bei gleichzeitigem
Schweigen über die Umsiedlung - bedeutete jedoch nicht, daß
der innere Führungskreis der Volksgruppe intern der Diskussion über
die Frage, umsiedeln oder nicht, auswich. Er war sich durchaus bewußt,
daß die Gottscheer nun nicht nur zwischen zwei, sondern zwischen
drei Feuern standen. Einmal waren sie immer noch mit dem Vernichtungsfeldzug
der Slowenen konfrontiert, zum anderen glaubten sie, einen Weg gefunden
zu haben, um den Lebens- und Volkstumskampf auf dem eigenen Boden so lange
bestehen zu können, bis, auf die Dauer gesehen, eine gütliche
Lösung des Gottschee-Problems erfolgte. Jedoch drittens, just jene
politische Macht, die allein imstande gewesen wäre, eine solche
zu erzielen, wollte sie irgendwohin verpflanzen. Was konnten die Gottscheer
tun, was durften sie tun?
Die jungen Männer an der Spitze, die ja noch keine politische
Erfahrung besitzen konnten, waren ratlos.Alle
Diskussionen endeten in derselben Sackgasse: Es gab keinen Ausweg,
als umzusiedeln. Der Kreis um Lampeter glaubte, wenn die Umsiedlung
schon nicht zu umgehen war, daß er dann wenigstens auf deren
Zielsetzung würde Einfluß nehmen können. Er beschloß,
die diesbezüglichen Wünsche und Vorstellungen der nächsten,
erreichbaren deutschen Instanz, dem deutschen Konsul in Laibach, vorzutragen.
Dies geschah am 6. November 1939, vier Wochen nach der Hitlerrede.
Frensing berichtet über das Gespräch und kommentiert es auf
Seite 25 seines Buches über die Umsiedlung der Gottscheer wie
folgt:
"Im ersten Punkt machten sie schon die entscheidende Konzession.
Auch in der Frage der Umsiedlung habe das Interesse der Volksgruppe hinter
dem Interesse des gesamten Volkes zu stehen. Von dieser Basis aus waren
die folgenden Überlegungen der Gottscheer entscheidend relativiert
und, zugespitzt formuliert, fast bis zur Belanglosigkeit degradiert. Die
Gottscheer gaben sich einer gefährlichen Illusion hin, wenn sie meinten,
man müsse sie erst einmal zu dem Problem hören und sie könnten
dann in einer konkreten, geschichtlichen Situation an den Grundsätzen
Hitlerscher Außen-und Umsiedlungspolitik nach ihren Vorstellungen
Korrekturen anbringen. Aus dem Blickwinkel nationalsozialistischen Denkens
mußte es daher als geradezu ketzerhaft empfunden werden, daß
die Gottscheer eine vom "Führer" unumstößlich
festgelegte Entscheidung als nicht ausreichend für eine eventuelle
Umsiedlung betrachteten. Die Tatsache, daß die Gottschee in die
italienische Interessenssphäre fällt, ist für die Volksgruppenführung
kein Argument, das die Absiedlung in genügendem Maße begründen
kann. Der Gottscheer Hinweis auf den deutsch-russischen Pakt als Beweis
dafür, daß sehr plötzlich ein völliger Umschwung
im Verhältnis verschiedener Mächte eintreten kann, entbehrte
gewiß nicht der peinlichen Pikanterie."
Frensing fährt weiter unten fort: "Es war der Wille der Gottscheer
Führung, bei einem Zerfall des südslawischen Staates, ans Reich
"angeschlossen" zu werden. Das hatte sich bereits 1939 während
der Märzunruhen unter den Volksdeutschen Sloweniens gezeigt, als
diese nach der Okkupation der "Resttschechoslowakei" offen den
Anschluß forderten.
Ein Mitglied der Gottscheer Führung hatte
sogar am 13. April 1939 von Graz aus ein Telegramm an Hitler mit der Bitte
um "Anschluß" geschickt, in
dem die Sorge vor einer Einverleibung der Gottschee durch Italien, das
gerade Albanien
angegriffen hatte, anklang."
Die Gottscheer Bauern und Bürger erfuhren auch über diese Laibacher
Besprechung nichts. Der politische Innendruck in der Sprachinsel stieg
unaufhaltsam. Jedes andere Thema als die möglicherweise unausweichliche
Umsiedlung war in den Hintergrund getreten. Indessen wuchs aber auch die
Zahl der Umsiedlungsgegner.
Die "Stürme" wurden ausgebaut. Die Gendarmerie und slowenische
Nationalisten nahmen bei Veranstaltungen der Gottscheer wiederholt eine
drohende Haltung ein. In dieser spannungsgeladenen Atmosphäre erschien
1940 ein schmales Bändchen unter dem Titel "Die Wirtschaftsfragen
des Gottscheer Bauern" aus der Feder von Willi Lampeter und Martin
Sturm. Es wirkte wie ein kleines, tröstliches Versprechen auf die
Zukunft, denn es enthielt manchen guten Ratschlag für den Gottscheer
Bauernhof.
Nichts erfuhren die Gottscheer, diesmal einschließlich der Führung,
über das Spiel hinter den Kulissen in der Reichshauptstadt. Der Chef
der Volksdeutschen Mittelstelle, SS-Obergruppenführer Werner Lorenz,
hielt beispielsweise in einem Vermerk vom 27. Juni 1940 fest, daß
"im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen Deutschland
und Jugoslawien zwar die Annexion von Teilen der Südsteiermark und
Oberkrains an das "Deutsche Reich" vorgesehen war, nicht aber
die der Gottschee". Auch Lorenz betrachtete selbstverständlich
das Gottscheerland als zur italienischen Interessenssphäre gehörig
und forderte konsequenterweise die Umsiedlung seiner Bewohner (Frensing,
S. 26). Er gab damit sicher nicht seinen eigenen Gedankengang wieder.
Und noch eines ist in dem Vermerk beachtenswert: Der Obergruppenführer
wußte bereits im Juni 1940 von einer militärischen Auseinandersetzung
mit Jugoslawien.
SS-Obergruppenführer Werner Lorenz
Inzwischen war die "Heim-ins-Reich-Bewegung" proklamiert worden
und angelaufen. Über die eigentlichen Hintergründe erfuhren
die betroffenen Volksgruppen ebensowenig wie das deutsche Gesamtvolk.
Nicht um die europäischen Grenzen neu ordnen zu können, sondern
aus rein macht- und volkspolitischen Erwägungen hatte Hitler am 6.
Oktober 1939 die Zurücknahme der deutschen "Außenposten"
angekündigt. Er und Himmler wollten vielmehr das biologische Defizit,
das auf den deutschen Volkskörper zukam, ausgleichen. Bevölkerungsstatistiker,
so vor allem der damalige Präsident des Bayerischen statistischen
Landesamtes, Prof. Dr. Friedrich Burgdörfer, hatten bereits in den
zwanziger Jahren exakt voraus berechnet, daß das deutsche Volk in
den siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts sichtbar abnehmen würde,
weil in der deutschen Bevölkerungspyramide die annähernd zwei
Millionen Gefallenen des ersten Weltkriegs sowie ihre ungeborenen Nachkommen
fehlen, die beiden mächtigsten Männer des Dritten Reiches kalkulierten
auch ein, daß der zweite Weltkrieg weitere schwere Opfer fordern
und das Defizit von 1914 bis 1918 beträchtlich erhöhen würde.
Andererseits stand auf dem Territorium der früheren Habsburger Monarchie
- einschließlich der Sudetendeutschen - ein wertvolles Menschenpotential
von rund 10 Millionen zur Verfügung. Die Sudetendeutschen waren 1940
bereits in den Reichsverband eingegliedert, die Balten-Deutschen ebenfalls
ins Reich eingeholt, es harrten also noch die Jugoslawien-, Ungarn- und
Rumänien-Deutschen, zusammen wiederum etwa 2,5 Millionen, der Umsiedlung
ins Reich. Im wesentlichen handelte es sich bei diesem Diaspora-Deutschtum
um die Nachkommenschaft von Siedlern, die in zeitlich weit auseinanderliegenden
Kolonisationsphasen in ihren Siedlungsgebieten angesetzt worden waren,
die Siebenbürger (1140 bis 1160) und die Donauschwaben in der südungarischen
Tiefebene während der Regierungszeit Maria Theresias (1740 bis
1780).
Daß es den Machthabern des Dritten Reichs wirklich auf die Hereinnahme
auch dieser südosteuropäischen Volksdeutschen zur Auffüllung
des biologischen Defizits ankam, läßt sich mühelos aus
ihrem Verhalten beziehungsweise der volkspolitischen Befehlslage in der
Umgebung Himmlers herausfiltern: Auf der einen Seite hieß es, man
wolle diese Deutschen nicht als Kulturdünger für andere Völker
verkommen lassen. Welch ein Widerspruch zum Machtbewußtsein in der
Reichskanzlei zu Berlin! Als ob das "Großdeutsche Reich",
das sich auf unabsehbare Zeit als die größte Militärmacht
Europas verstand, irgendeine andere Regierung hätte fragen müssen,
wenn es die Volksdeutschen in ihrem Lande hätte fördern wollen.
Und zum anderen: 1939/40 entstand im Stabshauptamt in der Hauptabteilung
"Menscheneinsatz" unter der Regie des SS-Obersturmbannführers
Dr. Fähndrich eine streng vertrauliche Sammlung aller bis dahin erlassenen
Befehle und Anordnungen zur "Festigung Deutschen Volkstums".
Der Herausgeber schrieb in der Einleitung unter anderem:
1. Die "außerhalb der Interessenssphäre des großdeutschen
Reiches" lebenden Deutschen seien "nach Maßgabe der Dringlichkeit
und Notwendigkeit" umzusiedeln. Sie würden dadurch "von
ihrer Rolle als Kulturdünger fremder Staaten" befreit.
2. Dieser Ruf des "Führers" bedeute eine "völlige
Revolutionierung der früheren deutschen Volkstumspolitik", denn
die bisherige "vielfach romantisch gefärbte Schwärmerei,
die sich an der Verstreutheit der Deutschen ... begeisterte", sei
nach dem Grundsatz umgeformt worden: "Hereinnahme des wertvollen
deutschen Blutes zur Stärkung des Reiches selbst."
3. Das "Gefühl der blutlichen Verbundenheit zum deutschen Gesamtvolk",
das die Volksdeutschen bewiesen hätten, sichere ihnen "zumindest
ein moralisches Anrecht auf eine gute Aufnahme im Reich . .. und auf die
Bereitstellung einer gesunden Existenzgrundlage".
4. Trotz des Verlustes der alten Heimat sei das Reich gegenüber dem
Volksdeutschen in "viel größerem Maße .. der gebende
Teil".
Dies verpflichte die "heimgekehrten Deutschen, sich in die Disziplin,
die Zucht und die Ordnung des Großdeutschen Reichs organisch einzufügen".
Dazu stellte Dr. Fähndrich zwei konkrete Forderungen auf:
"Mit der Hereinnahme einer Volksgruppe in das Reich hört die
frühere Volksgruppenorganisation auf zu bestehen, denn über
der Volksgruppe steht dasReich."
und
"Die Begriffe des Baltendeutschen, des Wolhynien- und Bessarabien-deutschen
usw. müssen vielmehr in kürzester Frist ausgetilgt sein."
Auch die Gottscheer sollten sehr schnell mit dem obigen Konzept des "Reichskommissars
für die Festigung Deutschen Volkstums" Bekanntschaft machen.
Wie wir aus dem oben zitierten Aktenvermerk des SS-Obergruppenführers
Lorenz wissen, trug sich Hitler spätestens schon in der ersten Hälfte
des Jahres 1940 mit dem Gedanken, Jugoslawien militärisch niederzuringen
und aufzuteilen. Der Belgrader Staatsstreich vom 27. März 1941, der
eine allgemeine Verheerung im Lande nach sich zog, erschien ihm als eine
günstige Gelegenheit zur Ausführung dieses Plans. Am 6. April
1941 rückten die deutschen Truppen in das Königreich Jugoslawien
ein und schalteten in wenigen Tagen seine nicht sehr schlagkräftige
Armee aus. Der deutsche Angriff war für sie völlig überraschend
gekommen. Auch für die Gottscheer! Was sie befürchtet hatten,
trat ein: Am 20. April 1941 wurden in Wien die Trümmer des Südslawenstaates
"neu geordnet". Mussolini hatte seinen Außenminister-Schwiegersohn,
Graf Galeazzo Ciano, zu der Konferenz entsandt. Die Italiener erhielten
Unterkrain mit der Region Laibach, das Reich behielt Oberkrain als neuen
Bestandteil des Gaues Kärnten, sowie die Untersteiermark, die dem
Gau Steiermark angegliedert und von Marburg an der Drau aus verwaltet
wurde. Den Kroaten wurde ein eigener Staat zugestanden und Altserbien
selbständig belassen.
Diktatoren - Faschist
Mussolini, Nationalsozialist Hitler. Unendliches
Leid für
das deutsche, das italienische und für viele andere Völker
der ganzen Welt waren die Konsequenzen aus dieser politischen Allianz
Die Zerschlagung Jugoslawiens war die Voraussetzung für die Eroberung
Rumäniens, womit er sich den Weg zur Schwarzmeerküste freischlug
und die Aufmarschbasis zu Lande gegen die Sowjetunion vervollständigte.
