1.
Landeskundlicher Überblick bis 1918 Ungefähr 70 km südöstlich der slowenischen Metropole Laibach (slow. Ljubljana), in Unterkrain, lebten die rund 12 500 Deutschen der Gottschee in einem Gebiet von etwa 870 qkm (1) Größe. Sie wohnten dort in 163 Ortschaften und in der Stadt Gottschee (slow. Kocevje), die allerdings unter ihren 3500 Einwohnern schon 1921 eine slowenische Bevölkerungsmehrheit hatte, trotzdem aber aufgrund einer deutschen Führungsschicht in Handel, Handwerk und Gewerbe deutschen Charakter behielt und daher Mittelpunkt der Sprachinsel bis zur Umsiedlung blieb. Zwischen den Weltkriegen waren die 163 Ortschaften politisch in zwölf Großgemeinden zusammengefaßt, von denen nur noch sechs eine deutsche Mehrheit hatten, während die Gottscheer in den anderen sechs am Süd- und Westrande durch die Einbeziehung überwiegend slowenischer Dörfer schon in der Minderheit waren (2). Das abgelegene Karstgebiet des Gottscheer Hochlandes wird geprägt durch drei von Nordwesten nach Südosten verlaufende etwa 1000 bis 1300 Meter hohe Bergzüge - im Osten den Hornwald, in der Mitte den Friedrichsteiner Wald, im Westen das Rieg-Göttenitzer Bergland. Diese kammern zusammen mit niedrigerem Querriegeln, welche die Hauptpoljen voneinander trennen, das Gebiet in sechs Teillandschaften: Im Westen jenseits des Rieg-Göttenitzer Bergzuges das "Suchener Hochtal", zwischen Rieg-Göttenitzer Zug und Friedrichsteiner Wald das "Hinterland", das Gottscheer Becken als "Oberland", südöstlich dazu - durch Querriegel getrennt - das zur Kulpa abfallende "Unterland", das Hornwaldgebiet als "Walden", am Ostabfall des Hornwaldes die "Moschnitze". Das Landschaftsbild wird im wesentlichen bestimmt durch den hohen Waldanteil. Das Klima erhält seine Eigenart von der Höhenlage. Waldanteil, Klima und die verschiedenartige Bodenbeschaffenheit prägten die Siedlungsdichte in den Teillandschaften. 44 Prozent des Gebietes waren mit Wald bedeckt, fügte man die Hutweide hinzu, die zum großen Teil aus Buschwald bestand, so waren es sogar 72 Prozent. Diese Vegetation, vergleichbar derjenigen deutscher Mittelgebirge, unterscheidet den Gottscheer Halbkarst vom eigentlichen Hochkarst Istriens, obwohl zahlreiche Erscheinungen - Poljen, Dolinen, ein versickernder Fluß, die Terra rossa - wiederum auf den Karstcharakter ebenso verweisen wie der tiefe Grundwasserspiegel, der oft zur Anlage von Zisternen zwang. In den Wald wie Inseln eingestreut, lagen mit ihren Wiesen (18,2 %) und Äckern (8,7 %) die 163 Ortschaften, von denen allerdings nur dreizehn die Größe eigentlicher Dörfer mit mehr als 50 Häusern hatten, während 89 Kleindörfer (12-50 Häuser) und 61 kleine Weiler (unter 12 Häusern) waren. Diese wurden im Hornwaldgebiet bis zu einer Höhe von 900 Metern angelegt (3). Die Anfänge der Besiedlung und die Herkunft der Gottscheer sind vor allem durch die Forschungen deutscher und slowenischer Historiker und Sprachforscher, insbesondere E. KRANZMAYERS geklärt. Danach stammen die Gottscheer aus Oberkärnten und Osttirol (3a). Bis zum 14. Jahrhundert scheint das Land ein unbewohntes Urwaldgebiet gewesen zu sein. Im Zusammenhang mit der spätmittelalterlichen deutschen Einsiedlung in unbewohnte oder wenig bewohnte Landschaften der damaligen friaulischen und windischen Marken haben die Kärntner Ortenburger Grafen Deutsche in das menschenleere Waldland geholt, die aus den Alpentälern Kärntens und Tirols gekommen sind. 1339 wird als erste deutsche Siedlung Mooswald - ein Dorf in der Nähe der Stadt Gottschee - urkundlich erwähnt. Bis 1469 erfolgte dann schrittweise durch Rodung und Besiedlung der zügige Ausbau des Landes. Dann kam der Rückschlag: Zwischen 1469 und 1594 wurde das Gebiet durch zehn große Raubzüge der Türken immer wieder verwüstet. VALVASSOR (1689), der erste Historiograph Krains, hat von der Gottschee als des "Lands Crain Warnung und gleichsam Schildwacht" (4) gesprochen. Die soziale und wirtschaftliche Lage der Bauern verschlechterte sich noch durch die Robotdienste an der Militärgrenze, infolge der Realteilungen und auch wegen der erhöhten Abgaben, die schließlich die Bauern 1515 zum Aufstand gegen die Herrschaft trieben, der auf ganz Krain übergriff. Das 18. Jahrhundert brachte dann einen Aufschwung unter Maria Theresia, vor allem aber, als Joseph II. die Leibeigenschaft und zahlreiche Abgaben beseitigte. Auch die Stadt Gottschee, die seit 1471 Stadtrecht hatte, blühte auf, so daß sich allmählich eine deutsche Führungsschicht aus Geistlichen, Kaufleuten, Handwerkern und Lehrern entwickeln konnte, die das kulturelle Leben der gesamten Gottschee zu prägen begann. Darüber standen nur noch die Fürsten AUERSPERG mit ihren Beamten. 