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Pfarrer
Alois Krisch aus Altlag (Stari log) in der Gottschee, 1947 - 48
Gründe
der Umsiedlungswilligkeit bei den Gottscheer Deutschen; das Ansiedlungsverfahren
und die Verhältnisse im Ansiedlungsgebiet der Untersteiermark bis
zur Evakuierung und Flucht bei Kriegsende.
Die
Evakuierungsvorbereitungen im Ansiedlungsgebiet der Gottscheer Deutschen
in der Untersteiermark
und die Flucht bei Kriegsende.
Repatriierung
von österreichischen Staatsangehörigen und Ausweisung von Deutschen
aus Slowenien und der Gottschee nach Österreich im Januar 1946; die
Erlebnisse des Vfs. in den Überführungs- und
Durchgangslagern in Marburg und Aßling.
Bericht
des Pfarrers Alois Krisch aus Altag (Stari log) in der Gottschee, 1947 -
48
Gründe der Umsiedlungswilligkeit
bei den Gottscheer Deutschen; das Ansiedlungsverfahren und die Verhältnisse
im Ansiedlungsgebiet der Untersteiermark bis zur Evakuierung und Flucht
bei Kriegsende.
Nach einer kurzen Vorbemerkung berichtet der Vf. zunächst über
einige Vorgänge in seinem Pfarrbezirk in den Tagen des deutsch - jugoslawischen
Krieges Anfang April 1941.
In der Folgezeit war das Raten hin und her: Wird die deutsche Grenze über
unser Land herunterreichen, oder sollen unser Ländchen und wir mit
ihm zu Italien gehören oder wir in diesem Falle aussiedeln? Jedermann
wartete gespannt auf die Lösung dieser Fragen. Zu Italien gehören,
das paßte niemandem; dieses Land hatte man aus dem ersten Weltkrieg
in schlechter Erinnerung, und die jetzige Besatzung war nicht darnach, sich
Sympathien zu erwerben. Auswandern, das ist auch so eine eigenartige Sache:
Fortziehen? So ganz ins Ungewisse?
Erst in der sechsten Woche wurde bekannt: Unser Land gehört zu Italien,
wir sollen umsiedeln.
Gedankenlose Jugend war begeistert - gesetzten Menschen ging es gar wunderlich
ums Herz, es war ihnen sonderbar zu Mute. Die Heimat und mit ihr alles zu
verlassen? Gibt es wirklich keine andere Rettung, keinen anderen Ausweg?
Niemand weiß eine Möglichkeit. Gewiß, es geht niemand gern
von seinem Heim, der Bauer am allerwenigsten, so auch der Gottscheer. Man
bedenke, wie unser Bauer sich geschunden hat, um dem kargen Boden etwas
abzuringen, wie er sich bemüht hat um seinen Acker, wie er um jede
Spanne Erde kämpfte und sich plagte, wie er mit seinem Grund und Boden
verwachsen war, wie oft er in die Fremde ging, um mit dem Verdienst aus
der Ferne seine Heimatscholle erhalten zu können, wie heilig und wie
tief verwurzelt in seinem Herzen der Begriff "Heimat" ist!
Bei der schweren Entscheidung, vor die er jetzt gestellt ist, da spielen
viele Dinge, da spielt alles mit, angefangen von 1918 und 19 bis 1941 und
die nächsten Monate, der Sommer 1941 nicht am wenigsten! Nicht die
Propaganda war es, wie oberflächliche Menschen es behaupten wollen,
sondern die Verhältnisse und Ereignisse und alles Drum und Dran. Die
Propaganda, die zwar stark betrieben wurde, war nur eine Art Beruhigungspille;
ohne die Besonderheiten der letzten zwei Jahrzehnte und besonders dieses
Sommers hätte sie die allerwenigsten Gottscheer von Haus und Hof locken
können.
Von all diesen Sachen will ich nur einige Punkte anführen:
1. Die nationalen und politischen Verhältnisse von 1919 und den folgenden
Jahren, deretwegen in den Jahren nach 1919 so viele Gottscheer ausgewandert
sind, wie nie vorher. Man denke an die Schulverhältnisse von damals,
an die
Gemeindewahlen, bei denen nur Slawen wählen durften, weshalb vielerorts
sogenannte ,,Gerenten" (mit der Ausübung der Amtsgeschäfte
in Vertretung beauftragte Personen ,,Gerenz" - nach altösterreichischen
Amtsstil) als Bürgermeister, dazu slowenische Ausschüsse und ein
solcher Sekretär eingesetzt wurden. Die übelste Auswirkung davon
in der Stadt, weil dadurch auch die Vermögensverwaltung und somit die
Sparkasse der Stadt Gottschee in slawische Hände kam und mit Hilfe
der Merkantil-Bank zugrunde gerichtet wurde, wobei unser Volk seine Einlagen
verlor. Ferner die Wegnahme des Studentenheimes mit allem Vermögen,
des Gymnasiums, des Waisenhauses, des Krankenhauses, der deutschen Schulvereinsschulen
und dergleichen mehr. Es ist nicht nötig, diese Dinge hier genauer
anzuführen oder noch andere aufzuzählen, es weiß jeder Gottscheer
einige Kapitel aus dieser Zeit.
2. Das besondere
wirtschaftliche Elend 1931/32 und die folgenden Jahre, als man seine mühsam
ersparten Groschen nicht aus der Sparkasse beheben konnte, als man Guthaben
nicht einfordern konnte, als nur das Steueramt pfänden durfte. Da
kein Geld zu haben war, konnten viele nicht einmal die Steuern zahlen,
weshalb solche Pfändungen oft vorkamen. Weil bei solchen Pfändungen
aber keine Käufer da waren, brachten die Finanzer Slawen als Käufer
mit sich, die dann ein Stück Vieh oder sonst etwas um einen Spottpreis
fortnahmen. Diese Schwierigkeiten waren zwar im ganzen Staate, aber bei
den Gottscheern viel schlimmer durch scharfes und böswilliges Vorgehen
gegen sie.
3. Der scharfe
nationale Kurs von 1935 weiter. Die Gottscheer Lehrer wurden ins Slowenische
versetzt. Zu uns kamen Slowenen, gutwillige sehr wenig, böswillige
viel mehr, und auch ganz boshafte, die viel Schlimmes anstellten. Manche
von ihnen konnten kaum das allernotwendigste Deutsch sprechen, um sich
mit den Leuten verständigen zu können, andere wollten es nicht.
Nach dem Gesetze konnte, wo 30 deutsche Kinder waren, eine deutsche Klasse
beibehalten oder errichtet werden. Aber dieses Gesetz war, wie manches
andere, das sich auf die deutsche Minderheit bezog, nur zum Augenauswischen
für das Ausland. Man umging es auf zweierlei Art. Erstens wurden
alle Kinder, bei denen man behaupten konnte, daß eines der Großeltern
slawischer Abstammung sei, in die slowenische Klasse verpflichtet, und
Kinder, deren Namen angeblich slawisch klangen, ohne weiteres als Slowenen
bezeichnet (wobei auch Verdrehungen vorgenommen wurden, z.B. ,,Weiß"
heiße ,,Bajs", sei also slowenischer Name! Dieser Akt der Banalregierung
von Laibach (Regierung der Drau-Banschaft / Slowenien) kam mir persönlich
in die Hand. Das noch Schlimmere war die zweite Art: die Volksschule wurde
geteilt in die ,,Volksschule" (Kinder der ersten vier Schuljahre)
und die ,,Nationalschule" (Kinder des 5. bis 8. Schuljahres). Und
dann: es müssen in den ersten vier Schuljahren über 30 deutsche
Kinder sein, dann dürfte eine deutsche Klasse bestehen. Nur war dies
in Anbetracht
des oben Angeführten in kleinen Gemeinden nicht mehr der Fall. Wenn
aber dennoch, so wurden solche Eingaben oft so lange herumgezogen, daß
es doch nicht dazu kam.
Wo aber trotzdem
deutsche Klassen belassen wurden, waren sie doch nicht deutsch, denn einige
Gegenstände mußten auch in sogenannten deutschen Klassen in
slawischer Sprache unterrichtet werden, und was deutsch unterrichtet wurde,
lehrten oft Lehrkräfte, die sehr schlecht deutsch sprachen.
Hierher gehört auch folgende Kleinigkeit, die für unsere Verhältnisse
bezeichnend ist: Durch einen Irrtum der Post (weil die Anschrift undeutlich
geschrieben war) bekam ich ein Schreiben in die Hand, das den Adressaten
- einen im Gottscheerischen angestellten Slowenen - verständigte,
daß er für seine nationale Tätigkeit im Gottscheer Lande
300 Din vom Justizministerium (ministarstvo pravde!) angewiesen bekomme,
er soll so weiter machen.
Ein anderes
Kapitel war die berüchtigte Verordnung, daß im Staatsgebiete
50 km von der Grenze nur Slawen Grund und Boden erwerben konnten. Diese
50-km-Zone wurde gewählt, weil so das Gebiet des Gottscheer Landes
und das der Banater Deutschen betroffen wurde. Ein Nicht-Slawe konnte
daher in diesen Gebieten keinen Grund an- oder zukaufen. Es war Furcht
vor Deutschland, wenn zuletzt diese Verordnung nicht mehr so streng gehandgehabt
wurde.
Da könnte
ich noch Beispiele anführen, wie unseren Leuten von der Hauptmannschaft
manchmal ohne jeden Grund ganz willkürlich Schwierigkeiten gemacht
wurden, wobei ich aber betonen muß, daß der letzte Bezirkshauptmann
gegenüber den früheren Hauptleuten als gutmütig zu bezeichnen
ist. Aber, wie er mich gelegentlich eines Gespräches einmal durchblicken
ließ, wurde er immer wieder von Laibach aus zu solchem Vorgehen
gedrängt. Es ist vollständig richtig, wie Ende August 1931 Dr.
K. sagte: ,,Belgrad gibt uns Deutschen nicht viel, aber auch davon bremst
Agram noch viel ab, und Laibach erst gar!" Mit anderen Worten: Wenn
die Regierung in Belgrad für die deutsche Minderheit was Günstiges
zugibt (damit sie im Ausland als gerecht erscheine), ist damit noch lange
nicht gesagt, daß es für die Minderheit wirklich Anwendung
findet. Das wußten unsere Leute zwar nicht so genau, aber sie spürten
es oft genug.
4. Die anfangs
erwähnte Greuelpropaganda vom Frühjahr 1941, die im Sommer noch
viel ärger wurde. Das Zusammenhalten der italienischen Besatzungstruppen
mit den Slowenen im Gottscheerischen. Um dies zu begreifen, muß
man wissen: Ein Großteil der Slowenen, die seit 20 Jahren nach Gottschee
gekommen sind, waren ,,Primorzen" (Bewohner des Küstenlandes
Primorje), d.h. Leute aus den seit 1919 italienisch gewordenen Gebieten
der Triester Gegend, die von dort als ,,Verfolgte" flüchteten
und sich hier in Jugoslawien als Nationalhelden gebärdeten. Sie waren
für uns viel schlimmer als die anderen Slowenen. Unter den Besatzungstruppen
waren auch viele aus derselben Gegend. Die Primorzen sprechen italienisch,
unsere Gottscheer aber nicht, so konnten jene den Italienern, denen gegenüber
sie sich jetzt wieder als gute Italiener ausgaben, alles mögliche
über uns vormachen. - Das gibt wenigstens teilweise Erklärung
für das Verhalten der Italiener uns gegenüber.
Dazu noch die allgemeine Unsicherheit diesen Sommer. Von der Gendarmerie
hatten wir die Waffen zurückerhalten. Die Italiener forderten diese
und die militärischen, die jetzt umeinander waren, gleich anfangs
wieder ab. Die Gottscheer entsprachen der Aufforderung; die anderen aber
versteckten, was sie hatten. Man hörte wieder Drohungen von ,,Gottscheer
Blut fließen" und ähnliches. Im August erfuhr ich soviel
von auswärtigen Slowenen, was in diesen Kreisen von mir gesprochen
wird, daß ich wußte, ich dürfte nicht mehr allein (mit
dem Radl oder sonst irgendwie) in die Stadt; nur mit einem Wagen, auf
dem mehr Leute sind, konnte ich es noch riskieren. Von ganz ernstlicher
Seite wurde ich gewarnt, es heiße, ich werde der erste sein, den
man bei den Haaren über die Stiege hinunterziehen wird. (Ich hörte
auch den Namen, von wem es ausging, es war ein Mann, dem ich nur Gutes
getan hatte, er muß also von auswärts aufgehetzt worden sein.)
Ich sagte
darauf, indem ich mit der flachen Hand über meine Glatze strich:
,,Es dürfte eine schwere Kunst sein, mich bei den Haaren zu ziehen."
- Ein Jahr später hörten wir, daß der Mann, der diese
und die anderen Blutdrohungen ausgesprochen hat, von den Italienern im
selben Trojen erschossen wurde (vor Beißjaoklsch Hause), an dem
unser Blut hätte fließen sollen, wenn es nach ihm gegangen
wäre (das wäre eingetroffen, wenn wir noch einen Winter dort
geblieben wären). - Wir hörten wiederholt, daß Italiener
von Banditen gefangen und im Hornwald erschossen wurden. Ein italienischer
Offizier, der bei mir wohnte, erzählte mir im Herbst, daß fast
täglich Italiener von solcher Seite ums Leben gebracht werden.
All dieses ,,Minderheitenelend" (siehe Punkt 1-3) sollten unsere
Leute jetzt von neuem durchmachen, und zwar wieder in einem anderen Staate
(Italien), der mit den Minderheiten seit dem ersten Weltkrieg noch schlimmer
umging als unser bisheriger? Dazu fehlte der Mut. Man war wegen der ewigen
verdrießlichen und nutzlosen Reibereien wirklich auch schon müde
geworden. Diesen neuen, aussichtslosen Kampf wieder beginnen? Das schreckte!
Immer nur Staatsbürger sein, dessen Pflichten streng betont, dessen
Rechte aber fortwährend bestritten und beschnitten werden, immer,
wenn man sein Recht suchen will, von der Behörde von vornherein,
zumindest als verdächtigt betrachtet zu werden, ist auf die Dauer
eine zu schwere Last.
5. Dem gegenüber sahen die Leute das damals sieghafte Deutschland,
auf das die Propaganda hinwies. Wenn auch gar manche auf die vielen und
großartigen Versprechungen hereinfielen, so war doch für die
Allgemeinheit nur das eine zugkräftig: "Heim ins Reich!"
Dies, nur dies war beruhigend und wurde daher auch von der Propaganda
ausgiebig benützt. "Heim ins Reich", sagte das Volk; endlich
einmal Ruhe haben von all dem Gehässigen, von all dem, das uns Unruhe,
Unterdrückung, Verfolgung, Unsicherheit, Verachtung, Verfehmdung
unserer Sprache und dazu all die Feindseligkeiten bringt - heim! Darunter
stellte es sich eine Heimat unter rein deutscher Bevölkerung vor,
gleichberechtigte Staatsbürger sein unter uns und unseres gleichen.
- Ganz im Gegenteil zu dem, was dann wirklich kam, darum auch nach der
Umsiedlung die größte Enttäuschung, die damals noch niemand
hatte ahnen können! - Nicht Nazi waren unsere Leute, wenn sie auch
jetzt vielfach als solche beschuldigt werden, nein, von der Nazi-Partei
wußten sie wenig und verstanden sie nicht. Sie sahen nur das rein
Deutsche (ohne Partei-Färbung), und das im Gegensatz zum Slawischen
und diesem Druck, unter dem sie seit 22 Jahren standen mit allem,
was er mit sich brachte, und im Gegensatz zur italienischen Erbärmlichkeit,
die sie jetzt kennengelernt hatten und unter der sie nichts Besseres,
eher Schlimmeres zu erwarten hätten.
Dennoch hatte der große Teil unseres Volkes schwere Bedenken, Haus
und Hof zu verlassen. ,,Was denn?" dachten und fragten sie oft genug.
Da nun war die Propaganda wieder die ,,Beruhigungspille", die sie
für die Zukunft tröstete, indem sie eine neue Heimat versprach.
Sie war nicht der Beweggrund, sie war wirklich nur Beruhigung über
die ungewisse Zukunft. Wer sie anders einschätzt, betrachtet das
ganze allzu oberflächlich, ohne an die wirklichen Verhältnisse
zu denken - oder er kannte diese nicht.
Wer immer unter dem Volke gelebt hat, die ganze Zeit mit ihm war, ohne
seine eigenen Ideen und Ansichten anderen aufzudrängen oder anzudichten,
wer die Sorgen und Bedenken der Leute gekannt und mit ihnen besprochen
hat, wer ein offenes Auge für ihre Anliegen hatte, der weiß
um ihr Streben und ihre Wünsche, weiß, wie sie an der Heimat
gehangen sind, wie ungern und wie schwer sie ihr Heim verließen,
weiß um ihren meistens unterdrückten und verheimlichten Schmerz,
den ihnen der Entschluß zu gehen und dann der Abschied verursachten,
weiß um ihre Befürchtungen für die Zukunft, der weiß,
wie ihnen ums Herz war. Und wer um all das weiß, der wird ihnen
nie irgendwelchen Vorwurf machen, als hätten sie die Heimat leicht
verlassen. Der wird ehrfurchtsvoll ihr Opfer achten, das sie der Not der
Zeit gebracht haben, nur: weil sie es bringen mußten!
Hörte man doch viele sagen: ,,Ich gehe, damit meine Kinder noch eine
Möglichkeit für die Zukunft haben - hier ist keine mehr."
