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20.
Jahrhundert / III.,
Jahrhundertbuch der Gottscheer, Dr. Erich Petschauer, 1980.
Schlußakkord in Moll
Einige Wochen des Lagerlebens waren vergangen und des Suchens, Fragens
und Schreibens nach den engsten Verwandten, Freunden und Nachbarn war
kein Ende.
Endlich trafen die ersten Briefe aus den Vereinigten Staaten ein, familiäre
Freudensbotschaften und Trauernachrichten, aber auch die Ankündigung,
daß Hilfe vorbereitet werde.
Im Jahre 1946 bewiesen die Amerika-Gottscheer, daß der in Jahrhunderten
gewachsene Geist der Nachbarschaftshilfe in den Steinwüsten der Millionenstädte
nicht erloschen war. Nach umfangreichen Vorbereitungen wurde 1946 das "Gottscheer-Hilfswerk"
mit dem Ziel ins Leben gerufen, den schwer geprüften Landsleuten in
Europa so rasch und so umfangreich wie möglich beizustehen. Über
das Zustandekommen der Hilfsorganisation berichtet das Festbuch anläßlich
ihres 25 jährigen Bestehens das Folgende:
"Bei den Hauptversammlungen der Gottscheer Vereine in Ridgewood wurden
bereits im Januar 1945 provisorische Komitees erstellt, die sich mit dem
Problem einer Hilfsaktion befassen sollten. Das Ende des Krieges, mit seinen
chaotischen und grausamen Folgen für unsere Landsleute in Europa, drängte
zur Tat. Um dem an den Folgen einer tragischen Politik der Kriegsmächte,
im Elend gestrandeten Gottscheer Völklein zu helfen, war eine großzügige
und koordinierte Hilfsaktion notwendig. Da die Satzungen der bestehenden
Gottscheer Vereine für ein solches Unternehmen nicht geeignet waren,
wurde am 23. Mal 1945 eine Versammlung ins Gottscheer Klubhaus einberufen,
an welcher sich folgende Vereine beteiligten:
- Gottscheer Kranken-Unterstützungsverein
- Österreichischer Männer-Kranken-Unterstützungs-Verein
- Gottscheer Central Holding Company
- Gottscheer Männerchor
- Gottscheer Damenchor
- Deutsch-Gottscheer Gesang-Verein
- Gottscheer Vereinigung.
Später traten noch der Gottscheer Kranken-Unterstützungs-Verein
von New York, der Gottscheer Kegelklub und der Fisch- und Jagdklub bei,
und nach seiner Gründung im jähre 1951 auch der Fußballklub
Blau-Weiß Gottschee.
Aus deren Reihen wurden dann 19 Vertreter als provisorischer Beamtenstab
für das Hilfswerk erwählt. Sogleich wurde mit Geld- und Kleidersammlungen
begonnen. Leider gab es noch keinen Postverkehr nach Europa, und außerdem
waren Sendungen an Privatpersonen oder Gruppen nicht erlaubt. Nur kirchlichen
Organisationen war es gestattet, Medikamente an Lazarette und Flüchtlingslager
zu senden.
Im März 1946 schloß sich das Gottscheer Hilfswerk der "Katholischen
Kriegshilfe Konferenz' (N. C. W. C.) an und steuerte 6000 Dollar bei, mit
der Erwartung, daß die notleidenden Gottscheer in Europa wenigstens
teilweise bei der Verteilung in den verschiedenen Ländern berücksichtigt
werden.
Nach Überwindung vieler Schwierigkeiten gelang dann am 15. April 1946
endlich die gesetzliche Eintragung des Gottscheer Hilfswerkes (Gottscheer
Relief Association, Inc.). Zu betonen wäre hierzu, daß damit
das Gottscheer Hilfswerk als erste Organisation in Amerika befugt war, für
die eigenen Landsleute zu arbeiten. Jetzt lief die Arbeit mit großem
Schwung an. Aus jeder Ortschaft wurde ein Vertrauensmann beauftragt, die
Anschriften der Landsleute einzubringen und in kurzer Zeit wurden mehr als
2000 Gottscheer Familien erfaßt. Die Relief News, nach Bedarf erscheinend,
sorgten laufend für die nötige Aufklärung unter den Landsleuten,
und die darin enthaltene Spalte "Verwandte und Freunde gesucht",
stellte für Hunderte die seit Jahren unterbrochene Verbindung wieder
her. Durch die enge Verbindung zum N. C. W. C. konnten wichtige Informationen
eingeholt und veröffentlicht werden. Ein Appell im Gottscheer Dialekt
wurde zwei Monate lang, eine halbe Stunde wöchentlich, über den
Sender WWRL ausgestrahlt. Korrespondenzen, Drucksachen, Radiosendungen die
vielen Reisen, besonders späterhin Transportkosten usw., wurden von
den betreffenden Amtierenden aus privaten Geldern bestritten und alle gesetzlichen
und sonstigen Arbeiten vollkommen kostenlos erledigt.
Als dann die noch heute bestehende Hilfsorganisation "Care" entstand,
wurde sofort Verbindung aufgenommen und bald darauf wurden die ersten 1000
Care-Pakete zum Preis von 15.000 Dollar abgeschickt. Zu dieser Sendung steuerte
auch die Cleveland-Gruppe 5000 Dollar bei. In den nächsten Jahren folgten
dann noch weitere 3000 Care-Pakete. Tonnen von Kleidern sowie Milch- und
Eierpulver.
Zunehmend wurde es schwieriger, die finanziellen Mittel aufzutreiben. Wohl
deckten die Spenden im ersten Jahr alle Ausgaben mit einem Überschuß,
auch die oben angeführten landsmännischen Vereine stellten zwei
Jahre alle Einnahmen ihrer Vereinsveranstaltungen dem Hilfswerk zur Verfügung,
jedoch mußte für neue Einnahmsquellen gesorgt werden, sollte
die Hilfsaktion nicht ins Stocken geraten. So wurde am 29. Juni 1947 das
erste Picknick und Wohltätigkeitsfest in Franklin Square abgehalten,
welches nicht nur ein ausschlaggebender finanzieller Erfolg war, sondern
das größte aller Feste der Gottscheer wurde. Niemand ahnte damals,
daß dieses Picknick fortan der Treffpunkt der Gottscheer aus aller
Welt sein sollte. Nach 25jähriger ununterbrochener Folge ist dieses
Fest mit seinen großen und kleinen Begebenheiten und Aktivitäten
zum festen Bestandteil der Volkstradition geworden.
Am 26. Oktober wurde das Gottscheer Gedenkbuch herausgegeben. Außer
dem finanziellen Beitrag, den dieses Buch damals leistete, wird es allen
Verantwortlichen und Mitarbeitern immer zur Ehre gereichen, daß sie
mit dieser Publikation ein historisches Werk für die nachfolgende Generation
geschaffen haben.
In diesen Monaten erreichte die Sammel- und Hilfsaktivität ihren Höhepunkt
und die Sendungen an die bedürftigen Landsleute gingen regelmäßig
nach Europa. Hunderte von freiwilligen Mitarbeitern zählte damals das
Hilfswerk; alle steuerten Zeit und Geld bei; die Opferbereitschaft kannte
keine Unterschiede; es galt alles nur den in Not und Elend befindlichen
Landsleuten. Die Verteilung überließ man vertrauensvoll den in
den Nachkriegsjahren in Österreich und Deutschland organisierten Hilfsvereinen
und Vertrauensleuten. Die Zukunft unserer Heimatlosen in Europa war in eine
Wolke der Trostlosigkeit und Verzweiflung gehüllt, notdürftig
in Lagern untergebracht, teilweise zur Untätigkeit verdammt und auf
fremde Hilfe angewiesen, oder als Land- oder Hilfsarbeiter um den Lebensunterhalt
der Familie kämpfend. Auf die Dauer waren diese Zustände nicht
tragbar. Wegen dem nicht endenden Zustrom von Flüchtlingen war auf
eine Hilfe von staatlicher Seite in Deutschland und Österreich zur
Seßhaftmachung der Gottscheer Flüchtlinge damals nicht zu rechnen.
Der einheimischen Bevölkerung der österreichischen Länder
aber sei an dieser Stelle nochmals herzlichst gedankt.
Das damals nicht reichlich vorhandene brüderlich geteilte Brot hat
zahllose unserer Flüchtlinge vom Hungertode bewahrt. Einen Ausweg aus
dieser Notlage zu finden, war lebenswichtig. Seit Jahrhunderten waren es
die
Gottscheer gewohnt, sich das Brot in aller Welt zu verdienen, also mußte
wieder eine Auswanderung in Betracht gezogen werden. Auch eine Einwanderung
in die USA war damals nicht möglich, so wurden andere Möglichkeiten
erwogen, wie Südamerika oder Kanada. Die Verhandlungen mit dem Vizekonsul
in Venezuela ergaben kein befriedigendes Resultat. Längere Verhandlungen
wurden mit kanadischen Stellen geführt, wo sich wohl eine Möglichkeit
der Einzeleinwanderung, aber nicht die einer geschlossenen Ansiedlung ergab.
In der Zwischenzeit bewilligten die USA die Einwanderungsquote für
Deutschland und Österreich für zwei Jahre. Nach vielen Verhandlungen
und Überwindung starker Opposition wurde erwirkt, daß die Hälfte
dieser Quoten für Volksdeutsche erlaubt wurde. Auf diese Weise sollten
in diesen zwei Jahren 23.000 Volksdeutsche Flüchtlinge zur Einwanderung
zugelassen sein. Laut Schätzungen der kirchlichen Organisationen gab
es damals in Europa mehr als
11 Millionen Volksdeutsche Flüchtlinge. Das Gottscheer Hilfswerk, das
in dieser Angelegenheit schon viel vorgearbeitet hatte, war bereits im Besitz
einer Liste mit 11.000 Namen von Gottscheern, die von unseren Vertretern
in den verschiedenen Lagern für eine eventuelle Auswanderung erfaßt
worden waren. Durch die Verbindung mit dem N. C. W. C., der damalige Präsident
des Gottscheer Hilfswerkes Adolf Schauer war persönlich Mitglied dieser
Organisation, und durch unzählige Vorsprachen und Verhandlungen dieses
Vertreters, war es möglich, sofort mit der Arbeit für unsere Einwanderer
zu beginnen.
Das zur gleichen Zeit laufende "Displaced Persons-Gesetz", worin
jedoch keine Volksdeutschen einbegriffen waren, wirkte sich leider sehr
störend auf die Bearbeitung der Einwanderungsgesuche bei den betreffenden
Behörden aus. So kam es, daß nach Ablauf der zwei Jahre von der
bewilligten Zahl nur 10.400 Volksdeutsche einwanderten, darunter noch viele
Unberechtigte. Immerhin waren unter diesen Einwanderern auch 2000 Gottscheer,
also beachtliche 20 Prozent anstatt ein Zehntel Prozent des gesamten Flüchtlingsverhältnisses.
Leider mußten damals viele unserer Landsleute, die bereits in Salzburg
auf ein Visum warteten, enttäuscht wieder umkehren.