1641 war Gottschee zur Grafschaft, 1792 zum Herzogtum erhoben worden. - Eine weitere Zäsur brachte das Jahr 1848: die Gottscheer entsandten einen eigenen Vertreter in die Paulskirche; weiterreichende Folgen aber hatte die Beseitigung der Grundherrschaft. Bei der darauf folgenden neuen Verwaltungseinteilung wurden einige Gottscheer Dörfer am Rande der Sprachinsel zu Bezirken mit slowenischer Bevölkerungsmehrheit geschlagen. Das geschah zu einer Zeit, als auch in Krain der Kampf der Nationalitäten gegeneinander begann, der sich zunächst besonders im Schulwesen der Randgebiete auswirkte, indem die Slowenen aus deutschen Schulen utraquistische zu machen versuchten. Mit Hilfe privater Institutionen - des "Deutschen Schulvereins" und des Schutzvereins "Südmark" - betrieben die Gottscheer dagegen eine aktive Schulpolitik: sie bauten in den Randgebieten deutsche Schulen, hatten einen eigenen Schulinspektor (seit 1891) und gründeten 1875 ein Gymnasium (5). Die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte Blüte der Sprachinsel - 1869 hatte sie den Bevölkerungshöchststand von 26 000 Deutschen - barg jedoch zwei Gefahren, die in der soziologischen Struktur der bäuerlichen Bewohner und in einer den Gottscheern eigentümlichen Erwerbsart, dem Hausieren, lag. Seit dem 16. Jahrhundert war die Gottschee ein Kleinbauernland. 1869 hatten die Realteilungen ein Maß erreicht, das eine Steigerung des Lebensstandards kaum noch zuließ. - Das Hausieren, ursprünglich eine Folge der Verarmung durch die Türkenkriege - 1492 hatte Kaiser Friedrich III. den Gottscheern das sogenannte "Hausiererpatent" verliehen, das ihnen das Hausieren in den Ländern der Habsburger erlaubte - wurde aber auch nach Beendigung der Türkennot weiter betrieben, weil die Lebensbasis für viele Kleinbauern immer schmal blieb. Diese für eine vorwiegend bäuerliche Volksgruppe außergewöhnliche Erwerbsart hatte psychologisch bereits ein Phänomen vorbereitet, das in den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts verstärkt einsetzte: die Auswanderung, besonders in die Vereinigten Staaten. Dabei war es bezeichnend, daß aus der Gruppe der Keuschler, d. h. der Kleinstbauern, die meisten emigrierten; denn ihr schien sich nur durch Verlassen der Heimat eine Chance zum sozialen Aufstieg zu eröffnen. Daß die Bevölkerung der kleinen Weiler einen relativ hohen Anteil der Auswanderer stellte, ist wohl auch auf die besonders von jungen Männern empfundene Monotonie des dörflichen Lebens zurückzuführen, die gerade Ende des 19. Jahrhunderts infolge von Wehrdienst, Hausieren und Verkehrserschließung stärker als früher bewußt wurde, während die allmähliche Verödung der hochgelegenen Kleindörfer und Weiler in erster Linie auf die schlechten Boden- und Klimabedingungen zurückzuführen ist (6). Am Vorabend des Ersten Weltkrieges hatte die Gottscheer Bevölkerung gegenüber dem Höchststand von 1869 bereits rapide abgenommen (7). Ende des 19. Jahrhunderts hatten die nationalvölkischen Emanzipationsbestrebungen der Slowenen zu scharfen Spannungen zwischen Deutschen und Slowenen geführt. Die Gottscheer suchten sich politisch dadurch zu sichern, daß es ihnen "dank einer kräftigen nationalen Propaganda" (8) gelang, im Wahlgesetz von 1907 die Gottschee zu einem einheitlichen Wahlbezirk für den österreichischen Reichsrat zu machen. Auch die beiden Parteien - der "Christlich-Soziale Bauernbund" und die "Liberale Bauernpartei" - bildeten 1909 einen "Verständigungsausschuß" mit der Zielsetzung: "Wir müssen das fremdsprachige Element, das sich bald hier, bald dort durch Zuwanderungen zwischen unsern deutschen Volkskörper einschiebt, durch assimilierende