Freilich, wer die letzten Jahrzehnte und vor allem die letzten Jahre (mit
1941) nicht unter ihnen verbracht hat, wer all diese Sachen nur von weitem
gehört hat und dennoch darüber urteilen will, der mag schimpfen.
Die Leidtragenden werden dazu nur sagen:
"Lieber Freund, Du warst nicht dabei, Du warst nicht in unserer Haut,
laß gut sein, Du kennst das nicht, worüber Du sprichst. Wir
lieben unsere Heimat mehr und haben länger ausgehalten als Du, ein
Vorwurf von Deiner Seite ist nicht am Platze!"
Wer so alles gekannt hat und kennt, der weiß, daß hier vorausgehend
kurz Angedeutetes die eigentliche Ursache war, obwohl die meisten aus
dem Volke es nicht so genau mit Worten ausdrücken könnten und
sie nur sagen: ,,Weil halt alle gegangen sind, bin ich auch." Ganz
vereinzelt kann man heute auch hören, daß jemand sagt: ,,Ich
weiß nicht, wieso ich mich dazu bewegen ließ, mein Heim zu
verlassen, warum ich mich von der Propaganda betören ließ."
Diese denken momentan nur an das Schlimme, das folgte, und nicht an das
Vorausgegangene, nicht an den Druck, der auf ihnen genauso lastete wie
auf allen anderen, dem auch sie, wie die anderen, gewichen sind. Das Volk
zergliedert nicht die Einzelheiten der Jahre und überlegt sie nicht
gesondert, aber es spürt die Gesamtheit
und deren Wirkung. Was andere, die vor Jahrzehnten gegangen sind, drückte,
das beschwerte auch die, die noch geblieben sind, die trotz allem die
Heimat noch halten wollten. Es bohrte auch in ihnen, es bohrte in ihren
Herzen Jahr für Jahr ärger, weil es immer schlimmer kam, es
kochte und brodelte in ihrem Inneren, aber sie bezwangen sich, klammerten
sich an die Heimat und hielten fest, bis sie nicht mehr konnten und an
der Heimat verzweifelten, weil sie - verzweifeln mußten!
Ich glaube
sagen zu dürfen, daß ich die Verhältnisse genau kannte,
da ich immer unter dem Volke und mit dem Volke lebte und mit ihm seine
Anliegen besprach. Andere kannten sie auch, manche ebenso, aber kaum jemand
dürfte behaupten, er kenne sie ,,besser".
Sehr viele aus dem Volke hatten neuerdings wieder große Bedenken,
als bekannt wurde, daß für uns ein Teil des slowenischen Gebietes
in der Untersteiermark gewaltsam ausgesiedelt wird. Dahin zu gehen, wo
andere vertrieben werden, das machte unseren Leuten Schwierigkeiten; viele
erzählten mir davon. Das war zwar eine starke Abschwächung der
,,Beruhigungspille"; aber den eigentlichen Beweggrund der Auswanderung
hat es nicht berührt, noch weniger aufgehoben oder auch nur geschwächt.
Übrigens waren diese Bedenken eine Gewissensfrage, nämlich:
ob man auf diese Art frei gewordenen Besitz annehmen dürfe. Daher
erklärte ich als Seelsorger, sie sollen solche Bedenken nicht beachten.
Die ganze Sache ist für die Umsiedler ein Tauschhandel: man gibt
seinen Besitz für einen anderen. Da die Zwischenhändler in diesem
Falle zwei Staaten (Italien und Deutschland) sind, ist der einzelne Siedler
dafür nicht verantwortlich, dies um so weniger, weil es keiner verschuldet
hat und auch keiner wünscht.
Was soll es nach all dem, wenn es heute noch Gottscheer gibt, die schon
vorher im Auslande lebten und jetzt unseren Leuten sagen, sie hätten
dort bleiben und die Heimat nicht verlassen dürfen! Denen wäre
dasselbe zu sagen, wie 1941 über jene gesprochen wurde, die schon
seit 20 bis 30 oder 40 Jahren in Österreich lebten und im Jahre 41
schrieben: ,,Verlasset die Heimat nicht, ihr müßt sie halten!"
Es hieß; ,,Die haben diesbezüglich wenig zu reden. Sie haben
sich vor Jahrzehnten Besseres gesucht und haben die Heimat im Stiche gelassen,
und jetzt verlangen sie von uns, die wir bis zuletzt den Kampf um die
Heimat bestanden haben, wir müßten uns weiter opfern. Wofür
denn? Wenn doch nichts mehr zu retten ist!"
Wenn man einem, der vor Jahrzehnten die Heimat verlassen hat (hier sind
nicht jene gemeint, die vielleicht auch auf Jahre fortgingen, um zu verdienen
und dann wiederzukommen, sondern jene, die damals schon endgültig
auswanderten) und jetzt einem Umsiedler Vorwürfe machen will, entgegenhält,
daß er doch früher gegangen ist, sagt er einfach: ,,Ich mußte,
für mich war es dort nicht zu leben." Doch dieses sein ,,mußte"
ist fraglich. Konnten andere dort leben, hätte er es wahrscheinlich
auch können, allerdings nicht so gut wie im Ausland. Das hätte
aber schon damals auch für andere Geltung gehabt, auch sie hätten
anderswo ein besseres Leben suchen und finden können. Es ist ganz
milde bezeichnet, sehr traurig, wenn sich Fälle ereignen, wie folgender:
1945 kommt ein Gottscheer, der bis zuletzt daheim aushielt, zu einem gut
Bekannten, der vor Jahrzehnten ausgewandert ist,
und will ihn begrüßen. Dieser aber sagt: ,,Einem Manne, der
feige die Heimat verläßt, reiche ich meine Hand nicht."
Das ist eine sonderbare Auffassung! Wer die Heimat früher verlassen
hat, darf keine Vorwürfe machen demjenigen, der sie erst dann verläßt,
wenn er dort gar nicht mehr leben kann!
Bis 1941
hat es noch jedes Jahr Gottscheer gegeben, die aus der Heimat gingen,
um sich anderswo ein besseres Leben zu gründen, viel mehr aber solche,
die nach Jahren wiederkehren wollten, wenn sie nämlich soviel verdient
hätten, daß sie mit Hilfe ihrer Ersparnisse auch in der Heimat
das Auskommen zu finden hoffen könnten. Auch von diesen letzteren
sind nicht wenige in der Fremde geblieben. Darum sind 1941 nur 12 000
Gottscheer in der Heimat gewesen, im Ausland aber mehr als 20 000. Aber
alle, die so im Laufe der Jahre fortgezogen sind - sei es mit dem Vorsatze
wiederzukommen, sei es mit der Absicht zu bleiben, wo sie finden werden;
daß sie ihr Leben machen können -, alle wissen es, daß
ihnen damals ihr Fortziehen niemand in der Heimat übelnahm, im Gegenteil
jeder Zurückbleibende ihnen alles Gute gönnte und für die
Zukunft Glück wünschte.
Warum soll man nun denen, die jetzt aus der Heimat wirklich ,,mußten",
es verübeln, daß sie dort nicht zugrunde gehen wollten? Warum
soll man jetzt für diese in ihrer Not einen anderen Maßstab
anlegen, als es bisher für jeden anderen geschah, da doch noch nie
ein Landsmann in solcher Bedrängnis ausgewandert ist wie jetzt alle!
Manchmal trifft man einen Umsiedler, der sagt: ,,Wären wir doch geblieben!"
Das ist unüberlegt. Wenn man solche hinweist auf das, was dann 1942
und weiter im Gottscheer Land geschehen ist, und ihnen sagt, daß
die
Gottscheer, wenn sie geblieben wären, das nicht überlebt hätten,
sagen sie: "Die anderen, die geblieben sind, leben auch noch."
Das ist Unkenntnis der wahren Lage. Wir wissen, daß mehrere von
den Zurückgebliebenen mit
Gewalt aus dem Leben befördert wurden. Wenn alle geblieben wären,
würden alle ums Leben gekommen sein, auch die, die jetzt noch dort
leben. Denn: weil die wenigen geblieben sind, wurden sie von den anderen,
die dann kamen, als ,,deutschfeindlich" oder wenigstens als "nichtdeutsch"
betrachtet; wären aber alle geblieben, würden alle, auch die
noch dort Lebenden, als ,,nemcuri" hingemetzelt worden sein. - Für
diesen Ausdruck "nemcur" (nemtschur) haben wir im Deutschen
kein Wort. Es heißt nicht Deutscher (das würde heißen:
nemec), es heißt: einer, der ohne Deutscher zu sein, sich als deutsch
ausgibt und zugleich die Slowenen vernichten (Slowenenfresser sein) möchte.
Es ist ein Wort, das gehässige Slowenen (vernünftige sagen es
nie) Gottscheern gegenüber oft gebrauchten. - Der
größte Teil unseres Volkes weiß, daß es so gekommen
wäre; und so leid es ihnen auch um die Heimat und um alle Habe ist,
und so weh ihnen auch das jetzige Elend am Herzen liegt, sie bereuen es
nicht, ausgewandert zu sein.
J. P. aus M., der seit gut 15 Jahren in slowenischer Gegend lebte und
mit einer Slowenin verheiratet war, wollte seine Eltern von der Umsiedlung
abhalten, diese aber folgten den anderen Kindern und siedelten aus. Im
Jahre 42 schrieb der Zurückgebliebene seinen Eltern: ,,Ihr habt recht
gehabt, daß ihr fortgezogen seid, so habt Ihr doch das Leben gerettet!"
- Er selbst wurde erst später als geborener Gottscheer ,,entdeckt",
wurde von seinem Heim geholt und im Frühjahr 1946 mit einem ,,Handgepäck"
über die österreichische Grenze geschoben.
Unsere Leute haben recht, wenn sie sagen: ,,Wenigstens das Leben haben
wir gerettet!" Denn die Auswanderung 1941 war genauso eine Flucht
auf Leben und Tod wie die Flucht 1945, nur mit dem Unterschied, daß
damals noch niemand mit Knütteln (Knüppeln), Gewehren, Revolvern
und Maschinenpistolen und Mordmassen hinter uns her war wie bei der zweiten
Flucht, die sehr viele das Leben kostete. Und das deshalb nicht, weil
die Aussiedlung noch
rechtzeitig geschehen konnte. Wäre jener Zeitpunkt versäumt
worden, so wäre auch niemand hinter uns her gewesen, weil wir zu
einer Flucht keine Möglichkeit mehr gehabt hätten, da wir nicht
mehr am Leben gewesen
wären.
Das sind klare Tatsachen, die der spätere Verlauf der Dinge gezeigt
und bewiesen hat. Kein ,,Wenn" und kein ,,Aber" und kein Philosophieren
und kein Phantasieren Unwissender kann darüber hinwegtäuschen...
Noch etwas: Gar manche von denen, die dort geblieben waren, auch solche,
die längere Zeit mit den Banditen mitgearbeitet haben, wurden im
Dezember 1945 von ihrem Heim vertrieben und mit einem kleinen Handgepäck
über die Grenze geschoben. Wer wagt es zu behaupten, daß gerade
ihm persönlich dies nicht hätte passieren können? Wenn
aber unsere Bauern wirklich noch dort sein könnten, was täten
sie in der jetzt dort betriebenen
Kolchosen-Wirtschaft? Ein Bericht aus 1947 sagt:. In Göttenitz ist
alles in gemeinsamer Bewirtschaftung, 63 Kühe haben sie dort. Göttenitz
war eines der größten Gottscheer Dörfer mit 108 Häusern.
Was täten alle Göttenitzer
bei dieser Wirtschaft? Jeder, der noch dort sein müßte, würde
,,dankend" ablehnen. Ja, wenn er es noch könnte!
Im Frühjahr 1947 las ich: Pfarrer 0. (1928 bis 1935 Kaplan in Altlag)
hat beim Religionsunterricht die Kinder gelehrt, daß der Mensch
nicht vom Affen abstamme, sondern von Gott erschaffen wurde; dafür
wurde er zu 6 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Ich kenne ihn sehr gut,
habe auch über die "Zwangsarbeit" bei diesen Menschen manches
gehört, bezweifle sehr, daß Pf. 0. diese 6 Jahre überleben
werde.
Selbst das Unglaubliche vorausgesetzt, nämlich daß die Gottscheer
dort noch am Leben sein könnten: Wer hätte den Mut oder gar
Lust unter solchen Verhältnissen sein Leben zu fristen!
In den letzten Jahren (auch noch 1946) traf ich Leute, die meinten: Wären
die Slowenen in der Untersteiermark nicht ausgesiedelt worden, so wären
die Banditen nicht gewesen. - Das ist Unwissenheit. Die Banditen in Jugoslawien
begannen ihre Bewegung, als der Krieg mit Rußland begann, genauer:
der erste Juli 1941 ist ihr Gründungstag. Damals wußte noch
lange niemand von einer Aussiedlung der Untersteiermark, ganz gewiß
auch kein
Slawe! Außerdem ist jene Aussiedlung, wie ich es einige Male solchen
entgegenhielt, in dieser Sache nicht mehr als: wie wenn auf ein von Fliegen
beschmutztes Stallfenster noch eine Fliege einen Punkt dazu macht. Es
ist
überflüssig, darüber hier noch was zu sagen; die Erklärung
gehört in die große Politik.
Gutmeinende Landsleute, die schon lange nicht mehr in der Heimat waren,
fragen manchmal: ,,Warum sind unsere Gottscheer von der Heimat weggegangen?"
und klagen, daß sie nie eine richtige Antwort bekommen. Was ich
hier bisher geschildert habe, gibt einige Aufklärung in dieser Frage,
so daß auch die in der Fremde die Auswanderung begreifen können.
Es wäre dazu noch vieles zu erzählen, aber jedem, der etwas
denken will, wird dies genügen...
Da die bisherige Schilderung einer Rechtfertigung unseres Volkes wegen
der Aussiedlung gleichkommt, könnte dies den Anschein erwecken, daß
ich vielleicht so schreibe, weil ich selbst unbedingt für die Umsiedlung
gewesen
sei. Um diesen möglicherweise auftauchenden irrtümlichen Gedanken
zu berichtigen will ich anführen:
Natürlich kannte ich, wie aus dem Vorausgehenden klar ersichtlich
ist, unsere verzweifelte Lage und wußte um die Gefahren, die dort
drohten, richtiger gesagt: ich ahnte nur einen kleinen Teil von all dem
Schrecklichen, das folgte. Ich stellte mich für meine Person auf
den Standpunkt der Pflicht, nämlich, daß ich tun müsse,
was mein Beruf, durch den ich dem Volke verpflichtet bin, von mir verlangt.
Daher war meine Einstellung zur Umsiedlung für mich persönlich
von Anfang an klar und ist immer dieselbe geblieben, was aus folgendem
ersichtlich ist.
Einige Tage, nachdem wir erfahren hatten, daß umgesiedelt werden
soll, war der Bachrer-Sonntag. Auf dem Rückwege von Altbacher kehrte
ich bei Huschn Lois in Straßlein ein. Einer (der T. J.) fragte mich:
"Gehen Sie
auch mit?" - "Das hängt nicht von mir ab." - "Von
wem denn?" - "Von Euch." - "Wenn es darauf ankommt,
wir stimmen alle dafür." "Nein, eine Abstimmung soll nicht
stattfinden." - "Ja, wie denn?" - "Ganz einfach: ich
bin Euer Pfarrer. Geht der größere Teil unserer Leute fort,
dann gehöre ich auch dorthin, bleibt die Mehrzahl da, so habe ich
auch zu bleiben!"
Denselben Standpunkt machte ich bei einer diesbezüglichen Besprechung
der Gottscheer Geistlichen auch denen klar und begründete ihn so,
daß auch die vier, die bisher anderer Meinung waren, versprachen,
sie werden es auch
so halten. (In Wirklichkeit kamen dann drei nicht mit. Warum sie später
wieder anderer Meinung geworden sind, habe ich trotz meiner wiederholten
Fragen nie erfahren.)
Als ich im September einmal in Laibach war und zufällig den h. H.
Bischof traf (ich wollte erst später einmal mit ihm über die
Sache reden), fragte er mich: ,,Wie stellen Sie sich für ihre Person
zur Umsiedlung?" Ich darauf: "Bischöfliche Gnaden, ich
bin der Meinung, daß ich als Pfarrer dort sein soll, wo der größere
Teil meiner Pfarrkinder sein wird, da oder dort, gleichviel, ob es mir
persönlich dann besser oder schlechter gehen wird." Der Bischof:
,,Notwendig ist es nicht, daß Sie mitgehen. Auch Ihr Gottscheer
Geistliche seid mein, und ich werde für Euch sorgen, soviel ich kann.
Es ist aber auch nach meiner Meinung die schönste Idee, wenn ein
Pfarrer bei seinen Pfarrkindern sein will." Dieses kurze Gespräch
betrachtete ich als ein von mir gegebenes und vom Bischof angenommenes
Versprechen, daß ich bei meinen Leuten bleiben wolle. Weil ich demnach
auch mit der Möglichkeit
meines Zurückbleibens rechnen mußte, war ich auch bei der Anmeldung
für die Umsiedlung ungefähr der letzte in unserer Pfarrei. Meine
Ansicht und das dem Bischof gegebene Versprechen, bei meinen Leuten zu
bleiben, hielt ich
auch bis zum Ende. Das kam mich zwar teuer zu stehen - es kostete mich
mein ganzes Vermögen samt Einrichtung, Büchern, Kleidern, Wäsche
und allem, was ich hatte -, dennoch reute es mich noch keinen Augenblick.
