3. Die "Jugendbewegung" und die Reaktionen der Slowenen

In der Gottschee selbst entstand 1931/32 in der Schülerschaft zunächst eine geheime Gruppe, die nach Wandervogelvorbild ihre Heimat kennenlernen wollte. Sie suchte die Verbindung mit der bäuerlichen Jugend. Im Winter 1932/33 wurde durch die Gründung der Jugendgruppe in Mitterdorf die Brücke geschlagen.

"Im Nationalsozialismus, der erst mit der Machtübernahme 1933 in die entlegene Gottschee fand, wurde von den Jungen ihr eigentliches Lebensziel erkannt, der bestimmende Wegweiser ihres Strebens und Tatenwillens erschaut." (34)

Diese ideologische Grundlage wurde vertieft, als im Sommer 1934 die ersten reichsdeutschen Studenten der "Deutschen Studentenschaft" in der Gottschee erschienen, um ein "Arbeits- und Schulungslager" abzuhalten, in dem die Gottscheer Jugend mit ihren eigenen Problemen und mit denen des Reiches konfrontiert wurde (35). In diesem Zusammenhang entwickelten die jungen engagierten Gottscheer den sogenannten "Aufbauplan".

"In den ersten Jahren nach der 600-Jahrfeier . . . enstand ein grundlegender Plan zur Erhaltung der ... Volksgruppe. Der Initiator war ein reichsdeutscher Volkswirt. . . . Die Gottscheer selbst mußten zur Mitarbeit erst gewonnen werden. Ein genossenschaftlicher Zusammenschluß mußte vorausgehen. Die Bereitschaft zur Investition von Arbeit und Geld war Vorbedingung für die Realisierung des Vorhabens.. . . . Als gemeinsame Emotion hatte sich die nationale Betrachtungsweise eingebürgert, . .. Daher deckte sich die Anrufung des Gemeinschaftsinnes mit einem Heimatnationalismus. Und es liegt auf der Hand, daß sich eine Kopplung solchen Heimatdenkens mit den in Deutschland hochgezüchteten völkischen Lebensvorstellungen ergeben mußte, besonders in der Psyche einer Jugend, die nach dem Weltkrieg heranwuchs." (36)

Es kristallisiert sich heraus: Innerhalb der Gottscheer Jugend bildet sich zu Beginn der dreißiger Jahre ein fester Kern, der willens war, die Lage der Volksgruppe grundsätzlich zu überdenken und eine Konzeption zu erarbeiten, die ein wirtschaftliches und "völkisches" Weiterbestehen sicherstellen sollte. - Man konnte dabei ausgehen von Prof. H. GROTHES Ideen und Vorschlägen, die dieser 1931 in seinem Buch über die Gottschee publiziert hatte (37). 1933 geriet dann diese jugendliche Gruppe in den ideologischen Bannkreis des Nationalsozialismus. Als sich 1934 die "Deutsche Studen
tenschaft" einschaltete, wurden diese Vorstellungen wirksam. - Die Gottscheer Jugend begann nun konsequent in nationalsozialistischem Fahrwasser zu segeln; denn die "Deutsche Studentenschaft" verstand es sehr geschickt, neben der Propagierung des "Selbsthilfegedankens" "großdeutsches" Gedankengut zu vermitteln (38). Sie hatte bereits 1933 eine straffe Ausrichtung und disziplinäre Unterordnung aller in Jugoslawien arbeitenden Studenten erreicht und seit 1934 drei Methoden des "Einwirkens" auf die Volksdeutschen Südslawiens entwickelt: den "Landdienst" oder auch die "Landhilfe" genannt; den "Arbeitsdienst in getarnten Lagern"; die "Patenschaften" für Hochschulvereinigungen (39). Wie der Leiter der Außenstelle Südslawien darzulegen suchte, könne man bei dieser Art der Betreuung mühelos die Sing- und Spielfahrten der "alten Jugendbewegung" und wissenschaftliche Vorhaben einbauen, die als Grundlage für die weitere Volkstumsarbeit nützlich seien (40).

Die zweite Spielart - der Arbeitsdienst - war 1934 für die Gottschee gewählt worden. Der "Aufbauplan", dessen wirtschaftliche Ziele eine Neuorientierung und Modernisierung der Land- und Forstwirtschaft sowie die Schaffung einer Heimindustrie auf solider handwerklicher Basis waren, wurde hier beraten. Da in Württemberg die Bodenbeschaffenheit derjenigen der Gottschee gleicht und die fortschrittlichen Methoden der Albbauern als vorbildlich galten, sollten junge Gottscheer Bauern und Bäuerinnen ausgesucht und auf Lehrhöfen in Schwaben geschult werden.