Angleichung an das deutsche heimische Wesen für uns, für unser geliebtes deutsches Volkstum erwerben und gewinnen, damit es keine nationale Gefahr bilde für dasselbe, sondern auf ganz natürlichem, geräuschlosem Wege in unsern deutschen Volkskörper aufgehe. Dies zustande zu bringen ist vor allem die Aufgabe der deutschen Schule." (9) Bereits 1906 hatte man unter Leitung des Bürgermeisters von Gottschee den "Deutschen Volksrat" gegründet mit dem ausdrücklichen Ziel, die "Nationalen Belange der Gottscheer zu wahren" (10). Während des Zusammenbruchs der Donaumonarchie unternahm der "Volksrat" zwei verzweifelte Versuche, um dem südslawischen Staat zu entrinnen. Zunächst bemühte er sich um den Anschluß an die Republik Österreich, was sich aber als politisch irreal erwies. - Auch der fast phantastisch anmutende Plan, eine deutsche Republik Gottschee unter dem Protektorat der USA zu errichten mit der Begründung, daß in den USA mehr Gottscheer wohnten als in der Heimat, schlug fehl, obwohl man sogar mit D'ANNUNZIO, der Istrien damals den Slowenen entriß und nur etwa 30 Kilometer von der Gottschee entfernt war, "mehrfache Verbindungen" (11) aufnahm. - Dann hatte der "Volksrat" ausgespielt. Im März 1919 wurde er von den Slowenen aufgelöst und sein Vermögen beschlagnahmt. Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970 www.gottschee.de Inhaltsverzeichnis Anmerkungen : 1 Die Angaben schwanken bei den verschiedenen Autoren zwischen 840 qkm bei H. OTTERSTÄDT, Gottschee - Verlorene Heimat deutscher Waldbauern, Freilassing 1962, S. 37; und 900 qkm im Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums, Bd. 3, Breslau 1938, S. 58 linke Spalte (im folgenden HWB). 2 Zahlen nach "Abschlußbericht über die Erfassung der Deutschen in der Gottschee ... durch die Einwandererzentralstelle des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD" (im folgenden EWZ-Abschlußbericht), undatiert, (etwa Mitte Dezember 1941); NAW Roll 306, frame 2433592 ff.; und HWB a.a.O. S. 58 linke Spalte. 3 Zahlen nach dem "Bericht über die Tätigkeit der Kultur-Kommission . . . erstattet durch Prof. Dr. HANS SCHWALM", undatiert (im folgenden Bericht der Kulturkommission); NAW Roll 306 frame 2434270 ff. 3a Vgl. B. SARIA, Die mittelalterliche deutsche Besiedlung in Krain, in; Gedenkschrift für Harold Steinacker, München 1966, S. 98-101 (Buchreihe der Südostd. Hist. Komm. Band 16). Hier auch die ältere Literatur. 4 zitiert nach H. OTTERSTÄDT a.a.O. S. 16. Über die Türkeneinfälle in Krain und besonders in die Gottschee vgl. STANKO JUG, Turski napadi na Kranjsko in Primorsko do prve tretjine 16. stoletja (Die Türkeneinfälle nach Krain und ins Küstenland bis zum ersten Drittel des 16. Jhs.), in: Glasnik Muzejskega Drustva za Slovenijo XXIV 1943, S. 1-61 (mit sehr instruktiver Karte); ders., Turski napadi ... od prve tretjine 16 st. do bitke pri Sisku (1593) (Die Türkeneinfälle usw. vom ersten Drittel des 16. Jh.s bis zur Schlacht bei Sisak [1593]), in: Zgodovinski Casopis IX 1955, S. 26-62. 5 Entwicklung im Schulwesen nach HWB a.a.O. S. 79, rechte Spalte: 1865: 12 Schulen, 1872: das Untergymnasium, 1880: Gründung des Unterstützungsvereins für begabte Bauernkinder, 1908: Das Vollgymnasium, 1909: Alumnat; dazu OTTERSTÄDT a.a.O. S. 40: "Im Jahre 1918 hatte das Gottscheerland 33 deutsche Volksschulen mit 65 deutschen Schulklassen, außerdem ein deutsches Gymnasium, eine Bürger- und eine Holzfachschule." 6 dazu Gedächtnisschrift von Dr. HANS ARKO (Im folgenden Dr. ARKO) ohne Datum, S. 1; NAW Roll 306, frame 2434014 f. 7 Zahlen im Bericht der Kulturkommission a.a.O.: 1869: 26 000; 1910: 19 000. 8 HWB a.a.O. S. 62. 9 Bericht des Verständigungsausschusses des Gottscheer Gebietes am 25. April 1909, Institut für Volkstumsfragen, Ljubljana f. 142, zitiert nach D. BIBER, Kocevski nemci med obema vojnama (Die Gottscheer Deutschen zwischen den beiden Kriegen), in: Zgodovinski casopis (Historische Zeitschrift) XVII 1963, S. 28, Anm. 19 (Übersetzung von Lehrer KREN). 10 Dr. ARKO a.a.O. S. 1 und HUGO GROTHE, Die Deutsche Sprachinsel Gottschee in Slowenien, Münster 1931, S. 179, 11 Dr. ARKO a.a.O. S. 9. www.gottschee.de Inhaltsverzeichnis |