Es kam also die Umsiedlung. Zweite Hälfte November begann sie. Die
ersten Nachrichten, die wir erhielten über die Ankunft im Siedlungsgebiete
und über das Verhalten unserer Leute bei der Enttäuschung, die
sie dort erlebten, waren niederschmetternd. Ein Murren begann unter dem
Volke, wurde aber nicht recht laut, denn erstens drückten die wahren
Ursachen der Aussiedlung allzu viel auf die Gemüter, und zweitens
war die Ernährungslage seit einigen Monaten so schlimm, wie wir sie
vorher nie und auch nachher bis zum Ende des Krieges nicht mehr hatten.
Wohl hatten wir Lebensmittelkarten, aber vieles davon war nie zu haben.
Was würde im Winter werden? Die eigene Ernte war zum Teil verkauft,
ebenso Wirtschaftsgeräte und das Vieh, bis auf das wenige, das man
mitnehmen durfte. Brennholz war nicht vorgesorgt, weil für das Fällen
auch im eigenen Walde eine Bewilligung der Bezirkshauptmannschaft notwendig
gewesen wäre, außerdem hat man mit dem Winter nicht mehr gerechnet.
Es war einfach nichts mehr zu ändern. Es ging also weiter. Jeder
packte ein, was er nur packen konnte. Manche hatten schon auch Dinge dabei,
die es nicht wert waren, aber sie konnten sich von ihren Sachen nicht
trennen und trachteten nur, soviel als irgend möglich mitzunehmen,
um möglichst viel vom Heimatlichen als ein Stück Heimat zu behalten,
zu retten.
Die Transporte gingen Tag für Tag. Die weiteren Orte kamen zuerst
dran, so daß man auf der Fahrt zur Bahn nie durch ein verlassenes
Dorf kam. Das war gut so...
Wir fahren:
Montag, den 15. Dezember (oder war es Dienstag, den 16.?), kamen die Weißensteiner
dran und die ersten aus dem Dorfe Altlag (H.-Nr. 1-12). Leiter dieses
Transportes war ich. Am Vormittag wurde das Gepäck mit Autos zur
Bahn nach Mitterdorf gebracht, das Vieh trieben die Leute selbst hinaus.
Nachmittags sollen wir mit Autobussen fahren. Viel Volk ist auf dem Dorfplatz,
alle in gespannter Erwartung. Hätte ich noch nicht gewußt,
wie schwer es den Leuten ankommt, von daheim zu gehen, so hätte ich
es an ihren Gesichtern lesen müssen. Daher nahm ich mir erst recht
vor, woran ich auch früher schon gedacht hatte, möglichst das
Weinen zu verhindern und die Trauer wenigstens für die Zeit der Reise
zu verscheuchen. Zwischen Haberleisch, Klauseisch, Schneidersch-Lockersch
und Honigmonsch Häusern stehen wir in kleineren und größeren
Gruppen. Unruhig wechselt bald der, bald die von einer zur anderen. Gespräche
mit denen, die erst morgen und übermorgen fahren, gewähren einstweilen
genügend Zerstreuung. Die Autos kommen. Einsteigen! Zwar lachen viele
beim Händedruck, doch sieht man an den Mienen deutlich, daß
ihnen das Weinen näher wäre. K. P. kann sich beim Verabschieden
nicht mehr halten, er weint; die anderen halten sich noch. ,,Kommt bald
nach!" - "Ja, morgen, übermorgen, glückliche Reise!"
- "Auf Wiedersehen!" und dahin geht's.
In seiner Beschreibung der kurzen Reise bis Mitterdorf und von dort im
Bahntransport bis Rann erzählt der Vf. auch, wie er für Fröhlichkeit
und Unterhaltung während der Fahrt sorgte.
Angekommen:
Die Wirklichkeit mit allem Drum und Dran kam nur allzu bald und allzu
rauh.
Vorerst konnten wir nicht aussteigen, weil der Möseler-Transport,
der kurz vor uns angekommen war, noch im Hotel weilte. Nach dessen Abgang
(in den Kinosaal) kamen wir dran. Die Männer, die uns in Empfang
nahmen, die es seit Wochen schon mit angesehen haben, was für Enttäuschungen
unsere Leute erlebten und wie sie dabei jammerten, wollten soviel als
möglich vorbeugen. Uns übernahm Herr J., ein Jurist aus Köln,
etwa 30 Jahre alt. Er war der Stellvertreter des Siedlerkommissars St.
(schlimmen Andenkens) und - im Gegensatz zu diesem - ich glaube der einzige
gute, ehrliche, barmherzige und wirklich gutmeinende und wohlwollende
Mann unter allen, mit denen wir hier zu tun hatten; ganz bestimmt aber
war er, wenn nicht der einzige, so doch der Beste von allen, obwohl er
ein SA und schließlich ungläubig war wie die anderen auch.
Er wußte, daß ich Transportleiter war. Im ersten Moment mochte
es ihn etwas gestört haben, daß ich Geistlicher bin (ich war
in geistlicher Kleidung, wie ich es auch die folgenden Jahre hielt, daß
ich nie einen Zivilkragen trug, auch als Volkssturmmann trug ich trotz
der Militäruniform den geistlichen Kragen), doch als er sah, in welcher
Art und mit welchem Vertrauen unsere Leute mit mir und ich mit ihnen verkehrte
- er beobachtete dies, derweil wir frühstückten, wir bekamen
nämlich ein gutes warmes Frühstück -, wandte er sich doch
an mich (wir verkehrten später sehr viel mitsammen). Er erzählte
mir sein Anliegen, bat mich, auf die Leute besänftigend einzuwirken,
ihnen klar zu machen, daß sie jetzt nicht in die endgültigen
Zuweisungen kommen, sondern nur provisorisch untergebracht werden können,
bis im Frühjahr
alles geordnet werden soll usw. Ich entsprach gern seinem Wunsche.
Einmal flackerte frohe Hoffnung bei den Ankömmlingen auf, nämlich
als wir vor der Abfahrt vom Empfang-Hotel für die ersten acht Tage
Proviant faßten: Brot, Butter, Mehl, Fleisch, Kaffee, Konserven
usw. und dazu noch
Geld (jeder Haushaltvorstand 100 RM und noch für jede Person im Haushalt
50 RM) und dann mit dem Autobus vom Hotel weiterfahren konnten.
"Das ist kein schlechter Anfang", sagten sie lachend. - Dann
aber war der Traum vorbei!
Wie ich schon von Anfang an nur in ganz großen Zügen schildern
konnte und nur einzelne charakteristische Vorkommnisse, die die Verhältnisse
beleuchten sollen, hervorhob, so muß ich es jetzt noch kürzer
machen. Denn
wollte man hier genauer berichten, dann müßte man ein ganz
großes Buch schreiben. Ich werde also nur noch einige Sachen erwähnen
und das andere mehr zusammenfassend darstellen. Das kann zwar kein genaues
Bild geben, aber es wird genügen, daß jeder, der es liest,
verstehen wird, daß die Berichte der einzelnen Beteiligten, die
so grundverschieden sind, daß sie sich zu widersprechen scheinen,
sich gegenseitig doch nicht ausschließen und alle wahr sein können,
weil der eine das, der andere jenes aus der Mannigfaltigkeit des Ganzen
erzählt.
Enttäuschungen:
In den Ortschaften angekommen, wurden die einzelnen Familien in Häuser,
gute und schlechte, auch in ganz erbärmliche Keuschen (kleine Wohnhäuser
von Tagelöhnern / Häuslern), alles so genannte provisorische
Winterwohnungen eingewiesen. Da gab es nun viel zuviel Enttäuschungen,
viel Leid und Tränen, viel Zorn und Schimpfen, und das sehr oft mit
gutem Recht und gutem Grund, aber auch nicht selten ohne
Ursache. Zum (wenigstens teilweisen) Verständnis alles dessen möge
folgendes dienen:
Unberechtigte Klagen und deren Ursachen:
1. Als wir in Rann angekommen sind, bevor wir noch aus dem Zuge ausstiegen,
kam einer von den Unsrigen, der zwei Tage vorher mit den Langentonern
hergekommen war, und erzählte weinend, wie schlecht es hier sei,
wie schlimm er drangekommen sei, was für eine Keusche er bekommen
habe usw. Ich nahm mich fest zusammen, um nicht auf ihn zu schimpfen,
denn ich ärgerte mich sehr über ihn, da ich wußte, daß
dieser Mann daheim nichts
hatte, gar nichts! Er wohnte in einer fremden Keusche. Da war es also
gar nicht möglich, daß er es schlechter bekommen hätte
als daheim, wo er doch nichts hatte. Der hatte wahrhaftig keinen Grund,
so zu reden - besser als
nichts ist alles -; darüber braucht ein junger Mann nicht zu weinen!
Darauf machte ich die Leute aufmerksam, als er wieder draußen war,
und sie waren beruhigt, sie kannten seine Verhältnisse von daheim.
Als wir noch im Hotel
weilten, kam eine andere, die tags zuvor angekommen war, und machte es
noch ärger als jener. Die Leute gaben nicht viel auf ihr plärrendes
Gejammer, weil sie auch früher nichts auf sie gehalten haben. - Später
sah ich, daß sie nicht gerade gut dran war, aber bei weitem nicht
so schlecht, wie sie da klagte, sie hätte sich ohne Klage bis nächstes
Jahr gedulden können. So ähnlich wie diese zwei haben es später
mehrere gemacht. Sie klagten,
obwohl sie es nicht schlechter hatten wie daheim, manche von ihnen sogar
besser, aber sie waren unzufrieden; das war ärgerlich, ich schämte
mich für solche Leute vor Herrn J. Es waren auch solche unter ihnen,
die ich
bis dahin für vernünftig gehalten hatte. Es klagten manchmal
auch solche, denen ich sagte: ,,Wenn Sie bedenken, wie Sie es daheim hatten,
so müssen Sie zugeben, daß Sie mit gefalteten Händen danken
sollen, es jetzt so schön
und gut zu haben!" -. Freilich gab es auch sehr viel Gegenteiliges,
wie wir noch sehen werden.
2. Viel Schuld an der Unzufriedenheit hatte die im vergangenen Sommer
so unvernünftig übertriebene Propaganda von großartigen
Höfen und Stallungen (in Wirklichkeit war der allgemeine Stand der
Häuser und Ställe weit unter dem von uns daheim; im allgemeinen
waren die Wohnungen im Gottscheerlande viel besser und geräumiger),
wie die Umsiedlung bequem "von Hof zu Hof" gehen werde; es hieß:
Ihr verlaßt hier Euren Hof, und dort fahrt Ihr von der Bahn mit
dem Auto in Euren neuen, eingerichteten Hof usw. - und nun finden sie
so viele Elendskeuschen! Gar mancher gute Bauer von daheim mußte
mit einer armseligen Keusche vorlieb nehmen und mit der ganzen Familie
mit 4, 5 bis 6 Kindern in einem einzigen, oft auch noch feuchten Zimmerchen
hausen! Es ist unbegreiflich, wie die Propaganda solche Gegensätze
zur Wirklichkeit vorbringen konnte.
Diese Wirkung wurde noch gesteigert dadurch, daß die Leute sahen,
es waren sehr wenig gute Häuser und Bauernhöfe vorhanden. Sie
wußten daher, es könne doch nur ein kleiner Teil unseres Volkes
ordentlich beteilt
werden - im Sinne der Propaganda überhaupt nicht. Deswegen half das
Vertrösten, im Frühjahr werde alles in Ordnung gebracht, nicht
viel, auch nicht die Versprechungen von Neubauten.
3. Noch unvernünftiger als diese Propaganda waren die unglaublichen
Erwartungen mancher Leute. Das will ich nicht genauer beschreiben, will
nur anführen, daß ich einige Monate vor der Umsiedlung solchen,
die so
phantasierten, einmal sagte: ,,Wenn Sie glauben, daß dort, wo Sie
hinkommen, ein gut eingerichtetes Haus, alles auf den Glanz geputzt, Speisezimmer,
Extrazimmer und Wohnzimmer alles warm geheizt, ein Stall voller Vieh erwartet,
und vielleicht auch noch das festlich gekleidete Dienstpersonal Sie vor
dem Hause freudig begrüßen werde, daß Sie nun endlich
einmal gekommen sind, und Sie dann ins Speisezimmer führt, Sie sollen
sich
setzen, und dann gleich Braten und Poballitzen (eine Art Rosinenstrudel,
sonntägliches Festgericht der Gottscheer, auch ,,Pobolitze"
genannt) auftragen werde - dann werden Sie furchtbare Enttäuschungen
erleben, da kann Ihnen niemand helfen!"
4. Leute, die daheim für die Umsiedlung am meisten begeistert waren,
zeigten sich oft am wenigsten zufrieden. Manche von ihnen hatten Grund
dazu, andere aber gehören irgendwie unter die, die oben angeführt
sind, wenn auch in etwas anderer Art. Einige von diesen meinten, wie es
aussah, für sie müßte etwas ganz besonderes vorbereitet
sein, viel besser als für andere. Sie bildeten sich das einfach ein,
obwohl niemand zu sagen wüßte,
warum.
Einige von den Unzufriedenen übersiedelten mehrmals, zogen bald daher,
bald dorthin, waren aber nirgends zufrieden. Auch gab es solche, die nur
jammerten, weil sie von anderen angesteckt waren; es sah aus wie eine
ansteckende Krankheit, anders war es bei einigen nicht zu erklären.
Das ganze erklärte ich einmal beim Landrat gelegentlich eines diesbezüglichen
Gespräches mit einem Vergleich, indem ich sagte: "Versuchen
Sie einmal einen Obstgarten mit älteren Bäumen auch nur einige
Meter weit zu übertragen. Es wird nicht gut tun. Unsere Gottscheer
waren aber auch fest verwurzelte Bäume, und zwar seit Jahrhunderten!".
Er gab mir recht.
Sehr gut begründete Unzufriedenheit:
Trotz dieser angeführten Dinge muß aber gesagt werden, daß
viel Zorn, viel Schimpfen, viel Jammer, viel Leid und sehr viel Tränen
nur allzu berechtigt waren.
Viele Familien, auch solche mit vielen Kindern, die daheim ein schönes
und geräumiges Haus hatten, waren in wahren Elendswohnungen untergebracht;
das nicht nur einige Wochen oder Monate, sie hausten auch den
zweiten, manche auch den dritten und vierten Winter noch darinnen. Sie
mußten aushalten, obwohl sie sich viel Mühe gaben und viele
Wege machten, um eine Änderung zu erreichen. Wollte ich dieses Elend
auch nur
einigermaßen schildern, das wäre ein langes Kapitel, viel länger
als die bisherigen Schilderungen. Im Kapitel ,,Ungerechtigkeiten"
berichte ich etwas mehr davon. Hier will ich nur sagen, daß ich
in jeder Gemeinde solch wirklich
Unglückliche getroffen habe. Manche bemühten sich sehr um eine
Änderung, trugen ihr Schicksal aber doch mit solcher Geduld, daß
ich sie geradezu bewunderte. Beispiel: Die achtköpfige Bauernfamilie
aus R. - ein einziges,
sehr feuchtes Zimmer. Der Vater machte viele Wege in die Stadt (fast drei
Stunden weit), erreichte aber nichts, was ich nie begreifen konnte. Er
schimpfte nicht, war sehr geduldig. Wenn wir davon sprachen, sah ich,
wie
er, der kräftige, fleißige, arbeitsgewohnte brave Mann, mit
den Tränen kämpfte, doch er bezwang sich, weinte nicht und schimpfte
nicht. Es tut weh, so etwas mit ansehen zu müssen und nicht helfen
zu können, einige
gute Worte sind alles, was man geben kann. Erst den dritten Winter hatte
er es besser. Andere wieder bemühten sich weniger, aber schimpften
um so mehr; sie hatten aber wirklich Grund zu schimpfen; auch wenn sie
es noch
ärger getan hätten, wäre es nicht unbegründet gewesen.
Die einen so, die anderen so, jeder nach seiner Art. Daher müßte
man, wenn man genauer berichten wollte, viele verschiedene Fälle
genau erzählen; dann könnte sich
vielleicht ein Mensch, der das nicht an Ort und Stelle gesehen hat, auch
ungefähr ein Bild von der allgemeinen Lage machen, sonst aber sehr
schwer. Was Leute, die nicht dabei waren, aus Briefen erfahren und was
sie vielleicht
von Augenzeugen erzählen hören, ist sehr wenig und schaut, da
es immer nur Teilberichte oder Beschreibungen einzelner Fälle sind,
aus, als würden sie sich widersprechen, was der Fernstehende sich
dann nicht
zusammenreimen kann; denn, daß alles wirklich so vielfältig
war, daß wirklich die Angelegenheit des einen und des anderen im
größten Gegensatz zu einander standen, daß die verschiedenen
Siedler grundverschieden, ja geradezu
gegensätzlich beteiligt und behandelt wurden, scheint alles unglaublich,
weil es unverständlich ist; aber wahr ist es, nur allzu wahr!
Sehr wenige
hatten einen allgemeinen Überblick über das Ganze. Die meisten
kennen nur die wenigen Fälle ihrer nächsten Umgebung und ihrer
nächsten Verwandten. Andere, die irgendwie mit anderem zu tun hatten,
kannten wieder die Lage der einzelnen nicht genauer. Ich selbst habe in
mehreren Gemeinden mit verschiedenen Siedlern über ihre Lage gesprochen,
so daß ich sehr viel kennengelernt habe; aber ein wirklich klares
Bild habe ich auch nicht erreichen können, obwohl ich immer mitten
drin war.