Die Eroberung Albaniens und Griechenlands war ein unübersehbares
Signal, daß Mussolini den italienischen Anspruch auf das "mare
nostrum" zu verwirklichen gedachte. Innerhalb dieses Zwischenspiels
der sogenannten großen Politik sieht plötzlich der Verzicht
Hitlers auf Südtirol ganz anders aus, erhält selbst das kleine
Gottscheerland für das deutsch-italienische Verhältnis ein neues
Gesicht: Der Diktator in Berlin opferte in seiner kontinentalen Schachpartie
zwei Bauern, um von dem Diktator in Rom bei dem großen Zug mit der
Dame nicht gestört zu werden. Als der Letztere aber merkte, daß
ihn sein Freund jenseits der Alpen überfahren hatte, war es zu spät.
Die Gottscheer aber mußten seit der Zerschlagung Jugoslawiens einen
Nervenkrieg ohnegleichen durchstehen. Sie waren tagelang überzeugt,
daß die deutsche Wehrmacht das "Ländchen" besetzen
würde. Die Dörfer, durch welche die Panzerkolonnen in die Stadt
fahren mußten, legten Girlandenschmuck an. Lampeters "Mannschaft"
handelte so, als ob die Wehrmacht ihre Tätigkeit als vernünftig
und zweckmäßig gutheißen würde. Die jungen Männer
übernahmen den Sicherheits- und Ordnungsdienst im Siedlungsgebiet.
Der noch amtierende Bezirkshauptmann wurde vom "Mannschaftsführer"
beauftragt, der Gendarmerie zu befehlen, daß sie ihre Waffen an
die "Stürme" abliefere. (Persönliche Mitteilung von
Richard Lackner). Außerdem erhielten die Gottscheer die ihnen vorher
abgenommenen Waffen, auch die Jagdgewehre, zurück. Am 13. April 1941
übernahm dann Willi Lampeter aus eigener Machtvollkommenheit die
Leitung der Bezirkshauptmannschaft Gottschee. Auf die bundesdeutsche Verwaltungsebene
übertragen, hieß das, er hatte sich selbst zum kommissarischen
Landrat ernannt. Sein Amtssitz war das Schloß Auersperg in der
Stadt Gottschee.
Die Hoffnung und Erwartung steigerten sich zu fieberhafter Unruhe,
als sich der Einmarsch der Wehrmacht immer weiter verzögerte. Eine Delegation
von Gottscheern eilte nach Rudolfswerth, wo die Truppen Hitlers angeblich
haltgemacht hatten. Der deutsche Abschnittskommandeur empfing sie freundlich,
erklärte aber, er besitze keinen Befehl, die erreichte Linie zu überschreiten.
Der Delegation wurde damit klar, daß sie an der Demarkationslinie
zwischen den deutschen und italienischen Interessengebieten stand.
Anstelle einer Vorausabteilung der deutschen Wehrmacht traf ausgerechnet
am 20. April 1941, dem Konferenztag von Wien, in Gottschee die Mitteilung
des "Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums"
ein, daß die "Volksgruppe Gottschee" umgesiedelt werde.
Drei Tage später bestätigte Adolf Hitler persönlich einer
Abordnung der Sprachinsel, daß er den Gottscheern eine "historische
Aufgabe als "Wehr- und Grenzbauern" stelle. Lampeter und sein
Kreis aber hielten die Mitteilung Himmlers über die Umsiedlung und
den Inhalt des Gesprächs mit Hitler vorläufig geheim. Und während
der "Führer" in Marburg an der Drau die Delegation aus
Gottschee empfing, rückte eine italienische Vorausabteilung in der
Stadt ein. Ihre erste Maßnahme war die Absetzung Willi Lampeters
als Bezirkshauptmann. Nur zehn Tage hatte er sein Amt ausgeübt. Der
Traum der kleinen Volksinsel im Karst von der Selbständigkeit war
zum dritten- und letztenmal ausgeträumt.
Adolf Hitler und der selbsternannte "Mannschaftsführer",
Marburg / Maribor, 23.04.1941.
Das Gottscheer Völkchen erstarrte vor Angst. Die Führung wurde
mit Fragen bestürmt. Sie wich mit ablenkenden Erklärungen aus.
Nichts verlautete weiter über Marburg, nichts über die eigenen
Ansichten, nicht einmal das, was sich jedermann nach dem Einmarsch der
Italiener ausrechnen konnte, nämlich die Umsiedlung, wurde bestätigt.
Wann? Wohin?
Die Jugend und politisch Einsichtige fanden sich mit dem voraussehbaren
Schicksal ab. Manche der Hausierer der Jahre 1934 bis 1938 dachten
an
Deutschland als Umsiedlungsziel, dachten an "ihre" Städte
- vielleicht ließen sie einen nach dem Krieg ein paar Winter
hausieren, damit man sich ein neues Zuhause aufbauen konnte?
Nun, nach mehreren Jahrzehnten, ist es leichter als unter dem Druck
der Ereignisse des Frühjahrs 1941 zu beurteilen, ob die Führung
der Gottscheer verantwortungsbewußt handelte oder nicht. Aus ihrer
eigenen Sicht tat sie dies, heutzutage aber ist man geneigt, zu sagen,
daß sich diese Frage überhaupt nicht stellt, denn sie hätte
gar nicht anders handeln können, als sie es tat. Eines freilich ist
sicher, sie vergriff sich im Ton. Dieser aber war zeitbedingt. Teile der
Bevölkerung hielten sich durch die jungen Leute für gegängelt.
Andererseits war der Führungskreis selbst ja noch nicht über
alle Details des Wann und Wohin unterrichtet. Unter diesen Umständen
kann man es bis zu einem gewissen Grade verstehen, daß die Führung
nervös wurde. Wenn sie auch keine großen Massen zu leiten hatte,
so war es, vor allem menschlich, gewiß keine leichte Aufgabe, die
Konkursverwalter eines jahrhundertealten Familienunternehmens sein zu
müssen, das ohne direktes, eigenes Verschulden von einem Großkonzern
in "Existenznot" gebracht wurde. Aber gerade weil die Führung
glaubte, schweigen zu sollen, wurden das Für und Wider der Umsiedlung
erst recht immer leidenschaftlicher erörtert. Als dann der Führung
bewußt wurde, daß das "Wider" zu überwiegen
begann, reagierte sie mit einem grellen Mißton: In der "Gottscheer
Zeitung" vom 1. Mai 1941 - es sind, wohlgemerkt, noch keine vier
Wochen seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens vergangen - griff sie "die
Miesmacher" mit außerordentlich gefährlich klingenden
Drohungen an. Doch nicht nur den eigenen Landsleuten, sondern auch der
italienischen Besatzung gegenüber glaubte der Führungskreis
die Selbständigkeit seiner Entschlüsse dokumentieren zu müssen.
Am 2. Mai 1941 erschien der Volksgruppenführer Josef Schober beim
italienischen Hohen Kommissar Emilio Grazioli in Laibach, überreichte
ihm eine Ergebenheitsadresse an Mussolini und trug die Wünsche und
Vorschläge der Gottscheer an die faschistische Zivilverwaltung der
Provinz Laibach vor. Signor Grazioli sagte zu, alle Fragen einvernehmlich
mit der Volksgruppe zu behandeln. Es sollte sich jedoch sehr bald zeigen,
daß der Hohe Kommissar nicht im entferntesten daran dachte, die
Volksgruppenführung nach ihrer Meinung zu fragen oder sich vielleicht
sogar nach dieser zu richten. Das galt insbesondere für die italienische
Auffassung von den Slowenen.
In dem Bestreben, nach allen Seiten unabhängig zu erscheinen, gab
sich das Führungsgremium Schober - Lampeter - Sturm auch in Berlin
betont selbstbewußt. Das Stabshauptamt hatte es für Mitte Mai
zu einer Besprechung "eingeladen". Man wollte in der Reichshauptstadt
wissen, ob sich die Volksgruppenführung personell und organisatorisch
der Umsiedlungsaufgabe gewachsen fühle. Durch Vorlegen der "Gottscheer
Zeitung" vom 8. Mai 1941 - das Blatt erschien zum damaligen Zeitpunkt
einmal wöchentlich - bewies sie, daß ein eigener Führungsstab
aus eigener Initiative bereits aufgestellt war. Und dort hieß es:
"Der Volksgruppenführer hat angeordnet, folgende Ämter
zu bilden:
A |
Volksgruppenführung,
Amtsleiter der Volksgruppenführer (Josef Schober),
|
B |
Der
Stab der Mannschaft, Amtsleiter der Mannschaftsführer Willi
Lampeter, zugeteilt für die Wirtschaft der Stabsführer
Martin Sturm, für das Ernährungswesen Johann Schemitsch.
|
C |
Jugendführung,
Amtsleiter der Jugendführer Richard Lackner,
|
D |
Dienststelle
für Organisation und Propaganda, Amtsleiter der Stabsführer
Altred Busbach, zugeteilt der Schriftleiter Herbert Erker." |
Von der Umsiedlung ist allerdings in dieser Anordnung des Volksgruppenführers
noch keine Rede. Aus der Sicht des Dreier-Gremiums war die Berliner Reise
ein voller Erfolg, hatte doch das "Stabshauptamt" seinen Vorschlag,
die Umsiedlung möglichst bald durchzuführen, und die Gottscheer
wieder geschlossen anzusiedeln, gutgeheißen. Keine Bedenken bestanden
außerdem gegen die Absicht, die Umsiedlungswilligen nach Mischehen
mit Slowenen und Besitzlosen bzw. Bauernunfähigen und Kleinstbesitzern
(später auch nach "politisch Unzuverlässigen") einzuteilen
und bei der Ansiedlung anders zu behandeln als das große Ganze.
Greifelt war auch damit einverstanden, daß die Volksgruppenführung
die Umsiedlung allein durchführte. Die Volksgruppenleitung durfte
sich somit legitimiert fühlen, den Auszug der Gottscheer nach ihrem
Ermessen vorzubereiten und in die Wege zu leiten. Das tat sie denn auch.
Und jetzt erst, da sie in ihren Augen die ganze Handlungsfreiheit besaß,
bestätigte sie in vollem Umfang das über die Gottscheer hereingebrochene
Unglück. In der Ausgabe Nr. 21 der "Gottscheer Zeitung" vom
22. Juni 1941 erschien der folgende, von Schober und Lampeter unterzeichnete
Aufruf an alle Gottscheer:
"Gottscheer Volksgenossen und Volksgenossinnen! Der Führer ruft
uns heim ins Reich Erwartet in eiserner Disziplin seinen Befehl! Zeigt
durch Arbeit und Fleiß noch in letzter Stunde, daß Ihr würdig
seid. Deutsche Adolf Hitlers zu sein! Die Arbeit des Jahres 1941 in der
alten Heimat soll aller Welt beweisen, daß wir, wie durch 600 Jahre,
auch im letzten Jahr unserer Volksdeutschen Prüfungszeit den Karst
bewohnen und ihm unser karges Brot abringen konnten.
Bietet unserem italienischen Bundesgenossen ein einmaliges Bild deutscher
Manneszucht als Ausdruck unserer unerschütterlichen Treue zur
ehernen Politik der Achse!"
Wenn noch eine Steigerung der Gefühle möglich war, so trat sie
nun, da die Umsiedlung nicht mehr aufzuhalten war, ein: Bestürzung
und Verzweiflung, Verbitterung und Enttäuschung gingen durch die
Gemüter der älteren Gottscheer. Begreiflicherweise wagten nur
wenige, ihren wirklichen Empfindungen offen Ausdruck zu geben. Nun lauerte
die Gewißheit vor der Haustüre, daß hinter dem Vorhang
aus flammenden Worten der Abschied ohne Wiederkehr stand.
Während die junge Generation überwiegend die Umsiedlung als
einen Hilter-Befehl, der auszuführen war, widerspruchslos hinnahm,
verfestigte sich der Widerstandswille eines Teils der älteren Jahrgänge
im Laufe des Sommers 1941 bis zur offenen Ablehnung. Auch der Klerus -
es amtierten nur noch sechs Geistliche - war sich nicht einig. Die Geistlichen
Räte Josef Eppich in Mitterdorf und August Schauer in
Nesseltal und ihre Amtskollegen Josef Kraker in Rieg und Josef Gliebe
in Göttenitz standen gegen die Umsiedlung. Heinrich Wittine in Morobitz
trat dafür ein und Alois Krisch in Altlag wollte sich für das
Gehen oder Bleiben erst entscheiden, wenn seine Gemeinde sich entschieden
hatte. Zum Wortführer der offenen Opposition im Hinterland machte
sich Pfarrer Kraker.