"Im Winter 1937/38 wurden die Jungbauern auf einem mehrmonatigen landwirtschaftlichen Lehrgang in Ulm zusammengefaßt, desgleichen die Mädchen ein Jahr später auf einem Hof in Oberschwaben. Diese jungen Gottscheer bildeten den Kern einer Gemeinschaft, wie sie für einen durchgreifenden Aufbau der heimischen Land- und Forstwirtschaft vorhanden sein mußte. - Die Finanzierung der Ausbildung erfolgte fast ganz aus den Mitteln eines Gottscheer Fonds, der durch die Abgaben der Hausierer für die Aufbauaktion geschaffen wurde." (41)

Die finanzielle Grundlage dieses umfassenden Programms wurde also dadurch gesichert, daß man die alte Gottscheer Tradition des Hausierens wieder verstärkt aufnahm. Beim VDA in Berlin wurde eine "Arbeitsstelle Gottschee" eingerichtet, die Gottscheer Hausierern während des Winters Arbeit vorwiegend im Gaststättengewerbe vermittelte. Diese mußten einen bestimmten Anteil ihres Verdienstes in den "Fond" zahlen, der die Ausbildung der Jungbauern speiste (42). Offensichtlich hatten die Studenten mit ihrem ersten Schulungslager großen "völkischen" Erfolg; denn diese Initialzündung von 1934 wirkte sich so aus, daß bereits im nächsten Jahr die "Jugendbe
wegung" (43) in der Gottschee ihren Höhepunkt erreichte. Wieder trafen in einem Arbeitslager reichsdeutsche Studenten aus München, der zuständigen Betreuungsuniversität, und junge Gottscheer, diesmal getarnt "beim Wegebau", am Südrand der Volkstumsinsel zusammen.

Allerdings stand der Sommer 1935 für die Gottscheer insgesamt unter einem unglücklichen Stern. Die slowenische Öffentlichkeit war inzwischen auf die Aktivität bei den Gottscheern aufmerksam geworden, und nationalistische slowenische Organisationen planten und propagierten offen Gegenaktionen. Der Siedepunkt nationalistischer Emotionen war erreicht, als die Gottscheer ihr erstes Jugend- und Kulturheim in Mitterdorf eröffneten. Slowenische Jugendliche und Studenten, die sogar aus Laibach herbeigeeilt waren, störten die Feier; es kam zu einer "wüsten Schlägerei" (44). Das war jedoch nur ein besonders bezeichnendes Symptom des vergifteten Klimas im Verhältnis zwischen Gottscheern und Slowenen.

Die Ursachen für diese überreizte Atmosphäre waren wahrscheinlich auf beiden Seiten zu suchen. - Der Leiter des VDA-Kreises "Volksdeutscher Süd", der mit einer Gruppe von zehn Mitarbeitern Anfang August 1935 anläßlich des Trachten- und Singfestes (45) in der Gottschee weilte, berichtete über die Gründe der "Chauvinistischen Erregung" (46):

"Die Gottschee wurde in dieser ,Saison' von ca. gut 300 jugendlichen Wanderern besucht. Eine solche Überschwemmung von meist militärisch gekleideten Jungen, die ständig politische Kampflieder singen, muß natürlich in slowenischen Kreisen Haß hervorrufen und wird bestimmt die Lage des Deutschtums in der Gottschee nur verschlimmern . . . Bauern erzählten mir, daß sich diese Gruppe (HJ) schon seit langem im Lande durchbettelte. Es ist nahezu eine Schamlosigkeit, daß sich deutsche Gruppen bei den armen Gottscheer Bauern durchbetteln." (47)

Hier offenbarte sich eine neue Form des Einwirkens auf die Gottscheer. Die Reichsjugendführung schickte offenbar HJ-Gruppen ins Ausland, um bei den Volksdeutschen den "Neuen Geist der Zeit" zu verkünden. Die bedenklichen Begleitumstände solcher Fahrten und deren Folgen ignorierte man offensichtlich (48). Dagegen versuchte der VDA mit einer Trachten- und Singgruppe in angemessener Weise, auf der Grundlage des bäuerlichen Brauchtums Kontakte aufzunehmen und nur gleichsam "nebenher" nationalsozialistisches Gedankengut einzustreuen (49); dementsprechend wurde die Tätig
keit dieser Seite von den Slowenen kaum kritisiert. Anders verhielt es sich bei der Beurteilung des "Arbeitslagers" und der HJ-Gruppen.