An dreizehn Beispielen von Gottscheer Geschäftsleuten aus verschiedenen
Orten versucht der Vf. dann die verwickelten Verhältnisse im Ansiedlungsgebiet
und die allgemeine schwierige Lage der Umgesiedelten zu verdeutlichen.
Glückliche
und manches Gute:
Es hat schon
auch Fälle gegeben, in denen Siedler so dran waren, daß sie
sich fühlten (sie sagten das von sich selbst) wie in einer Art Himmelreich,
wenn es auch sehr wenige waren. Es gab andere, die so dran waren, daß
sie sich in zwei Jahren ein Vermögen machten (auf ehrliche Weise),
wie sie es in Gottschee nie erreicht hätten (jetzt ist freilich auch
das hin). Es gab solche, die ungefähr dran waren, wie einst daheim,
nur insofern besser, als es jetzt mehr Geld gab. Sie gingen ruhig ihrer
Arbeit nach, machten in keiner Beziehung Aufsehen. Wieder andere waren
nicht so gut dran wie daheim, klagten aber nicht, taten ihre Arbeit und
sagten, wenn man mit ihnen sprach: solange Krieg ist, müssen wir
aushalten, dann werden wir erst trachten, weiter, d.h. zu unserem Recht
zu kommen. So, wie diese zwei letzteren Arten, waren viele der auf die
Höfe Eingewiesenen; entweder sie waren zufrieden oder sie hofften,
daß nach dem Kriege alles vollständig geordnet werde.
Zu den Glücklichen
und ganz Zufriedenen gehörten auch jene, die daheim fast nichts oder
wenigstens nicht viel hatten, hier jetzt als Arbeiter sehr gut verdienten,
viele und große Vorteile (Zuwendungen, Zulagen und dergleichen)
wegen ihrer vielen Kinder hatten. Mehrere von diesen sagten, daß
es ihnen noch nie so gut gegangen sei und daß sie jetzt wirklich
glücklich seien.
Oben sagte
ich ,,und manches Gute", dabei dachte ich an dies: Es gab Geld, man
kann fast sagen, es lag auf der Straße; denn jeder, der nur irgendwie
wollte, konnte genug verdienen. Das heißt schon was für unsere
Gottscheer, wenn es Geld gibt. Im allgemeinen (gilt natürlich nicht
für jeden) hatten unsere Leute noch nie so viel Geld wie jetzt. Mädl,
kaum der Schule entwachsen, waren ,,Angestellte" in Kanzleien, auch
wenn sie nicht schön und nicht richtig schreiben konnten, hatten
ihre monatliche Bezahlung als Kanzleifräulein oder ,,Angestellte".
Da gab es allerhand Leute in Kanzleien, auch ältere, die es sich
in ihrem Leben nie hätten träumen lassen, daß sie einmal
auf diese Art angestellt werden könnten. Zu dem war alles, was man
zu kaufen bekam, sehr billig, und man bekam, wenigstens anfangs, alles,
was die Karten anzeigten. Für einige Sachen brauchte man Bezugscheine,
auch die waren zu haben. Einige kauften viel Unnötiges, diese konnten
mit dem Gelde nicht umgehen, weil sie früher nie eines hatten. Sehr
gut war auch die soziale Fürsorge für die kleinen Kinder, besonders
für Säuglinge, und für kinderreiche Familien. Es gab Familien,
die glaubten, es könne überhaupt nicht mehr besser gehen. Unter
ihnen waren welche (Faule!), die der Meinung waren, sie würden in
ihrem Leben nicht mehr zu arbeiten brauchen. Trockenes Brot wurde wenig
mehr gegessen, von Kindern schon gar nicht, immer war Butter oder Marmelade
drauf.
Das gilt auch von den ärmsten Leuten und von jenen Unzufriedenen,
die fortwährend jammerten. Für Kinder gab es oft Süßwaren
und dergleichen. Bezüglich der Ernährung war es hier im Siedlungsgebiet
besser als anderswo im Reiche. Es gab zu essen, gut und nicht wenig, die
Nichtselbstversorger waren mit Fett etwas schwach dran, aber Fleisch haben
die Gottscheer in der Heimat nie so ständig gehabt, hätten sich
es auch nicht leisten können. Einen, der daheim oft in andere Dörfer
betteln ging, sah ich einmal in einem Gasthaus zur Nachmittagspause einen
kalten Braten essen und Wein dazu trinken; in diesem Falle mußten
es wahrscheinlich die Kinder daheim büßen, denn
schließlich gab es doch nichts ohne Karten, Selbstversorger war
er nicht (solche hatten nämlich ausgiebigere Karten). Es gab auch
Wein, gar manche tranken für den Durst nicht mehr Wasser! Weitaus
die Mehrzahl der Zufriedenen fühlten sich nicht nur selbst glücklich
und freuten sich darüber, sie ließen jeden anderen gern an
ihrer Freude und an ihrer Habe teilhaben und gaben mit vollen Händen
jedem, der da kam. Es waren aber auch
- zwar wenige, aber doch einige -, die das Gegenteil darstellten. Sie
selbst lebten auf großem Fuß, prahlten damit, vergönnten
aber anderen nichts, ja spotteten andere, die das nicht hatten, boshaft
und schadenfroh ins Gesicht, besonders solchen gegenüber, die es
daheim besser hatten als sie. Das war gemein! Ich habe mich darüber
sehr geärgert, obwohl ich sagen muß, daß sich mir gegenüber
kein Gottscheer schlecht benommen hat; sie waren alle freundlich, gut
und sehr entgegenkommend und auch so freigiebig, daß ich mich oft
darüber wundern mußte. Wären sie anderen gegenüber
auch so gewesen, sie hätten manchen viel Ärger und bittere Stunden
erspart!
Ungerechtigkeiten:
Das meiste
von dem hier auf den letzten Seiten Geschilderten gilt sowohl vom ersten
Jahre, da alle noch in den provisorischen Wohnungen waren, als auch für
die folgenden Jahre, in denen ein Teil der Siedler schon in seine
Höfe eingewiesen war. Bei diesen Einweisungen kamen viele Ungerechtigkeiten
vor. Einigen Leuten, die daheim große und sehr gut bewirtschaftete
Bauernhöfe gehabt haben, wurde entsprechend gegeben; anderen ebenso
guten Bauern und Besitzern wurden aber Sachen angeboten, die kaum den
vierten Teil des ihrigen in der Heimat erreichten. Viele von diesen nahmen
natürlich nicht an. Anderen wurden Angebote gemacht, die ihren Besitz
in der Heimat um das zehnfache und mehr überstiegen. Manche nahmen
an, andere weigerten sich mit Recht, Verpflichtungen einzugehen, für
die sie Jahrzehnte lang zahlen müßten (es wurde dreißigjährige
Abzahlung angeboten) ...
Bedenkliche
Sachen:
Viele unserer
Leute wurden weit weg angesiedelt, bei Marburg, Pettau und anderswo, so
daß sie ganz getrennt von unserem Volke 100 und mehr km entfernt
waren. Auch wurden durch ungerechte Angebote absichtlich sogenannte"O-Fälle"
geschaffen.
(In der politischen
und ,,rassischen" Überprüfung der Umsiedler bei der sogenannten
Schleusung wurden diejenigen Personen als A- und O-Fälle eingestuft,
deren Ansatz im annektierten Grenzgebiet der Untersteiermark wegen verwandtschaftlicher
Beziehung zu Slowenen und politischer Unzuverlässigkeit unerwünscht
schien).
Man bot den
Siedlern solche Sachen an, die sie selbstverständlich nicht annehmen
konnten. Das zweite und dritte Angebot war nicht besser. Da sie auch nicht
annahmen, hieß es: es seien Leute, die trotz mehrer Angebote
nicht zufrieden sein wollen und daher nach Osten (0-Fälle), nämlich
nach Polen geschickt werden sollen. Ich kenne einen Fall, in dem ein junger
Gottscheer Bauer, dem dies angedroht wurde, sagte: "Herr St., bieten
Sie mir einmal
etwas an, was auch nur die Hälfte oder wenigstens ein Drittel dessen
wäre, was ich daheim hatte, und ich werde annehmen!"
Wollte der
St. die Gottscheer wirklich zugrunde richten, wie es manchmal aussah?
Dennoch mußte er in einzelnen Gemeinden auch gute Bauernhöfe
schaffen, um seinen Vorgesetzten in Graz die Augen auswischen zu können.
Außer den "O-Fällen", gab es auch "A-Fälle".
Diese wurden schon daheim bei der sogenannten Durchschleusung als solche
bezeichnet, sie bekamen in ihren "Umsiedlerausweis" ein "A"
hinein. Es waren jene, die man als nicht
vollwertig (scheinbar nach dem Rassengesetz) betrachtete. Sie sollen von
den anderen Gottscheern getrennt werden und ins Altreich (daher A-Fälle)
kommen. Sie, nämlich die ganze Familie, wurden dann auch hinausgebracht
und dort wieder getrennt von allen anderen in verschiedene Fabriken als
Arbeiter gesteckt, obwohl sie daheim Bauern waren und Besitz hatten.
Alte und arbeitsunfähige Leute wurden fürsorglich in ein Versorgungsheim
gebracht. Von mehreren wissen wir, daß sie nach Passau kamen. Von
einigen auch, daß sie dort bald gestorben sind. Von den anderen?
War es wirklich Fürsorge oder -?
Hier muß ich noch erwähnen, daß von offizieller Seite
unseren Leuten gegenüber oft betont wurde, man wolle keine Slowenen
und keine Gottscheer kennen, es gäbe hier nur "Untersteirer".
(Im Jahre 44 sah man dann den Unterschied schon ein!) Auch versuchten
manche Herren, den Gottscheer-Dialekt zu unterdrücken. Wogegen wir
sagten: Solange der Wiener Weanerisch, der Preuße Preußisch
und der Bayer Boarisch - werden wir Gottscheer Gottscheerisch sprechen!
Als einmal im Luftschutzkeller eine Mutter ihren Sohn tadelte und die
Lehrerin (eine Wienerin) sagte:
",Hier wird deutsch gesprochen", sagte ich ganz energisch: ,,Fräulein,
das war deutsch, und zwar ganz deutsch!" Dann war sie still ...
Nicht ganz 12 000 Gottscheer waren in die Gegend von Rann gekommen. Ein
Teil, die A-Fälle, kamen ins Altreich, waren zerstreut, für
die Gottscheer Volksgruppe verloren. Viele kamen einzeln in ferne Gegenden,
Geschäftsleute in andere Städte, alle die zählten für
die Gesamtheit unseres Volkes nicht mehr. Wir waren viel weniger geworden.
- Hier waren in jedem Dorfe auch noch slowenische Familien, mehr als wir
in Gottschee unter uns hatten, in Rann selbst waren sie in der Überzahl.
Außerdem wurden zwischen unsere Leute herein auch Südtiroler
und viele Bessaraber angesiedelt. Wir Gottscheer waren nicht mehr unter
uns. Die Art, wie man hier mit unserem Volke umging, ließ nicht
viel gute Hoffnung aufkommen. Nicht wenige unserer Leute hatten damals
schon die Absicht, nach dem Kriege, sobald als möglich, suchen sie
sich irgend etwas irgendwo in der Welt, hier bleiben sie nicht. Gottscheer
als geschlossenes Ganzes würde es nicht mehr geben. Darum kam einem
leicht der Gedanke, wir Gottscheer gehören ins Märchen:
"Es war einmal ..."
Was half da der Unsinn, daß man verschiedenen Dörfern hier
den heimischen Namen irgendeines Gottscheer Dorfes gab! Das hatte keinen
Sinn, weil weder die Lage, noch die Größe, noch die Bauart,
noch irgend etwas und erst gar nicht die Bevölkerung dem entsprach,
waren doch all diese Sachen oft gerade das Gegenteil von dem, wie es daheim
aussah. Die hiesigen Dörfer waren mit unseren heimischen überhaupt
nicht zu vergleichen. Ein Dorf trug manchmal den Namen eines heimischen,
dessen Bewohner ganz anderswo angesiedelt waren. Zum Beispiel sah das
hiesige Koflern am ehesten dem heimischen Grafenfeld etwas ähnlich,
seine Bewohner aber waren weder von Grafenfeld noch Koflern (außer
2 oder 3 Familien). Das hiesige Ebental war der krasseste Gegensatz zum
heimischen, man hätte es eher mit Kuntschen vergleichen können.
Die Propaganda hatte im Sommer 41 daheim den Leuten vorgemacht, sie würden
genau so angesiedelt werden, wie sie daheim beieinander sind: Dorf für
Dorf und Haus für Haus. Die Ortschaften werden dieselbe Lage und
denselben Namen haben wie in der alten Heimat. Bei der Durchschleusung
wurden gar noch die einzelnen gefragt: Wen wünschen Sie als Nachbar?
Das war schon gemeiner Spott! Von all dem hier war nur das eine, daß
man mit unseren heimischen Ortsnamen sinnlos herumwarf, sehr zum Verdruß
des Volkes. Es war schade um die heimischen Namen,
sie hier zu mißbrauchen. Da war z. B. eine Gemeinde (nicht Dorf)
"Altlag", in der wohnte aber eine einzige Familie aus Altlag
(M., Nr. x), hat das einen Sinn? Nichts war da, was irgendwie Altlag ähnlich
gesehen hätte.
Sonderbares:
Vorhin habe
ich ungerechte Angebote und Einweisungen erwähnt. Dazu noch: Außer
den Einweisungen, die den Vermögensverhältnissen einzelner Siedler
keine Rechnung trugen, außer den A- und O-Fällen, wurden Einweisungen
und Umsiedlungen manchmal auch mit brutaler Gewalt durchgeführt,
wenn sich die Leute sträubten, auch Waffengewalt angedroht. So wurde
einem Altlager (F. P.) schon die Waffe an die Brust gesetzt, bis er endlich
nachgab!
Endgültig
eingewiesen war bis 1945 noch kaum die Hälfte der Gottscheer Siedler.
Es hieß, es sei kein Platz mehr hier herum. Wir mußten uns
fragen: wieso kein Platz? Bevor der erste Transport unserer Leute herkam,
wußte man schon lange ganz genau die Zahl der Leute, die kommen
sollen, und auch auf den Quadratmeter genau, wieviel Grund jeder einzelne
Siedler und alle zusammen hatten. Ungeklärt blieb auch die Frage,
warum trotz des angeblichen Platzmangels hier unter den Gottscheern auch
mehrere Südtiroler und viele Bessaraber angesiedelt wurden. Hätte
man nicht unsere Siedler hier lassen und die anderen dorthin geben können,
wohin man Gottscheer geschickt hat und noch schicken wollte? Wenn hier
kein Platz war, warum brachte man uns hierher, wohin wir nicht wollten
- wir wollten in rein deutsche, nicht in slowenische Gegend! -, warum
hat man nicht uns alle anderswohin gegeben? Bei diesem ,,Platzmangel"
hatten die schönsten Häuser in der Stadt die Ämter und
die Beamten, die wirklich luxuriös wohnten (ein alleinstehender Beamter
eine ganze Villa für sich allein), und in den Dörfern draußen
die DAG (Deutsche Ansiedlungsgesellschaft) -Verwalter für sich in
Anspruch genommen, auch schöne Felder und
schöne Weingärten. Diese Verwalter konnten tun, was sie wollten.
Anschließend berichtet der Vf. über die Wirtschaftsweise der
DAG, ihre Verwalter und eine Reihe skandalöser Mißstände,
über das Verhältnis der Umgesiedelten zu den noch ansässigen
Untersteirern und ihre Eingliederung
in die NS-Organisation, insbesondere auch ausführlich über die
religiöse Haltung der Gottscheer und die kirchlichen Verhältnisse
im Ansiedlungsgebiet.
Ein ganz besonders schlimmes Kapitel war die Unsicherheit für unsere
Leute in der Nähe der Grenze, die Gefahr von Diebstahl, Raub, Mord
und Entführungen. Die offiziellen Kreise bemühten sich sehr,
unseren Bauern einzureden, daß es eine Ehre sei ,,Grenz- und Wehrbauer",
der ,,Hofzaun" des Reiches zu sein. Das waren armselige Wehrbauern,
die nichts hatten, womit sie sich hätten verteidigen können!
Es hieß, sie sollen sich mit Hacken und Mistgabeln verteidigen (das
wurde ihnen wiederholt wörtlich gesagt), die Räuber aber hatten
Gewehre, Maschinenpistolen, Revolver und Handgranaten! "Für
diese Ehre soll ich mich umbringen lassen? Danke dafür und pfeif
darauf!" hörte man schimpfen.
Später
gab es auch für die Unsrigen einige wenige Gewehre. Auch wurden Wachen
zu zwei Mann für ein oder zwei Dörfer und noch bis zum nächsten
Dorfe bestellt, obwohl man wußte, daß die anderen immer in
großen Haufen kommen. Zeitweise wurden auch Wachen von 3 bis 10
Mann (für ein größeres Gebiet) aufgestellt. Auch solche
Wachen hätten sich der Übermacht nie stellen können. Im
besten Falle hätten sie noch die Leute wecken können, damit
sie flüchten sollen; für was anderes war diese Wache nicht,
außer, daß die Frauen und Kinder denken konnten, es sei doch
eine Wache, und daher glaubten, ruhig schlafen zu können.
Die Banditen machten oft Raubüberfälle. Sie kamen auf der einen
Seite über die Grenze herüber, auf der anderen aus dem von Slowenen
bewohnten Gebieten. Ich erwähne mehrere aus der Umgebung: Reitz bei
Weitental,
wobei R. F. aus Altbacher Nr. x und F. K. aus Straßlein Nr. x erschossen
wurden. Dann bei Koritno, wo bei Tag Hirt und Herde entführt wurden.