Immer noch wußte die Bevölkerung des "Ländchens"
nicht, wohin man sie umsiedeln wollte. Obwohl sie damit jeglicher Spekulation
Tür und Tor offen ließ, sah die Volksgruppenführung davon
ab, das neue Siedlungsgebiet näher zu bezeichnen. Hingegen ging sie
mit aller Intensität daran, die personellen Voraussetzungen für
eine geordnete Umsiedlung zu schaffen. Als organisatorisches Gerüst
bot sich die "Mannschaft" an. Um ihre Belastbarkeit zu überprüfen
bzw. notfalls zu stärken, faßte Lampeter die 25 Sturmführer
zu einem Schulungslager zusammen. Das "Stabshauptamt" sah indessen,
nachdem die Würfel gefallen waren, die politische Betätigung
der Gottscheer nicht gerne. Es kannte die Empfindlichkeit der Italiener
in diesen Dingen von Südtirol her. Daher strich es den Posten "Schulung
und Propaganda" in dem eingereichten Etat der Volksgruppenführung
auf ein Viertel zusammen. Das hinderte jedoch den tatsächlichen Volksgruppenführer,
Willi Lampeter, nicht, das Lager durchzuführen. Dabei machte er unter
anderem den Teilnehmern klar, daß die Umsiedlungsgegner spätestens
bis zu dem Augenblick, da der einzelne Gottscheer und die einzelne Gottscheerin
vor der endgültigen Entscheidung über Bleiben oder Gehen stand,
mundtot gemacht sein mußten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde
jedes Mittel gutgeheißen, auch psychologischer Druck. Insbesondere
war es nach Lampeters Meinung unerläßlich, die Gottscheer aus
den bisherigen geistigen und seelischen Bindungen zu lösen. Dazu
zählte vor allem das vielfach verflochtene Band der Zusammengehörigkeit
mit den Amerika-Gottscheern, die daraus entstandene Abhängigkeit
vom Dollar, die Sendung von modisch abgestempelter Kleidung, die nicht
nach Gottschee paßte, das Auftrumpfen mit Photos über die Lebensverhältnisse
in den USA - alles an sich keine aktuellen Einflüsse von Bedeutung.
Wesentlich schwerer wog ein anderer, erst nachträglich begreifbarer
Vorstoß in den unterschwelligen seelischen Bereich des Gottscheers:
Allem Gerede, auch prominenter Autoren, über die "negative Auslese"
der Gottscheer infolge der Massenauswanderung zum Trotz, hing der Rest
des Völkchens im Karst an seiner Heimat. So gesehen war es eine positive
Auslese. Und diese seelische Bindung an Heimat und Tradition sollte nun
durch ein fanatisches Bekenntnis zum Reich verdrängt werden. Lampeter
eröffnete in der Ausgabe Nr. 25 der "Gottscheer Zeitung"
vom 17. Juli 1941 dazu eine Propagandawelle und stellte zunächst
fest, von verschiedenen Seiten werde "Stimmung gegen die Umsiedlung"
gemacht. Dabei werde eine übergroße Heimatliebe vorgetäuscht.
Noch weiter geht das Blatt an einer anderen Stelle: "Das Entscheidende,
das die Gottscheer sechs Jahrhunderte deutsch bleiben ließ, war
nicht eine nun plötzlich aufgegangene Liebe zur Heimat, die ja nie
eigentlich Heimat war, sondern eben das Bewußtsein, Vorposten zu
sein, das Bewußtsein, verantwortlich zu sein für etwas ganz
Großes, Einmaliges, für das lebendige Deutschtum auf Erden,
das Reich."
Das war die völlige Umkehrung des Heimatgedankens. Heimatliebe und
Heimatbewußtsein hatte es also bei den Gottscheern in allen 600
Jahren ihrer Geschichte nie
gegeben. Sie waren "Vorposten", aber nicht sprachlich im Sinne
von Professor Kranzmayer, sondern politisch. Daß die Rolle, die
man dem Gottscheerland auf diese
Weise zudiktierte, mit den geschichtlichen Tatsachen nicht in Einklang
zu bringen war, wurde wunschgemäß übersehen. Nicht "Das
Reich" hat im 14. Jahrhundert die spätere Sprachinsel Gottschee
gegründet, sondern das Kärntner Grafengeschlecht von Ortenburg
als wirtschaftlich zweckbestimmtes Siedlungsunternehmen. Die Stelle,
"... das Bewußtsein, Vorposten zu sein", ist sehr schnell
ihres propagandistischen Aufputzes entkleidet, wenn man ihr nüchtern
die unbestreitbare Tatsache entgegenhält, daß die Gottscheer
nicht einmal die Erinnerung an das Herkunftsgebiet ihrer Ahnen bewahrt
hatten. Sie wurde erst im 19. Jahrhundert neu erweckt. Den Verfassern
des bewußten Artikels ist auch nicht der Widespruch in sich im Zusammenhang
mit dem "Vorposten-Bewußtsein" aufgegangen: Hätte
es ein solches tatsächlich gegeben, dann hätte es erst recht
der Heimatliebe, der Bodenverbundenheit und des Gottvertrauens bedurft,
um unter den schwierigen Lebensbedingungen so lange auszuharren, denn
600 Jahre sind immerhin fast ein Drittel des Zeitraumes, der seit Christi
Geburt verstrichen ist.
Bis hierher kann man noch den Eindruck haben, daß die Propagandisten
aus eigenem Antrieb gegen die Heimatliebe anstürmten, und man möchte
ihnen beinahe zugestehen, daß sie dies taten, um ihren Landsleuten
den Abschied zu erleichtern. Aber so weit dachten sie wohl kaum. Erinnern
wir uns vielmehr an die Dokumentation "Der Menscheneinsatz"
des SS-Obersturmbannführers Dr. Fähndrich im "Stabshauptamt"
zu Berlin und des Besuchs der Volksgruppenführung Schober-Lampeter-Sturm
in dieser Führungsstelle des "Reichskommissars für die
Festigung deutschen Volkstums" Mitte Mai 1941. Ohne jeden Zweifel
empfingen sie damals die geheime Anweisung, im geeigneten Augenblick mit
der Sentimentalität des Heimatgedankens und der Bodenverwurzelung
aufzuräumen. Die drei Männer befanden sich, soll man ihre völlige
Abwendung vom "Aufbau-Plan" Volker Dicks begreifen, in einer
Art
Befehlsnotstand. Mit der Zerstörung des Heimatgefühls sollte
auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Gottscheer untereinander
zerfallen, womit auch die Zusage des Stabshauptamtes, daß die Gottscheer
wieder geschlossen angesiedelt würden, automatisch entfiel.
Die gequälten Bewohner des "Ländchens" hörten
in Versammlungen und lasen in ihrer Zeitung nur noch Variationen über
das Thema "Ein Volk, ein Reich, ein Führer!"
Irgendwann im Sommer 1941 wurde Willi Lampeter zum SS-Sturmbannführer
ernannt.
Wilhelm Lampeter - Gottscheer Volksgruppen-
u. SS-Sturmbannführer, 21.12.1941
Die Gottscheerinnen waren, obwohl sie sich lebhaft an der Kulturarbeit
beteiligten, letzten Endes doch wieder dazu verurteilt, das zu tun, was
die Männer über ihr und ihrer Kinder Schicksal beschlossen hatten.
Mehr noch als die Männer bedrückte sie die Ungewißheit,
wohin die Umsiedlung gehen sollte. Darüber herrschte Anfang Juli
1941 noch Unklarheit. Aber selbst, wenn sich die Volksgruppenführung
entschlossen hätte, das Siedlungsgebiet bekanntzugeben, hätte
sie nicht verhindern können, daß die Erläuterung dazu
von einer anderen Seite kam. In der ersten Juli-Hälfte tauchte in
der Sprachinsel ein deutsch abgefaßtes Flugblatt der kommunistischen
Partei Jugoslawiens auf. Sein wesentlicher Inhalt: "Die
nationalsozialistischen Führer und ihre Gottscheer Führerlein
wollen ... Euch auf der Erde und auf den Höfen ansiedeln, die die
nationalsozialistischen Führer dem slowenischen Bauer und Arbeiter
gestohlen und sie ohne Hab und Gut in die Fremde verjagt haben. Die ganze
Umsiedlung ist ein Verbrechen gegen das Gottscheer Volk! Mit Recht werden
Euch die Einheimischen als aufgedrängte Hergewanderte betrachten,
als die Verbündeten der faschistischen Räuber, als Diebe des
fremden Bodens und der Früchte fremder Arbeit. Sie werden Euch die
Häuser, in denen Ihr Euch ansiedeln werdet, anzünden, auf jeden
Schritt werden Sie Euch erschlagen und stets werden sie Euch verfolgen
.. ."
|
|
|
|
|
06.04.1941,
Personal für
die Absiedlung/ Deportation
Text
|
12.04.1941
Umsiedlungsstab
Untersteiermark
|
23.06.1941,
Beschlagnahme
v. slowenischen Eigentum
Text
|
1.07.-27.09.1941
Transportzüge
Nr. 1 - 33
|
03.10.1943, Abschlußbericht
der EWZ über
die
Absiedlung/Deportation der Slowenen,
|
Ein neuer Höhepunkt der Panik war die Folge dieser unerbetenen "Information".
Die Volksgruppenführung hatte dem propagandistischen Frontalangriff
der slowenischen Untergrundkämpfer keine durchschlagenden Argumente
entgegenzusetzen. Sie mußte sich notgedrungen auf starke Worte beschränken,
die der verstörten Bevölkerung nicht darüber hinweghalfen,
daß sie das Reich in einer Gegend anzusiedeln gedachte, aus der
man Slowenen vertrieben hatte.
Zwei Gottscheer Persönlichkeiten traten in der verworrenen Zeitspanne
bis zum immer noch unbekannten Umsiedlungstermin in den Vordergrund, Oberlehrer
i. R. Josef Perz in Lienfeld bei Gottschee und Studienrat Peter Jonke
in Klagenfurt. In einer Reihe mit den geistlichen Gegnern der Umsiedlung
stehend, riet Perz seiner Umgebung, zu bleiben. Er selbst konnte sich
ebenfalls nicht zum Fortgehen entschließen, weil er glaubte, auch
die letzte Konsequenz aus seinem, dem Gottscheer Volkstum geweihten Leben
ziehen zu müssen. Er war ein Mann, auf den das Volk hörte. Sein
Wirken für die Sprachinsel hatte 1885 an der eben gegründeten
Volksschule in Lichtenbach begonnen. Er wurde Mitarbeiter von Professor
Hauffen, Wilhelm Tschinkel war sein Freund. Jahrzehnte seines Lebens widmete
er dem Volkslied, den Sagen und Märchen und dem Brauchtum. Wie Tschinkel
stand er 1920 vor der Entscheidung, für Österreich zu optieren
oder sich vorzeitig pensionieren zu lassen. Damals blieb er. Wilhelm
Tschinkel
aber war noch zu jung, um seinen Beruf aufzugeben.
Peter Jonke aus Obermösel war der letzte gebürtige Gottscheer
Lehrer am Gymnasium in der Stadt. Er wurde fristlos entlassen, optierte
für die Republik Österreich und übersiedelte nach Klagenfurt.
Dort fand er an einem Gymnasium eine neue Lehrstelle, so daß er
für seine Familie und sich selbst ein neues Zuhause aufbauen konnte.
In seinem privaten Denken und Fühlen aber blieb Gottschee im Mittelpunkt.
In zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen warb er für und
um sein Heimatland. Er hat in schwierige historische Fragen hineingeleuchtet,
altes Brauchtum ausgegraben und nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich
am Zusammenschluß der Gottscheer in Kärnten mitgewirkt. Auch
Peter Jonke setzte sich für das Bleiben seiner Landsleute in der
alten Heimat ein, aber er sah in der Sprachinsel mehr einen kulturellen
als einen politischen Faktor.
Im Juli 1941 wurde der Umsiedlungsvertrag zwischen dem Deutschen Reich
und Italien ausgehandelt. Er trug die Überschrift: "Vereinbarungen
zwischen der deutschen Reichsregierung und der italienischen Regierung
vom 31. August 1941 über die Umsiedlung der deutschen Staatsangehörigen
und Volksdeutschen aus der Provinz Laibach." Den Gottscheern kam
er erst nach dem Zweiten Weltkrieg durch ein Londoner Archiv zur Kenntnis.
Leiter der deutschen Verhandlungsdelegation war nicht etwa ein Diplomat,
sondern der inzwischen zum SS-Obergruppenführer beförderte Chef
des "Stabshauptamtes", Ulrich Greifelt. Die Vereinbarungen sahen
unter anderem vor, die Umsiedler für das zurückgelassene Vermögen
zu entschädigen.
Zur organisatorischen Spitze der Umsiedlung aus der Provinz Laibach ernannte
Himmler einen "deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten" (DUB)
mit dem Sitz in Laibach. Er hieß Dr. Heinrich Wollert. Die italienische
Dienststelle leitete derselbe "Hohe Kommissar" Emili Grazioli,
den wir bereits erwähnten.
Trotz der strengen Geheimhaltung sickerte schließlich gerüchteweise
durch, wo das neue Siedlungsgebiet liegen sollte. Daß es sich
um eine slowenisch besiedelte Landschaft handeln würde, war dem
kommunistischen Flugblatt zu entnehmen gewesen. Die Gerüchte verdichteten
sich um das "Ranner Dreieck", das diesem und jenem Gottscheer
persönlich
bekannt war. Für einen tüchtigen Marschierer lag es eine Tagesreise
in nordöstlicher Richtung vom Gottscheerland entfernt, 35 bis 40
km, im südöstlichen Zipfel der Untersteiermark. Es erstreckte
sich zwischen dem Bergzug Orlica und den kroatischen Uskokenteilen.
Klimatisch
liegt es so günstig, daß Wein angebaut wird. Dr. Wollert
schilderte das Gebiet aus einem noch zu behandelnden Anlaß in der
Ausgabe Nr. 47 der "Gottscheer Zeitung" vom 17. November 1941
folgendermaßen:
|
|
|
Das
ethnisch bereinigte
Umsiedlungsgebiet
"Ranner
Dreieck" |
Absiedlung
/ Deportation der Slowenen aus ihrer Heimat, 1941 |
"Wie sieht das neue Ansiedlungsgebiet der Gottscheer Volksgruppe
aus?"
