20. Jahrhundert, Jahrhundertbuch der Gottscheer, Dr. Erich Petschauer, 1980.


Der Gottscheer Waldbauer wird zum Städter

Alle Gottscheer der letzten Generation entstammen, mit geringen Ausnahmen, durch Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern, einem Bauernhaus. Und jeder aus ihrer Mitte lebt nun in einer Stadt. Ein oberflächlicher Beobachter mag in dieser soziologischen Verhaltensweise, nämlich der totalen Landflucht, nach der Umsiedlung und der Abkehr vom Hausierwesen bei den sogenannten Umsiedlern von 1941 eine negative Auslese und sozusagen den biologischen Bodensatz der sechshundert Jahre Gottscheer Geschichte sehen wollen. Wer so denkt, ist nicht bis ans Ende des Gottschee-Problems vorgestoßen. Es ist doch nicht so, daß es in deutschen Landen und im übrigen Europa keine Landsleute gegeben hätte. Er mag auch von Entwurzelung reden. Doch Entwurzelung und Entwurzelung kann zweierlei sein. Die Vertreibung bäuerlicher Menschen von Haus und Hof bedeutet nicht, jedenfalls nicht bei den Gottscheern, zwangsläufig den Verlust der das Leben bestimmenden moralischen, sittlichen und geistigen Werte. Ebensowenig wie Gottscheer in den Slums von New York, Cleveland und Chicago verkamen, darf man den Umsiedlern des Jahres 1941 entgegenhalten, sie seien von vornherein entwurzelt gewesen, weil sie nicht einmal den Versuch unternahmen, wieder in der Landwirtschaft Fuß zu fassen. Wo hätten sie das auch tun sollen? Die Rückkehr in die alte Heimat, wie dies den vertriebenen Slowenen in der Untersteiermark gegönnt wurde, war ausgeschlossen. Ihnen blieb keine Wahl, als aus den Lagern weiter zu wandern, und wenn sie Glück hatten, war der Weg zum nächsten Verwandten oder Freund nicht weit. So wie die Landsleute drüben, jenseits des Ozeans, bewiesen die Umsiedler in Österreich und Deutschland, daß sie Halt und Haltung besaßen und vor keiner zumutbaren Aufgabe kapitulierten.

Man trifft die unternehmungsfreudigen Söhne und Töchter der letzten "Besitzer" in Gottschee als kleine und mittlere Unternehmer, Handwerker, Inhaber von Dienstleistungsbetrieben, Geschäften und Restaurants, man findet sie in geistigen Berufen, als Juristen, Ärzte und Beamte, vor allem aber als Lehrer und Lehrerinnen. Der verhältnismäßig hohe Prozentsatz an geistig Berufstätigen ist weiter nicht erstaunlich, denn das alpenländische Österreich war ja, besonders seit der Gründung des Gymnasiums in Gottschee, für die überschüssige Gottscheer Intelligenz einschließlich der gehobenen Handwerksberufe das natürliche Ausweichfeld. Auch hier ist noch das Lebensgesetz von der Enge des Raumes zu spüren.

Mancher Nicht-Gottscheer unter den Lesern wundert sich vermutlich über die große Zahl an Familiennamen in diesem Buch, die er mit dem anderen Lesestoff mitschleppen muß. Wenn er jedoch bedenkt, daß es vor allem in die Hände der Gottscheer geschrieben ist, begreift er plöztlich ihre starke menschliche Aussage und geschichtliche Erinnerungskraft.

War es bisher schon nicht einfach, die in der Gottscheer Öffentlichkeitsarbeit stehenden bzw. in der Pflege des Heimatgedankens tätig gewesenen Männer und Frauen auszuwählen, so ist es nun doppelt schwer, jene Gottscheer herauszustellen, die
im allgemeinen Berufsleben und als Menschen hervorragende Leistungen erbracht haben. Eine Sonderleistung für das gesamte Gottscheertum oder eine hervorragende Einzelleistung außerhalb des "Ländchens" waren für die Hereinnahme von Namen in den Bericht maßgebend. Begreiflicherweise war auch eine zeitliche Abgrenzung nach rückwärts erforderlich. Der Zeitraum, der mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert begann, erhielt den Vorzug. Mit weiter zurückliegenden Lebensläufen verbinden die noch lebenden Gottscheer in den wenigsten Fällen eine Vorstellung. Zu den herausragenden Gesamtleistungen einer Familie des Gottscheerlandes gehört vor allem jene des Oberlehrers Franz Höfler, der durch lange Jahre die Volksschule in Stalzern leitete. Aus seiner Ehe mit der aus Rieg stammenden Maria Ostermann gingen elf Kinder hervor, die alle eine höhere Schulbildung genossen. Drei Söhne wurden Ärzte, der vierte Sohn Lehrer, vier Töchter Lehrerinnen, zwei übten ebenfalls geistige Berufe aus und eine Tochter starb als Lehramtskandidatin. Die bedeutendste Lebensleistung erzielte der älteste Sohn Dr. Franz Högler in Wien als Universitätsprofessor der Internen Medizin und Verfasser von rund 20 Büchern und Schriften auf seinem Fachgebiet, darunter ein grundlegendes Werk über den Diabetes. Er wurde oft von hochgestellten Persönlichkeiten des In- und Auslandes zu ärztlichen Konsultationen gebeten.

Prof. Högler fühlte sich lebenslang als Gottscheer und pflegte hilfesuchende Landsleute kostenlos zu behandeln.