Prilipe, obwohl das nicht an der Grenze lag; am hellen Nachmittag kamen
Bewaffnete und raubten beim M. K., Altlag x. Obereich, wo sie am Abend
beim S. aus Langenton x beim Fenster hineinschossen,
es gab Tote und Verwundete. Hafendorf, da wurde H. aus Oberwarmberg mitgenommen
und im Weingarten erschossen; ein Dorf weiter (den Namen habe ich vergessen),
ebenso noch ein Dorf weiter oben, wo ein Südtiroler
erschossen wurde. Dann Steindorf, Pruschendorf, wo sie recht arg hausten
und Finanzer ganz grausam ermordeten, einen 15 jährigen Buben entführten,
der aber nach einigen Wochen wiederkommen konnte. Mraschau (Masern) Mord
und Raub im großen; Gmajna, ferner Radelstein, wo es zu Ostern recht
scharf und schlimm herging (auch Entführung). Auf der anderen Seite
der Save: Kapellen (R. und S. aus Ebental erschossen), weiter draußen
einige Male Raub und Mord und eine Entführung vom Felde weg (bei
Tag), Ditmannsdorf, Sella, Kindsdorf, Brezina (das ganz an die Stadt angrenzt),
Arnovo Sela, das Dorf weiter gegen Gurkfeld hinauf, die Station unter
Lichtenwald usw. .
Dann noch
besonders die beiden großen Einbrüche, geradezu militärischen
Aktionen ähnlich, wobei sie weit ins Siedlungsgebiet kamen und einen
Teil davon einige Tage besetzt hielten: Das eine Mal über Johannistal
bis nach Savenstein, ganz bei Lichtenwald. Was fliehen konnte, floh natürlich.
Das andere Mal über Radelstein bis gegen Arch, wo es fast aussah,
als würden sie alles besetzen wollen. Immer wurde geraubt, oft auch
gemordet,
gebrandschatzt und Menschen entführt (von dem in Radelstein entführten
J. W. aus Rieg haben wir nie mehr etwas gehört). Es ist nicht alles
aufgezählt und nur kurz erwähnt, aber es dürfte genügen,
daß man sich die harte Lage unserer Leute etwas vorstellen kann.
Wieviel Angst, Kummer, Sorgen und Schaden an Wäsche, Kleidung, Schuhen,
Nahrungsmitteln, Geld, Wein, der einfach ausgelassen wurde, und Vieh jeder
solche Überfall verursachte, brauche ich nicht zu schildern, es würde
viel zu lang werden und könnte doch nie vollständig sein. Das
Schlimmste ist, daß dabei auch Menschen ums Leben kamen, und zwar
meistens wehrlose!
Wie gefährlich manchmal die Lage war zeigte auch die Aufstellung
von Stacheldrahtverhauen auf den beiden Brücken nach Rann (im Zentrum
des Siedlungsgebietes!), womit diese Brücken bei Nacht abgesperrt
wurden, und
die scharfe Bewachung dieser Brücken durch starke Gendarmerieposten.
Wäre zu solchen Zeiten auf unserer Seite des Wassers etwas los gewesen,
so hätten auch wir nicht mehr in die Stadt flüchten können.
Unsere Leute
kritisierten mit Recht, es mache den Eindruck, die Herrn in der Stadt
wollen nur sich selber schützen. Es war für uns alles eher als
beruhigend, diese Brücken gesperrt und so bewacht zu sehen.
Zum Kampfe gegen diese einbrechenden Scharen hat die offizielle Stelle
die sogenannte ,,Wehrmannschaft" gebildet. Das war eine Art militärischer
Organisation, eine Abwehrmiliz könnte man sagen. Sie bekamen eine
gelbliche, unsympathische Uniform. Unsympathisch und ungut war diese ganze
Einführung. Diese Formation war doch wieder nicht zum Schutze unserer
Leute da, die Wachen (wie ich sie oben beschrieben habe) blieben Schein-
Wachen, wie sie waren. Wohl wurde die Wehrmannschaft hier und da zum Kampfe
gegen die einfallenden Banden eingesetzt (immer erst im nachhinein, wenn
der Schaden schon gemacht war), aber sie wurde auch weit weg von
unserer Gegend in rein slawische Gegenden gesandt - und für die Unsrigen
war wieder niemand da. Unsere Leute hatten daher kein Interesse an dieser
Organisation, sie lehnten sie ab. Einen Widerwillen gegen die Einreihung
zur Wehrmannschaft brachte auch der Umstand, daß bei dieser auch
viele Slawen (,,Volkstajtsche") waren, denen man nicht allen trauen
durfte, weil manche von ihnen sehr unverläßlich waren, was
wiederholt festgestellt
wurde. Auch die Stellen, die früher die Gottscheer und Untersteirer
unbedingt gleichschalten wollten, kamen jetzt zur Erkenntnis, daß
doch ein großer Unterschied zwischen den einen und den anderen war.
Wenn unsere
Männer murrten, daß sie so weit weg von ihren Leuten in slawische
Gegenden geschickt werden, hieß es, man könne an so gefährdeten
Orten doch nur die verläßlichen Gottscheer, nicht aber die
unverläßlichen Untersteirer brauchen. Leider war auch das wieder
ein Schaden für die Gottscheer, da dies manchen das Leben kostete.
Zwar bestand
keine gesetzliche Handhabe, unsere Leute zur Wehrmannschaft zu zwingen,
aber man zwang sie doch. Wenn sich einer dagegen sträuben wollte, wurde
er eingesperrt oder anders bestraft. Verlor einer der
Wehrmannschaft das Leben, was mehrere traf, erhielt die Familie eine einmalige
kleine Unterstützung. Fiel aber einer im Kampfe bei der Wehrmacht (regelrechtes
Militär), so wurde für die Familie dauernd gesorgt. Wegen
des Widerwillens gegen die Wehrmannschaft und wegen der so verschiedenen
Auswirkung auf die Hinterbliebenen meldeten sich manche lieber zur Wehrmacht,
um von der Wehrmannschaft freizukommen. - Die Wehrmannschaft
wurde manchmal auch sehr scharf eingesetzt. Ich erwähne nur das Letzte,
das Schlimmste davon: bei Pettau gegen die Russen, also in der wirklichen
Kampffront des Krieges, wofür sie gar nicht ausgebildet waren. Sie
wurden dort von SS-Männern als angeblich freiwillige Trupps an aussichtsloser
Stelle direkt in den Tod getrieben. Eine Gottscheer Kompanie der Wehrmannschaft
(ich glaube es war die zweite) wurde dort an einem Tage fast ganz aufgerieben.
Am Gründonnerstag, dem 6. April 1944, gegen 4 Uhr nachmittags, bekamen
wir die ersten Bomben. Bis dahin hatten wir sehr oft den Einflug der feindlichen
Flieger angeschaut, haben die Flieger gezählt und sahen ihnen nach,
bis sie weg waren. Einige Male zählten wir 200 bis 300 Bomber, die
in geschlossenen Formationen über uns hinwegflogen, zurück kamen
sie sehr zerstreut und einzeln. Am Josefi-Tag 1944 haben wir bei einem solchen
Einflug auch einem Luftkampf zugeschaut, es war sehr interessant, wir sahen
auch Abgeschossene stürzen, Angst hatten wir keine, da hier noch nie
etwas geschehen war. Es fiel auch niemandem ein, einen Luftschutzunterstand
aufzusuchen, außer in der Stadt, wo sie es mußten. Von jenem
Tage an, da die ersten Bomben gefallen sind, wurde es anders. Zwar waren
es die kleinsten Bomben, aber es waren Hunderte. Glücklicherweise trafen
die meisten nicht, d.h. sie fielen auf freies Feld und viele in den Wald
knapp hinter unserem Dorf, und doch verursachten sie viel Schaden an Menschenleben,
an Gesundheit, an Tieren und Gebäuden. Am Ostersamstag wurden 17 Opfer
gemeinsam begraben (parteiamtlich, kirchlich konnte ich sie erst später
einsegnen), etwa 10 dann noch nach und nach, wie sie an den Folgen der Verwundungen
starben ... .
Die Flieger kamen immer öfter, später die Tiefflieger regelmäßig
täglich zweimal. Die meisten Angriffe hatte Brückl (Dobova), das
mehrmals auch schwere Bomben bekam und viel zu leiden hatte, es gab dort
viele Tote. Hie und da fielen auch vereinzelte Bomben in irgendein abgelegenes
Dorf. Es war kein Trost, wenn es hieß, "das sind Notabwürfe",
denn sie zerstörten Häuser und Menschenleben. Der Bahnhof in Gurkfeld
wurde am Christtag heftig angegriffen. Das Haus, in dem der Gottscheer Arzt
Dr. R. wohnte, war in der Nähe. Es erhielt einen Volltreffer, alle
im Hause fanden den Tod. Da die beiden Söhne der Familie auf Urlaub
daheim waren, um mit ihren Eltern Weihnachten zu feiern, kam somit die ganze
Familie ums Leben.
Die Fliegergefahr ging vielen Menschen sehr auf die Nerven. Zweimal mußte
ich vor Tieffliegern im Straßengraben Schutz suchen, da ich eine andere
Zuflucht nicht mehr erreichen konnte. Das eine Mal pfiffen Sprengstücke
der Abwehr über mir, ich dachte daran, daß Sprengstücke
der Abwehr ebenso ,,ungesund" wären wie solche der Angreifer.
Wo noch keine Bomben gefallen waren, dort fürchteten sich die Leute
nicht besonders vor den Fliegern, welche aber schon dabei waren, welche
Tote, Verwundete und Blut gesehen hatten, die flohen bei Tag und Nacht,
wenn Fliegeralarm gegeben wurde.
An maßgebender Stelle rechnete man damit, daß die Kriegsfront
über Serbien und Kroatien herauf auch über unser Gebiet kommen
werde. Daher wurde ,,Stellungsbau" angeordnet. Alles mußte mitarbeiten,
Panzergräben ausheben. Schützengräben, Unterstände und
Hindernisse aller Art wurden vorbereitet, Brücken und Straßen
für Sprengungen vorbereitet. Manchmal schossen in diese Gruppen von
arbeitenden Menschen (auch weibliche Arbeiter) Tiefflieger hinein. Es war
eine wilde Zeit, und sie wurde es von Tag zu Tag mehr. Man spürte schon
die Nähe der Front - und doch durften die Leute noch nicht abwandern!
Im folgenden berichtet der Vf. über die Evakuierungsvorbereitungen
und die Flucht bei Kriegsende, über seine Erlebnisse unter dem jugoslawischen
Nachkriegsregime in verschiedenen Internierungs- und Arbeitslagern und einem
Lazarett bis zu seiner ,,Repatriierung" nach Österreich Anfang
Januar 1946, über die Verhältnisse in einigen Flüchtlingslagern
in Österreich und über die allgemeine Lage der geflüchteten
und aus Jugoslawien vertriebenen Gottscheer.
Artikel
Inhaltsverzeichnis
Bericht des Pfarrers Alois
Krisch aus Altag (Stari log) in der Gottschee, 1947 - 48
Die
Evakuierungsvorbereitungen im Ansiedlungsgebiet der Gottscheer Deutschen
in der Untersteiermark und die Flucht bei Kriegsende.
Im Herbst 44 haben manche schon einige Sachen in Kisten weggeschickt, um
für alle Fälle wenigstens etwas zu retten. Es waren verhältnismäßig
wenige, die wußten, wohin sie was senden könnten. Außer
in einigen Einzelfällen, besonders von der Stadt, war es verschwindend
wenig, was so gerettet werden konnte. Jene, die ihre Kisten in die Steiermark
oder nach Niederösterreich und Wien schickten, verloren es dort, bevor
sie selbst kommen konnten. Sehr bald auch wurde das Wegschicken eingestellt,
weil die Bahn keine Sendungen mehr annahm.
Im Februar 1945 hieß es dann zum ,,Volkssturm" einrücken.
Da mußte alles mit. Manche versuchten wegen Gebrechlichkeit oder Kränklichkeit
oder irgendeinem Fehler loszukommen. Aber ein Herr der Stellungskommission
sagte: ,,Wem nicht beide Hände oder beide Füße oder beide
Augen fehlen, der soll sich nicht bemühen freizuwerden. Die Beschädigten
und Gebrechlichen wurden zum Train eingeteilt, darunter waren auch 60jährige
Männer, die seit Jahren nicht mehr ohne Stock gehen konnten. Wenn ein
solcher sich bei der Stellung auf sein Fußleiden berief, dann warf
man seinen Stock auf den Boden und sagte, er soll ihn aufheben, konnte er
das, dann mußte er mittun. Einer vom Train (der W. von Neulag) sagte
mir einmal, ich gehöre auch zu ihrer Abteilung (wegen meines Asthma),
worauf ich spaßweise die Antwort gab: "Danke, zur Krüppelkompanie
gehe ich nicht." Das sagte ich, weil ein Bemühen um eine solche
Umstellung wahrscheinlich um sonst gewesen wäre und weil sie es dort
eigentlich nicht leichter hatten. Sie mußten oft sehr viel tragen
und dann erst noch exerzieren. Geistliche wurden
sonst nicht eingezogen, ich aber wohl. Warum? Das ist mir nie klar geworden.
Bei einer kleinen Schlußfeier nach der ersten Abrichtung hielt der
Bezirkskommandant des Volkssturms eine Ansprache, wobei er lobend hervorhob,
daß sich der Pfarrer freiwillig auch eingereiht habe. Alle staunten
darüber, ich am meisten, nämlich, daß ich ,,freiwillig"
dabei sei. In Wirklichkeit wurde ich genauso einberufen wie jeder andere
auch. Ja, was nannte man damals von amtlicher Seite nicht alles ,,freiwillig"!
Mit der Zeit erhielten wir auch eine Uniform, es waren alte, abgetragene
von Grenzfinanzern. Die Aufschläge mußten wir abtrennen und andere
aufnähen ... Späterhin waren die Übungen für den Volkssturm
nur noch an
Sonntagen. lch bat um Erlaubnis, später kommen zu dürfen als die
anderen Männer, weil ich Frühgottesdienst habe, und am Nachmittag
wieder früher weggehen zu dürfen, da ich wieder in einer anderen
Pfarre Abendmesse hätte. Die Erlaubnis wurde mir immer bereitwillig
gegeben. Dies wohl deshalb, weil diese Ausnahme nicht ein Vorteil oder eine
Bequemlichkeit für mich, sondern eher ein Opfer von mir zugunsten des
Volkes war; etwas mag auch die Tatsache dazu beigetragen haben, daß
ich immer gutwillig und ohne jedes Sträuben mittat. So machte ich am
Sonntag die militärischen Übungen mit und hatte trotzdem am selben
Tage auch noch drei Gottesdienste an verschiedenen Orten, was mich mit der
ganzen Volkssturmangelegenheit mehr versöhnte, denn ich war zufrieden,
daß ich trotz allem in meinem Berufe tätig sein konnte.
Es mag von mir als ,,Volkssturmmann" sehr unmilitärisch gewesen
sein, war aber für mich als Priester selbstverständlich, daß
ich in dieser Zeit täglich den Herrgott gebeten habe, er möge
mich davor bewahren, daß ich
jemals in die Lage käme, auf Menschen schießen zu müssen.
Evakuierung:
Ostern 1945 wurde die Evakuierung von Rann und Umgebung vorbereitet. Ein
Zug in dem alles mitgeht, Frauen, Kinder, Greise, alles Gepäck (ohne
Möbel), Vieh usw. heißt ,,Treck". Also die Trecks organisieren.
lch bekam die Aufgabe, zwei Gemeinden so zu organisieren und für diese
dann der ,,Treckführer" zu sein. lch tat es. Anderswo taten es
andere Männer. In acht Tagen war alles soweit, daß wir ohne weiteres
hätten ziehen können; aber da dies nicht erlaubt war und auch
nicht mehr abgeblasen werden konnte, wurde immer weiter organisiert bis
ins kleinste, was natürlich nie hätte funktionieren können.
Es wurde alles überorganisiert. Die Männer bei der Kreisführung,
die das über hatten, jammerten, daß sie ganze Nächte an
der Organisation arbeiten müßten; in Wirklichkeit soffen sie
die Nächte in den Kanzleien, wenigstens traf ich sie in der Früh
mehrmals betrunken und sah die Schnapsflaschen unter dem Tische; sie aber
behaupteten, sie hätten die ganze Nacht gearbeitet. lch mußte
oft dorthin, da ich Treckführer für zwei Gemeinden war. Zu organisieren
gab es schon lange nichts mehr, und doch mußte immer wieder was gefunden
werden, was nach Tätigkeit aussah.
Nur das eine geschah in dieser Zeit, daß doch Frauen mit ganz kleinen
Kindern, dann auch solche mit vielen Kindern samt etwas Gepäck mit
Autobussen nach Kärnten gebracht wurden, die letzten Tage dann auch
mit der
Eisenbahn (wobei man auch alte Leute mitnahm). Aber die beiden letzten Züge
kamen nicht mehr durch: der eine gar nicht, der andere wurde noch von Bruck
an der Mur von den Russen nach Marburg zurückgeschickt, wo diese Leute
auch ihres Gepäckes beraubt wurden. Wir hier im Siedlungsgebiet sahen
seit Wochen, daß die Straßen schon
sehr besetzt, zeitweise überfüllt waren von Militärautos,
die aus Kroatien heraufkamen, von kroatischen Flüchtlingen und besonders
von Ustaschas (eine kroatische Miliz). Wir aber durften nicht fort.