Durch Befehl des Reichsführers SS ... ist auf Vorschlag des Gauleiters
... der Steiermark das sogenannte Ranner Dreieck, ein Streifen an der
unteren Save, der Gurk und des Sattelbachs, für die Ansiedlung bestimmt
worden. Es ist ein zusammenhängendes, in sich geschlossenes Siedlungsgebiet,
das durch ein fruchtbares Flußtal gebildet wird. Berge und Hügel,
auf denen der Weinbau betrieben wird, umgeben dieses Gebiet und schützen
es vor kalten Witterungseinflüssen".
"Der Mittelpunkt dieses Gebiets ist die Stadt Rann (Brezice)..."
Die Gegner der Umsiedlung verbreiteten warnend die beklemmende Nachricht,
die Gottscheer würden also ein neues Siedlungsgebiet erhalten, aus
dem man die Slowenen mit Gewalt vertrieben hatte. Aber auch jene Gottscheer,
die sich innerlich bereits mit dem Abschied von der alten Heimat abgefunden
hatten, litten unter einem Alptraum bei der Vorstellung, daß sie
auf die Höfe ziehen sollten, die man anderen weggenommen hatte.
Daß es nun ernst wurde, bemerkten die Bewohner des "Ländchens"
an den Vorbereitungen zur Einrichtung von Umsiedlungsdienststellen in
der Stadt. Nun konnten sie sich auch ausrechnen, daß es nicht mehr
lange dauern konnte, bis sie den Marsch in die Ungewisse Zukunft anzutreten
hatten. Der DUB ging an den Aufbau seiner Nebenstelle, ebenso die DUT
(Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft), die mit der Erfassung und
Übernahme des Umsiedlungsvermögens beauftragt war. In Marburg
an der Drau entstand eine Dienststelle des Gauleiters der Steiermark in
seiner Eigenschaft als Gaubeauftragter des Reichskommissars. Sie hatte
den Auftrag, die Slowenen aus dem Ranner-Dreieck auszusiedeln und die
Gottscheer - auch andere Volksdeutsche - in ihre Besitze einzuweisen.
Im einzelnen geschah dies durch Angestellte der DAG (Deutsche Ansiedlungs-Gesellschaft),
die in die Marburger Dienststelle des Gauleiters eingebaut war. In Gottschee-Stadt
fuhr eines Tages der "Sonderzug Heinrich" der EWZ (Einwanderungs-Zentrale)
ein, eine ausgeklügelte fahrbare Dienststelle zur "Durchschleusung"
der Umsiedler und Erfassung nach den verschiedensten Gesichtspunkten.
Der Sonderzug mit dem sinnigen Namen "Hein-rich" tauchte überall
da auf, wo Volksdeutsche ihre Heimat räumten.
Indessen traten bedeutende Schwierigkeiten bei der Aussiedlung der Slowenen
aus dem Ranner-Dreieck auf. Die diesbezüglichen Besprechungen hatten
bereits im Mai 1941 begonnen. Die Aussiedlung sollte in drei Wellen vor
sich gehen. Die beiden ersten hatten mit der Ansiedlung der Gottscheer
nichts zu tun. - Der eben erst gegründete kroatische Staat hatte
sich der deutschen Reichsregierung gegenüber bereit erklärt,
die ausgesiedelten Slowenen zu übernehmen, unter der Bedingung, daß
die kroatische Regierung jene Serben, die sich nach dem Ersten Weltkrieg
in Kroatien angesiedelt hatten, nach Restserbien ausweist. Am 18. Mai
1941 gab Hitler seine Zustimmung zu diesem Plan. Er konnte jedoch nicht
in Angriff genommen werden, weil die Partisanen in der italienisch besetzten
Provinz Laibach, in der Untersteiermark und in Kroatien ihre Kampftätigkeit
aufnahmen. Darauf war man auf deutscher Seite nicht gefaßt. Himmler
stoppte sofort die Slowenenaussiedlung. Die Kroaten aber zogen ihr Angebot
zu deren Übernahme zurück. Der steirische Gauleiter Uiberreither
ließ andererseits erkennen, daß er nicht nur gegen die Aussiedlung
der Slowenen, sondern auch gegen die Ansiedlung der Gottscheer auf ihrem
Territorium sei, ohne freilich eine andere, gerechtere Lösung anbieten
zu können. Das "Stabshauptamt" überspielte ihn mit
dem Vorschlag, die auszusiedelnden Slowenen in das Altreich zu verbringen.
Damit war das außenpolitische Problem gelöst und man behielt
das Heft in der Hand.
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Gauleiter
Siegfried
Uiberreither |
Am 10. Oktober 1941 - einundzwanzig Jahre zuvor hatte die Volksabstimmung
in Kärnten stattgefunden - beendete Heinrich Himmler ein endloses
Hin und Her zwischen dem "Stabshauptamt" und der Gauleitung
in Graz mit dem kategorischen Befehl, die Gottscheer seien unverzüglich
umzusiedeln.
Den Bewohnern des Gottscheerlandes blieb nichts erspart. Gauleiter
Uiberreither hatte während des Gerangels mit dem "Stabshauptamt" die
Aussiedlung der Slowenen absichtlich verzögert. Wohin nun mit den
Gottscheern? Der Befehl Himmlers war nicht einfach wegzuwischen. Die Lage
am 10. Oktober: Es stand nicht annähernd genug Platz zur Verfügung,
um die Gottscheer von Hof zu Hof umzusiedeln. Der Winter stand vor der
Tür. Die Zeitnot schien jedes geordnete Umsiedeln unmöglich
zu machen. Trotz der zu erwartenden menschlichen und organisatorischen
Schwierigkeiten setzte das "Stabshauptamt" die Räumung
des "Ländchens" in Gang und beschleunigte gleichzeitig
die Aussiedlung der Slowenen. Mit der Koordinierung beider Wanderungsbewegungen
beauftragte Stabshauptamt-Chef Ulrich Greifelt den SS-Oberführer
Hintze. Ab 8. November 1941 hieß der Hintzsche Auftrag allerdings
"Gleichschaltung".
Der letzte Hoffnungsschimmer versank. Als Optionsfrist der Gottscheer
für das Deutsche Reich wurde die Zeit vom 20. Oktober bis zum 20.
November 1941 festgesetzt. Keiner konnte sich der Entscheidung, zu bleiben
oder zu gehen, entziehen. Die Auseinandersetzungen der Gottscheer untereinander
wurden mit ähnlicher Verbissenheit wie im Jahre 1907 geführt.
Diesmal galt es aber nicht, einen Abgeordneten zu wählen, und dann
blieb alles wie es war. Der jetzt zu treffende Entschluß war auch
nicht vergleichbar mit jenem zur Auswanderung nach Österreich oder
in die USA. Der Auswanderer früherer Zeiten entschied sich frei und
nur für sich selbst. Er konnte auch bleiben, wenn er die Existenzsorgen
auf sich nahm. So lange Gottscheer bis zu diesem Zeitpunkt ihre Heimat
verlassen hatten, blieb diese bestehen.
Nun entscheide dich, Gottscheer! Wie du dich auch entscheidest, immer
bist du gegen dein "Lantle"!
Um auch den letzten Landsmann in seiner Gewissensnot zu bezwingen,
griff die Volksgruppenführung zu dem wirksamsten Mittel politischer Propaganda
neueren Stils, dem Massenaufmarsch. Unter dem Titel "Der letzte Appell!"
marschierten am 19. Oktober 1941 rund 900 Mannschaftsangehörige und
mehr als 1000 Jungen und Mädel vor der Volksgruppenführung und
dem deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten, Dr. Heinrich Wollert,
auf, ein in der Sprachinsel noch nie gesehenes Bild - eine andere, makabere
Sechshundertjahr-Schlußfeier.
Mit schicksalhafter Pünktlichkeit begann am 20. Oktober 1941 die
Option der Gottscheer für Deutschland.
Das Stabshauptamt erhielt noch vor dem Beginn der "Durchschleusung"
Meldung über Unstimmigkeiten in der Volksgruppe. Es forderte beim
DUB in Laibach einen Tatsachenbericht an. Insbesondere ging es um die
Person Dr. Arkos. Die Volksgruppenführung hatte offenbar nach Berlin
mitgeteilt, er betätige sich als Gegner der Umsiedlung und gedenke
seinerseits nicht umzusiedeln. Von anderer Seite war das Gegenteil zu
hören, Dr. Arko gemahne nicht wenige seiner Landsleute an ihre Pflicht
gegenüber Deutschland. Der jungen Volksgruppenführung warf er
allerdings in einer Denkschrift an den Chef des EWZ-Sonderzuges im November
1941 vor, sie habe die Propaganda für die Umsiedlung zu wenig "seelisch"
betrieben. Gemeint hatte er damit wohl die harte, allzu harte Sprache,
mit der sie ihren Landsleuten die alte Heimat verleiden wollte. Mit dem
Ausdruck "zu wenig seelisch" wollte der verbitterte Volkstumspolitiker
offensichtlich den Mangel an Behutsamkeit des Herzens anprangern. Dr.
Hans Arko ist übrigens umgesiedelt, ließ sich in Rann/Sawe
und nach der Vertreibung in Völkermarkt als Rechtsanwalt nieder
und starb 1953 in Klagenfurt.
Die Option schien klaglos abzulaufen. Geduldig, doch nicht ohne eine
gewisse Neugier, ließen die Optanten die bürokratische Prozedur der
"Durchschleusung" über sich ergehen. Außer den ehemaligen
Hausierern der Winter von 1934 bis 1938 hatte ja kaum jemand aus der bäuerlichen
Bevölkerung vor einer deutschen Behörde gestanden. Das sehr
präzise, aber freundliche Fragen der Beamten und Beamtinnen war
ihnen nicht unangenehm. Das schien ihnen gut deutsch zu sein.
Voraussetzung für alles weitere war der Optionsantrag. Der "Sturmführer"
hatte das leere Antragsformular ins Haus gebracht, ausgefüllt wieder
abgeholt, vom italienischen Bürgermeister bestätigen lassen,
dann dem Gebietsbevollmächtigten des DUB übergeben. Die gemeinsam
mit der DUT erstellten Listen der Optionswilligen wurden anschließend
an den EWZ-Sonderzug weitergereicht. Das Personal des Sonderzuges begab
sich übrigens zweimal in abgelegene Gegenden, um bei der schlechten
Witterung den Umsiedlungswilligen den Weg in die Stadt zu ersparen.
Die Antragsteller wurden nach ihren persönlichen Daten, dem Wohnort,
der Gemeinde, der Bezirkshauptmannschaft, ja sogar nach ihrer persönlichen
Einstellung zur Volksgruppe befragt. Anschließend wurden sie photographiert,
ärztlich untersucht, geröntgt, "rassisch" beurteilt,
zugelassen und in das Deutsche Reich eingebürgert. Die Einbürgerungsurkunde
könne allerdings, so hieß es, erst im "neuen Siedlungsgebiet"
ausgehändigt werden. Auf diese Weise sollte verhindert werden, daß
sich einzelne Eingebürgerte mit diesem Dokument in der Hand einfach
ins Reich absetzten.
Anschließend wurde für den Ansiedlungsstab in Marburg a. d.
Drau eine ausführliche Arbeitsunterlage erstellt. Sie diente der
Einsatzplanung in der Untersteiermark hinsichtlich Beruf und Besitz des
Umsiedlers, der eine Transportnummer zugewiesen erhielt, um die Stürme,
Ortschaften und Herde auseinanderhalten zu können. Der Umsiedler
hatte außerdem eine "Vermögenserklärung" abzugeben.
Kommissionen überprüften an Ort und Stelle den Stand und taxierten
den Wert des einzelnen Besitztums. Unter den zahlreichen Papieren, die
den Gottscheer aus seinem "Ländchen" hinausbegleiteten,
befanden sich zwei von geradezu erregender Gleichnishaftigkeit: der Umsiedlerausweis
und eine Erklärung, daß er all seinen Besitz - Haus, Hof, Grund
und Boden und Wald - an die "Deutsche Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft"
übergeben habe.
Natürlich war der Umsiedlerausweis eine administrative Notwendigkeit,
denn sein Inhaber stand ja im staatsbürgerrechtlichen Niemandsland.
Die österreichisch-ungarische Staatsbürgerschaft hatte er verloren
oder nicht erlebt, die italienische gab man ihm nicht, die jugoslawische
besaß er nicht mehr und die deutsche war ihm lediglich versprochen,
nachweisen konnte er sie im Ernstfall noch nicht. Bis er sie endgültig
erhielt, durchlitt er die schier endlose seelische Not über den
Verlust jenes Fleckchens Erde, worauf der Mensch ohne Ausweis gestellt
wird, der
Heimat.
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Transport-Karte
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EWZ-Karte
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Deutsches
Reich -
Umsiedlerausweis
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Gewiß wurde im deutsch-italienischen Umsiedlungsvertrag den Gottscheern
zugesichert, daß sie für die zurückgelassenen Vermögenswerte
entschädigt würden und sie glaubten daran, wenn sie ihre Vermögenserklärungen
ablieferten. Ebenso gewiß darf man ihnen jedoch keinen Vorwurf machen,
daß sie bei diesem Vorgang nicht an historische Zusammenhänge
dachten, etwa zwischen dem Handschlag, mit dem ihre Ahnen Urwaldboden
aus der Hand ihres Grundherrn übernahmen und dem Handschlag, mit
dem der Beamte des deutschen Reiches den schriftlichen Verzicht auf die
Heimat entgegennahm. - Wir Menschen des 20. Jahrhunderts denken kaum noch
in Symbolen und Sinnbildern. Das entbindet jedoch den Historiker nicht,
solche aufzuzeigen, wenn bei Völkern oder Stämmen und gewachsenen
menschlichen Gemeinschaften sich ihr Ende ankündigt. Hier ist ein
solches Ende. Mit jeder Unterschrift eines Gottscheer Bauern versank ein
winziger Teil des Gottscheerlandes für immer in der Geschichte, wurde
eine Tür, zu der es weder Schlüssel noch Klinke gab, zugeschlagen.