Erst als am 16. Juni 1950 Präsident Truman ein Gesetz unterzeichnete,
welches die einwanderungsunterschiede (Discrimination) abschaffte, kam wieder
Leben in die Volksdeutsche Einwanderung. Bei den nun folgenden Konferenzen
der N. C. W. C. und D. P. C. (Displaced Persons Commission) wurde aber das
Problem der Volksdeutschen immer zuletzt behandelt. Unter diesem Gesetz
benötigte jeder Einwanderer eine Arbeits- und Wohnungszusicherung (Assurance),
die wiederum in großzügiger Weise und Zahl von den Gottscheer
Unternehmern hier gestellt wurden. Es war dies keine leichte Angelegenheit,
denn die Wohnungen waren damals knapp und die finanziellen Mittel bemessen,
und außerdem war sich niemand darüber klar, in welchem Maße
der Zusicherungsgeber im Notfalle zur Verantwortung gezogen werden könnte.
Bei einer Konferenz in Bellville, III., versprach auch Father Zurin von
Missouri Zusicherungen für 50 Gottscheer Familien. Zwei Monate später
fand in Milwaukee eine zweitägige Konferenz statt, bei der Bischof
Swanstrom vor den D. P. C. und N. C. W. C. - Vertretern sehr stark für
das Problem der Volksdeutschen eintrat. Dies belebte die Sache der Einwanderung
wieder. Trotz der Schwierigkeiten, genügend Arbeitsplätze und
Wohnungen zu beschaffen - unsere Landsleute gingen nur ungern auf "Farmen"
- ging einigermaßen alles glatt..."
Die vorstehenden Ausführungen vermitteln uns nicht nur die Gründungsgeschichte
des Hilfswerks, sondern auch ein knappes Bild des Lebens der Gottscheer
in New York. Wir erfahren vor allem, daß sie über eine ganze
Reihe von Organisationen verfügten
mit denen wir uns noch beschäftigen werden. Zunächst bedürfen
jedoch zwei Punkte aus dem obigen Zitat einer Erläuterung:
Die elftausend, von der "Relief Association" ermittelten, hilfsbedürftigen
Gottscheer sind nicht gleichzusetzen mit den 1941 von der EWZ durchleuchteten
Umsiedungsberechtigten. Natürlich handelt es sich bei dieser Zahl hauptsächlich
um Flüchtlinge aus der Untersteiermark, jedoch befanden sich darunter
auch Landsleute die unter Umständen bereits Jahrzehnte vorher nach
Österreich ausgewandert und nun durch den Kriegsausgang in materielle
Not geraten waren.
Hingegen sind andererseits Flüchtlinge aus irgendwelchen Gründen
nicht erfaßt worden. Ferner verdient, festgehalten zu werden, daß
die Amerika-Gottscheer nicht nur über ihr Hilfswerk, sondern auch privat
noch Unmengen von Paketen nach Europa sandten. Es dürfte schwer sein,
in Österreich und Deutschland einen damals bereits erwachsenen Gottscheer
zu finden, der dieser großartigen menschlichen Leistung nicht teilhaftig
geworden wäre.
Eine ergiebige Geldquelle wurde dem "Gottschee-Hilfswerk" mit
einer ergreifenden Dokumentation der Nächstenliebe erschlossen, dem
"Gedenkbuch 1330 - 1947". Unter der redaktionellen Leitung des
Rechtsanwalts und Notars John Kikel erarbeitete ein Ausschuß binnen
kürzester Zeit ein reich bebildertes Buch mit geschichtlichen Ausführungen
über die einzelnen Gottscheer Dörfer und Gemeinden, wie sie bis
1933 bestanden. Sinn und Zweck dieses in der Gottscheer Literatur einmaligen
Werkes waren jedoch Inserate unterschiedlicher Größe, für
welche die Auftraggeber erhebliche Beträge aufwandten. Die weiteren
Spender sind unter Angabe ihrer Namen und Herkunftsorte, samt Hausnummer,
aufgeführt. Die meisten von ihnen waren schon jahrzehntelang in den
USA ansässig. Rund 2300 Namen finden wir dort.
Es wäre ein unverzeihliches Versäumnis in den Augen der Empfänger
von Liebesgabensendungen, würde man die Namen der Männer und Frauen
aus dem Gottscheerland, die das "Gottschee-Hilfswerk" gemeinsam
ins Leben gerufen haben verschweigen. Neben ihren Namen sollen auch die
Herkunftsorte stehen, denn daheim war es alter Brauch, wenn zwei einander
fremde Landsleute sich trafen, lautete die erste Frage:
"Won bu sheitar
?" (Von wo seid Ihr?)
Dem Gründungsausschuß gehörten laut Festbuch von 1971 am
23. Mai 1945 die folgenden Persönlichkeiten an:
- Frank Deutschmann aus Suchen bei Nesseltal
- Alois Fink aus Klindorf
- John Kikel als Altlag
- Mary Gregoritsch aus Stockendorf
- Maria Högler aus Göttenitz
- Mary Hönigmann aus Windischdorf
- Rudolf Kump aus Buchberg
- Mathias Lackner aus Preriegl
- Frank Meditz aus Nesseltal
- Hilda Meditz aus Nesseltal
- Josef Meditz aus Nesseltal
- John Petschauer aus Tschermoschnitz
- Ferdinand Sbaschnig aus Masereben
- Adolf Schauer aus Oberwarmberg
- Viktor Schauer aus Niedermösel
- Josef Schneller aus Nesseltal
- Karl Stalzer
aus Büchel
- Fanny Staudacher aus Büchel
- Ferdinand Stimpfel aus Mooswald
In ebenso dankbarer Würdigung seien die Namen der bis zum Erscheinen
dieses Werkes wirkenden Präsidenten des "Gottschee-Hilfswerkes"
bzw. der "Relief Association, Incorporation" genannt:
- Adolf Schauer aus Oberwarmberg (1946-1950)
- John Kikel aus Altlag (1951-1953)
- Josef Hoge aus Altlag (1954/55)
- Karl Stalzer aus Büchel (1956-1965)
- Ernst Eppich aus Unterdeutschau (seit 1966)
Nicht nur in den Vereinigten Staaten finden große Veranstaltungen
der Gottscheer statt, sondern auch in Europa. Die größte Zahl
an Besuchern weist jedoch das "Volksfest" im Plattdeutschen Park
zu New York auf. Je nach Witterung erscheinen vier- bis fünftausend
Besucher. Das "Gottscheer Volksfest" gehört zu den größten
landsmannschaftlichen Veranstaltungen der Deutsch-Amerikaner in New York.
Der äußere Rahmen und Ablauf entsprechen am ehesten einem überdimensionalen
Kirchweihfest daheim, einem "Kirtog". Lange Tische unter alten
Bäumen erinnern an irgendein Wirtshaus im "Ländchen".
Eine riesige Schallmuschel verrät, daß dieser Park für Volksfeste
mit Blechmusik angelegt wurde. Den Gottscheern dient sie jedoch als Rednertribüne.
Farbenfrohe Dirndltrachten beleben das heitere Bild.
Überlagert ist die festliche Kulisse von einem hochgestimmten Schwirren
gottscheerischer Laute und dem immer neu aufklingenden Lachen der fröhlichen
Festbesucher. In den ersten Jahren des "Volksfestes" wurde das
Stimmengewirr vielfach unterbrochen von lauten Zurufen, Menschen stürzten
aufeinander zu und hielten sich minutenlang mit den Händen und den
Augen fest. Manche hatten sich dreißig, vierzig, andere fünfzig
Jahre nicht mehr gesehen. Nachbarskinder, die fast geschwisterlich miteinander
aufgewachsen waren, Jugendfreunde und -freundinnen, alte Kameraden aus gemeinsamer
Militär- und Kriegszeit hatten sich wieder.
Und doch besteht ein tiefgreifender Unterschied zwischen dem "Gottscheer
Volksfest" in New York und einem "Kirtog" daheim. Wenn sie
so beieinander stehen, forscht heimlich jeder im Antlitz seines Gegenübers
nach den Gesichtszügen der Kinderzeit - und findet sie, verborgen unter
der Erinnerung an das Wunderland der Jugendtage. Alles blüht auf, was
damals allein wichtig war, das Elternhaus, das Dorf, seine Kapelle, die
unvergessenen Wege vorbei an den Bildstöcken und Feldkreuzen in die
Wiesen und Wälder, die oft geheimnisvoll drohenden, dunklen Gottscheer
Wälder. Die Spielplätze, die Schule, die Kirche und der Friedhof
drängen sich in das Bild, durch das spielende Kinder toben, die Mutter
ernst und schweigsam schreitet. Alles kommt ihnen viel größer
und reicher vor, als es in Wirklichkeit war, denn die Enge und das Entbehrenmüssen
sind vergessen. Viele, viele alte Gottscheer kommen aus der Tiefe des nordamerikanischen
Raumes, plötzlich müde geworden des Übermaßes an Fremde,
zu diesem Rastplatz der Heimatliebe, die nur noch das versunkene Traumland
des Lebensfrühlings gelten läßt.
Vor dem eingefriedeten Festplatz aber stehen Hunderte jener Zeugen dafür,
wie sich harte Arbeit lohnt, Automobile, von denen manche mehr kosten, als
ein kleiner oder mittlerer Gottscheer Bauer in seinem ganzen Leben eingenommen
hat.
Ein weiterer
Unterschied zu einem heimischen "Kirtog" sind die offiziellen
Ansprachen. Zuhause stand die Predigt des Pfarrers im Mittelpunkt. Im "Plattdeutschen
Park" werden die Gäste von der Festleitung und dem Präsidenten
des "Gottschee-Hilfswerkes" feierlich begrüßt, namentlich
jene aus Europa. Unter ihnen befindet sich immer wieder Pater Mathias Schager
aus Meierle. Er ist als Pfarrer in Wien tätig. So oft der Pater das
"Volksfest" besucht, liest er einige Wochen später in Neu-Gottschee
eine Feldmesse. "Neu-Gottschee" ist ein Gelände in der Landschaft
Walden, 60 Meilen westlich von New York, das der Gottscheer "Country-Club"
erworben und mit weit auseinanderstehenden Landhäusern im gängigen
amerikanischen Stil bebaut hat. Trotz der beträchtlichen Entfernung
wohnen jedesmal mehrere hundert Gottscheerinnen und Gottscheer dem Gottesdienst
bei, um sich von diesem Ereignis mit seinem eigentümlichen Stimmungsgehalt
erneut in der Abstammung bestätigt zu fühlen. An der Rückseite
des Clubhauses ist, reich mit Grün geschmückt, der Feldaltar aufgebaut.
In wenigen Metern Entfernung scharen sich die Gläubigen tief gestaffelt
in einem weiten Bogen um den Altar. In ihrer Mitte steht eine Gruppe von
Frauen. Sie singen ohne einen Dirigenten die "Deutsche Messe"
von Franz Schubert.
Eine zweite, ländliche Ansiedlung von Gottscheer Landsleuten in aufgelockerter
Form befindet sich in Hawley, Staat Pennsylvania. Sie ist in einem Raum
von etwa 5 Quadratkilometern verstreut, dort stehen bereits 52 in moderner
Art gebaute Einfamilienhäuser auf Grundstücken im Ausmaß
von jeweils 5000 bis 50.000 Quadratmetern. Die meisten davon sind direkte
Nachbarn. Etwa 20 Gottscheer sind bereits Eigentümer von weiteren Baugrundstücken
in diesem Gebiet. Die Gegend liegt zweihundert Kilometer von New York entfernt
in der Pocono-Gebirgsregion (eine bekannte und gern aufgesuchte Sommerfrische).
Sie ist der Landschaft sowie auch der Seehöhe nach unserer ehemaligen
Heimat Gottschee ähnlich. In diesem Raum liegt auch die beliebte Gaststätte
"Lukans Farm" der Familie Lukan aus dem Gottscheer Unterland.