Die Flucht:
Am 8. Mai,
gegen 8 Uhr früh kam ich vom Krankenhaus zur Kreisführung, da
hieß es: heute mittags zieht alles los. Endlich! - aber zu spät!
Organisiert war so, daß jeden Tag eine andere Gemeinde bzw. ein
anderer Treck auf die Reise gehen soll. Jetzt alles auf einmal und auf
einer einzigen Straße, die zweite vorgesehene (über Wisell)
war nicht mehr gangbar. Auch die Fülle von Militärautos, Kroaten
und Ustaschas hatte sehr stark zugenommen. In diesen Wirbel hinein sollten
nun auch noch unsere Trecks, und zwar alle auf einmal! Es sah von vornherein
hoffnungslos aus; aber wir wollten es versuchen, denn fort müssen
wir, das sah jeder ein. Konnte doch schon lange niemand mehr begreifen,
warum wir noch da sein mußten und nicht schon längst über
alle Berge sind. Endlich soll es nun doch gehen. Aber schon vom Wohnort
weg ,,funktioniert" die Sache nicht. Auf der überfüllten
Straße sich geschlossen einreihen war ganz ausgeschlossen; auch
die einzelnen Fuhrwerke hatten es schwer, auf die Straße hinauszukommen.
Damit war von Anfang an die größte Unordnung, und das Unglück
war fertig. Die ersten 2 km gab es oft Stockungen, die Fuhrwerke mußten
nach 200 - 300 m immer wieder für längere Zeit stehenbleiben,
es war furchtbar schwer weiterzukommen.
Nach 3 km durfte niemand in die kürzere Straße über Skopitz
einbiegen; was da oben für ein Hindernis war, weiß ich nicht,
wir mußten den Umweg über Zirkle nehmen. Dort kamen noch viele
andere dazu. Langsam wälzte sich die ganze Masse vorwärts; Militärautos
fuhren immer wieder vor. Da es ganz aussichtslos war, den Zug jetzt irgendwie
in Ordnung zu bringen, gab ich mir viel Mühe, wenigstens eine Übersicht
darüber zu gewinnen, fuhr mit dem Radl nach vorn und wieder zurück
zu den letzten und wieder nach vorn (wobei ich oft über Wiesen fahren
mußte, da
auf der Straße kein Platz war), - alles umsonst, nicht einmal einen
Überblick über meinen Treck konnte ich gewinnen. Hinter Großdorf,
auf der Straße über Landstraß her, kamen kroatische Ustascha
in großen Mengen, zu Fuß, reitend und mit Wagen. Schreiend,
schimpfend und fluchend drängten sie sich rücksichtslos durch
und vor, man mußte sich fürchten vor diesen Menschen. Unsere
Ochsen- und Kuhgespanne hatten die größten
Schwierigkeiten. Wir kamen noch mehr auseinander.
Bei Haselbach ist eine Seitenstraße, ich glaubte, daß die
uns doppelt recht komme. Erstens mußte das Vieh, das 6 Stunden auf
dem Marsche war, gefüttert werden, wer weiß, wann wir wieder
eine solche Möglichkeit finden, auf der Hauptstraße war dazu
keine Gelegenheit; zweitens hoffte ich, hier könnte sich der Treck
sammeln. Zu diesem Doppelzweck schaffte ich die Leute unseres Zuges auf
die Seitenstraße hinein, konnte aber auch so nur einen Teil erfassen.
Wie verwirrt die Leute schon waren, zeigt folgendes Beispiel:
Eine Frau aus Langenton hat den Fuß gebrochen, höre ich. Als
ich die Frau suchte, erfuhr ich, man habe sie aufs Feld neben die Straße
gelegt und dort gelassen. Natürlich begriff ich nicht, wie man das
tun konnte: "Wir werden die Frau doch nicht dort umkommen lassen!"
Es werde das Rote-Kreuz-Auto kommen und sie weiterführen, sagte man.
"Woher heute noch ein Rotes-Kreuz-Auto? Das ist doch auf der Flucht!
Und wenn es noch da wäre, wie
wollen Sie es verständigen?" Ihr Mann schaut mich entgeistert
an und sagt: "Ich weiß nicht wie oder was, ich kenne mich nicht
mehr aus." Tatsache war, daß wir uns allesamt nicht mehr auskannten;
aber deswegen darf man doch nicht eine Frau mit gebrochenem Fuß
einfach aufs Feld setzen und bleiben lassen; wenn wir sie nicht mitnehmen,
klaubt sie niemand mehr auf, hat (doch jeder mit sich selbst genug zu
tun. Da fuhr ich mit dem Radl zurück, um sie auf irgendeinen Wagen
aufzuladen und sie so herzubringen, fand sie aber nicht. Zurückgekommen
verlangte ich, ein leichter Wagen muß zurück, und jemand, der
weiß, wo die Frau ist, muß mitfahren und die Frau herbringen.
Das hatte seine Schwierigkeiten, aber schließlich setzte ich es
doch durch. So bekamen wir die Frau wieder her.
Inzwischen wurde es Abend. Andere Flüchtlinge kamen von anderer Seite
in unsere Reihen, und die vorderen von den Unsrigen fuhren, sobald sie
die Möglichkeit fanden, wieder auf die Hauptstraße hinaus in
das Gedränge
und Getümmel.
Hinter uns in den Dörfern, in denen am Vormittag noch unsere Leute
waren, Sprengungen, die am Abendhimmel unheimlich aufleuchteten, kleinere
fortwährend, größere zeitweise. Was wird gesprengt? Wer
sprengt? Einzelne Brände sehen wir in den Ortschaften, Schießereien
hören wir. Sind es deutsche Soldaten, die hinter sich Sprengungen
vornehmen? Sind es Feinde, die die Flucht hindern wollen? Sind die Schießereien
zwischen
deutschem Militär und Banditen, oder schießen diese auf unsere
Leute? Einzelne Flieger sind über uns, ob Freund oder Feind können
wir nicht mehr unterscheiden. Ist vielleicht schon die Front so nah hinter
uns? Es ist ein wahres
Kriegsgetümmel! Ganz im Ungewissen, in vollständiger Unwissenheit
müssen wir da umeinanderstehen, können nichts tun, können
auch nicht weiterflüchten. Hie und da schläft einer für
eine halbe Stunde auf dem Wagensitze ein.
In der Nacht
äußere ich meine Befürchtung: Ich fürchte, morgen sind
wir soweit, daß wir die Fuhrwerke mit allem, was darauf ist, stehenlassen,
den Rucksack oder sonst ein "Pinkele" (Bündl) nehmen und
uns glücklich schätzen werden, wenn wir mit dem oder auch ohne
das durchkommen. Es schaut ganz darnach aus. Die Männer sind derselben
Meinung, die Frauen schauen uns schweigend an, auch sie geben sich keinen
Hoffnungen mehr hin, aber sie jammern auch nicht. Aber noch kann sich niemand
von seiner Habe trennen, noch geht niemand von seinem Wagen und seinem Gepäck,
ist es doch alles, was er noch hat; noch wollen wir es versuchen. Wir spekulieren,
wie wir uns wieder auf der Straße einschalten könnten, auf der
Lastauto um Lastauto rollt und die dichtgedrängten Fuhrwerke überholt.
Nur einzeln gelingt es, wenn hie und da einmal die Autokolonnen abreißen.
Gegen 4 Uhr morgens kommt mehr Bewegung in unsere Reihen, langsam kommen
wir auf die Straße hinaus und sind wieder im selben Trubel wie
gestern nachmittags - oder noch mehr!
Knapp vor Gurkfeld, links von der Straße, lagern Weitentaler, die
zweite Gemeinde meines Trecks. Ich will sie auf den Weg schaffen. Die Lehrerin
(Zellenführerin) habe gesagt, es werde bis 7 Uhr gerastet. Weiter vorn,
rechts, ist Dr. H. mit seinem Traktor, gehört auch zu den Weitentalern.
Ich will ihn sprechen. Er hat Wachposten aufgestellt und darf nicht geweckt
werden. Ich erkannte, daß ich, obwohl Treckführer, nichts zu
sagen hatte.
Wir gehen weiter. 300 - 400 Meter weit kommen wir, am Eingang von Gurkfeld
müssen wir stundenlang halten; während dieser Zeit kommen wir
hie und da einmal um eine Wagenlänge vorwärts, mehr nicht, es
stockt alles von
der Brücke her. Unsere Fuhrwerke sollen alle über die Brücke
hinüber auf das linke Saweufer, am rechten fahren nur Autos hinauf.
Auto um Auto fährt uns vor, andere, die auf der drüberen Seite
bis hierherauf gekommen sind, müssen herüber, da drüben die
Straße zu eng ist. Wir stehen, warten, schauen und kommen nicht vom
Fleck.
Ca. 8 Uhr sind wir über der Brücke, bei der Kirche in Wiedem.
Wir sind also in 4 Stunden 3 km weit gekommen. Das sind schöne Aussichten
für eine solche Flucht, haben wir doch an die 200 km zurückzulegen,
bis wir über die
Karawanken (Kärntner Grenze) sind! Die Weitentaler hatten mit ihrem
Lager insofern recht, als einige Stunden früher oder später auf
der Straße kaum den Unterschied von 2 km ausmachten. Ich war der Meinung,
wenn wir einmal am linken Saweufer sind, die Straße frei von Autos,
dann geht es leichter. Hier im Orte war es nicht besser. Die Straße
ebenso überfüllt, von unten herauf strömten immer neue Massen
nach. Es brauchte lange, bis sich hie und da ein Fuhrwerk in den Gang einschalten
konnte, alles war wieder zerstreut. Langsam wälzte sich das Ganze vorwärts,
aber es war doch Bewegung drinnen. Das Unangenehmste waren jetzt die Ustascha
mit ihrem Geschrei und Gedränge. Das waren ganz wilde Leute, die wildesten,
die ich je im Leben angetroffen hatte (später erfuhr ich allerdings,
daß sie noch nicht die schlimmsten waren).
Ich bemühte mich, nach vorne und nach rückwärts zu sorgen,
es war ganz ausgeschlossen, war unmöglich. Die Straße auf dieser
Seite der Sawe war sehr eng. Selten war eine Stelle, wo ein Fuhrwerk dem
anderen vorfahren konnte; wo dies der Fall war, benützten es die Ustascha
(die hatten ausschließlich Pferdegespanne), um vorzufahren, sonst
aber schrien, schimpften und fluchten sie immerfort. Meistens war es so,
daß ich auch mit dem Rade nicht vorwärts konnte, die Straße
war zu eng, außerdem waren auch noch viele Ustascha zu Fuß neben
den Wägen. Ein Ustascha nahm schon sein Gewehr von der Schulter und
wollte mich mit dem Kolben schlagen, es gelang mir, ihn etwas zu beruhigen.
Nachdem ich die Aussichtslosigkeit meiner Bemühungen endlich einsah,
setzte ich mich auch auf einen Wagen, ich war wirklich schon sehr müde.
Die Mittagsrast wollte ich benützen, um irgendwie etwas zu ordnen,
auch das war vergebens. Jeder tat, was ihm gefiel, oder besser gesagt, was
er glaubte, tun zu müssen, weil er nicht anders konnte. Beim Aufbruch
versuchte ich es wieder, alles war umsonst.
In Lichtenwald wurde die Stockung immer ärger. Die Ustaschas drängten
sich in Massen vor, Zivil müsse beiseite, schrien sie, doch hatten
auch sie Frauen und Kinder auf den Wägen. Bald konnten auch sie sich
nirgends mehr durchdrängen. Ein fürchterliches Gedränge,
Geschrei und Getriebe, ein Wogen, ein Füreinanderzwängen von Fußgängern
hin und her: die Stockung war vollständig. Sie war nicht nur hier,
sie hatte ihre Ursache in Steinbrück
(18 km weiter vorne), wo die Autos vom anderen Ufer auch auf diese Seite
herüber mußten. Von dort bis hierher war die Straße voll
gepfropft von Pferde-, Ochsen- und Kuhgespannen, und Scharen von Menschen,
besonders
Frauen und Kinder daneben. Einige spannten das Vieh aus, damit es fressen
und rasten soll; auf längere Zeit war keine Aussicht weiterzukommen.
Hier traf ich auch den Kompanieführer von unserem Volkssturm, der gestern
abends mit dem Pferdegespann schon weit vor uns war, hier aber auch noch
nicht weiterkommen konnte. Ich klagte ihm, daß ich weder gestern noch
heute irgendwelche Ordnung zustande bringen konnte, hier sei es erst ganz
unmöglich. Er sagte, daß ich in Anbetracht dieser verwirrten
Lage jeden weiteren Versuch lassen und nur für mich sorgen soll.
Am späten Nachmittag verbreitete sich die Nachricht von der Kapitulation
Deutschlands. Erst wußte noch niemand, soll er es glauben oder nicht,
war es doch jedem ohne weiteres klar, daß in diesem Falle unsere Flucht
zu Ende sei. Dann überzeugte uns davon ein Gottscheer, der schon zwei
Jahre hier war und nicht zu fliehen gedachte (der Fleischhauer K. aus M.).
Vollständige Ratlosigkeit.
Als eine Art Bestätigung dafür erschien uns die Nachricht:
Zwischen Steinbrück und Römerbad lassen die Partisanen niemand
mehr durch. - Dort ist eine enge Straße durch den Wald, den Bergabhang
ansteigend. Dieses Stück Straße sperren ist nicht schwer. Alle
müßten dort die Waffen abliefern. Unser Treck war gut bewaffnet,
er wird die Waffen auch abgeben. Aber die Ustascha? Und wir sind mitten
unter ihnen. Wenn die hinschießen, wird auch hergeschossen, natürlich
auf alle! Das schaut schlimm aus. Einige fahren von der Straße auf
die Wiese hinaus und spannen das Vieh aus. Wir treten hin und her, vom einen
zum anderen, alles ist ratlos, jeder fragt, niemand weiß was zu sagen.
K. redet uns zu, wir sollen nicht versuchen weiter zu fliehen und da bleiben.
Ich spreche noch mit einigen, dem K. W. sage ich, daß es mir schon
vorkommt, es
wäre besser, wir gehen zu seinem Bruder A. nach Sawenstein. Er kann
sich auch nicht entschließen. Jemanden was zu fragen hat keinen Zweck
mehr, keiner weiß, was er tun soll, noch weniger weiß er, einem
anderen zu raten. Wir sind auf dem toten Punkt angelangt.
Eine schwache Stunde vor der Dämmerung sah ich 20 - 30 wild dreinschauende
junge Männer und Burschen, mit Gewehren und Maschinenpistolen bewaffnet,
neben der Straße bei uns sich hinlegen (sie waren in Zivilkleidung),
ich hielt sie für Ustascha. Als ich nach einer Viertelstunde vom anderen
Wagen herüberschaute, waren sie aufgestanden und gingen über die
Straße dem Bahngeleise zu. Fleischhauer K., den ich darauf aufmerksam
mache, schaut ihnen nach, dann verstand ich, er hat sie als Partisanen erkannt.
Mein Entschluß war rasch gefaßt, ich nahm meine Aktentasche
vom Wagen, ließ alles andere Gepäck bleiben, sagte zur Köchin,
ich wisse nicht,ob ich heute noch zurückkomme, und ging. - Damit habe
ich jeden Versuch einer weiteren Flucht aufgegeben. Irgend jemanden zu bereden
oder ihm zu raten, er solle es auch so machen, wagte ich nicht, wußte
ich doch nicht, was das Bessere wäre, so oder so. Damit kam ich von
der Masse unserer Leute und zugleich um alles, was ich noch hatte retten
wollen.
www.gottschee.de
Artikel
Inhaltsverzeichnis
Bericht
des Pfarrers Alois Krisch aus Altag (Stari log) in der Gottschee, 1947 -
48
Repatriierung von österreichischen Staatsangehörigen und
Ausweisung von Deutschen aus Slowenien und der Gottschee nach Österreich
im Januar 1946; die Erlebnisse des Vfs. in den Überführungs- und
Durchgangslagern in Marburg und Aßling.
Zuerst führt man mich in eine Art Zentrale. In der Kanzlei werde ich
gefragt, oh ich ein Slowene sei. ,,Nein, Österreicher, gebürtig
aus Gottschee."
Der kritzelt einige Worte auf ein Papier, reicht es meinem Begleiter, und
wir gehen. Auf dem Gange heraußen begrüßt mich freundlich
ein Partisan, er ist ein Kurier aus dem Lazarett. Wir gehen ins Lager Melje,
hinter dem
Bahnhof in Marburg. In der Partisanenkanzlei werde ich abgegeben. Es folgt
die Aufnahme meiner Personaldaten, dann die Fragen, wieso ich unter die
Soldaten komme, warum ich hierher geschickt werde usw., alles wie in Hajdina,
nur noch dazu: warum ich interniert worden sei, was ich angestellt hatte,
ich müßte doch irgendwas verbrochen haben, und, weil ich meine
österreichische Staatsbürgerschaft betone, wieso ich Österreicher
sei.