Im Sonderzug "Heinrich" funktionierte die "Durchschleusung"
also klaglos, nicht jedoch draußen in den Dörfern. Dr. Günther
Stier, der zuständige Abteilungsleiter im "Stabshauptamt",
ahnte, daß die Option nicht wie vorgesehen verlief, obwohl ihn ein
Zwischenbericht Lampeters hätte beruhigen können. Erst wenige
Tage vor dem Ende der Optionsfrist berichtete ihm die EWZ das bis dahin
vorliegende, katastrophale Ergebnis: Namentlich in der östlichen
und westlichen Randzone hatte sich die Gegenpropaganda ausgewirkt. Sie
ging vor allem von den Gottscheerinnen und Gottscheern aus, die mit Slowenen
verheiratet waren und lief darauf hinaus, den Umsiedlungswilligen Angst
um ihr Leben, wie um ihr Hab und Gut einzujagen. Bis zu 25% der Optionsberechtigten
waren nicht vor der EWZ erschienen. Ähnlich enttäuschende Prozentzahlen
mußten jedoch auch in den zentraler gelegenen "Stürmen" verzeichnet
werden. In Rieg und Umgebung (Pfarrer Josef Kraker) und Mitterdorf (Pfarrer
Josef Eppich) waren ebenfalls ein Viertel der Bevölkerung nicht zur
Registrierung erschienen. Selbst der Sturm Nesseltal wies noch ein Minus
von 12% auf obwohl Pfarrer August Schauer bereits am 1. Juli 1941 gestorben
war. Daß in Lienfeld die Verweigerung der Option ebenfalls bei 20%
lag, war zweifelsfrei auf die Einstellung des Oberlehrers i. R. Josef
Perz zur Umsiedlung zurückzuführen. Da aber die "Stürme"
Gottschee/Stadt, Mitterdorf, Rieg und Nesseltal die volkreichsten des
gesamten Siedlungsgebiets waren, handelte es sich bei den Unentschlossenen
um mehr als ein Viertel der Bevölkerung des Siedlungsgebiets.
In Berlin rechnete man sich die Folgen aus, wenn es nicht gelang,
im Verlauf der verbliebenen Tage der Optionsfrist eine Korrektur
nahe an 100% herbeizuführen.
Sonst geriet die Reichsregierung in Vertragsverzug gegenüber den
Italienern. Der Feindpropaganda aber lieferte man das nur schlecht widerlegbare
Argument, daß das Reich trotz aller Wehrmachtssiege die Anziehungskraft
für die Volksdeutschen eingebüßt habe.
Etwa zum gleichen Zeitpunkt, als dem "Stabshauptamt", dem DUB
und der Volksgruppenführung der Ernst der Lage bewußt geworden
war, verließ am 14. November 1941 der erste Umsiedlertransport
den Bahnhof in Gottschee/Stadt.
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Umsiedlung
in Suchen mit Hakenkreuzfahnen |
Italienische
Wehrmacht "Carabinieri reali" |
Der DUB erhielt aus Berlin den dringenden Befehl, das Problem der
Umsiedlungs-Unwilligen auf schnellstem Wege zu lösen. Dr. Wollert veröffentlichte daraufhin
am 17. November, also ganze drei Tage vor Ablauf der Optionsfrist, eine
Sondernummer der "Gottscheer Zeitung" mit einer "Aufklärung",
die in fliegender Hast über das "Ländchen" gestreut
wurde. In dem Hauptartikel wurden Versprechungen abgegeben, die nie gehalten
werden konnten, und Behauptungen aufgestellt, die einfach nicht stimmten.
So hieß es da unter anderem:
"Was erwartet Euch in der neuen Heimat? Dies ist nun die Frage all
derer, die ihre Freunde und Verwandten abfahren sehen, ohne selbst schon
mitreisen zu können.
Grundsatz jeder Umsiedlung ist: Der Umsiedler erhält für seinen
zurückgelassenen Besitz im Umsiedlungsgebiet einen Besitz von gleichem
Wert. Das bedeutet, daß ein Gottscheer Bauer, der hier einen Hof
hinterläßt, auf dem er gut und auskömmlich leben konnte,
im neuen Umsiedlungsgebiet einen Hof bekommen wird, auf dem er sein gutes
Auskommen findet. Es bedeutet aber auch, daß ein Bauer, der hier
durch die Ungunst der Verhältnisse gezwungen war, auf einem Hofe
zu leben, der für ihn und seine Familie keine auskömmlichen
Lebensgrundlagen bot, diese im neuen Siedlungsgebiet finden wird. Ziel
der Umsiedlung ist, gesundes Bauerntum auch auf auskömmlicher Ackergrundlage
zu schaffen. Wer fähig ist, einen Bauernhof zu bewirtschaften, wird
also die Möglichkeit haben, sich den Hof zu schaffen, der ihm und
seiner Familie bessere Lebensbedingungen ermöglicht."
Der oder die Verfasser dieser "Aufklärung" hatten anscheinend
noch während der Niederschrift dann doch Bedenken gegen das Zuviel
an Versprechungen und schränkten sie gleich wieder folgendermaßen
ein:
"Die Auswahl der neuen Höfe erfordert sorgfältigste Vorbereitung.
Hierbei wird von den Ansiedlungsstäben angestrebt, auch weitgehendst
die besonderen Wünsche der Umsiedler zu berücksichtigen. Bei
der Bedeutung dieser Aufgaben, deren Auswirkung sich auf Jahrzehnte und
Jahrhunderte erstrecken wird, ist es nicht möglich, dem Umsiedler
die fertige Lösung bereits bei seiner Ankunft vorzulegen.
Es wird also zunächst nicht immer möglich sein, den Umsiedler
sofort bei seiner Ankunft auf dem Besitz unterzubringen, der seinen Fähigkeiten
und seinem hinterlassenen Vermögen entspricht. Andererseits ist im
Interesse der Umsiedler, wie auch zur Vermeidung von Arbeitskraft- und
Zeitvergeudung, ein Lageraufenthalt nicht vorgesehen. Demzufolge wird
ein Teil der Umsiedler zunächst einen Betrieb zugewiesen erhalten,
der dem bisherigen nur etwa entspricht. Hier kann der Umsiedler sofort
mit der Arbeit beginnen. Stellt sich dann im Laufe des Winters heraus,
daß dieser vorläufig angewiesene Hof den Fähigkeiten und
dem Wert des hinterlassenen Vermögens des Umsiedlers nicht entspricht,
so erfolgt eine Umbesetzung derart, daß der Bauer im Frühjahr
seinen neuen Acker bestellen und seinen Hof endgültig übernehmen
und bewirtschaften kann. Die in Aussicht genommene Zwischenbewirtschaftung
und zwischenzeitliche Unterbringung erfolgt also ausschließlich
im Interesse der Umsiedler, um Fehlentscheidungen, die sich für die
Dauer ungünstig auswirken müßten, unter allen Umständen
zu vermeiden."
Dem Herausgeber waren außerdem die Besorgnisse der Gottscheer
wegen der Vertreibung von Slowenen aus ihren Wohngebieten sehr gut
bekannt,
denn er versuchte, die Bedenken mit Worten, unter denen keine einzige
glaubhafte Angabe stand, zu zerstreuen, indem er schrieb:
"Die früheren Bewohner dieses Gebietes sind in aller Ordnung
umgesiedelt und werden ebenfalls vom Deutschen Reich betreut. Abgesehen
davon, daß diesen Bewohnern volle Entschädigung ihres hinterlassenen
Vermögens zugesichert ist, beweisen Briefe und Berichte dieser Menschen,
daß sie in ihrem neuen Siedlungsgebiet gut untergebracht sind
und hoffnungsfroh ihrer Zukunft entgegensehen."
Das war reiner Hohn auf die Vertrauensseligkeit der Gottscheer. Weder
war die Umsiedlung dieser "Bewohner" im Zeitpunkt des Erscheinens
der "Aufklärung" abgeschlossen noch konnte von einem "Siedlungsgebiet"
der Slowenen im deutschen Reich die Rede sein. Sie saßen vielmehr
in Lagern der "Volksdeutschen Mittelstelle", wurden zum Teil
als "Fremdarbeiter" in Rüstungsbetrieben eingesetzt und
erhielten dann auch Wohnungen zugeteilt. Kein Wort auch darüber,
daß rund 37.000 Slowenen aus dem "Sawe-Sotla-Streifen",
wie das Ranner Dreieck im Amtsgebrauch auch genannt wurde, ausgesiedelt
werden sollten und wurden.
Die Volksgruppenführung und die "Stürme" rangen in
diesen entscheidenden drei Tagen verzweifelt um die letzten Prozente der
Unentschlossenen. Sie hatten eine neue, unerwartete Barriere zu überwinden:
Kaum waren die Umsiedlertransporte in der Untersteiermark eingetroffen,
als im "Ländchen" schon unkontrollierbare Gerüchte
und Berichte auftauchten, die Einweisung der Umgesiedelten in ihre neuen
Objekte sei schlecht organisiert, Möbel stünden entlang der
Straße ungeschützt im Schnee, die ausgesiedelten Slowenen hätten
ihre Häuser und Wohnungen zum Teil vor dem Abzug demoliert, und die
den Gottscheern zugewiesenen Höfe entsprächen auch nicht annähernd
den in der Heimat zurückgelassenen Anlagen.
Am 20. November 1941 lief die Optionsfrist ohne Verlängerung ab.
Die EWZ hatte die Optionsanträge von 11.747 in der Sprachinsel Gottschee
wohnhaften Personen entgegengenommen. Nach Dr. Wollert waren es 12.104.
In nüchternen Zahlen aufgegliedert, registrierte die EWZ:
"8624 über vierzehn und 3123 Personen unter vierzehn Jahren.
Darunter befanden sich 93 Personen mit deutscher, bereits vor der Umsiedlung
erworbener Staatsangehörigkeit."
Eine Statistik außerhalb der EWZ erfaßte 11.756 Personen:
5850 männliche und 5906 weibliche, die zusammen 2951 Herdhaltungen-Haushalten
angehörten.
Die EWZ bescheinigte in ihrem Abschlußbericht den Gottscheern einen
guten Gesundheitszustand und zählte sie zu den besten Umsiedlern,
die sie bis dahin durchschleust hatte (Frensing, Seite 166 und 168).
Abschlußbericht
"Umsiedlung
der Gottscheer", nationalsozialistische
EWZ-Einwandererzentralstelle
Alles, aber auch alles schien sich gegen die 12.000 Gottscheer verschworen
zu haben. Selbst die Natur trumpfte noch einmal auf und ließ sie
die ganze Härte des kontinentalen Klimas spüren. Gegen Ende
November - es war noch der größere Teil der Umsiedler abzutransportieren
- setzten heftiger Dauerschneefall und klirrende Kälte ein. Sie erschwerten
den Transport der Menschen und des Umsiedlungsgutes, wie des Viehs, zu
den Zügen da und dort bis zur Unbeweglichkeit. Die vom DUB bewerkstelligten
70 Lastkraftwagen konnten nur noch auf wenigen Straßen eingesetzt
werden, weil es unmöglich war, die höher gelegenen Wege schneefrei
zu halten. Ferner weigerten sich die dienstverpflichteten holländischen
Lkw-Fahrer, überhaupt noch ans Steuer zu gehen, weil sie befürchten
mußten, bei Walddurchfahrten von Partisanen abgeschossen zu werden.
Schließlich blieben auch die letzten Lastkraftwagen stehen, weil
der zugesagte Benzinnachschub ausblieb. Die Gottscheer aber wurden dank
ihrer gelernten Improvisationskunst mit dem Verkehrsproblem im Aussiedlungsgebiet
fertig: Die Volksgruppenführung stellte den gesamten Transport
auf den Schlitten um.
Das ging noch. Da konnte man mit den Händen zupacken. Wehrlos aber
fühlte sich der Umsiedler gegenüber den Tatbeständen, die
in immer neuen Hiobsbotschaften aus der Untersteiermark berichtet wurden.
Sie bestätigten, daß die Wiederansiedlung schlecht organisiert
war. Die versprochene Von-Hof-zu-Hof-Unterbringung und die Von-Dorf-zu-Dorf-Umsiedlung
wurden nicht eingehalten, weil sie nicht eingehalten werden konnten! Die
Höfe und Dörfer der abgesiedelten Slowenen wiesen eine völlig
andere Struktur auf als jene in Gottschee. Kein Hof und kein Dorf von
drüben ließen sich mit solchen von hüben vergleichen.
Wohl als Folge der negativen Einstellung des Gauleiters Uiberreither zur
Ansiedlung der Gottscheer im Ranner Dreieck arbeitete der Ansiedlungsstab
in Marburg verdrossen und nachlässig. Es standen wirklich Möbel
im Schnee, wenn auch nicht in allen Straßen. Und es konnte tatsächlich
wenige Tage vor dem Heiligen Abend ein Umsiedlertransport nicht abgefertigt
werden, weil der zuständige Sachbearbeiter vergessen hatte,
einen Stellvertreter einzuteilen, bevor er selbst in den Weihnachtsurlaub
fuhr.