Um das Hilfswerk aufzubauen und mit Leben zu erfüllen und um eine Veranstaltung
wie das "Volksfest" aufzuziehen, bedurfte und bedarf es zahlreicher
freiwilliger Helfer und einer Anzahl von Männern und Frauen, die organisieren
können und bereit sind, sich unter erheblichen, persönlichen Opfern
an die Spitze zu stellen.
Die Präsidenten des Volksfestes waren:
- 1947 Anton Gliebe
- 1948 - 1952, 1959 Ignaz Kreuzmayer
- 1954 / 55 Karl Stalzer
- 1956 Fred Sumperer
- 1960 Albert Belay
- 1961 - 1963, 1966 bis heute Richard Eisenzopf
- 1964 / 65 Ernst Eppich
Besonders hervorzuheben ist hier die Leistung von Richard Eisenzopf aus
Hohenegg, dem die Festleitung schon 15 Jahre anvertraut wurde. Für
seine Verdienste wurde er zum "Ehrenrat" des "Gottscheer
Hilfswerks" ernannt und ist Ehrenmitglied der Gottscheer Landsmannschaft
in Klagenfurt.
Die Kraft
für ihre Opferbereitschaft erwuchs ihnen allen aus einem Aufruf des
Gewissens, den eine Hinterbergerin in ihrem Inserat in die schlichten
Worte kleidete: "Vergeßt den Gottscheer nicht in seiner Not!"
Die materielle Gesamtleistung der Gottscheer in USA und Kanada ist statistisch
nicht erfaßt und wohl auch nicht erfaßbar. Wenn allein schon
das "Gottscheer Hilfswerk" den Wert der Liebesgabenpakete, die
über seine Organisation abgefertigt wurden, mit rund 100.000 Dollar
beziffert, so sind darin die ungezählten Einzelsendungen an Verwandte,
Freunde und Unbekannte noch nicht Inbegriffen. Nicht bewertbar ist auch
das ideelle Kapital dieser einzigartigen Nachbarschaftshilfe, weil sie
sich in Geld nicht ausdrücken läßt. Man kann ihr Vorhandensein
bestenfalls erklären und zwar aus der Geschichte des Gottscheerlandes
und aus den zahlreichen Vereinigungen zur Pflege gemeinsamer Erinnerung
an das ferne "Ländchen".
Bei der Wahl des Vorstandes des Gottscheer Hilfswerks wurde 1966 Ernst
Eppich zum Präsidenten erwählt. Er ist am 10. April 1920 in
Unterdeutschau geboren und wanderte 1952 in die USA aus. Der gesamte Vorstand
setzte sich damals aus Neueinwanderern zusammen. Diese jungen Leute sind
mit aller Kraft und auch einem gewissen Ehrgeiz an die Arbeit gegangen,
um zu beweisen, daß sie aus Dankbarkeit für die früher
empfangenen Hilfesendungen bereit sind, weiterhin Hilfe an die noch immer
in Not befindlichen Landsleute in Europa zu bieten.
Damals wurde auch das heute noch funktionierende Kulturkomitee gebildet.
Sofie Moschner, die Leiterin dieser Vereinigung, hat durch ihre persönliche
Hingabe und Bereitschaft den größten Anteil an den Erfolgen.
Sie bildete die Gottscheer Trachtengruppe, die bei allen größeren
Anlässen und Festlichkeiten in Erscheinung tritt. Alle Gottscheer
Vereine mit dem Gottscheer Hilfswerk an der Spitze unterstützten
auch den Deutschen Schulverein von New York. Sie erachten es als sehr
wichtig, daß die Kinder von Gottscheer Eltern die Deutsche Schule
besuchen.
Der jetzige Leiter des genannten Kulturausschusses, Albert Belay, veranstaltet
alljährlich für jung und alt Weihnachtsfeiern im Gottscheer
Klubhaus.
Die alten Weihnachtsbräuche aus der verlorenen Heimat werden erneuert,
Gedichte und bekannte Weihnachtslieder werden von Kindern und den Gottscheer
Chören vorgetragen. Kinder und betagte Landsleute werden durch Weihnachtsgaben
erfreut.
Seit dem Jahre 1965 beteiligen sich die Gottscheer von New York auch an
der großen Steuben-Parade der Deutsch-Amerikaner, die jedes Jahr
in der 5th Avenue in New York abgehalten wird. Eine große Anzahl
der Mitglieder der angeschlossenen Vereine nehmen daran teil. Die jeweilige
Miß Gottschee mit ihren Prinzessinnen, die Gottscheer Trachtengruppe,
die alljährlich Aufsehen erregt, sowie eine große Gruppe der
jungen Fußballer von "Blau-Weiß Gottschee" marschieren
mit.
In der Vermögensentschädigung hat sich das Gottscheer Hilfswerk
mit großer Energie eingesetzt, um die Wiedergutmachung für
unsere Landsleute in den USA zu erlangen. Es wäre falsch, einen Mann
zu vergessen, der sich voll und ganz für die Entschädigung des
Vermögens verwendet hat: Sein Name ist Josef Novak aus der Stadt
Gottschee. Schon 1970 wurde er in Anerkennung seiner Verdienste vom Gottscheer
Hilfswerk zum "Ehrenrat" ernannt.
Heute besteht eine reibungslose Zusammenarbeit unter den Gottscheer Organisationen
von New York. Diese Tatsache ist nicht zuletzt der umsichtigen Arbeit
des Präsidenten
des Gottscheer Hilfswerks, Ernst Eppich, und seiner 12 jährigen Amtszeit
zuzuschreiben.
Die erste Vereinsgründung zur gegenseitigen Hilfeleistung in Cleveland/Ohio
(1889) wurde bereits dargestellt. Alle Vereinigungen entstanden und bestehen
aus Idealismus und dienen kulturellen, sozialen und sportlichen oder rein
gesellschaftlichen Zielen. Organisationen mit politischen oder wirtschaftlichen
Zielen haben die Gottscheer in der Neuen Welt auf landsmannschaftlicher
Basis nicht hervorgebracht.
Nachstehend verzeichnen wir die in der "Gottscheer Relief Association"
zusammengeschlossenen Organisationen, auch jene, die sich nach jahrzehntelangem
Bestehen und Wirken aufgelöst haben. Als Quellen dazu dienten das
"Gedenkbuch" 1330 bis 1947, die "Jubiläumsschrift"
anläßlich des 25jährigen Bestehens des Gottschee-Hilfswerks
1971 und Berichte eines Arbeitskreises des Hilfswerkes.
Der "Gottscheer Männerchor" ist der älteste Gottscheer
Verein ganz Nordamerikas, der eine besondere kulturelle Tätigkeit
entfaltet. Er wurde am 1. April 1900 gegründet, und hat sich in den
nun fast acht Jahrzehnten seines Bestehens den Ruf eines hochstehenden
Klangkörpers erworben. Er erfüllt heute noch die bei seiner
Gründung gestellte Aufgabe, wie die Pflege des deutschen und des
Gottscheer Liedes sowie hilfsbereiter Nachbarschaft bei frohgemuter Geselligkeit
nach Gottscheer Art. Der erste Präsident hieß Peter Stonitsch
aus Unterdeutschau. Zum ersten Dirigenten wurde Julius Drück, ein
zu jener Zeit sehr bekannter Musiklehrer, gewählt. Jetziger Dirigent
ist Peter Freund, ein Donauschwabe, der nicht nur hohe musikalische Fähigkeiten
besitzt, sondern auch viel Verständnis für das Gottscheer Liedgut
mitbringt. Ihm vor allem verdankt der Gottscheer Männerchor seine
anerkannten sängerischen Qualitäten.
Die Seele des Vereins ist jedoch seit dem Jahre 1937 sein Präsident
Karl J. Stalzer aus Büchel, Gemeinde Nesseltal. Er wurde 1905 in
Newark/USA in jene Gottscheer Generation hineingeboren, die in Scharen
in die Vereinigten Staaten auswanderte, aber nur in geringer Zahl wieder
heimkehrte, um mit den ersparten Dollars neu zu beginnen. Dies taten auch
noch seine Eltern. 1923 zog der 18 jährige seinerseits die Auswanderung
in die Vereinigten Staaten, seinem Geburtsland, den immer schwieriger
werdenden Lebensumständen in der Heimat vor. Er ließ sich in
New York nieder und begründete seine Existenz als Bautischler, wurde
Baumeister und Unternehmer. Unmittelbar nach seinem Eintreffen tat er
im Gottscheer Vereinsleben mit. Die Landsleute erkannten seine Fähigkeiten
und übertrugen ihm zahlreiche Arbeitsposten in den Organisationen,
denen nun schon fast 52 Jahre seine Freizeit gehört. Mit ungewöhnlicher
Arbeitskraft ausgestattet, gelang es ihm, Ämter wie das des Männerchorpräsidenten
mit jenem des ersten Vizepräsidenten der "Relief Association"
und Präsidenten derselben Organisation (1956 bis 1965) zu vereinen.
Das Gottschee-Hilfswerk verlieh ihm für seine große Leistung
den Titel eines Ehrenpräsidenten. Die "Arbeitsgemeinschaft der
Gottscheer Landsmannschaften" (Sitz Klagenfurt) zeichnete ihn durch
die einstimmige Verleihung des Gottscheer Ehrenringes 1977 aus. Der Ring
wurde ihm in einer Feierstunde in New York überreicht.
1923 erhielt der "Männerchor" ein Gegenstück in dem
"Gottscheer Damenchor". Es wurde Brauch, daß die beiden
Chöre in jeder Saison als gemischter Chor mit einem umfangreichen
Konzertprogramm vor die Öffentlichkeit traten. Der "Gottscheer
Damenchor" löste sich 1957 auf. Ein weiteres Beispiel für
die Sangesfreudigkeit der Gottscheerinnen in New York stellt der 1937
gegründete "Deutsch-Gottscheer Gesangsverein"
dar. Derzeitige Präsidentin ist Sofie Moschner, geborene König
aus Hohenberg. Ihre Vorgängerinnen waren Elsa Tscherne, Netti Wittmann,
Luise Högler und Maria Stampfel-Graf, die vom Verein zu Ehrenpräsidentinnen
ernannt wurden. Sofie Moschner, geboren 1922, wanderte 1955 nach New York
aus, wo sie sofort eine tatkräftige Mitarbeiterin im Vereinswesen
wurde. Große Verdienste hat sie sich, wie schon erwähnt, durch
die Gründung einer Trachtengruppe innerhalb des Hilfswerks erworben.
Auch ist es ihrem Einsatz zu verdanken, daß das Gottscheer Mundartlied
zu einem Mittelpunkt in der Arbeit der "Gottscheer Chöre"
(wie der Männerchor und der "Deutsch-Gottscheer Gesangsverein"
auch genannt werden) geworden ist. Im Jahre 1967 erbrachte die enge Zusammenarbeit
der Chöre eine Schallplatte mit 16 Gottscheer Volksliedern, eine
Leistung, die damals einzig dastand und die sich würdig in die verdienstvollen
Beiträge zur Erhaltung unseres Kulturgutes einreiht.
Dieser Frauenchor stützt sich heute nicht mehr allein auf die eingewanderten
Gottscheerinnen, sondern auf ihre heranwachsenden Töchter, die bereits
ein Drittel der Sängerinnen ausmachen. Sie liefern somit den Beweis,
daß die Blütezeit des Chores noch nicht zu Ende ist.