Das erkläre ich wie früher im Lazarett. Der Kommandant beratet
längere Zeit mit dem Kanzlisten, ob er mich zu den Gottscheern oder
zu den Österreichern geben soll, schließlich entscheidet er,
ich soll zu den Österreichern. Hierauf führt er mich in einen
Nebenraum und durchsucht mein Gepäck. Das war die fünfte und letzte
Durchsuchung für mich. Nicht weil solche Revisionen nicht gründlich
gewesen wären, wurden sie öfters vorgenommen, sondern weil jeder
auf irgendeine Art doch wieder was erworben haben könnte, mußte
er auch wieder von der Last des Tragens
befreit werden. Es war also nur Barmherzigkeit und rücksichtsvolles
Mitleid der uns betreuenden Männer! Dieser nahm mir nur das neue Handtuch,
das ich im Koffer aus Rann, und eine Handvoll Zettel mit Anschriften, die
ich von den Gefangenen in Hajdina erhalten hatte. Dazu bemerkte ich, das
seien doch nur Anschriften, damit ich die Angehörigen verständigen
könne, daß diese Männer noch leben. Er entgegnete, er müsse
diese erst zensieren, dann bekäme ich sie wieder; ich bekam sie nicht
mehr. Die Taschenuhr aus Rann wollte ich gar nicht mehr verstecken, es sei
doch umsonst, dachte ich und trug sie in der Westentasche. Beim Abgreifen
über die Kleidung muß er sie für eine Schnalle des Hosenträgers
gehalten haben (schmal ist sie ja), jedenfalls fiel ihm nichts auf, er griff
nicht in die Tasche, und die Uhr blieb. Sie hilft mir zwar nicht viel, da
sie sehr unverläßlich ist, aber einerseits ist sie mir ein liebes
Andenken und andererseits kann man gegenwärtig zu einer Taschenuhr
nicht kommen.
In diesem
Lager waren, wie in anderen auch, Gefangene aus Österreich und Deutschland
durcheinander. In einem kleinen abgeteilten Raum einer Baracke waren nur
Österreicher, drei bis vier Zivilisten unter den Soldaten, da hinein
kam auch ich. Wir waren 22 Mann. Die Betten waren einstöckig, aller
Raum war ausgefüllt. Ein kleiner Tisch war auch da, denn hier war
zugleich die Evidenz - Kanzlei fürs Lager, die ein Wiener Kaufmann
führte. Im rückwärtigen Teil der Baracke war ein längerer
schmaler Gartentisch und eine Bank, in der Mitte ein kleiner Eisenofen.
Der für den Durchgang freibleibende Raum war so eng, daß man
nur schwer aneinander vorbei kam. Licht mußte den ganzen Tag brennen,
denn die Fenster hatten keine Scheiben und waren mit Brettern verschlagen.
Obwohl der Raum weit
überfüllt war, brauchten wir nie zu lüften, es gab in allen
Ecken Luftlöcher mehr als genug. Es machte einen nicht gerade freundlichen
Eindruck, wenn draußen die Sonne hell schien und auch auf unser
Dach strahlte, herinnen
aber ein schwaches Licht brannte. Ein Wiener (so um die 50 Jahre war ein
richtiger Summser, er hatte meistens etwas zu greinen und auch, wenn er
etwas ruhig erzählen wollte, war seine Art des Sprechen und der Tonfall
klagend und brummend. Bei diesen Leuten war es gemütlich, es war
ein freundlicher Verkehr unter einander. Zu den Zivilisten wurden auch
einige Soldaten gezählt, die im Laufe des Sommers auf ihren Arbeitsstätten
allmählich zu Zivilkleidung gekommen sind und wenn sie in ein anderes
Lager transferiert wurden, sich dort dann als Zivilisten ausgaben. Diese
gebrauchten also eine Art "Kriegslist" oder "soldatische
Deckung". Immer hieß es, wir acht österreichische Zivilisten
gehen in zwei Tagen weiter, nach einer Woche hieß es auch noch so
und ebenso nach zwei Wochen.
In der gegenüberliegenden Baracke waren die Gottscheer beisammen,
70 Soldaten aus fast allen Gottscheer Gemeinden und vier Zivilisten, unter
diesen der junge "B." (K. aus Kletach) und der Schwiegersohn
des A. K., Kletsch, der Magazineur des Lagers war. Der B. war von denen,
die in der Textilfabrik (Tüffer) waren, bevor wir hinkamen, und auch
noch dort blieben, als wir nach Gurkfeld zurück mußten. Die
70 Soldaten wurden an der Westfront im Frühjahr gefangen, waren an
verschiedenen Orten in Frankreich. Mai bis August ist es ihnen schlecht
gegangen, zweite Hälfte August besser. Anfang September wurden sie
entlassen und auf Grund ihrer Geburtsdaten ,,heim" geschickt. In
Kärnten sind einige davon aus dem Zuge gesprungen. Die anderen, in
Aßling auswagoniert,
mußten Hungermärsche machen und kamen dann wieder als Gefangene
ins Lager.
Der Vf. schildert die allgemeinen Verhältnisse und den Verlauf der
Weihnachtstage in diesem Lager und beschreibt kurz das spätere Schicksal
einiger hier angetroffener Landsleute.
Mit einem der Zivilisten, der aber in einer anderen Baracke wohnte, war
ich sehr gut bekannt, es war der ehemalige Verwalter vom Schloß
Mokritz bei Weitental. Der war am 7. Mai in Gurkfeld mit dem Motorrad
verunglückt, kam ins Lazarett nach Neu-Cilli, wo er lange in Behandlung
blieb. Als ich dorthin kam, war er schon in ein Lager geschickt worden.
Da er durch seinen Unfall um all seine Zivilkleidung kam und bei einer
Entlassung aus dem Lazarett sich militärisch kleiden mußte,
hatte er es schwer, sich Glauben zu verschaffen, daß er nicht Soldat
sei. Jetzt endlich war er soweit, daß er als Zivilist anerkannt
wurde.
Eines Abends kommt die Order: morgen früh, um 9 Uhr, sollen die acht
österreichischen Zivilisten (die Gottscheer Zivilisten aus der anderen
Baracke sind also nicht dabei) marschbereit sein. Nach Bekanntwerden dieser
Nachricht werden mir viele Zettel mit Heimanschriften, auf Grund deren
ich die Angehörigen verständigen soll, zugesteckt, ebenso noch
nächsten Morgen. Da mir bei meiner Ankunft hier solche Zettel abgenommen
wurden, schrieb ich jetzt diese alle in mein Brevier, um sie so sicherzustellen.
Auch die wenigen Zettel, die mir von Hajdina noch geblieben waren, hatte
ich schon abgeschrieben.
Samstag, am 29.12., lang vor 9 Uhr sind wir bereit. Aber es wird 9, 10,
12, 2, 3 Uhr, es rührt sich nichts, wir glaubten nicht mehr, daß
heute noch was los sein soll. Doch um 4 Uhr gehen wir. Wohin? Wir denken
natürlich
über die Grenze, das war nun allerdings ein kleiner Irrtum. Wir kommen
in ein neueres, großes Gebäude am Rande der Stadt Marburg,
das sogenannte Repatriierungslager.
Die Insassen dieses Lagers sind ausschließlich Zivilisten, kein
Militär.
Von den Gottscheer Soldaten im früheren Lager (Melje) sind 14 ständig
hier im Dienste (eine Art Hausdiener sind sie). Unter ihnen ist auch der
junge "S.", K. J., von Langenton. Es geht ihnen hier besser
als drüben im anderen Lager, sie haben ein gutes, warmes Zimmer,
einen selbst gemachten Sparherd, auf dem sie verschiedenes kochen und
mit dem sie das Zimmer heizen. Nur selten kommt einer von ihnen auf einem
Dienstwege ins andere Lager hinüber, aber doch so viel, daß
die gegenseitige Verbindung immer aufrecht erhalten wird. Man hat mir
drüben schon von diesem da erzählt, wir wußten aber nicht,
daß wir hierher kommen werden.
Einer von
uns acht (ich glaube, er weiß selber nicht, was er eigentlich ist,
Österreicher bestimmt nicht, seine Eltern, Slowenen aus Pettau, waren
früher im Ruhrgebiet, dort ist er aufgewachsen, war beim deutschen
Militär
oder beim Arbeitsdienst, dann war er Partisan, jetzt will er österreichischer
Zivilist sein) kommt gleich am ersten und zweiten Abend erst um 11 Uhr
ins Zimmer, niemand weiß, wo er war, niemand fragt ihn darum. Am
dritten Tage kommt er nicht wieder, am vierten auch nicht. Wir besprechen
die Sache. Er ist also flüchtig, das könne unter Umständen
einen oder zwei von uns das Leben kosten. Es wird beschlossen, seinen
Abgang zu melden, um nicht als mitschuldig zu gelten. An diesem Abend
kommt er wieder. Er war durchgegangen, hat bei Verwandten in Pettau Zivilkleidung
geholt und ist nun wieder da. Keiner von uns hat ihm je richtig vertraut,
schon in Melje nicht und jetzt auch nicht. Von diesem Lager weiter war
er nicht mehr bei uns, was uns sehr recht war.
Dieses Lager scheint täglich neuen Zuwachs zu bekommen, in größeren
und kleineren Gruppen. Unter den Neuangekommenen sind viele Familien,
die erst von ihrem Heim in Oberkrain ausgehoben und hierher gebracht
worden sind. So auch die dort verheiratete Tochter des Gottscheer Advokaten
Dr. S., die jetzt mit ihrer Familie hier angekommen ist. Von solchen Neulingen
kommt auch ein junger Slowene einmal in unser Zimmer und erzählt
(auf meine Frage, wieso er als Slowene dabei ist), wie er mit seinen Eltern
und Geschwistern plötzlich von daheim gehen mußte und hierher
gebracht wurde.. Er war seit 1943 bei den Partisanen im Walde, hat im
Sommer im Gefangenenlager in Bischoflack Dienst gemacht. Dort wurden fast
jeden Abend einige hundert Gefangene hinausgeführt, sie kamen nicht
wieder. Er habe einmal einen gefragt, wohin sie diese liefern, der entgegnete,
er soll einmal mitkommen, dann werde er sehen. Die Gefangenen wurden in
eine abgelegene Schlucht hinausgeführt und niedergemacht.
Andere mußten sie nächsten Tag eingraben. Vor kurzem kam er
heim auf Urlaub. Da kommt der Befehl, die Familie müsse Haus und
Hof verlassen und mit Handgepäck abziehen, man habe entdeckt, die
Mutter sei deutscher
Abstammung. Er selbst mußte noch in Partisanenuniform mit, erst
im Lager konnte er die Uniform ablegen.
Am Neujahrsabend kommen 300 Neue ins Lager. Nächsten Tag geht ein
großer Teil von ihnen wieder fort. Davon erzählen mir die Gottscheer,
die hier arbeiten: Diese Leute hatten sehr viel Gepäck. Es wurden
dafür zwei
Lastautos bereitgestellt und fuhren ab damit. Die Leute gehen nach. Einige
Stunden später kommen die Autos mit allem Gepäck wieder zurück.
Unsere Männer müssen es ins Magazin tragen. Die Leute kamen
nicht zurück.
Der Kommissar
geht zeitweise in die Zimmer nachschauen. Er findet unser Zimmer warm
geheizt. Für uns wird eine Umsiedlung in ein anderes Stockwerk verordnet,
unseren Ofen bestellt er für seine Kanzlei. Wir aber nehmen ihn mit,
und K. von Göttenitz, einer von den 14 Gottscheern, macht dem Kommissar
klar, daß er ihm einen besseren Ofen mache und in die Kanzlei stelle.
Er macht ihn auch. Aber unser Ofen muß doch auch her. Damit das
nicht auffällt, müssen wir auch dieses neue Zimmer verlassen
und werden in drei verschiedene Zimmer aufgeteilt (zu anderen hinein).
Mit noch einem komme ich in ein ganz kleines Zimmer. Hier ist auch der
Bürgermeister von V. in Kärnten, den die Partisanen bei ihrem
weiten Vordringen in den Umsturztagen des Mai von dort hergebracht hatten,
er
weiß nicht warum oder wozu. Jetzt wartet er seit einem halben Jahr
auf seine Entlassung. Von Zeit zu Zeit fragt er an, wann endlich sie ihn
heimschicken wollen. Die Antwort ist immer dieselbe: Die Grenzen mit Österreich
seien
noch nicht festgelegt, wenn das einmal geschehen sei, werde er entlassen.
An der Grenze:
Samstag, am 5.1. abends kommen rund 600 Neue an. Gegen 11 Uhr nachts,
ich liege in meinem oberen Bett und versuche Englisch zu lernen aus einem
Buch, das ich hier in einer Kammer aufgestöbert hatte, andere spielen
Karten, kommt Befehl, wir zwei, die wir neu in diesem Zimmer sind, müssen
sofort reisefertig in den großen Saal hinunterkommen. Der ist überfüllt
von Neuen, die hier herumstehen oder auf ihrem Gepäck sitzen oder
halb liegen. Sie sprechen halblaut untereinander, hie und da weint ein
kleines Kind, einzelne schlafen. Nach 2 - 3 Stunden ruft mich aus dieser
bunten Menge der S., den ich vor einem Monat in Cilli gelassen hatte,
an. Er ist diesen Abend gekommen, weiß noch nicht, was man mit ihm
vor hat, wird er mit uns weitergehen oder hierbleiben. Er muß bleiben.
Seither sah ich ihn nicht mehr. - Im Sommer 46 hörte ich, daß
er über Ungarn und Wien gekommen sei. - Um 4 Uhr früh gehen
wir am Bahnhof in die Viehwägen, 250 Menschen, jung und alt, Männer,
Frauen und Kinder, alles bunt durcheinander, einige Alte, die ohne Stütze
nicht gehen können, viele, die ohne Hilfe nicht in den Wagen hinaufkommen.
Gegen 6 Uhr setzt sich der Zug in Bewegung. Wir sind in die Wägen
eingesperrt, können nicht öffnen und nicht hinaussehen, durch
einen Spalt der vernagelten Oberluke stellen wir die Richtung unserer
Fahrt "gegen Cilli" fest. Man versucht auf seinem Gepäck
zu sitzen, es ist zu kalt, man möchte Bewegung, dazu ist kein Platz,
so treten wir auf dem gleichen Platze herum, um etwas Wärme in die
Glieder zu bekommen. Mittags steht der Zug 4 Stunden lang in der Nähe
von Laibach, außerhalb der Station, die Wägen werden geöffnet,
wir dürfen ein wenig an die Luft gehen, aber nicht vom Wagen weg.
Abends kommen wir nach Aßling. Werden wir weiterfahren? Über
die Grenze?
Jeder wünscht dies, daß wäre schön! Noch 1 km bis
zum Tunnel, dann durchs Loch - und drüben wären wir.
Aber:
Aussteigen!
Ins Lager!
Wir ,,Ausgelagerte" helfen den anderen Gepäck tragen, wie wir
es auch schon in Marburg vom Lager zur Bahn taten. Wir haben an unserem
eigenen keine Last und können anderen leicht beistehen; daß
wir sie nicht kennen,
sie vorher nie gesehen haben, stört uns nicht, jetzt zählen
sie zu unseren Leidensgenossen, also heißt es zusammenhalten, helfen,
wo man kann, ist gleich, wem. So kommen wir auseinander unter diese anderen,
verschieden zusammengewürfelten Menschen, nur der Verwalter [und
ich] trennen uns nicht mehr und wollen darauf achten, daß wir beisammen
bleiben, so lange es nur irgend möglich sein werde. Hier in diesem
Lager beziehen wir eine kleine Baracke, eigentlich ein verhältnismäßig
gutes, nicht kleines Zimmer (etwa 7 x 7 Meter); aber an den Wänden
entlang einstöckige Betten, dicht gedrängt Bett an Bett, ohne
Zwischenraum, man muß über das Fußende
hinaufklettern in den ersten Stock oder unten hineinkriechen, wie in ein
Loch; gut gefüllte Strohsäcke sind auf den Betten, Decke hat
jedermann mit sich. Da liegen wir nun: Männer, Kinder, Frauen, Mädl,
Burschen, wie Kraut und Rüben durcheinander, vielfach Leute, die
sich im Leben noch nie gesehen hatten, dreißig Personen oder mehr,
Kaufleute, Beamte, Geistliche, Besitzer, Schul- und Wiegenkinder, Greise
und Greisinnen im Silberhaar, blühende Jugend, Wohlgenährte
von daheim, Ausgehungerte aus Lagern, Deutsche, Slawen, - ausgeplündert,
verbannt, im Namen der Freiheit jeder Freiheit beraubt, alle friedlich
nebeneinander, einig im gemeinsamen Unglück.
In den oberen Betten liegen wir, zu meiner Rechten der Verwalter, zur
Linken ein Fräulein aus Gonobitz, ihre Eltern, bisher Besitzer einer
großen Schuh- und Lederhandlung, im Parterre zu unseren Füßen
in querstehenden Betten.
All diese Menschen waren vor acht Tagen noch in ihrem eigenen Heim, ausgenommen
zwei Mann aus dem Lager Tüchern, der Verwalter und ich. Darum gehen
auch die Ansichten auseinander. Diese Leute wissen noch nichts von Lagern
und allem, was damit zusammenhängt, sie haben auch noch allerhand
Genießbares von daheim bei sich. Sie kritisieren über die Baracke
- wir sind hoch zufrieden; sie schimpfen über die Kost - wir loben
sie, sie ist genügend, ist genießbar, auch Brot bekommen wir
täglich (Maisbrot); wir fühlen uns nicht schlecht hier - die
aber von daheim
kommen, die sind anderer Meinung; wir finden dies sehr begreiflich. Mögen
sie nie in die Lage kommen, lernen zu müssen, was wir gelernt haben!
Nach einer
kurzen Beschreibung der Unterkunft und der Wiedergabe von Erzählungen
über die Internierungslager Tüchern und Sterntal fährt
der Vf. fort:
In einer
anderen Baracke drüben sind Gottscheer, die ganze Baracke nur solche.