Unvollendet blieb das Leben eines Sprachgenies aus Lichtenbach: Dozent Dr. Josef Stalzer, geboren 1880, gefallen 1914 in Galizien. Stalzer beherrschte 15 Sprachen, darunter das Aramäische. -

Selbst nicht mehr in Gottschee geboren, doch eindeutig gottscheerischer Abstammung, ist der weltbekannt gewordene Prof. Dr. Hermann Knaus (geboren 1892, gestorben 1971), der gemeinsam mit dem japanischen Gynäkologen Ogino die Gesetzmäßigkeit des weiblichen Fruchtbarkeitszyklus entdeckte. Seine Vorfahren waren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Suchener Hochtal (Merleinsraut) nach Sankt Veit an der Glan in Kärnten ausgewandert, wo der Forscher zur Welt kam.

Ebenfalls internationalen Ruf erwarb ein weiterer Forscher aus dem Gottscheerland, Dr. med. vet. Hans Ganslmayer aus Inlauf. Dort entwickelte er für die Tiermedizin das "Antiseptom", das nach dem Tode seines Erfinders unter anderem Namen auch in die Humanmedizin Eingang fand. Dr. Ganslmayer wirkte an hervorragenden Stellen am Aufbau des Veterinärwesens in der Türkei. - Sein Bruder, Dr. med. vet. Rudolf Ganslmayer, Hofrat, stieg nach einer ungewöhnlich erfolgreichen Berufslaufbahn zum Landesveterinär der Steiermark auf.

Zweier Ärzte sei noch gedacht: Obermedizinalrat Dr. Karl Rom aus Oberdeutschau (1902-1963) machte sich durch den Aufbau der kassenärztlichen Organisation im Bundesland Niederösterreich einen Namen. Karl Rom, der seine
ärztliche Laufbahn in Ferlach im Rosental begonnen hatte, ist auch als Verfasser des historischen Romans "Rebellion in der Gottschee" bekannt geworden.

Medizinalrat Dr. Josef Krauland aus Gschwend (geboren 1897, gestorben 1973) ordinierte bis zur Umsiedlung in Gottschee/Stadt und baute sich nach der Vertreibung in Villach eine neue Existenz in einem zahntechnischen Labor auf. Mit bemerkenswerter persönlicher Hingabe führte er seit ihrer Gründung im Jahre 1960 das Amt des Schriftführers der "Arbeitsgemeinschaft der Gottscheer
Landsmannschaften" aus. Zu seinem Nachfolger in diesem Ehrenamt wurde der Finanzrat, Dr. Herbert Krauland, geboren in Klagenfurt, ernannt. Sein Vater war der Landesfinanzinspektor, Hofrat Dr. Josef Krauland aus Koflern, geboren 1894, gestorben 1960 in Klagenfurt.

Als großer und anerkannter Künstler, Maler und Holzschneider, ist Suitbert Lobisser in Kärnten und darüber hinaus bekannt. Seine Holzschnitte und Fresken finden noch heute Bewunderung. Der Vater Lobissers war Lehrer an mehreren Dienstorten in Kärnten, war in Mitterdorf bei Gottschee geboren und erkannte frühzeitig die zeichnerische Begabung seines Sohnes. Der Künstler hielt sich oft im Gottscheerland auf, war doch seine Schwester mit dem tüchtigen Tischlermeister Meditz in Nesseltal verheiratet und der Geistl. Rat, Pfarrer August Schauer sein bester Freund.

In den zwanziger- und dreißiger Jahren hatte die Stadt Baden bei Wien einen Bürgermeister, dem die Badener heute noch für seine Leistungen dankbar sind. Sie haben dem Gottscheer aus Grafenfeld, Josef Kollmann, ein Denkmal gesetzt, ebenso wie die Weinbauern der Umgebung für seinen wertvollen Rat. Unter dem Bundeskanzler Schober war Kollmann auch österreichischer Finanzminister.

Wie bereits ausgeführt war die Gottscheer Lehrerschaft insbesondere in Kärnten und Steiermark, aber auch in Niederösterreich, zahlreich vertreten. Allein in Kärnten wären ab 1919/20 wenigstens 60 Namen von Lehrern und Lehrerinnen zu nennen. Eine beachtenswert große Zahl von ihnen erreichte die Stellung eines Volksschul- und Hauptschuldirektors, dem in der Republik Österreich bei besonderer Leistung vom Bundespräsidenten der Titel "Oberschulrat" verliehen wird. Zwei, Dr. Walter Tschinkel und Hermann Petschauer, traten auf dem Felde der Mundartforschung bzw. dem kulturell-organisatorischen Gebiet besonders hervor.

Auf dem erzieherischen Sektor des Landes Kärnten erwarb sich die Gottscheerin Mater Alfonsa am Ursulinenkloster zu Klagenfurt außergewöhnliches Ansehen. Sie war von 1918 bis 1938 Direktor der Lehrerinnen-Bildungsanstalt, der Hauptschule (früher Bürgerschule), und der Volksschule des Klosters. Sie genoß auch außerhalb ihrer Wirkungsstätte großes Vertrauen als Helferin bedrängter Menschen. Sie trug, vermutlich als einzige Gottscheerin, den Titel "Regierungsrat". Geboren wurde sie unter dem bürgerlichen Namen Josefa Samide in Koflern 1878 und starb 1968 hochbetagt in Klagenfurt.

("Jahrhundertbuch der Gottscheer", Dr. Erich Petschauer, 1980)

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