War schon das Entstehen des "Gottscheer Männerchores" ein
Zeichen dafür, daß die Zahl der Einwanderer aus der Sprachinsel
bedeutend gestiegen war, wurde diese Tatsache am 24. April 1901 mit der
Gründung des "Gottscheer Krankenunterstützungsvereines"
unterstrichen. Er ist einer der ältesten Arbeiter-Selbsthilfe-Organisationen
Amerikas. Der Mangel an sozialer Fürsorge und das Bedürfnis
nach geselligen Zusammenkünften der Gottscheer Landsleute trugen
wesentlich zu der Gründung dieses Vereins bei, die Unterstützung
der Mitglieder in Krankheits- und Sterbefällen blieben jedoch bis
heute der Hauptzweck. Erster Präsident wurde John Krisch. Man erkannte
bald, daß der geringe Mitgliedsbeitrag nicht ausreichen würde,
die Erfordernisse erfüllen zu können. So entschloß man
sich, den inzwischen zur Tradition gewordenen Bauernball ins Leben zu
rufen. Dies ergab nicht nur eine Stärkung der Vereinskasse, sondern
bot gleichzeitig auch den Mitgliedern und Angehörigen Gelegenheit
zu geselligen Zusammenkünften. Dazu fehlte den Gottscheern ein eigener
Raum. So war der Ruf nach einem eigenen Clubhaus sehr groß. Der
damalige Präsident des Vereines, Gottfried M. Tittmann, wurde der
Urheber und Gründer des Gottscheer Clubhauses und der bald darauf
folgenden Kinder-Weihnachtsbescherung. Diese leitete durch viele Jahre
Adolf Schauer.
Ein weiterer Verein entstand am 4. Juni 1904 mit dem Namen "Österreichisch-Ungarischer
Reservistenbund". Er wurde im Jahre 1907 als "österreichischer
Männer-Krankenunterstützungsverein" bekannt. Erster Präsident
war Alois Duffek, später zum Ehrenpräsidenten ernannt. Das Motto
dieses Vereines war ebenfalls, den in Not geratenen Landsleuten bei Krankheits-
und Sterbefällen behilflich zu sein. Am 18. Dezember 1955 vereinigten
sich die beiden gleichen Zielen dienenden Vereine. Verdienstvolle Präsidenten
des österreichischen M. K. U. V. waren Andreas Stontisch, Adolf Schauer,
Ferdinand Matzele, Alois Fink, Hermann Koch und Ferdinand Novak. Wie bereits
nach dem Ersten Weltkrieg der Gottscheer K. U. V. die treibende Kraft
für Hilfsaktionen war, so kamen auch diesmal aus seinen Reihen die
ersten Stimmen, den notleidenden Landsleuten in Europa nach dem Zweiten
Weltkrieg zu helfen. Tatkräftig wurde das Vorhaben der Gründung
des Gottscheer Hilfsvereines unterstützt.
Den Höhepunkt im Hinblick auf die Mitgliederzahl erreichte der Verein
wohl im Dezember 1956 mit 530 Mitgliedern. Auch beim Umbau des Gottscheer
Clubhauses im Jahre 1962 tat der Verein durch finanzielle Unterstützung
ausgiebig mit. Alles wurde getan, um das Heim der Gottscheer in Ridgewood
zu vergrößern.
Den großen Erfolg dieses Vereines kann man auch daran erkennen,
daß er bis heute eine halbe Million Dollar an Kranken- und Sterbegeld
nebst vielen anderen Unterstützungen auszahlte. Dabei wird nicht
nur für die alten Mitglieder gesorgt, sondern auch der Jugend wird
durch Errichtung von Stipendien geholfen. Für besondere Verdienste
wurden im Laufe der Zeit mehrere Präsidenten zu Ehrenpräsidenten
ernannt. Dies sind:
- Mathias Kump aus Kummerdorf 1903-1906 und 1931-1937
- Gottfried M. Tittmann aus Steyr 1910, 1912-1922, 1924-1927
- Adolf Schauer aus Oberwarmberg 1924-1930 Präsident im Ö. M.
K. V.
- Josef Eppich aus Altlag 1962-1969.
Der jetzige Präsident ist Alois Eppich aus Kukendorf, der diesen
Posten bereits elf Jahre bekleidet (1958/59 und seit 1970). Wiederum mit
fast gleichem Namen und Programm wurde 1919 eine dritte Wohlfahrtsorganisation
ins Leben gerufen, der Gottscheer Kranken-Unterstützungsverein von
New York.
"Gottscheer Vereinigung" nennt sich eine vierte Organisation,
die gegenseitige Hilfsbereitschaft und Pflege gottscheerischer Sitte und
Art seit 1935 auf ihre Fahne geschrieben hat. Der Gründungspräsident
war John E. Loser aus Rieg, der den Verein (mit kurzer Unterbrechung)
auch heute noch führt. Loser ist ein tüchtiger Mitarbeiter in
der Gottscheer Volksgruppe in New York und seine Leistungen werden hoch
bewertet und voll anerkannt.
Der mitgliederstärkste und in der deutsch-amerikanischen Öffentlichkeit
bekannteste Verband ist ein Sportclub, der sich nach den Landesfarben
der früheren Sprachinsel den Namen "Blau-Weiß Gottschee"
gegeben hat. Der erste Präsident war der Zivilingenieur Albert Belay
aus Lienfeld. Er ist 1925 geboren, wanderte 1950 in die Vereinigten Staaten
aus und fügte sich sogleich durch die Übernahme bleibender Ämter
in das organisatorische Leben der Gottscheer in New York ein. Unter anderem
führt er zehn Jahre das Kultur-Komitee der "Relief Association".
Die Gründung "Blau-Weiß Gottschee" machte den Landsleuten
von Anbeginn viel Freude. Der Klub entwickelte sich zeitweilig über
längere Strecken zum erfolgreichsten Sportverein des "Deutsch-amerikanischen
Fußballbundes". So stieg er 1963 in die Oberliga dieses Verbandes
auf. Die bedeutendsten Siege errangen jedoch die Nachwuchsmannschaften,
besonders die Knabenmannschaft. Sie erreichte in den Jahren von 1963 bis
1968 und 1970 die DAFB-Meisterschaft (Deutsch-amerikanischer Fußballbund)
in ihrer Klasse und (eine herausragende Leistung) verlor von 1963 bis
jetzt kein einziges Spiel.
Seit Jahren bestreitet "Blau-Weiß" jede Spielsaison mit
zehn oder mehr Mannschaften, ein Unternehmen, welches die Freizeit vieler
Mitarbeiter und Betreuer voll in Anspruch nimmt. Seine Präsidenten
waren bisher:
- 1951 Albert Belay (Lienfeld)
- 1952, 1953, Erwin Hönigmann (Altlag)
- 1954 bis 1961 Josef Hoge (Weißenstein)
- 1962 bis 1965 Albert Belay
- 1966 bis 1969 Louis Hocevar (Brunnwirt/Gottschee Stadt)
- 1970,1971 Albert Petsche (Hinterberg)
- 1972 bis 1974 Erwin Jonke (Gottschee Stadt)
- 1975 Willy Stalzer (Reichenau)
- seit 1976 Ernst Kresse (Ort)
Neben "Blau-Weiß Gottschee" haben sich viele Gottscheer
zu anderen Sport- und naturverbundenen Clubs zusammengeschlossen. Vom
Gottscheer Country-Club wird der Wunsch, möglichst oft und lange
in einem eigenen Heim unter Gottscheern weilen zu können, organisiert.
Die von den Clubmitgliedern entwickelte ziemlich weitläufige Siedlung
nennt sich "Neu-Gottschee". Auf dem Gelände steht ein gut
ausgestattetes Clubhaus, das seit seiner Errichtung ein viel besuchtes,
sommerliches Ausflugsziel der New Yorker Gottscheer darstellt.
Jagdfreuden verwirklicht der "Green Mountain Hunting Club".
Er wurde 1954 gegründet. Sein erster Präsident hieß Hermann
Ostermann. Das Jahresprogramm sieht einschlägige sportliche Veranstaltungen
sowie die Pflege waidmännischer Traditionen vor. Gegenwärtiger
Präsident ist Josef Kofler aus Katzendorf.
Ein ähnliches jagdsportliches Vereinsleben entfaltet der "Gottscheer
Rod and Gun Club". Gegründet 1950, war sein erster Präsident
John Köstner. Er besitzt ein ausgedehntes Jagdrevier, dessen Baum-
und Wildbestand sich freilich nicht mit jenem in den Gottscheer Wäldern
vergleichen läßt. Mit um so größerer Anhänglichkeit
pflegt der Club die Erinnerung an die alte, heimatliche "Jagerei".
Gegenwärtiger Präsident ist Adolf Petsche aus Unterskrill.
Besonders ist noch der "Gottscheer-Kegelclub" zu erwähnen.
Auch seine Zielsetzung endet nicht im sportlichen Tun, sondern vereinigt
die Mitglieder oft und oft zu alt-gottscheerischer Unterhaltung in froher
Runde. Erster Präsident war John Kropf, jetziger Präsident:
Robert Schlinderer aus Rieg. Dieser Club hat eine beachtliche Zahl von
Mitgliedern und ist ein treuer Mitarbeiter in der Gottscheer Gemeinschaft.
Das Vereinsleben der Gottscheer in New York hätte seine nun bald
achtzig Jahre andauernde Regsamkeit mit den zahlreichen geselligen und
gesellschaftlichen Veranstaltungen und Versammlungen nicht fortführen
können, wäre nicht am 15. März 1924 der erste Schritt zur
Gründung der "Gottscheer Central Holding Corporation" getan
worden. Die damals bereits bestehenden Vereine beriefen eine Massenversammlung
ein. Noch an Ort und Stelle erklärten sich mehr als hundert Personen
bereit, der vorgeschlagenen Neugründung, deren Hauptziel die Errichtung
eines Clubhauses war, als Aktionäre beizutreten. Bereits im Juni
wird die Gesellschaft bei der zuständigen New Yorker Behörde
eingetragen. Die Mitgliederzahl war inzwischen auf mehr als 400 angewachsen,
das Aktienkapital auf rund 10.000 Dollar gestiegen. Es wurde zum Ankauf
des Grundstückes Nr. 657 in der Fairview Avenue im Stadtteil Ridgewood
und für die dringendsten Reparaturen am Gebäude verwendet. Die
größten Verdienste um das Entstehen der "Gottscheer Central
Holding Corporation" erwarb sich Gottfried M. Tittmann, Sohn von
Gottscheer Eltern, geboren 1888 in der Stadt Steyr, ist er im Jahre 1902
mit Vater und Mutter in die Vereinigten Staaten eingewandert. Er ist gelernter
Goldschmied, gründete vor mehr als sechs Jahrzehnten ein eigenes
Unternehmen, in dem er noch heute mit seinen Söhnen arbeitet. Aus
seiner Lebensleistung für das Gottscheertum sei hervorgehoben: Er
war der Gründer der "Central
Holding Corporation" und sein erster Präsident. 16 Jahre war
er Präsident und 70 Jahre Mitglied des "Gottscheer Kranken-Unterstützungsvereines".
In beiden Fällen wurde er von den Mitgliedern zum Ehrenpräsidenten
gewählt.