Sie waren vor acht oder vierzehn Tagen noch daheim, wurden von dort eines
Tages abgeholt, mit einem Handgepäck mußten sie ihr Heim verlassen.
Sie sagen, sie wüßten nicht, warum. Darüber kann ich ihnen
Aufklärung geben, der Grund steht unzweifelhaft fest:
Sie sind Gottscheer, das genügt!
Daß
sie im Jahre 1941 nicht umgesiedelt sind, ist keine Rechtfertigung. Mehrmals
gehe ich auf Besuch zu ihnen. Einmal komme ich nach dem Mittagessen und
sehe auf dem Tische noch einige Portionen unberührt stehen, frage
nach dem Grund. Sie klagen, daß sie diese Kost hier nicht essen
können, sie sei zu schlecht. Darauf erwidere ich: "Glaub schon,
Ihr seid vor kurzem noch daheim gewesen und habt Euch Euer Essen selbst
bereitet, habt auch noch einiges Genießbares bei Euch, ihr wisset
weder was von Lagerkost, noch was Hunger ist. Wir, die wir seit Monaten
in Lagern sind, sättigen uns gerne mit dieser Kost, gegenüber
dem, was wir in anderen Lagern (z. B. Gurkfeld) hatten, kommt uns das
hier vor wie ein Hochzeitsessen." Das begreifen die guten Leute nicht,
besser gesagt: noch nicht! Denn nach einem halben Jahre sagt mir eine
von diesen Frauen im Lager Kellerberg: "Sie haben im Winter die Kost
in Aßling als Hochzeitsessen bezeichnet, wir konnten Sie damals
nicht verstehen, aber heute ja, wenn wir solche Verpflegung hätten!"
Durch den Berg:
Von diesem Lager aus sollen wir über die Grenze befördert werden.
Von den Gottscheern in der Baracke drüben werden hie und da einmal
10 -12 hinübergeschickt; dort werden sie nicht angenommen, da sie
sagen, sie seien jugoslawische Staatsbürger, man nimmt nur Österreicher
an; abends kommen sie wieder zurück, mit Ausnahme derer, die sich
am dortigen Bahnhof vom Transport wegschwindeln und ins Land hinein marschieren
(jedesmal 2 - 3). Jetzt will man es anders versuchen: Ein Österreicher
und ein Engländer kommen herüber, sie werden hier im Lager feststellen,
wer hinüberfahren könne, wer nicht. Vorgenommen werden alle,
die aus Marburg gekommen sind, die Gottscheer, die schon einmal zurückgeschickt
wurden, nicht.
Wir warten auf dem Platze vor der Kanzleibaracke. Scheinbar geht es drinnen
nicht glatt. Die herauskommen, können einige weiter, andere nicht.
Da kommt ein Partisan heraus und sagt: "Wer ein Interesse daran hat,
nach Österreich zu kommen, soll drinnen sagen, er sei Österreicher.
"Wer hierbleibt, darf nicht glauben, daß er freikommen werde!"
Erfolg: fast alle geben sich als Österreicher aus, rund 240 Personen
dürfen über die Grenze, in Wirklichkeit sind wir 18 Österreicher.
Wer hinüber darf, muß noch zum englischen Arzt, der auch herübergekommen
ist. Meine Brust ist seit einigen Tagen voll von roten Flecken, ich spüre
ein ähnliches Beißen wie in Melje von den Filzläusen.
Da ich aber keine Lebewesen sehen kann, weiß ich nicht, sind es
Läuse oder sind es Flöhe. Der Arzt schaut die Flecken an und
sagt nur "hm!", weiter nichts. Er macht ein Zeichen auf die
Karte, die ich soeben bekommen habe. Am Nachmittag werden alle in eine
große Baracke gerufen, dort wird erklärt, wer jugoslawisches
Geld habe, müsse es hier eintauschen, gewechselt wird es wie im vergangenen
Juni, nämlich 100 RM = 60 Din. Die von daheim gekommen sind, haben
Geld, wir aus den Lagern keines, wir haben hier nichts zu tun.
Tags darauf, Samstag, am 12. 1., um 9 Uhr zur Bahnstrecke hinauf (nicht
zur Station). Dort wird jeder einzeln aufgerufen, er darf in den Viehwagen
einsteigen.
Einer jungen Frau fällt der Abschied schwer. Sie ist Österreicherin,
hat während des Krieges dort einen Slowenen geheiratet; sie muß
fort, der Mann muß bleiben, mit ihm das wenige Monate alte Kind!
Diese Frau ausgenommen, glaube ich, ist von uns 240 Personen - auch die,
die erst von daheim gekommen sind noch niemand jemals im Leben so gerne
in einen Personen- oder Schnell- oder Luxuszug eingestiegen wie
heute hier in den Viehwagen. Den älteren, die nicht hinaufsteigen
können, helfen die anderen mit freudiger Begeisterung.
Die Lokomotive zieht fauchend an, der Wagen bewegt sich, wir fahren herrlich!.
Ein km bis zum (Tunnel-) Loch, einige km (8 oder 10) im Finstern; die
Gedanken überstürzen sich, einer ist vorherrschend und kehrt
immer wieder: Endlich heraus aus diesem Lande - nie mehr zurück!
Sobald wir das Tageslicht wieder erblicken, atmet jeder auf, auch die,
die bis Ende des Jahres noch in ihrem Heim sein konnten, die vor wenigen
Wochen noch keine Ahnung hatten, daß sie heimatlos werden sollen.
Das Gefühl, heraus zu sein, ist ein Erlebnis, ist nicht zu beschreiben;frei,
endlich frei!
Hier sind einige Formalitäten mitzumachen, es handelt sich hauptsächlich
um Papiere und um Geld; beides geht mich nichts an, ich habe weder das,
noch jenes. Mittags bekommen wir eine warme Suppe und ein Stückchen
Brot, beides wird dankbar angenommen. Jeder will Nachricht weitergehen,
schreibt eine Karte oder einen Brief, manche geben Drahtnachricht. Ich
schreibe einen Brief nach Wörgl, er ist leider nie angekommen; es
würde mich heute sehr interessieren, was ich damals in der ersten
Stunde schrieb bzw. wie ich mich ausdrückte. Ich weiß nur,
daß das Wort "durchgekommen" den größten Jubel
enthielt. Auch die bange Frage war drin, ob die Kiste, die ich im Herbst
1944 abgeschickt hatte, noch existiere. Warum die Frage nach jener Kiste
wichtig war? An einer Kiste kann doch nicht gar so viel gelegen sein.
Und doch! Das war jetzt für mich geradezu eine Schicksalsfrage. Von
allem, was ich jemals besessen, hatte ich jetzt noch: die Brille, den
Rosenkranz, einen Band des Breviers, ein Rasiermesser, eine
Zahnbürste und das Verzeichnis von bestellten, aber noch nicht gelesenen
Messen (das Geld dafür natürlich nicht mehr). Außer diesen
Sachen nur noch Schuhe und Kleidung, die ich am Leibe hatte, die schon
unbrauchbar geworden waren. Die Wäsche war nicht besser, sie war
nicht mehr von meiner ehemaligen, wie auch die Feuerwehrkappe nicht von
meinem Eigentum stammte, ebensowenig die anderen Kleinigkeiten, die ich
wieder beisammen hatte. Jene Kiste war von überragender Bedeutung,
war doch darinnen ein Anzug, ein Winterrock, ein Talar, Schuhe und dreifache
Wäsche neben einzelnen anderen Sachen; für meine damalige Lage
ein wahres Vermögen, jedenfalls die Rettung aus größter
Not!.
Am Nachmittag
kommen Lastautos, wir werden noch mit Insektenpulver eingestäubt,
ich bitte um recht gründliches Anblasen, weil ich glaube irgendwelche
Mitbewohner zu haben; dann fahren wir weiter, das "Wohin" kränkt
uns nicht mehr, wie früher einmal, das ist jetzt ganz gleich, von
der Grenze weiter weg geht es, das genügt uns und macht uns froh.
Wir kommen nach Fürnitz bei Villach ins Quarantänelager. Auch
hier Einstäubung, ich bitte
nochmals um Gründlichkeit; es ist aber überflüssig, denn
der Arzt gibt mir eine Salbe, an der ich erkenne, daß mein Jucken
und meine roten Flecken wieder Krätzen sind, nur etwas anderer Art
als in Gurkfeld. Jetzt in die Baracken, die sind geräumig, bequem
und rein. Der Verwalter und ich verstauen uns in einer Ecke, wieder in
die oberen Betten der einstöckigen Gestelle. Strohsäcke sind
da oder, wie es in meinem Bett der Fall ist, viel Holzwolle. Darüber
breite ich eine Decke (zwei solche wurden jedem zur Verfügung gestellt),
die anderen zwei habe ich zum Zudecken. Etwas Brennholz bekommen wir,
mehr wird sofort ,,organisiert", der Ofen wird fest geheizt, es ist
ganz annehmbar herinnen. Zwei lange Tische haben wir da und Bänke
dabei, 40 - 50 einstöckige Betten und zwei eiserne Ofen.
Zwischen Betten, Tischen und Bänken Platz genug, man kann sich frei
bewegen; alles ist besetzt, und doch macht unsere Wohnung nicht den Eindruck,
überfüllt zu sein. Die Bewohnerschaft ist das bunte Gemisch
wie in Aßling, nur haben wir hier keine kleinen Kinder, diese Familien
sind zufällig im Raume nebenan. Die Verpflegung ist schwächer
als in Aßling, aber etwas besser zubereitet, das Brot ist weiß,
leider nicht viel, was wir bekommen. Zufriedene und Unzufriedene sind
unter uns, wie im Grenzlager drüben, natürlich, es kann auch
nicht anders sein. Ein Bahnbeamter, der im Lager Tüchern war, sagt
nach acht Tagen, daß er sich hier erhole, obwohl er eigentlich nie
satt sei. Eine Frau widerspricht ihm und meint, es sei doch nicht möglich,
sich bei dieser Kost zu erholen, sie gibt aber gleichzeitig zu, daß
er jetzt viel munterer aussehe als drüben. Wir erklären ihr,
daß das Bewußtsein, da heraus zu sein, trotz dieser Kost,
die im Vergleich zu dem, was wir monatelang hatten, noch immer gut und
reichlich zu bezeichnen ist, uns aufleben lasse und uns wirklich Erholung
ist, da doch endlich einmal der halbwüchsige Bursche (16 - 17 jährig)
mit seiner Maschinenpistole nicht mehr hinter uns ist. Bisher waren wir
gewohnt, daß solche am Stacheldraht
um uns her waren und auch, wenn man einmal einen Weg aus der Umzäunung
hinaus machen durfte oder machen mußte, immer solche Begleitung
hinter uns war. Ständig solche um uns und hinter uns zu wissen, denen
das Zünglein an der MP sehr locker saß und die scheinbar selbst
nicht wußten, wann es losging, ist ein unheimliches Gefühl,
das dem Menschen nicht Ruhe läßt, auch wenn man gerade nicht
daran denken will.
Dieses Gefühl einmal los zu sein, läßt uns aufatmen und
ist uns Erholung, auch wenn wir uns nicht sattessen können. Im Grenzlager
in Aßling waren alle die noch geblieben, die diesseits der Grenze
nicht angenommen wurden, die also nicht mit uns herüber konnten,
darunter auch die Gottscheer, die erst von daheim vertrieben worden sind.
Am 12. Jänner, gegen Abend (am Morgen waren wir von dort weggefahren)
mußten diese Leute all ihr Gepäck nehmen und aus dem Lager
gehen, wohin wurde ihnen nicht gesagt. Man führte sie den steilen
Berg hinan, höher oben mußten sie im Schnee waten, für
ältere und besonders für kränkliche Leute schwer; bald
ließ der, bald jener ein Gepäckstück zurück, da es
zu beschwerlich wurde, vereinzelt blieben auch Leute auf dem Wege, da
sie nicht mehr weiterkonnten. Der ganze Zug wurde über die Berge
geführt, durch die Nacht und den Tag, bis sie über der
österreichischen Grenze waren; nachdem sie schon wieder von der Grenze
weg waren, wurde ihnen noch nachgeschossen.
Sie kamen am dritten Tage nach uns in unser Lager her. Als ich versuchte,
wieder selber zu waschen, erbarmte sich eine ältere Frau und übernahm
meine Wäsche, eine andere übernahm die Näharbeiten, da
sie sah, wie ich mich mit dem Flicken plagte. Dieses war immer notwendig,
sonst wäre meine Hose ganz auseinandergegangen. Diese ist überhaupt
ein Prachtstück, reif für ein Museum, aber ich gebe sie nicht
her! In der Baracke waren wir alle wahllos durcheinandergewürfelt,
außer dem Verwalter und mir, die wir unserem Vorsatz gemäß
planmäßig Nachbarn
geblieben sind. In der Nacht war wenig Ruhe, manchmal bis 2 - 3 Uhr früh;
besonders ein Mann (der C.) fiel auf, daß er sich scheinbar nie
zur Ruhe begeben konnte, einige äußerten sich schon sehr abfällig
darüber. Er war eine Art Nachtvogel, seine Moralbegriffe scheinen
in den langen Lagermonaten gelitten zu haben. Doch hatte seine Nachtschwärmerei
das eine Gute, daß er dabei auch immer fest einheizte, so daß
uns nicht kalt wurde. Er hatte ein besonderes Talent, Brennholz zu organisieren,
er wußte immer solches herbeizuschaffen, bei Tag und bei Nacht.
Da war auch eine Frau Professor, eine Englischlehrerin slowenischer Herkunft,
bei der wir Englisch lernten, d. h. diejenigen, die sich dafür interessierten,
kamen in einer Baracke zusammen zu diesem Unterricht.
Einige Grundbegriffe erlernten wir. Da sie öfter davon sprach, daß
es diejenigen, die im Lager bleiben, besser haben würden als die
anderen, die ins Leben hinausgehen, weil sie nämlich hier von der
UNRRA versorgt würden, während die anderen Mangel an Arbeit
und somit an allem haben würden, stellte ich mich einmal ganz energisch
gegen diese Ansicht und legte dar, daß wir doch endlich wieder einmal
in eine geregelte Beschäftigung hinaus möchten, daß wir
unser eigenes Brot essen möchten, auch wenn es schlechter und weniger
wäre als dies hier. Wir reflektieren nicht auf Gnadenbrot, wir wollen
selber verdienen; mit einem Mangel an Arbeit brauche man nach solchen
Vernichtungen nicht so bald zu rechnen usw. Alle Anwesenden gaben mir
recht, denn jeder wollte lieber sein Essen verdienen,
als hier in den Baracken umeinanderhocken... . Wir wurden auch wiederholt
geimpft. Zweimal in diesen 14 Tagen gelang es mir auch zu baden, was besonders
wohltat. Im ganzen und großen war die Ordnung in diesem Lager nicht
schlecht, obwohl wir hier zum erstenmal zu spüren bekamen, daß
es ein Unterschied sei, einfach DP zu sein oder ein ,,volksdeutscher"
DP. Der Lagerführer war ein Kroate, er sprach verhältnismäßig
gut deutsch, war nicht ungerecht; aber bei einiger Aufmerksamkeit bemerkte
man leicht, daß er einen Unterschied machte zwischen Deutschen und
Nichtdeutschen. - Viel später erst erfuhr ich, daß dieser Unterschied
offiziell von oben gewollt war.
Die aus den
Gefangenenlagern und die erst vor 14 Tagen von ihrem Heim vertrieben worden
sind, wußten sich gegenseitig gar manches zu erzählen. So erfuhren
wir von letzteren auch, wie es bei sogenannten ,,Volksgerichten"
der Partisanen zugegangen ist. Wollten die jemanden verderben, so streuten
sie zuerst ein übles Gerede über denjenigen aus. Wenn dann dieses
Gerücht unter den Leuten verbreitet war, verhafteten sie ihn und
klagten ihn dessen an, was über ihn gesprochen wurde. Zeugen wurden
einvernommen. Sprachen solche entlastend, also für die Unschuld des
Angeklagten, so wurde dies nicht protokolliert, die Zeugen wurden davongejagt,
oder man warf ihnen vor, sie steckten mit dem Angeklagten unter einer
Decke; sprachen andere gegen den Beschuldigten, so wurde er verurteilt.
Schauerliche, haarsträubende Dinge wurden aus den Lagern der vergangenen
Monate erzählt. Die Zuhörer wunderten sich, das sei entsetzlich,
daß sei ,,nicht mehr menschlich", sei ,,bestialisch".
Da sagt einer aus den Lagern: ,,Verzeihen Sie, meine Herrschaften, das
kommt Ihnen natürlich unbegreiflich vor, Sie können das nicht
fassen, Sie haben den Haß nicht gesehen, aber es ist nur allzu wahr.
Nur sollten Sie nicht sagen, das sei
nicht menschlich, es sei tierisch. Ich behaupte: Das ist nur menschlich,
kann nur menschlich, aber nicht tierisch sein; denn kein noch so wildes
Tier kann so grausam sein wie der Mensch! Das wilde Tier zerreißt
Sie im
schlimmsten Fall und frißt Sie auf, aber es wird Sie nicht planmäßig
mit bewußter Grausamkeit durch längere Zeit quälen. Man
hörte und las in den letzten Jahren öfter von einer, Umwertung
der Begriffe. Hier, glaube ich, wäre die erste Umwertung vorzunehmen,
man müßte die Begriffe "bestialisch" und "menschlich"
vertauschen; denn der ärgste und grausamste Feind der Menschen ist
nicht die Bestie, sondern der Mensch!"
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