Die Italiener behandelten die Gottscheer nicht wie Angehörige jenes
Volkes, mit dem sie eine "eherne Achse" verband, sondern wie
ein lästiges Element, das, je eher desto besser, verschwinden
sollte. Beschlagnahmungen waren an der Tagesordnung.
Die Volksgruppenführung befand sich diesen von ihr nicht verschuldeten
Schwierigkeiten gegenüber in einer begreiflicherweise komplizierten
Lage. Bei aller Kritik an ihrer Verhaltensweise im Sommer 1941 kann man
ihr nicht nachsagen, sie habe sich vor den Umsiedlungsproblemen drücken
wollen oder habe überhaupt nicht erkannt, worin sie bestanden.
Sie handelte weiterhin so, als ob ihr niemand die Verantwortung
für das weitere Schicksal der Gottscheer abnehmen könnte. Das
war menschlich gewiß ein Plus für sie. Ob es unter den gegebenen
Umständen politisch klug war, wird sich zeigen.
Am 29. Dezember 1941 unternahm Willi Lampeter einen gewagten Schritt.
Er entsandte einen Stellvertreter, den Jugendführer Richard Lackner,
ausgestattet mit einem persönlichen Geschenk an Heinrich Himmler
nach Berlin. Lackner wollte diesem, dem "Reichskommissar für
die Festigung Deutschen Volkstums", die unhaltbaren Zustände
in der Untersteiermark schildern und um die nötigen Befehle zu ihrer
Beseitigung bitten. Lampeter, der die Spielregeln der Mächtigen des
Dritten Reiches nicht kannte, erhoffte sich von der Berlin-Reise den spektakulären
persönlichen Erfolg, den er gegenüber den "Miesmachern"
auf einer Versammlung am 3. Jänner 1942 in Gottschee-Stadt ausspielen
wollte. Lackner traf den Reichsführer-SS nicht an, er befand sich
angeblich im Führer-Hauptquartier. Auch beim Chef des "Stabshauptamtes"
erhielt er erst am 5. Jänner einen Besprechungstermin. Greifelt gab
dem Jugendführer aus Gottschee zu verstehen, er wisse bereits alles,
was er ihm berichten wolle, und er habe schon am Vormittag des 5. Jänner
den SS-Oberführer Hintze beauftragt, "die Dinge unten"
in Ordnung zu bringen.
Willi Lampeter fühlte sich auf der Versammlung vom 3. Jänner
durch das unfreiwillige Schweigen Lackners in die Enge getrieben. Man
konnte diese Zusammenkunft von etwa hundert Stadtbürgern mit Fug
und Recht als Protestaktion bezeichnen. Sie forderten von dem Mannschaftsführer
verbindliche Aufklärung darüber, was nun an seiner Schilderung
der Zustände im Ansiedlungsgebiet wahr sei und drohten mit dem Widerruf
der Option. Ein ebenfalls anwesender Vertreter des Ansiedlungsstabes in
Marburg warf dem Gottscheer Mannschaftsführer in heftigen Ausfällen
vor, er verbreite Unwahrheit, die er nie verantworten könne. In der
sich entwickelnden, hitzigen Debatte bestand der junge SS-Sturmbannführer
auf der vollen Wahrhaftigkeit seiner Angaben.
Am 6. Jänner 1942 kehrte Richard Lackner aus Berlin zurück.
Lampeter sah keine andere Möglichkeit mehr, als sich direkt schriftlich
an Heinrich Himmler zu wenden. Er schickte dem Reichsführer-SS am
9. Jänner einen Bericht über die verheerenden Zustände
im Ansiedlungsgebiet und das Versagen des Ansiedlungsstabes. Im Interesse
der Umgesiedelten bat er dringend um Abhilfe. Einen Durchschlag des Briefes
an Himmler schickte Lampeter jedoch erst am 10. Jänner an das "Stabshauptamt".
Schon diese Verzögerung um einen Tag brachte Ulrich Greifelt gegenüber
seinem obersten Chef Heinrich Himmler in eine schiefe Lage. Der persönliche
Stab des Reichsführers-SS verlangte nämlich umgehend eine Stellungnahme
des "Stabshauptamtes" zu dem alarmierenden Brief aus der Untersteiermark.
Da aber Greifelt von Lampeters Bericht nichts wußte, glaubte er
sich von diesem überspielt und unterschob ihm außerdem die
Absicht, seine Dienststelle im Bereich Gottschee auszuschalten. Hintze
erhielt augenblicklich den Befehl, Lampeter zur Verantwortung zu ziehen.
Der Gottscheer "Mannschaftsführer" hatte an Himmler unter
anderem folgendes geschrieben:
Erstens: Er habe wochenlang versucht, gegen das Versagen der Betreuung
im Umsiedlungsgebiet zu wirken und bemängelte die unhygienische Unterbringung
von werdenden und stillenden Müttern in Massenquartieren.
Zweitens:
Der Abtransport der Umsiedler von den Bahnhöfen zu ihren Winterquartieren
sei mangelhaft organisiert. So habe zum Beispiel Umsiedlergut wochenlang
entlang der Straße im Schnee gelegen.
Drittens: Die Zwischenbewirtschaftung von landwirtschaftlichen Anwesen
mit slowenischen Knechten durch die DAG habe das Anwachsen der Viehdiebstähle
begünstigt.
Viertens: Die im Umsiedlungsgebiet eingesetzten slowenischen Hilfsgendarmen
seien noch nicht gegen deutsche Beamte ausgetauscht worden. (In diesem
Punkt gab Hintze Lampeter recht und bemängelte seinerseits die Versäumnisse
der zuständigen steirischen Behörden.)
Fünftens: Phrophezeihungen der ärgsten Hetzer der Gegenpropaganda
seien durch die Wirklichkeit übertroffen worden. (Vergl. Frensing,
Seite 133.)
Sechstens: Es habe sich ein großer Mangel an Quartieren gezeigt.
Der SS-Oberführer Hintze berief für den 16. Januar 1942 eine
Besprechung aller beteiligten Dienststellen einschließlich der Gottscheer
Volksgruppenführung nach Marburg an der Drau ein. Er wies die Anschuldigungen
Lampeters gegen den Ansiedlungsstab pauschal zurück, wiewohl er kleinere
Zugeständnisse einräumte. Aber darum ging es eigentlich gar
nicht mehr. Den Gottscheern, namentlich Lampeter, sollte vor Augen geführt
werden, daß der Nationalsozialist, in welcher Lage immer, zu gehorchen
habe. Außerdem verhärtet sich hier der Eindruck, daß
Greifelt und Hintze die Gelegenheit gerne benutzten, um den renitenten
Sturmbannführer aus Gottschee aus dem Sattel zu werfen. - Hintze
warf Lampeter insbesondere sein Verhalten in der Versammlung vom 3. Januar
1942 vor und bezichtigte ihn, er habe bewußt Öl ins Feuer gegossen,
anstatt seine Landsleute zur Umsiedlung zu bewegen. Er habe die Verhältnisse
in der Untersteiermark völlig unzutreffend dargestellt. Der Angegriffene
verteidigte sich mit dem Hinweis, er habe die unbestreitbaren Tatbestände
aufzeigen wollen, um die Hintergründe der Beschwerden der Umsiedler
ins rechte Licht zu rücken. Für Hintze war das lediglich eine
schlechte Ausrede.
Doch nicht nur von oben, auch von unten her wurde Willi Lampeter um eine
bittere Erfahrung bereichert, von den eigenen Leuten. Er hatte am 11.
Januar 1942 seine Unterführer bei einem "Appell" in Rann
aufgefordert, sich wieder enger um die frühere Volksgruppenführung,
sollte wohl heißen, um ihn, zu scharen und hatte ihnen seine nächsten
Pläne erläutert. Er ließ keine Zweifel aufkommen, daß
er dabei durchaus selbständig vorzugehen gedachte. Nun mußte
er in der eben laufenden Sitzung, die mehr einer Vernehmung als einer
Besprechung glich, aus dem Munde Hintzes erfahren, daß ihm über
den Ranner "Appell" genaue Unterlagen zur Verfügung stünden.
Der "Mannschaftsführer" mußte also zur Kenntnis nehmen,
daß auf seine daheim erprobte Gefolgschaft kein Verlaß mehr
war. Und in seiner Enttäuschung stolperte er unbedacht über
den Fallstrick, den ihm der routiniertere Hintze mit den Worten legte:
"Zu den Sturmführern haben Sie u. a. gesagt .. . über den
Kopf des Gauleiters hinweg und durch Übergehen der übergeordneten
Dienststellen wollten Sie in Berlin Ihre Belange vertreten."
Lampeter darauf: "Vorläufig war es so, daß ich keine vorgesetzte
Dienststelle habe." Über
die Folgerungen, die aus dem Verhalten Lampeters zu ziehen waren, berichtete
der SS-Oberführer Hintze am 19. Januar 1942 an Greifelt: "Aus
dem Ergebnis meiner eingehenden Besprechungen mit Lampeter habe ich den
Eindruck gewonnen, daß er für die ihm übertragenen Aufgaben
wie für die Ernennung zum SS-Sturmbannführer zu jung und unerfahren
ist und daß es ihm auch an der für ein solches Amt erforderlichen
Einsicht und Selbstdisziplin fehlt. Ich habe ihm daher eröffnet,
daß ich nun selbst die Führung der Gottscheer Wehrmannschaft
übernehme und ihn bitten müsse, sich im Ansiedlungsgebiet jeder
Tätigkeit zu enthalten und daß ich diese Maßnahme auch
auf seinen Stabsführer Lackner ausdehnen müsse." Abschließend
schlug der Berichterstatter dem "Stabshauptamt" vor, Lampeter
unverzüglich in das Alt-Reich abzuberufen. Ein weitergehendes Dienstverfahren
gegen ihn schloß er nicht aus.
Der gemaßregelte Willi Lampeter aus Mitterdorf bei Gottschee war
nun ein schlichter Umsiedler mit Ausweis und Transportnummer, ins Altreich
abgeschoben. In den Augen seiner prestigesüchtigen SS-Oberen hatte
er sich als unfähig und zuwenig nationalsozialistisch erwiesen. Ein
Held? Eine tragische Figur? Eher das Letztere. Seine Schuld: Er war so
naiv und vermessen, anzunehmen, er könne, mit den 600 Jahren Gottscheer
Geschichte im Rücken, im Einsatz für das Schicksal seiner Landsleute
direkt an die Großen des Dritten Reiches herantreten. Er hatte mit
seinem Vorgehen nicht nur deren Überempfindlichkeit verletzt, sondern
auch gegen das Lebensgesetz der Gottscheer verstoßen: die Enge des
Raumes und die Ohnmacht der geringen Zahl.
SS-Standartenführer Otto Lurkner
Was nun die sachliche Richtigkeit der von Willi Lampeter vorgetragenen
Beschwerden angeht, so wurden diese von mehreren glaubwürdigen Beobachtern
nachträglich nicht nur bestätigt, sondern einschlägig ergänzt.
So erhielt der inzwischen beförderte SS-Brigadeführer Hintze
am 17. Februar 1942 vom Chef des SD-Abschnittes Untersteiermark, SS-Standartenführer
Lurkner, einen Bericht mit zum Teil haarsträubenden Einzelheiten.
Im Juni 1942 faßte der Leiter der Kulturkommission beim DUB in Laibach,
Professor Dr. Hans Schwalm, seine Eindrücke im Ansiedlungs-gebiet
der Gottscheer wie folgt zusammen: "Es ist erschütternd zu beobachten,
welche Mißstimmung sich unter den Gottscheern breitgemacht hat.
Als Ursachen für diesen katastrophalen Zustand sind anzusprechen:
Die schlechte Organisation bei der Ankunft der Gottscheer im Ranner Ansiedlungsgebiet,
der wirklich trostlose Zustand der Häuser im Ansiedlungsgebiet, das
Fehlen einer selbstverantwortlichen Tätigkeit ... das Mitansehenmüssen
der zum Teil schon verbrecherischen Mißwirtschaft einzelner Funktionäre
der DAG ... das Fehlen einer eigenen politischen Führung und mannschaftlichen
Lenkung, ein Mangel, der nicht durch den Aufbau einer entsprechenden Organisation
des "Steirischen Heimatbundes" ersetzt werden konnte".
(Nach Frensing, Seite 149/50). Auch von Gottscheern liegen Berichte vor.
Lassen wir zuerst den früheren Altlager Pfarrer Alois Krisch zu Worte
kommen. Er beklagt sich nicht direkt darüber, daß er nun sein
Seelenhirtenamt nicht mehr inmitten des ihm ans Herz gewachsenen Volkes
ausüben konnte, doch liest man zwischen den Zeilen seines Berichtes,
wie sehr er die Zersplitterung der in Jahrhunderten zusammengewachsenen
Familien seiner Pfarre bedauerte. Er schreibt auf Seite 20 der "Dokumentation
des Bundesministers für Vertriebene und Flüchtlinge", Band
Nr. V:
"In
den Ortschaften angekommen, wurden die einzelnen Familien in Häuser,
gute und schlechte, auch in ganz erbärmliche Keuschen (kleine Wohnhäuser
von Taglöhnern), alles sogenannte provisorische Winterwohnungen,
eingewiesen Da gab es nun vielzuviel Enttäuschungen, viel Leid und
Tränen, viel Zorn und schimpfen, und das sehr oft mit gutem Recht
und gutem Grund, aber auch nicht selten ohne Ursache. Zum (wenigstens
teilweisen) Verständnis alles dessen möge folgendes dienen:
... Als wir in Rann angekommen sind, bevor wir noch aus dem Zuge ausstiegen,
kam einer von den Unsrigen, der zwei Tage vorher mit den Langentonern
hergekommen war, und erzählte weinend, wie schlecht es hier sei,
wie schlimm er drangekommen sei, was für eine Keusche er bekommen
habe usw. Ich nahm mich fest zusammen, um nicht auf ihn zu schimpfen,
denn ich ärgerte mich sehr über ihn, da ich wußte, daß
dieser Mann gar nichts hatte, gar nichts. Er wohnte in einer fremden Keusche.