Im Laufe der Jahrzehnte erfüllte das Clubhaus nach mehreren Ausbauten
seine Zweckbestimmung immer besser. Der Durchbruch zum großräumigen
repräsentativen Mittelpunkt der Gottscheer in New York wurde jedoch
erst 1960 mit dem Ankauf des Nachbargrundstückes möglich. Die
Umbauplanung und die erforderlichen Arbeiten leitete der verstorbene Präsident
Ferdinand Sbaschnig aus Masereben (1905-1970), dem ein arbeitswilliges
Komitee zur Seite stand. Sbaschnig war für diese Aufgabe als Inhaber
eines Eisen- und Stahlkonstruktionsunternehmens besonders geeignet. Die
feierliche Eröffnung fand am 1. Dezember 1962 unter großer
Beteiligung der Gottscheer statt.
Auch der gegenwärtige Präsident Arthur Tramposch aus Nesseltal
betrachtet es als persönliches Anliegen, das Clubhaus in einem ausgezeichneten
Zustand nicht nur zu erhalten, sondern noch weiter auszubauen. Arthur
Tramposch ist 1904 in Chicago geboren, lebte mit seinen Eltern von 1911
bis 1922 in Nesseltal und kehrte in diesem Jahr in die USA zurück.
Er blickt auf ein erfolgreiches Leben als Fachmann der Holzbearbeitung
im Rahmen einer Großtischlerei zurück.
So wie das Gottscheer Clubhaus heute dasteht, legt es beredtes Zeugnis
ab für die Opferbereitschaft und das Zusammengehörigkeitsgefühl
seiner Gesellschafter und Besucher. Seine Anziehungskraft endet nicht
an der Stadtgrenze von Groß-New York. Alle Gottscheer wissen, daß
dort ein Heimathaus steht, Heimat durch die Menschen, die dort Tag für
Tag und Jahr für Jahr aus und ein gehen. Das klingt ein wenig sentimental,
aber - es soll kein Vorwurf sein - ein dem materialistischen Zeitgeist
verhafteter Zeitgenosse kann sich eben kaum vorstellen, was diese Menschen
bewegt, wenn sie manchmal nach langer Zeit wieder mit einem Landsmann
in der alten Mundart gatscheabarisch
reden können. Am ehesten begreift das noch ein Schwabe, der sich
ungemein freut, wenn er in einer anderssprachigen Umgebung auf einen Landsmann
trifft, mit dem er schwäbisch "schwätze" kann. Nicht
zufällig steht das "Haus der Gottscheer", wie man es auch
nennen könnte, in Ridgewood. Von diesem Stadtteil sagt man, daß
dort jedes zweite Haus einem Gottscheer gehöre. Die Stadtverwaltung
hat wiederholt die auffallende Sauberkeit der Straßen und Häuser
in diesem Viertel anerkannt. Dies ist die Repräsentation der Wohngesinnung
nach außen.-
Die große Bedeutung des in New York entstandenen Gottscheer Hilfswerks
für alle lebenden Gottscheer rechtfertigt eine eingehende Behandlung
seines Entstehens und Bestehens. Dies bedeutet jedoch nicht, daß
es außerhalb New Yorks keine oder keine so hilfsbereiten Gottscheer
Organisationen gibt und gab wie dort. Es gibt auch noch weitere Stätten
der Begegnung mit dem Landsmann, von denen man ebenfalls sagen kann, daß
die Vereine darin ein Zuhause haben. Wie in New York finden dort Gemeinschaftsveranstaltungen,
Familienfeiern, Konzerte und Bälle statt. Man sieht und wird gesehen,
junge Leute finden sich hier fürs Leben, feiern hier Hochzeit und
Taufe. - Nicht zufällig entstand fast gleichzeitig mit der "Gottscheer
Relief Association Incorporation" in New York das "Relief Comity"
in Cleveland/Ohio. Es wurde von folgenden Vereinen aufgebaut: "Erster
österreichischer Krankenunterstützungsverein", dem wir
hier zum zweitenmal begegnen. Er darf für sich in Anspruch nehmen,
der erste Gottscheer Hilfsverein, überhaupt die erste, von Gottscheern
gebildete Organisation auf amerikanischem Boden gewesen zu sein. Dazu
kamen der "Deutsch-Österreicher Unterstützungsverein"
und der "Deutsch-Österreicher Frauenbund". Alle drei sind
Gottscheer Gründungen vor 1918. Sie verwendeten das Wort Österreich
in ihren Namen, weil sie aus diesem Lande kamen und weil sich unter dem
Begriff "Gottschee" selbst die Deutsch-Amerikaner zur damaligen
Zeit nichts vorstellen konnten.
- Je drei Beauftragte dieser drei Organisationen trafen sich mit Vorstandsmitgliedern
und nicht organisierten Gottscheern im März 1946 zu einer Vorbesprechung.
Schon bei dieser Gelegenheit wurde beschlossen, mit dem "Gottschee-Hilfswerk"
in New York zusammenzuarbeiten. Der Beschluß zur Gründung des
"Relief Comity" wurde kurz darauf gefaßt. Die Gottscheer
Volksgruppe von Cleveland/Ohio dürfte in der Mitte der siebziger
Jahre des 20. Jahrhunderts noch 6000 bis 6500 Gottscheer umfaßt
haben. Auch sie erbauten für ihr Gemeinschaftsleben ein Clubhaus.
Bereits seit Jahrzehnten verfügen sie aber auch über eine eigene
Kirchengemeinde, die von Geistlichen aus Gottscheer Familien geführt
und betreut wird. Sie amtieren in der gemeindeeigenen Kirche zur "Heiligen
Dreifaltigkeit". Als letzte Vereinigung von Gottscheern entstand
1970 eine Blaskapelle.
In Milwaukee am Michigansee, wo ebenfalls ein Gottscheer Verein existiert,
gründeten sangesfreudige Frauen einen gemischten Damen-Kinder-Chor.
Eine größere Zahl von Gottscheern ist auch in Chicago seßhaft
geworden. Wie viele es sind, ist schwer zu sagen, immerhin genug, um einen
Verein mit einem stattlichen Jahresprogramm zu haben.
Die Gottscheer in Kanada stellen zahlenmäßig lediglich einen
Bruchteil ihrer Landsleute in Amerika dar. Außerdem sind sie außerordentlich
dünn über das Riesenland verteilt. Ihre Einwanderung lag zeitlich
wesentlich später als jene in die USA, hauptsächlich zwischen
den beiden Weltkriegen und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die größte
Gruppe lebt in Toronto, eine etwas kleinere Gruppe in Kitchener und einige
Dutzend Familien haben in Montreal und Vancouver Heimat und Existenz gefunden.
Sie und andere kleine, über das ganze Land verteilte Gruppen sind
im allgemeinen deutschen und österreichischen Vereinen angeschlossen.
Gottscheer Vereine haben sich nur in Toronto und in Kitchener entwickelt.
Beide Vereine besitzen Clubhäuser. Jenes in Kitchener wurde 1953
unter dem Präsidenten Richard Mausser gegründet. Es nennt sich
"Alpen-Club" und gehört den Gottscheern, steht aber auch
anderen deutsch-kanadischen Vereinigungen zur Verfügung. Der "Alpen-Club"
in Kitchener gilt bei Besuchern als die umfangreichste, von Gottscheern
erbaute Anlage dieser Art. -
Wenn von Kitchener die Rede ist, so sollte man auch Josef Mausser, den
Bruder von Richard Mausser, erwähnen. Er wurde von der Stadt mit
der Benennung einer Straße und eines Parks nach seinem Namen dafür
ausgezeichnet, daß er nach dem Zweiten Weltkrieg mehr als achtzig
Gottscheern die Einwanderung nach Kanada ermöglicht hat.
Der Verein der Gottscheer in Toronto wurde 1955 ins Leben gerufen. Seine
Gründer waren Rudolf Muchitsch aus Obergras und Heinrich Lobe aus
Zwischlern. Seit 1965 steht Norbert Lackner an der Spitze des Vereines,
der 1967 den "Gottscheer Park" kaufte und auszustatten begann.
Lackner stammt aus Hohenegg und wurde 1924
geboren. Er absolvierte die Private deutsche Lehrerbildungsanstalt in
Neuwerbaß/Batschka, Jugoslawien.
Wegen einer besonderen, sportlichen Leistung verdient Josef Schleimer
aus Zwischlern hervorgehoben zu werden: Er errang - für Kanada startend
- bei den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin eine Bronzemedaille
im Ringen. Sein Name ist in der "Hall of Fame", der höchsten
Auszeichnung für kanadische Sportler, eingetragen.
Kehren wir zurück in die USA. Wir haben das Bild des Gottscheer Clubs
in den Vereinigten Staaten von Nordamerika noch hinsichtlich seiner wirtschaftlichen
und sozialen Lage in seiner Gesamtzahl und Verbreitung zu vervollständigen.
Glücklicherweise hat John Kikel in dem Gedenkbuch 1330 bis 1947 dazu
eine prägnante Abhandlung hinterlassen. Er schreibt auf den Seiten
22/23 unter anderem:
"Im Vergleich zu anderen in Amerika eingewanderten Stämmen stehen
die Gottscheer in wirtschaftlicher Hinsicht an der Spitze und das Durchschnittsvermögen
wird auf mehr als 10.000 Dollar geschätzt. Die Mehrzahl der Gottscheer
ist in einem gelernten Beruf beschäftigt und ein großer Teil
davon als Zimmerleute und Tischler. Als Geschäftsleute finden wir
sie fast in jeder Branche, vorwiegend aber in Delikatessengeschäften
und Gasthäusern. Fast alle Gottscheer sind Hausbesitzer. In Cleveland,
welches größere Ausdehnungsmöglichkeiten hat als New York,
eignen die meisten Ein- oder Zweifamilienhäuser.
Wir haben keine genauen statistischen Belege über die in Amerika
lebenden Gottscheer und ihre Angehörigen, können aber mit ziemlicher
Sicherheit annehmen, daß in Cleveland und anderen Städten in
Ohio etwa 7000 ansässig sind und in Ridgewood, New York und Umgebung
etwa 6000. Wenn man die Anzahl der in den anderen Staaten Amerikas und
Kanadas lebenden Gottscheer und ihrer Angehörigen, die man in jedem
Staat von New York bis San Franzisco findet, auf 6000 schätzt, so
haben wir heute in Amerika 19.000 Gottscheer und mag diese Zahl größer,
aber sicher nicht kleiner sein."
Die vorstehenden Ausführungen John Kikels treffen heute nur noch
bedingt zu. Seit ihrer Niederschrift sind 3 Jahrzehnte vergangen. In dieser
Zeit hat sich das Durchschnittsvermögen der Gottscheer nominell zweifellos
vergrößert, aber der Wert des Dollars ist inzwischen stark
abgesunken. Auch in den USA ist die Inflation sehr wohl bekannt.
Pauschal kann man sagen, daß es in der Mitte der siebziger Jahre
des 20. Jahrhunderts dem Amerika-Gottscheer besser geht, denn je.
Weitaus weniger erfreulich stellt sich uns jedoch die Bevölkerungsbilanz
der Gottscheer in Amerika und Kanada dar. Ohne Aufsehen, in ihr Schicksal
ergeben, vollstrecken auch die Gottscheer in den USA und Kanada das Lebensgesetz
ihres Stammes, denn: Echte Gottscheer werden nicht mehr geboren, sie sterben
nur noch.
Mit "echt" - man könnte dafür auch das Wort "gebürtig"
setzen - sind die im "Ländchen" geborenen Gottscheer und
ihre unmittelbaren Nachkommen, die ebenso gut in den USA und Kanada oder
in Österreich und Deutschland oder nach 1941 in einem Flüchtlingslager
geboren sein können, gemeint. Die meisten von ihnen beherrschen noch
den Gottscheer Dialekt oder verstehen ihn zumindest gut.
Vor dem Versuch, die Gesamtzahl der Gottscheer in der Mitte der siebziger
Jahre des 20. Jahrhunderts zu ermitteln, erhebt sich für manche Leser
sicher die Frage, wozu es gut sein soll, den Schlußakt der Tragödie
Gottschee, das langsame Dahinschwinden
der letzten Generation, bis zum bitteren Ende auszuspielen. Wer so fragt,
stellt dieses gesamte Werk in Frage, denn auch der Untergang ist Gottscheer
Geschichte. Außerdem verfügen nur die Letzten dieses kleinen
Völkchens aus dem Karst nach ihren sechs Jahrhunderten Geschichte
über eine politische und menschliche Reife, der man weite Verbreitung
wünschte. Zwar widerstrebend, doch endgültig haben sie sich
mit der Unabänderlichkeit ihres Schicksals abgefunden und sich die
Erkenntnis zu eigen gemacht, daß sie in allen Machtzentren bestenfalls
ein mitleidiges Lächeln geerntet hätten, wären sie nach
1945 auf die Idee verfallen, ihr altes Siedlungsgebiet zurückzuverlangen.
Wenn man nur im einzelnen zu prüfen versucht, wie weit die Angabe
John Kikels, daß 1947 im nordamerikanischen Raum rund 19.000 Gottscheer
und ihre Angehörigen lebten, zutrifft, so hält es in großen
Zügen nicht nur die Geschichte der Einwanderung der Gottscheer in
die USA fest, sondern auch die statistischen Voraussetzungen für
die Gesamtzahl der Gottscheer in der Mitte der siebziger Jahre des 20.
Jahrhundert.
Hat John Kikel recht? Wir müssen davon ausgehen, daß seine
19.000 eine Schätzung sind. Uns stehen heute folgende Zahlen, an
die wir gebunden sind, zur Verfügung:
1876: Der Wiener Bevölkerungswissenschafter C. Czoernig schätzt
die Zahl der Gottscheer auf rund 25.000 bis 26.000. Wir nehmen die obere
Grenze, 26.000.
1910: Die letzte Volkszählung in der österreichisch-ungarischen
Monarchie ergibt 17.400.
1930: Eine private Zählung mit Hilfe der Pfarreien ermittelt rund
14.500.
1941: Ergebnis der Durchschleusung im EWZ-Zug rund 12.000.
Wir überblicken daher die Bevölkerungs- und Wanderbewegung von
genau hundert Jahren, von 1876 bis 1976. Führen wir uns noch einmal
vor Augen, daß das Gottscheerland in diesen drei stürmischen
Menschenaltern zwei epochalen Entwicklungen zum Opfer fiel, dem Wanderungsausgleich
zwischen der dicht bevölkerten alten und der dünn besiedelten
neuen Welt auf der einen und den chauvinistischen Auswüchsen des
mitteleuropäischen Nationalismus auf der anderen Seite. Die Gottscheer
sind von ihrem Fleckchen Erdboden verschwunden, aber ihre Lebenskraft
ist vorerst noch ungebrochen. Wenn wir nämlich die etwa 19.000 Gottscheer
John Kikels, die etwa 12.000 Umsiedler von 1941 und die rund 700 (Schätzung
des Verfassers) echten Gottscheer in der Ersten Republik Österreich
zusammenzählen, stehen plötzlich rund 32.000 Gottscheer vor
uns. Man kann hier mit John Kikel sagen: ".. .und mag diese Zahl
größer, aber sicher nicht kleiner sein." Sie illustriert
außerdem das Übergewicht der Amerika-Kanada-Gottscheer: 60
der Menschen gottscheerischer Abstammung lebten 1947 in Nordamerika! Nehmen wir
also zur Überprüfung der Kikelschen Zahl von 1947 die erste
Auswanderungsphase der Gottscheer von 1880 bis 1914 unter die Lupe. Dabei
unterscheiden wir genau zwischen Geburtenjahrgängen und Auswanderungsjahrgängen.
Zunächst interessiert es uns, welche Altersgruppen in diesem Zeitraum
in Bewegung gerieten und nach Übersee auswanderten. Zwangsläufig
mußten sie am Beginn ihrer persönlichen zwanziger Jahre stehen
und, wenn sie schon verheiratet waren, kinderlos sein. Bereits ein einzelnes
Kleinkind konnte die Seßhaftmachung in Amerika entscheidend behindern,
abgesehen davon, daß die Überfahrt hygienisch und ernährungsmäßig
für das gesundheitlich empfindliche Wesen Lebensgefahr bedeutet hätte.
Obwohl es Ausnahmefälle gegeben hat, schieden also Familien mit mehreren
Kleinkindern von vornherein aus. Wir dürfen daher das Durchschnittsalter
der ersten Auswanderergeneration ruhig mit 23 Jahren ansetzen. Die Burschen
waren etwas älter, weil sie ja ihre Militärzeit abzuleisten
hatten, die Mädchen etwas jünger, einundzwanzig bis zweiundzwanzig
Jahre. Danach waren die fünfunddreißig Jahrgänge der ersten
Auswanderungsphase zwischen 1857 und 1891 geboren.
Zur Gesamtzahl der in dieser Zeit aus dem "Ländchen" ausgewanderten
Gottscheer und Gottscheerinnen ziehen wir zunächst die Rückgangszahl
zwischen der Schätzung von Czoernig (1876: 26.000) und dem Ergebnis
der Volkszählung von 1910 (17.400) heran. Die Differenz beträgt
8600. Diese 8600 Personen sind der Wanderungsverlust zwischen 1876 und
1910. Er muß jedoch hinsichtlich der Jahre 1911 bis 1914 und hinsichtlich
des Geburtenüberschusses seit 1876 bereinigt werden. Von Czoernig
weiß man, daß er seine Schätzung als die Höchstzahl
der Gottscheer in ihrer Geschichte betrachtet. Das bedeutete, daß
ihre Geburtenfreudigkeit 1876 nicht plötzlich abbrach, sondern anhielt,
was einen weiteren Geburtenüberschuß zur Folge haben mußte.
Zweifellos nahm er als Folge des Bevölkerungsüberdruckes in
der Volksinsel ab. Wir tun daher gut, wenn wir eine bescheidene Vorhersage
treffen, denn von 1881 an fielen ja die Geburten der ausgewanderten Mädchen
und der jungen Frauen aus. Wir dürften der Wirklichkeit ganz nahe
kommen, wenn wir lediglich 60 bis 70 Kinder pro Jahr als Geburtenüberschuß
annehmen. Auch dann kommen wir immer noch auf etwa 2500. Diese Zahl überdeckt
die tatsächliche Zahl der Auswanderung, wir müssen sie daher
den 8600 hinzufügen, womit wir bei 11.100 angelangt sind.
Zu den vermutlichen Auswandererzahlen der Jahre 1911 bis einschließlich
1914 ist zunächst zu sagen, daß es sich um politische und militärische
Krisenjahre handelte. Die Balkankriege von 1912/13 förderten die
Auswanderung ganz beträchtlich, fanden sie doch gewissermaßen
vor der Haustüre der Habsburger Monarchie statt. Wie hoch sie anstieg,
dafür gibt uns Dr. Podlipnig in der Kulturbeilage Nr. 54 der "Gottscheer
Zeitung" vom September 1973 einen verbürgten Anhaltspunkt. Die
Bezirkshauptmannschaft Gottschee gab in den ersten sechs Monaten des Jahres
1914 noch 700 Reisepässe für Amerika aus. Da die Sprachinsel
Gottschee bekanntlich aber mit wesentlich kleineren Anteilen den Bezirkshauptmannschaften
Rudolfswerth und Tschernembl angegliedert war, müssen wir weitere
rund 200 Reisepässe für die USA hinzuzählen, mithin mit
einer Auswanderung von 900 Personen in der ersten Jahreshälfte 1914
rechnen. Eine Auswanderung nach Kanada fand in dieser Zeit noch kaum statt.
Die Auswanderungszahlen in den Jahren 1911 bis 1913 stellen wir zumindest
annähernd mit Hilfe folgender Rechnung fest: Die durchschnittliche
Auswandererzahl
betrug zwischen 1880 und 1910 rund 360 (11.100 : 30). Wenn wir diesen
Durchschnitt in die drei Jahre von 1911 bis 1913 weiterlaufen lassen,
kämen wir auf 1080. Bei einer Steigerungsrate infolge der gespannten
Lage von rund 30 greifen wir bestimmt nicht zu hoch und gelangen auf rund
1350. Mithin können wir folgende Schlußrechnung der Auswandererzahl
in den Jahren von 1880 bis 1914 aufmachen:
1.
Statistischer Wanderungsverlust zwischen 1876 bis 1910 |
8.600
|
2.
Geschätzter Geburtenüberschuß |
2.600
|
3.
Vermutliche Auswandererzahl 1911 bis 1913 |
1.350
|
4.
1914 mit großer Wahrscheinlichkeit rund |
900
|
|
13.350
|
Wenn wir nun
diese für jeden Kenner der Gottscheer Verhältnisse durchaus wahrscheinliche
Zahl wiederum durch fünfunddreißig - das ist die Zeit von 1880
bis 1914 - teilen, erhalten wir einen Jahresdurchschnitt von 380.
Nun greifen wir auf die Geburtenjahrgänge von 1858 bis 1892 zurück
und fragen, wie viele Auswanderer aus diesem Zeitraum 1947 nach menschlichem
Ermessen noch am Leben gewesen sein konnten. Um das Verfahren abzukürzen,
legen wir jeweils fünf Geburtenjahrgänge zusammen, das macht 5
mal 380 = 1900.
1. Die Geburtenjahrgänge 1858 bis 1862 wären 1947 - 89 bis 85
Jahre alt geworden. Weil die eingewanderten Männer und Frauen unter
außerordentlich erschwerten Arbeitsbedingungen gelebt hatten, erreichten
sie kein so hohes Alter.
2. Die Geburtenjahrgänge von 1863 bis 1867 wurden 1947 - 84 bis 80
Jahre alt. Vermutlich lebte auch von ihnen niemand mehr.
3. Die Geburtenjahrgänge 1868 bis 1872 wurden 1947 - 79 bis 75 Jahre
alt. Von ihnen könnten noch 8 bis 10 gelebt haben, also etwa 175.
4. Die Geburtenjahrgänge von 1873 bis 1877 wurden 1947 - 74 bis 70
Jahre alt. Von ihnen lebten möglicherweise noch 15 bis 17, vor allem
Frauen, also etwa 315.
5. Die Geburtenjahrgänge 1878 bis 1882 wurden 1947 - 69 bis 65 Jahre
alt. Von ihnen lebten höchstwahrscheinlich noch 34 bis 36, demnach
690.
6. Die Geburtenjahrgänge 1883 bis 1887 wurden 1947 - 64 bis 60 Jahre
alt. Von ihnen lebten mindestens noch 85, also rund 1650.
7. Die Geburtenjahrgänge von 1888 bis 1892 wurden 1947 - rund 59 bis
55 Jahre alt. Von ihnen lebten höchstwahrscheinlich noch 98, das heißt
rund 1850.
Zusammen 4680.