Da war es also gar nicht möglich, daß er es schlechter bekommen
hatte als daheim, wo er doch nichts hatte. Der hatte wahrhaftig keinen
Grund, so zu reden - besser als nichts ist alles -; darüber braucht
ein junger Mann nicht zu weinen! Darauf machte ich die Leute aufmerksam,
als er wieder draußen war, und sie waren beruhigt, sie kannten seine
Verhältnisse von daheim. ...
Die
Gottscheer verlassen ihre "Heimat", 15.11.1941
Viel Schuld an der Unzufriedenheit hatte die im vergangenen Sommer
so unvernünftig übertriebene Propaganda von großartigen Höfen
und Stallungen (in Wirklichkeit war der allgemeine Stand der Häuser
und Ställe weit unter dem von uns daheim; im allgemeinen waren die
Wohnungen im Gottscheerlande viel besser und geräumiger), wie die
Umsiedlung bequem von Hof zu Hof gehen werde; es hieß: Ihr verlaßt
hier Euren Hof, und dort fahrt Ihr von der Bahn mit dem Auto in Euren
neuen, eingerichteten Hof usw. - und nun finden sie so viele Elendskeuschen!
Gar mancher gute Bauer von daheim mußte mit einer armseligen Keusche
vorlieb nehmen und mit der ganzen Familie, mit 4,5 bis 6 Kindern in einem
einzigen, oft auch noch feuchten Zimmer hausen! Es ist unbegreiflich,
wie die Propaganda solche Gegensätze zur Wirklichkeit vorbringen
konnte.
Diese Wirkung wurde noch gesteigert dadurch, daß die Leute sahen,
es waren sehr wenig gute Häuser und Bauernhöfe vorhanden. Sie
wußten daher, es könne doch nur ein kleiner Teil unseres Volkes
ordentlich beteilt werden - im Sinne der Propaganda überhaupt nicht.
Deswegen half das Vertrösten, im Frühjahr werde alles in Ordnung
gebracht, nicht viel, auch nicht die Versprechungen von Neubauten.
Noch unvernünftiger als diese Propaganda waren die unglaublichen
Erwartungen mancher Leute. Das will ich nicht genauer beschreiben, will
nur anführen, daß ich einige Monate vor der Umsiedlung solchen,
die so phantasierten, einmal sagte. Wenn Sie glauben, daß dort,
wo Sie hinkommen, ein gut eingerichtetes Haus, alles auf den Glanz geputzt,
Speisezimmer, Extrazimmer und Wohnzimmer alles warm geheizt, ein Stall
voller Vieh wartet, und vielleicht auch noch das festlich gekleidete Dienstpersonal
Sie vor dem Hause freudig begrüßen werde, daß Sie nun
endlich einmal gekommen sind, und Sie dann ins Speisezimmer führt,
Sie sollen sich setzen, und dann gleich Braten und Pobolitzen (eine Art
Rosinenstrudel) auftragen werde - dann werden Sie furchtbare Enttäuschungen
erleben, da kann Ihnen niemand helfen.
Einige von den Unzufriedenen übersiedelten mehrmals, zogen bald daher,
bald dorthin, waren aber nirgends zufrieden. Auch gab es solche, die nur
jammerten, weil sie von anderen angesteckt waren; es sah aus wie eine
ansteckende Krankheit, anders war es bei einigen nicht zu erklären.
Das ganze erklärte ich einmal beim Landrat gelegentlich eines diesbezüglichen
Gesprächs mit einem Vergleich, indem ich sagte: Versuchen Sie einmal
einen Obstgarten mit älteren Bäumen auch nur einige Meter weit
zu übertragen. Es wird
nicht gut tun. Unsere Gottscheer waren aber auch fest verwurzelte Bäume
und zwar seit Jahrhunderten. Er gab mir recht.
... Trotz dieser angeführten Dinge muß aber gesagt werden,
daß viel Zorn, viel Schimpfen, viel Jammer, viel Leid und sehr viel
Tränen nur allzu berechtigt waren.
Viele Familien, auch solche mit vielen Kindern, die daheim ein schönes
und geräumiges Haus hatten, waren in wahren Elendswohnungen untergebracht;
das nicht nur einige Wochen und Monate, sie hausten auch den zweiten,
manche auch den dritten und vierten Winter noch darinnen. Sie mußten
aushalten, obwohl sie sich viel Mühe gaben und viele Wege machten,
um eine Änderung zu erreichen.
Bei diesen Einweisungen kamen viele Ungerechtigkeiten vor. Einigen Leuten,
die daheim große und sehr gut bewirtschaftete Bauernhöfe gehabt
haben, wurde entsprechend gegeben; anderen ebenso guten Bauern und Besitzern
wurden aber Sachen angeboten, die kaum den vierten Teil des ihrigen in
der Heimat erreichten. Viele von diesen nahmen natürlich nicht an.
Anderen wurden Angebote gemacht, die ihren Besitz in der Heimat um das
Zehnfache und mehr überstiegen. Manche nahmen an, andere weigerten
sich mit Recht, Verpflichtungen einzugehen, für die sie Jahrzehnte
lang zahlen müßten (es wurde dreißigjährige Abzahlung
angeboten) ...
Viele unserer Leute wurden weit weg angesiedelt, bei Marburg, Pettau und
anderswo, so daß sie ganz getrennt von unserem Volke 100 und mehr
km entfernt waren. Auch wurden durch ungerechte Angebote absichtlich sogenannte
"O-Fälle" geschaffen. Man bot den Siedlern solche Sachen
an, die sie selbstverständlich nicht annehmen konnten. Das zweite
und dritte Angebot war nicht besser. Da sie auch nicht annahmen, hieß
es: es seien Leute, die trotz mehrerer Angebote nicht zufrieden sein wollen,
und daher nach Osten (O-Fälle), nämlich nach Polen, geschickt
werden sollen. Ich kenne einen Fall, in dem ein junger Gottscheer Bauer,
dem dies angedroht wurde, sagte: Herr St;, bieten Sie mir einmal etwas
an, was auch nur die Hälfte oder wenigstens ein Drittel dessen wäre,
was ich daheim hatte, und ich werde annehmen!
... Außer den O-Fällen gab es auch "A-Fälle".
Diese wurden schon daheim bei der sogenannten Durchschleusung als solche
bezeichnet, sie bekamen in ihren Umsiedlerausweis" ein A hinein.
Es waren jene, die man als nicht vollwertig
(scheinbar nach dem Rassen-Gesetz) betrachtete. Sie sollen von den anderen
Gottscheern getrennt werden und ins Altreich (daher A-Falle) kommen. Sie,
nämlich die ganze Familie, wurden dann auch hinausgebracht und dort
wieder getrennt von allen anderen in verschiedene Fabriken als Arbeiter
gesteckt, obwohl sie daheim Bauern waren und Besitz hatten.
Alte und arbeitsunfähige Leute wurden fürsorglich in ein Versorgungsheim
gebracht Von mehreren wissen wir, daß sie nach Passau kamen. Von
einigen auch, daß sie dort bald gestorben sind. Von den anderen?
War es wirklich Fürsorge oder -?"
Der Zusammenhang und Zusammenhalt, welche die typische Ausprägung
des Gottscheer Volkstums überhaupt erst ermöglicht hatten, wurden
bereits in der Untersteiermark planlos zerstört. Neues Gottscheer
Volkstum konnte auf diesem zerfahrenen Boden nicht mehr entstehen. Vom
"Stabshauptamt" war an sich vorgesehen gewesen, noch vor dem
Auszug aus dem Gottscheerland eine querschnittartige Bestandsaufnahme
des vorhandenen Volkstumsgutes festzuhalten. Doch die beim DUB in Laibach
vorgesehen Kulturkommission kam nicht zum Zuge. Die Italiener verhinderten
ihre Einreise in die Provinz Laibach absichtlich durch Verzögerung
der Visa-Erteilung so lange, bis die klimatischen Schwierigkeiten die
Aufnahme der Forschungstätigkeit unmöglich machten. Einem glücklichen
Zufall ist es zu danken, daß der
Wiener Brauchtumsforscher, Universitätsprofessor Dr. Richard Wolfram,
noch vor dem Jugoslawien-Feldzug in der älteren Generation der Gottscheer
den Brauchtumsbestand im Jahresablauf abfragen konnte. In fünf Beiträgen
im "Jahrbuch für Ostdeutsche Volkskunde" und in mehreren
Vorträgen steckte Prof. Wolfram das etwas vernachlässigt gewesene
Sachgebiet "Brauchtum der Gottscheer" neu ab - wohl wissend,
daß es in der Wärme familiärer Überlieferung gewachsen,
doch in der eisigen Luft der Neuansiedlung seiner Träger zum Verwelken
verurteilt war.
Das Heimweh ging unter den Gottscheer Bauern um. Daheim standen die Höfe
leer. Standen sie noch? Niemand war auf den Gedanken gekommen, wenigstens
die größeren Dörfer mit den guten Böden den hier
ausgesiedelten Slowenen anzubieten. Ihre Ansiedlung freilich hätte
der "Hohe Kommissar" in Laibach mit allen Mitteln zu verhindern
versucht. Nun waren sie heimatlos, die einen, wie die anderen, Gefangene
ihres Schicksals. Die wenigsten Gottscheer betrachteten die Erde, die
sie nun bebauten als ihr eigentliches und endgültiges Eigentum. "Nach
dem Krieg sieht alles wieder anders und besser aus", so schloß
kaum noch ein Gespräch von Gottscheern untereinander. Sie lebten
nicht besser und nicht schlechter als alle, und wie es die Kriegszeit
erlaubte. Nur die Sicherheit verschlechterte sich von Jahr zu Jahr, denn
dort, wo die Gottscheer als "Wehr- und Grenzbauern" angesetzt
worden waren, bestand für die Partisanen keine Reichsgrenze. Für
sie war dort Slowenien. Sie betrachteten die Umsiedler aus "Kocevje"
als Freiwild. Mit Kommandos bis zu zwanzig Mann überfielen sie, manchmal
geradezu generalstabsmäßig vorbereitet, ihre Siedlungen beschlagnahmten,
raubten, plünderten und mordeten. Ein krasses Beispiel dafür
schildert Herbert Otterstädt auf Seite 20 seines Bildbandes: "Ein
Partisanentrupp überfiel einen jungen Gottscheer Lehrer namens Franz
Hönigmann am hellichten Tage und zwang ihn, vor den Augen seiner
Schüler, ein Grab zu schaufeln, dann erschlugen sie ihn und warfen
ihn in die Grube." - Von den entführten Gottscheern hat man
nie wieder etwas gehört.
Über das Leben der Gottscheer in der Untersteiermark nach Abschluß
der "Ansiedlung hegen nur wenige Einzelberichte vor. Wenig war auch
zu erfahren über das Schicksal der Optionsverweigerer nach dem Abzug
der Zwölftausend. Ihre genaue Zahl ist unbekannt geblieben. Es mögen
400 bis 500 gewesen sein. Das von den Gottscheern verlassene Siedlungsgebiet
war praktisch militärisches Niemandsland. Noch im Winter 1941/42
setzten sich die Partisanen in den zuerst geräumten Randdörfern
fest, verheizten die Obstbäume, Ställe und Scheunen. Von diesen
abgelegenen Stützpunkten aus überfielen sie immer öfter
die größeren Dörfer in den Haupttälern wo sich die
italienische Besatzungstruppe hauptsächlich aufhielt. In diesem,
fast wie ein Dschungelkrieg geführten Kampf brannten sich die Gegner
die Stützpunkte nieder. Ob die Italiener oder die Partisanen mehr
Gottscheer Dörfer dem Erdboden gleichgemacht haben, wird niemand
ergründen. Bis auf wenige, ganz oder teilweise erhaltene Dörfer
gingen fast alle Siedlungen in Flammen auf. Wir wundern uns nicht, daß
die alten Besiedlungsmittelpunkte noch am besten die chaotische Zeit überstanden
haben. Pfarrer Josef Eppich in Mitterdorf, der aus seiner ablehnenden
Einstellung zur Umsiedlung die letzte Konsequenz gezogen hatte und geblieben
war, wurde im Juni 1942 angeblich von einer verirrten Kugel während
eines Gefechts zwischen Italienern und Partisanen tödlich getroffen.
Der geistliche Herr hatte sich gerade im Freien aufgehalten. Vermutlich!