Auf 4700 aufgerundet sind das demgemäß im Jahre 1947 die vermutlich
noch lebenden Alteinwanderer aus dem Gottscheerland. Darin sind die Rückwanderer,
die während des gleichen Zeitraumes heimkehrten, um eine neue landwirtschaftliche
Existenz aufzubauen, nicht enthalten. Wir besitzen nicht den geringsten
Anhaltspunkt, wie viele es gewesen sein könnten, zumal ein Teil von
ihnen nach dem Zweiten Weltkrieg doch wieder in die USA zurückgewandert
ist.
Zu den restlichen 4700 Alteinwanderern kommen nun deren in den USA geborene
Kinder, die wir ja noch als echte Gottscheer ansprechen würden. Ihre
Geburtenzahl wird in den ersten achtziger Jahren sicher niedrig gewesen
sein, stieg jedoch infolge der wachsenden Einwanderung und der Existenzfestigung
von Jahr zu Jahr.
Sie selbst befanden sich etwa 1906 ebenfalls im Alter der Heiratsfähigkeit
und Familiengründung. Ihre Kinder kann man freilich nicht mehr als
"echte Gottscheer" bezeichnen, denn sie sprachen auch mit ihren
Eltern nur noch englisch, hörten nur selten oder gar nicht ein gottscheerisches
Wort oder eine Schilderung des Herkunftslandes der Großeltern.
Wie aber gelangen wir zu einer wenigstens ungefähren Zahl der Nachkommen
der Ureinwanderer aus dem Gottscheerland, damit wir sie mit den oben ermittelten
4700 zusammenziehen können? Als einfachster Weg scheint sich anzubieten,
daß man die Zahl der 13.350 Alteinwanderer halbiert, weil es ja etwa
gleichviel Männer und Frauen auf der Welt gibt. In diesem Falle nicht.
Es sind in der ersten Auswanderungsphase mehr Männer als Frauen in
die USA gezogen. Gewiß war es die Regel, daß der Gottscheer
eine Gottscheerin heiratete, doch dürften infolge der ungünstigen
Verteilung der Einwanderer bzw. der überwiegenden Zahl der Männer
kaum mehr als 5500 Ehen zustandegekommen sein. Die hier nicht berücksichtigten
2350 Gottscheerinnen und Gottscheer heirateten entweder nicht oder verbanden
sich mit Partnern außerhalb der Gottscheer Gruppe. Schreiben wir nun
jeder dieser 5500 Ehen durchschnittlich zwei bis drei Kinder zu - womit
wir der Wirklichkeit vermutlich sehr nahe kommen - so dürfte die Zahl
der "Nachkommen" im Kikelschen Sinne 11.000 plus 2750 = 13.750
betragen haben. Die Ältesten von ihnen waren 1947 dann 60 bis 65 Jahre
alt. Zählen wir nun die 4700 Alteinwanderer und die Nachkommen aus
den 5500 Gottscheer Ehen zusammen, so stehen wir bereits an dieser Stelle
bei rund 18.500! Dabei haben wir erst noch die zweite Auswanderungsphase
zu berechnen. Sie setzte, wie gesagt, 1920/21 ein und lief in den dreißiger
Jahren allmählich aus.
In der zweiten Phase haben wir auch die Auswanderung in die Republik Österreich
statistisch heranzuziehen. Sie setzt sich zusammen aus den Optanten für
Österreich, den auf diese Weise vertriebenen Lehrern und Beamten, den
Schülern und Studenten, die 1919 bis 1925 in Österreich die Schulen
besuchten und nicht mehr heimkehrten sowie dem ständig fließenden
Rinnsal arbeitsuchender Gottscheer aus handwerklichen und Dienstleistungsberufen.
Wir unterschätzen die Gesamtzahl dieser Personengruppe mit 700 gewiß
nicht.
Zu einer ungefären Berechnung der zweiten Auswanderungsphase ziehen
wir die oben bereits aufgeführten, amtlichen bzw. halbamtlichen Zahlen
heran:
1.
Die Volkszählung von 1910 |
17.400
|
2.
Die 1930 durchgeführte Zählung mit Hilfe der Pfarreien |
14.500
|
3.
Die aufgerundete Umsiedlerzahl von 1941 |
12.000
|
Die offizielle jugoslawische Volkszählung aus dem Jahre 1921 ist für
unsere Zwecke unbrauchbar, denn sie manipulierte die Ergebnisse im Gottscheerland
zu einer statistischen Farce, wie einige Gegenüberstellungen der österreichisch-ungarischen
Volkszählung von 1910 und der jugoslawischen von 1921 beweisen. Wir
zitieren Dr. Podlipnig (Kulturbeilage Nr. 54 der "Gottscheer Zeitung"
vom September 1973):
Deutsche
= D
Slowenen = S |
Altlag
1910 - D 828; S 5
1921 - D 694; S 53 |
Gottschee
/ Stadt
1910 - D 2025; S 255
1921 - D 1226; S 1799 |
Obermösel
1910 - D 1056; S 17
1921 - D 762: S 299 |
Göttenitz
1910 - D 359; S 13
1921 - D
337; S 13 |
Mitterdorf
1910 - D 1223; S 119
1921 - D 996; S 321 |
Morobitz
1910 - D 291; S -
1921 - D 222 ; S 1 |
Rieg
1910 - D 426; S 20
1921 - D 340; S 85 |
Die Manipulation der angeblichen Zählergebnisse ist zu augenscheinig,
als daß man dazu viel erläutern müßte. Nur so viel
sei gesagt, daß man einfach eine bestimmte Zahl von Gottscheern aus
den Zählungslisten strich und dafür eine etwa entsprechende Zahl
von Slowenen einsetzte. Auch das war eine Art Slawisierung des Gottscheerlandes.
Da aber in der Zeit von 1919 bis 1921 niemand im "Ländchen"
das Geld hatte, um Wohnhäuser zu bauen - insbesondere nicht der junge
SHS-Staat - ist unerfindlich, auf welche Weise man plötzlich in Mösel
rund 280 Menschen unterbringen sollte. Zwangseinquartierungen sind nicht
erfolgt. Es wurde auch keine slowenische Schule errichtet. Außerdem:
wohin sollten die verschwundenen Gottscheer gekommen sein? Die Auswanderung
in die USA und Kanada lief mit geringen Zahlen eben erst wieder an. Die
Option für Österreich wurde vom Gottscheer Bauern kaum wahrgenommen.
Um den Schein zu wahren, ließ man jedoch in Morobitz und Göttenitz
die Zahl der Slowenen gegenüber 1910 bestehen. Warum aber in Göttenitz
nur 22, in dem wesentlich kleineren Morobitz hingegen rund 70 Gottscheer
das Weite gesucht haben sollen, während in dem benachbarten Rieg 85
Slowenen zugezogen sind, wird stets das Geheimnis der Laibacher Statistiker
von 1921 bleiben.
Doch nun zurück zur zweiten Auswanderungsphase.
Bevor wir fortfahren, noch ein Wort zu der Umsiedlerzahl von 12.000: Die
EWZ durchschleuste nach ihrem Schlußbericht 11.747 Gottscheer und
Gottscheerinnen, Dr. Wollert spricht von 12.000. In beiden Zahlen sind die
Nichtoptanten und die aus zivilen oder militärischen Gründen außerhalb
des "Ländchens" weilenden, aber noch dort zuständigen
Personen natürlich nicht enthalten. Wenn wir jedoch auf die Gesamtzahl
der 1941 lebenden Gottscheer zusteuern, dürfen wir sie nicht fehlen
lassen, denn die Verweigerer der Option für Deutschland waren ja nicht
plötzlich keine Gottscheer mehr, wurden dadurch auch nicht plötzlich
zu Slowenen. Sie hatten letzten Endes für das Gottscheerland optiert.
Wenn wir ihre Zahl nur mit 3% ansetzen, kommen wir bereits auf rund 360.
Mit der abwesenden Gruppe zusammen dürften
sie etwa 400 bis 500 Köpfe erreicht haben. Wir haben daher eine den
Tatsachen nahekommende Differenz zwischen 1910 und 1941 von rund 5000 Personen
(17.400 minus 12.500). Die im alten Siedlungsgebiet seßhafte Bevölkerung
schrumpfte also in den fünfundsechzig Jahren seit 1876 um mehr als
die Hälfte etwa um 57%.
Der rein zahlenmäßige Menschen Verlust zwischen 1911 und 1941
bedarf ebenfalls einer Bereinigung. Der Verfasser hat dies unter Berücksichtigung
aller in Frage stehenden Faktoren vorgenommen und ermittelte auf die gleiche
Weise wie für die erste Auswanderungsphase einen Abzug von rund 1600
Personen nach den USA und Kanada. Der nördliche Nachbar der Vereinigten
Staaten, ein Land von sehr großer Ausdehnung, aber geringer Bevölkerungsdichte,
wurde nach dem ersten Weltkrieg für die Gottscheer deshalb interessant,
weil sie von dort aus die strengen Einwanderungsbestimmungen Amerikas über
die "Grüne Grenze" oder durch ein entsprechend langes Verweilen
in Kanada umgehen konnten. Das taten natürlich auch andere. Wie viele
Auswanderer aus dem "Ländchen" diesen Weg gegangen sind,
läßt sich nicht rekonstruieren.
Daß zwischen 1920/21 und etwa 1935 nur rund 1600 Gottscheer in die
USA ausgewandert sein sollen, erscheint auf den ersten Blick völlig
unwahrscheinlich. Man muß jedoch berücksichtigen, daß die
Einwanderungspolitik Washingtons gegenüber dem Nachfolgestaat der österreichisch-ungarischen
Monarchie keine bedeutenden Quoten zuließ, und daß ferner ab
1929 die Weltwirtschaftskrise mit ihrer Arbeitslosigkeit die Amerika-Gottscheer
nicht dazu veranlaßte, Landsleute in das Land der nunmehr begrenzten
Möglichkeiten hinüberzuziehen.
Setzen wir, wiederum rein rechnerisch, die Zahlen der aus den 1600 bei Gottscheern
und Gottscheerinnen entstandenen Ehen mit 560 bis 600 fest und nehmen wir
an, daß aus jeder im Durchschnitt zwei Kinder hervorgingen. Nur zwei
und nicht zwei bis drei deshalb, weil sich die Gottscheer auch in diesem
Punkt der abgesunkenen amerikanischen Geburtenfreudigkeit anpaßten.
Jedenfalls erhöht sich die Zahl der 1947 in Nordamerika lebenden Gottscheer
um rund 1600 Einwanderer und ihre etwa 1200 Nachkommen auf die Endsumme
von etwa 21.000. Damit haben wir John Kikels Bemerkung, 19.000 seien niedrig
geschätzt, vollauf bestätigt. Wir nehmen allerdings an, daß
auch er die Enkelkinder der Alteinwanderer aus der Sprachinsel nicht mehr
zu den echten Gottscheern zählte. Was nun die Gesamtzahl der Gottscheer
zu diesem Zeitpunkt angeht, so mag sie zwischen 1941 und 1947 - einschließlich
der in der alten Heimat zurückgebliebenen Nichtoptanten - vermutlich
um 32.000 bis 34.000 gelegen sein.
Wir schreiben das Jahr 1950. Die dritte Auswanderungsphase der Gottscheer
nach Nordamerika setzt ganz langsam ein. Nur ein geringer Teil der aus der
Untersteiermark geflohenen Umsiedler hat bisher die Flüchtlingslager
verlassen können. Er hat unter manchmal ungünstigsten Voraussetzungen
wenigstens Anhaltspunkte für den Aufbau einer neuen Existenz gefunden.