Pfarrer Josef
Eppich
Die Geistlichen
Josef Kraker, Rieg, und Josef Gliebe, Göttenitz, waren ebenfalls
nicht umgesiedelt. Kraker, in Rieg seines Bleibens nicht mehr sicher,
gelang es, sich nach Laibach und bis Veldes durchzuschlagen, wo ihm dann
der Rieger Ferdl Wittine Hilfe bot. Durch seine Vermittlung erhielt Pfarrer
Kraker eine Pfarre in der Nähe von Veldes, wo er als von den Slowenen
geachteter Priester im Jahre 1949 starb. Dieser so volksbewußte
Gottscheer konnte nicht mehr zu seinen in alle Welt verstreuten Landsleuten
finden und mußte seine Predigten in einer fremden Sprache halten.
Gliebe blieb zunächst in Göttenitz, wurde mehrfach ausgeraubt,
bis 1949 der Befehl kam, die ganze Ortschaft zu räumen. - Auch die
unmittelbar nach dem Krieg nach Göttenitz gekommenen Laserbacher
verließen das Dorf wieder. Josef Gliebe blieb in Niederdorf, wo
er auch die ewige Ruhe fand. Die älteste Monstranz des Gottscheerlandes,
um die sich eine Sage rankt, wurde durch ihn bzw. seine Nichte gerettet.
Das Gebiet um Göttenitz ist - "verbotene Zone".
Bei hinhaltender Kampftätigkeit zog sich die italienische Besatzungstruppe
schließlich auf die Stadt und das nördliche Oberland zurück.
Durch Einschlagen breiter Schneisen in die Bergwälder glaubte sie,
die Partisanen besser überwachen zu können. Dies erwies sich
als Irrtum. Die slowenischen Untergrundkämpfer machten dem faschistischen
Militär das Leben auch in den neuen Stellungen durch kleinkalibriges
Artilleriefeuer schwer. Beschädigungen erlitt vor allem das Auerspergische
Schloß in der Stadt, Sitz der Bezirkshauptmannschaft und anderer
Behörden. Vor allem wurde es während des Schlußkampfes
um die Stadt schwer in Mitleidenschaft gezogen.
"Der Wiederaufbau würde sich nicht lohnen", hieß
es in den führenden Partisanenkreisen. Aber darum ging es ja nicht,
vielmehr lag ihnen daran, dieses Mahnmal an die sechshundertjährige
Anwensenheit der Gottscheer in Unterkrain zu beseitigen. Da, wo einst
das Schloß gestanden hatte, wurde ein modernes Kaufhaus und ein
Partisanendenkmal errichtet.
Nach der Landung der Alliierten in Süditalien und dem darauf folgenden
Zusammenbruch des Mussolini-Staates wurde die Provinz Laibach deutsches
Okkupationsgebiet. Der DUB in Laibach, Dr. Wollert, berichtet auf Seite
8 des V. Bandes der Dokumentation des Vertriebenen-Ministeriums in Bonn
über die dadurch entstandene, neue Situation:
"... Außerdem verließen die Italiener Ende 1943/Anfang
1944 das slowenische Gebiet. Das Gebiet wurde Okkupationsgebiet und den
deutschen Militärbehörden unterstellt. Demzufolge wurde der
deutsche Umsiedlungsbevollmächtigte im Einvernehmen mit der Emona
(Gesellschaft zur Vermögensabwicklung) und unter Bestätigung
durch die deutschen Militärbehörden wieder zum Verwalter des
Vermögens, und zwar dieses Mal treuhänderisch eingesetzt. Da
eine Verwaltung der ländlichen Gebiete im Bereich der Gottschee nicht
mehr möglich war, erstreckte sich die Verwaltungstätigkeit des
deutschen Umsiedlungsbevollmächtigten nach dieser Zeit im wesentlichen
noch auf die Bereinigung von Schulden und Forderungen, die die Umsiedler
hinterlassen hatten. Hierauf legten die örtlichen Stellen begreiflicherweise
Wert.
Der deutsche Umsiedlungsbevollmächtigte liquidierte etwa im Februar
1945 seine Dienststelle, indem er die slowenischen Angestellten in aller
Ordnung entließ, die Akten nach Veldes/Wörthersee verbrachte
und für das in Laibach verbleibende Vermögen, insbesondere Bargeld
und Bankguthaben, einen örtlichen Treuhänder in der Person eines
dortigen Rechtsanwaltes einsetzte, der den Auftrag erhielt, diese Werte
der Stelle zu übergeben, die sich hierfür als rechtmäßig
auswies. Diese Maßnahme war damals notwendig, weil die Stadt Laibach
unmittelbar vor der Besetzung durch die Partisanen stand."
1944: Die Kette der Frontabschnitte zieht sich immer enger um das deutsche
Reich zusammen. Der Gottscheer Bauer pflügt zum drittenmal den Boden,
der ihm vor seinem Gewissen nicht gehört. Die im "neuen Ansiedlungsgebiet"
zurückgebliebenen Slowenen tragen ihre Köpfe höher, schauen
mit triumphierendem Lächeln an den Gottscheern vorbei oder durch
sie hindurch. Manche Umsiedler aus dem "Ländchen" glauben
jedoch immer noch an den Sieg, weil sie sich davor fürchten, die
Folgen einer Niederlage des Reiches zu Ende zu denken. Kaum einer verschließt
sich allerdings der Frage ob es denn keinen anderen Weg gab, als umzusiedeln.
Diese Frage verfolgt sie überall hin, bis in die Kirche, wenn sie
zu beten versuchten. Erinnerung und Hoffnung, die noch im ersten Jahr
nach der Umsiedlung die Gespräche verklärt hatten verlieren
den Glanz. Der Inhalt wandelt sich. Die Gedanken verlassen die Landschaft,
zu der kein Heimatgefühl aufkommt. Die einfachste Lösung wäre,
so drängt den in die Enge getriebenen Gottscheer das Gesetz des Wanderns
in ihm, nach dem Krieg die Heimkehr nicht erst zu versuchen, sondern irgendwo
in der Welt einen Platz zu finden, am liebsten in Amerika, bei den eigenen
Leuten. Endlich zur Ruhe kommen. Nicht noch einmal in der Gefahr leben.
Nicht immer nur den Stärkeren gehorchen!
1945: Die Gottscheer Bauern bestellen die Felder zum vierten und letzten
Mal. Die Arbeit im Freien ist lebensgefährlich geworden. Tagsüber
nehmen Tiefflieger alles was sich bewegt, unter Bordwaffenfeuer. Nachts
kommen die Partisanen. Das Reich ist fast vollständig von den Alliierten
besetzt. Der Endkampf um Berlin hat begon-nen. Hitler operiert mit Divisionen,
die nicht mehr bestehen. Tito aber kontrolliert mit seinen Partisanen,
sichtbar und unsichtbar, das gesamte jugoslawische Staatsgebiet.
TITO, Josip Broz, 1892-1980.
Es gibt keine Hoffnung mehr. Die Gottscheer und ihre Schicksalsgenossen
aus Sudtirol und Bessarabien, die man ebenfalls im Ranner Dreieck anzusiedeln
versucht hatte, sind hilflos, schutzlos und bewegungslos. Niemand darf
ohne Bewilligung der NSDAP-Kreisleitung Arbeitsplatz und Wohnsitz verlassen.
Die Kreisleitung aber tauscht vor, es sei noch Zeit. Die Gauleitung in
Graz würde rechtzeitig die nötigen Befehle erteilen. Andererseits
war bereits im Februar angeordnet worden, Pferde und Ochsen zu beschlagen
und das Fuhrwerk bereitzumachen. Graz aber schwieg. Endlich aber erst
zwischen dem 5. und 7. Mai 1945, wurden einige hundert Frauen und Kinder
per Bahn nach Österreich in Sicherheit gebracht.
Und auf den Tag genau mit der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am
8. Mai 1945, traf der Befehl des Gauleiters der NSDAP zum Abmarsch ein.
Nun rette dich, Gottscheer!
In höchster Eile sammelten sich die zu Flüchtlingen gewordenen
"Umsiedler" in Gurkfeld und Rann. Umständlich wurden Trecks
zusammengestellt, schwerfällig setzten sie sich nach Norden in Bewegung.
Kaum hatten sie die Sammelplätze verlassen tauchten die ersten Partisanen
auf. "Partisanen"? Tatsächlich waren es Halbwüchsige,
die mit umgehängten Maschinenpistolen und durch Ausplünderung
der Wehrlosen ihre Männlichkeit erproben und unter Beweis stellen
wollten. Otterstädt berichtet über diese Begleitumstände
der Flucht auf Seite 52 seines Bildbandes:
"In Lichtenwald, dem von Flüchtenden erfüllten, durch englische
Luftangriffe angeschlagenen, an sich bedeutungslosen Orte, verbrachten
sie, in Häusern, Ruinen und im Freien lagernd, die erste Nacht. Die
Partisanen hielten sich zur Bewachtung am Ortsrande auf. Da flog mitten
in der Nacht aus unbekannten Gründen ein im Bahnhof zurückgelassener
deutscher Munitionszug in die Luft und verursachte ein Chaos unter den
Flüchtenden. Die ersten Verwundeten mußten mitgenommen werden.
Am Morgen ging es aus dem brennenden Lichtenwald unter Eskortierung durch
vielfach bewaffnete Halbwüchsige in Richtung Steinbrück hinaus.
Unterwegs sorgten wiederholte ,Gepäckskontrollen' dafür, daß
die Gottscheer zuerst ihre Fahrzeuge, dann ihre Bündel, schließlich
ihre Handtaschen und bis sie ins Lager Sterntal eingeliefert wurden, auch
ihr Geld, Schmuck, Fingerringe und Ausweispapiere los wurden. Nach Tagen
des Mordens, grausamen Quälens, Ausplünderns und unmenschlichen
Sadismus trafen die
Überlebenden über Tüffer, Cilli wieder zurück nach
Tüffer und wieder Cilli im berüchtigten Todeslager Sterntal
bei Pettau ein."
Vernichtungslager Sterntal/Kidricevo bei Pettau/Ptuj
Dieses Lager Sterntal bei Pettau, in dem
ein wesentlicher Teil der flüchtenden
Gottscheer zusammengepfercht wurde, war eine Hölle. Die sanitären
Verhältnisse auf dem Gelände der früheren Munitionsfabrik
waren für die Abertausenden völlig unzureichend und spotteten
jeder Beschreibung. Reihenweise starben die Insassen an Seuchen, Hunger,
Mißhandlungen und Mord. Kein Gottscheer Kind unter zwei Jahren überlebte.
Die jüngeren Frauen und Mädchen waren Freiwild für die
Wachmannschaften. Erst durch das Eingreifen des Roten Kreuzes fand die
Qual ein Ende.
Aus persönlichen Erlebnisberichten geht hervor, daß es außerhalb
der Trecks einer größeren, statistisch nicht erfaßbaren
Zahl von flüchtenden Gottscheern gelang, an unübersichtlichen
Grenzabschnitten nach Österreich durchzukommen - auch sie Überlebende
der Tragödie ihres kleinen Stammes. Sie waren, als sie österreichischen
Boden betraten, nicht zuerst Gottscheer oder die Nachkommen von Alt-Österreichern
oder Flüchtlinge vor brutaler Gewalt oder "Um-Siedler",
sondern, wie ungezählte Opfer dieses Krieges, bettelarme Menschen,
glücklich, noch zu leben ... Heimkehr? Doch! Allerdings in einem
anderen Sinne, als er in der Dokumentation "Der Menscheneinsatz"
des "Stabshauptamtes" zu lesen stand. Das war nun eine Heimkehr
in die Menschlichkeit. Hier empfingen sie Hilfsbereitschaft, Verständnis
für ihre Lage und Vertrauen. Gewiß mußten auch sie mit
Lagern vorlieb nehmen, allein, welch ein Unterschied zu Sterntal! Gleich
ihren Schicksalsgenossen aus anderen "Vorposten"-Gebieten wurden
auch die Gottscheer hauptsächlich in den Lagern Kapfenberg und Wagna
bei Leibnitz in der Steiermark untergebracht. In Kärnten wurden sie
im Lager Feffernitz bei Feistritz/Drau in der Nähe von Spittal an
der Drau aufgenommen. Hier kamen sie nach der zermürbenden Irrfahrt
aus der Untersteiermark zur Ruhe, fanden sie wieder zu sich selbst. Für
viele von ihnen sollte das Lager allerdings zehn Jahre und mehr Ersatzheimat
sein. Das Leben ging weiter, auf Schmalspur. Ehen wurden geschlossen,
Kinder geboren, der Tod hielt seine Ernte.
War es den Gottscheer Lagerinsassen in Feffernitz bei Spittal an der
Drau bewußt, daß das Schicksal sie in die unmittelbare Nähe
der Ortenburger-Stadt gelenkt hatte? Sie empfanden kaum das Symbolhafte
ihrer Lage. Nach Feffernitz hatte die Flucht auch jene Frau geführt,
die in den dreißiger Jahren in der Anwaltskanzlei Dr. Arkos das
Hausierwesen organisierte, Frau Paula Suchadobnik aus der Stadt. Auch
hier betreute sie Menschen. Sie schrieb Briefe für die Alten, füllte
Fragebogen für sie aus, beriet und half, wo sie konnte. Den Jungen
aber erteilte sie englischen Sprachunterricht. Warum gerade englisch?
Weil das Lager zufällig in der englischen Besatzungszone lag? Vielleicht
taten dies junge Kärntner, doch wenn ein Gottscheer beginnt, englisch
zu lernen, dann denkt er zuerst an Amerika.
("Jahrhundertbuch
der Gottscheer", Dr. Erich Petschauer, 1980)
www.gottschee.de
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