Die jüngeren, unverheirateten Umsiedler träumen von Amerika. Längst
haben sie wieder die Verbindung mit den Verwandten und Freunden in den USA
und Kanada aufgenommen. Die Lagerinsassen können es kaum erwarten,
daß die Hoffnungen, die ihnen aus den Briefen entgegenschlagen, in
Erfüllung gehen. Sie erfahren, daß alles getan werde, um ihnen
möglichst bald die Auswanderung nach Amerika zu ermöglichen. Es
war außerordentlich schwierig, in dem
ungeheuren Wirrwarr der Flüchtlingsströme in den Nachkriegsjahren
gleichsam ein kleines Rettungsboot für die Gottscheer zu finden, die
zu ihren Leuten in Amerika drängten. Es gab doch noch ungezählte
Nichtdeutsche, die der unselige Krieg und die Gewaltherrschaft entwurzelt
hatten und die nun in geordneten Bahnen ihren alten oder neuen Lebenszielen
zustrebten. Das Festbuch zum 25jährigen Bestehen des "Gottschee-Hilfswerks
Relief Association Incorporation" schreibt unter anderem über
die Anstrengungen, deren es bedurfte, um den Gottscheern gewissermaßen
ein Mauertürchen in das Land der nun scheinbar wieder unbegrenzten
Möglichkeiten zu öffnen:
"In der zweiten Hälfte des Jahres 1951 kam die Einwanderung jedoch
vollständig ins Stocken. Dies bedingte eine Reise des Vertreters des
Hilfswerks nach Europa, besonders nach Deutschland und Österreich.
In dieser Zeit fand eine Konferenz für Flüchtlinge in Brüssel
und eine Untersuchung in Frankfurt am Main statt, welche mit einer Milderung
der bestehenden Verschärfungen endeten und somit wieder vielen Landsleuten
die Einwanderung ermöglichten. Die Zusicherungen aus unseren Kreisen
waren aber bereits erschöpft. Doch war unserer Vertretung bekannt,
daß die N. C. W. C. bereit war, für 5000 Familien Zusicherungen
zu garantieren. Ein Besuch bei Msgr. Bernas, dem Vertreter des Katholischen
Hilfswerks, und ein dringendes Ersuchen ermöglichte es den Gottscheern,
500 von diesen Zusicherungen zu erhalten. Auch wurde unserem Vertreter gesagt,
daß auf diese Zusicherungen bis 2000 Personen einwandern könnten.
Dieser, von der D. P. C. und N. C. W. C. befürwortete Besuch hatte
ferner den Vorteil, daß die Gottscheer anerkannt und die schon lange
vorliegenden Einwanderungsgesuche endlich bearbeitet wurden. Daraus ergab
sich, daß im Jahre 1952 dann die größte Zahl an Gottscheer
Einwanderern zu verzeichnen war. Am 31. August 1952 wurde die D. P. C. aufgelöst
und nur vereinzelt kamen 1953 und in den nachfolgenden Jahren noch Gottscheer
Einwanderer in die USA.
Der Großteil der Neueinwanderer ließ sich in jenen Städten
Amerikas nieder, wo bereits Landsleute aus früheren Jahren ansässig
waren. Die auf Bemühung des "Gottscheer Hilfswerks" unter
der N. C. W. C. - Quote berücksichtigten Einwanderer landeten oft in
entlegenen Gegenden. Jedoch auch diese fanden bald den Weg in die "Gottscheer
Gemeinden". Allen war wieder Hilfe bereit und dankbar erinnert man
sich noch jener Landsleute, die dem Neueinwanderer zum ersten "Job"
verhalfen."
Die Gottscheer hatten das Glück, in jenen Jahren, deren unmenschlichen
und materiellen Nöte nur mit systematisch eingesetzter Tatkraft zu
bewältigen waren, eine Persönlichkeit von Format zu besitzen.
Hinter dem Wort "unser Vertreter" versteckt sich niemand anderer
als Adolf Schauer, die führende Kraft bei der Gründung des "Gottschee-Hilfswerks"
und dessen erster Präsident. Er führte die im obigen Bericht angegebenen
Verhandlungen und Besprechungen und ließ sich durch keine Widerstände
beirren. Und er war es, der die Europareise nicht scheute, um möglichst
vielen seiner Landsleute die Einwanderung in die USA zu ermöglichen.
Adolf Schauer ist 1901 in Oberwarmberg geboren. Er wanderte 1920 in die
Vereinigten Staaten aus und gründete in Ridgewood das heute noch bestehende
Versicherungsunternehmen "Schauer Agency". Er gilt als der große,
weise Mann der Amerika-Gottscheer. Seine Verdienste um sie und das gesamte
Völkchen der Gottscheer besitzen innerhalb ihres Rahmens geschichtlichen
Rang. Seine Landsleute wissen sie zu schätzen. Er ist Träger des
Ehrenringes der Gottscheer Landsmannschaften und Ehrenpräsident der
"Relief Association". Von amerikanischer Seite wurde ihm die "Bürger-Medaille"
verliehen. In
seiner Person wurde aber auch das kleine Heer der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
des Hilfswerks geehrt.
Gewiß haben die Alteinwanderer ihren nachrückenden Landsleuten
geholfen, sich in dem Riesenland zurechtzufinden, gewiß haben sich
in den hundert Jahren seit dem Beginn der ersten Auswanderungsphase die
beruflichen, sozialen und menschlichen Verhältnisse in den USA zum
Besseren gewendet, doch den letzten Einwanderern aus der früheren Sprachinsel
Gottschee wurde die wohlorganisierte Starthilfe der großen Gemeinschaft
der Amerika-Gottscheer zuteil. Sie aber waren nur deshalb imstande, den
plötzlichen, umfangreichen Zugang an zumeist erwachsenen Menschen seelisch,
wirtschaftlich und sozial zu verkraften, weil sie sich selbst auf diesen
Lebensgebieten im Gleichgewicht befanden. Nur deshalb vermochten sie auch,
tätige Aufnahmebereitschaft und nachbarschaftliches Entgegenkommen
- beides ist wörtlich gemeint - zu üben. Weit mehr als 2000 schuldlos
zerbrochene Schicksale unter eigenen Opfern zum Guten zu wenden, war ein
menschlich imponierendes weiteres Hilfswerk, dessen tiefere menschliche
Beweggründe nicht einfach zufällig vorlagen, sondern in Jahrhunderten
gewachsen waren. Zweitausend sind für amerikanische Verhältnisse
wenig, für die Gottscheer viel.
Inzwischen haben auch diese letzten aus dem "Ländchen" stammenden
Einwanderer auf nordamerikanischem Boden endgültig Fuß gefaßt
und sich in den "Way of Life" Amerikas eingefügt, sich aber
auch in die Organisationen der Gottscheer eingegliedert. Allerdings haben
auch sie erfahren, daß die USA zwar von den Einwanderern in ihr Land
beim Betreten des amerikanischen Bodens nicht die Ablieferung des ererbten
Volkstums verlangen, daß man sich aber nur durchsetzt, wenn man sich
von der ersten Stunde an anpaßt.
Als die Reisedauer über den Atlantik auf Stunden zusammenzuschrumpfen
begann, setzte bei den Amerika-Gottscheern eine neue, die allerletzte Wanderung
ein: Sie flogen in den Sommermonaten zu Hunderten nach Europa, mit Linienflugzeugen
und mit Chartermaschinen. Zuerst kamen die Auswanderer zwischen den beiden
Weltkriegen. Sie überzeugten sich mit Genugtuung, welchen Segen das
"Gottschee-Hilfswerk" und alle seine Mitarbeiter gestiftet hatten
und daß sie nicht vergessen waren. Aber Ende der sechziger und Anfang
der siebziger Jahre mehrten sich die Europafahrer aus der Gruppe der Auswanderer
der beginnenden fünfziger Jahre. Die Lager waren längst geräumt.
In den europäischen, namentlich in deutschen Städten zeugten nur
noch wenige Baulücken von der überwundenen Katastrophe. Gewiß
hatten nicht alle ihre Landsleute Anteil am Wirtschaftswunder Deutschlands
und Österreichs, doch es war von Staats wegen für alle gesorgt,
die Vermögenserstattung war im Gange, die Alten erhielten ihre Renten,
der Prozentsatz der Autobesitzer war auch unter den Gottscheern schon damals
beträchtlich. Die arbeitsfähigen Gottscheer und Gottscheerinnen
hatten sich gleich den Balten, den ostdeutschen Vertriebenen, den Sudetendeutschen,
den Südtirolern, den Deutschen aus dem Donau-Karpaten-Raum in den Wiederaufbau
der Volkswirtschaften in Österreich und Deutschland eingegliedert.
- Eine scheinbar nebensächliche Beobachtung am Rande: Die Amerika-Gottscheer
flogen und fliegen zumeist mit einer weltweit bekannten deutschen Fluggesellschaft.
Die Europa-Reisenden aus der früheren Sprachinsel Gottschee haben für
europäische Begriffe lange Strecken zu überwinden bis sie die
Verwandten, Jugendfreunde und Nachbarn besucht haben, denen die lange See-
und Luftreise hauptsächlich gilt. Doch
die "Amerikaner", wie die Gottscheer ihre Landsleute von "drüben"
nennen, sind ja lange Reisestrecken gewöhnt. In der Republik Österreich
decken sich die aus menschlichen Gründen angesteuerten Reiseziele sehr
oft mit dem Wunsch, eine bestimmte Stadt zum ersten oder zum wiederholten
Male zu sehen, etwa Wien oder Graz, die für die Gottscheer - das gilt
natürlich nicht nur für sie - schon in der Zeit der alten Monarchie
eine magische Anziehungskraft besaßen. Dort gab es schon im 19. Jahrhundert
seßhafte Gottscheer, doch eine allgemeine Gottscheer Vereinigung entstand
trotzdem nicht. Erst 1891 wurde der "Verein der Deutschen aus Gottschee
in Wien" ins Leben gerufen. Das heißt, die erste, jedermann zugängliche
Organisation von Gottscheern außerhalb des "Ländchens"
wurde in den Vereinigten Staaten gegründet, eben der erwähnte
"Erste österreichische Unterstützungsverein" in Cleveland/Ohio.
Sein Gründungsjahr ist 1889. -
Wenn Klagenfurt in den Reiseplänen auftaucht, so nicht einmal so sehr
wegen persönlicher Besuche, sondern, weil diese Stadt zum Zentrum der
Exilkultur der Gottscheer geworden ist. Davon wird noch ausführlich
zu sprechen sein. Linz und Salzburg, weniger Innsbruck, weisen seit den
fünfziger Jahren ebenfalls nicht unbeträchtliche Gruppen von Gottscheern
auf, die naturgemäß jedes Jahr eine Anzahl von "Amerikaner"
an sich ziehen.
Als die ersten, vereinsgewohnten Amerika-Gottscheer in Europa eintrafen,
fanden sie nur Ansätze organisatorischer Zusammenschlüsse ihrer
Landsleute in Österreich und Deutschland. Während in Wien, Graz
und Klagenfurt nur die alten Vereine wiederbelebt wurden, war in Deutschland
nirgends ein Ansatz aus früherer Zeit gegeben.
("Jahrhundertbuch
der Gottscheer", Dr. Erich Petschauer, 1980)
www.gottschee.de
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