Die Slowenen schritten bald zu repressiven Maßnahmen, in deren Gefolge dann auch die Ortsgruppen des Schwäbisch-Deutschen Kulturbundes aufgelöst wurden. Aufschlußreich sind behördliche Begründungen für diese Auflassungen: "Die Ortsgruppe Mitterdorf wurde .. . aufgelöst, weil laut ihrer Verhandlungsschrift an den Heimabenden der Ortsgruppe ,politische Vorträge' gehalten wurden, was gegen die Satzungen des unpolitischen Kulturbundes verstoße .. . betreffend die Ortsgruppe Unterwarmberg wird als Grund ... das Singen irredentischer Lieder ,Die Fahne hoch', Heiliges Deutschland' usw. angegeben." (50)

Einen sehr konkreten Einblick in die slowenischen Abwehrmethoden, in die slowenische Deutung nationalsozialistischer Volkstumspolitik und in die Konsequenzen für die Volksgruppe bietet die Darlegung eines slowenischen Nationalitätenexperten gegenüber Dr. GRASSL, einem der Führer der Volksdeutschen Jugoslawiens:

"Die Organisationen des Kulturbundes würden verfolgt, weil sie als nationalsozialistische Agitationszellen erkannt worden seien. Die beiden Emissäre VOLKER DIECK (Reichsdeutscher) und Ing. WALTER NEUNTEUFL (Österreicher) hätten viele Monate hindurch eine Tätigkeit entfaltet, die kein selbstbewußter Staat auf die Dauer hätte hinnehmen können. Die Behörden hätten sie allerdings fast ein Jahr gewähren lassen weil man sehen wollte, wie weit sich beide vorwagen würden. Schließlich hat man beide ausgewiesen, vorher aber Durchsuchungen vorgenommen, die außerordentlich belastendes Material den Behörden in die Hände lieferten. So sei man in den Besitz eines Verzeichnisses von Geldspenden gekommen, die zu Propagandazwecken nationalsozialistischer parteiamtlicher Stellen im Reiche den beiden Ausgewiesenen zur Verfügung gestellt worden seien. Ferner habe man eine Liste von Jugendlichen vorgefunden, die zu ,weltanschaulichen Schulungen' d. i., nach der Auffassung der Behörde, zu politischer Ausbildung von parteiamtlichen Stellen in das Reich berufen und geldlich unterstützt worden seien (51). Auch habe es sich herausgestellt daß die ... Ausreise von deutschen Hausierern aus Gottschee in das Reich von VOLKER DIECK organisiert und zur politischen Schulung dieser Hausierer mißbraucht worden sei. VOLKER DIECK, der ... in Gottschee als Konsul der Hausierer bezeichnet wurde, hatte sich in seinen Unternehmungen auch des harmlosen Rechtsanwalts Dr. HANS ARKO bedient, der nun sehr zum Schaden der deutschen Volksgruppe in Slowenien vollständig unmöglich geworden sei." (52)

Aus dem letzten Satz wird eine Folge der reichsdeutschen Aktivitäten für die Gottscheer deutlich: der bisher als integer angesehene Dr. ARKO gilt künftig, d. h. seit Anfang 1936, als "unmöglich".

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

34  WILHELM LAMPETER, Die Gottscheer Volksgruppe, 1930-1942 BA Slg. SCHUMACHER 343.

35  
Dr. ARKO, a.a.O. S. 4: "Um unsere Jugend unauffällig erfassen zu können, wurde im Jahre 1934 mit Hilfe der deutschen Studentenschaft . .. eine Hütte gebaut, die sehr viel zur Schulung unserer Jugend beigetragen hat".

36  
R. LACKNER, Aufzeichnungen 1962; im Besitz d. Verf.

37  
H. GROTHE, Die deutsche Sprachinsel Gottschee in Slowenien, Münster/Westf., 1931 und ders. zur Gottscheer Situation von 1931 in HWB, S. 67, linke Spalte: "Man darf sagen, daß den Gottscheern mehr Händler- als Bauerngeist zu eigen geworden ist und daß nur eine neue Heranziehung zu geschickter und unverdrossener Handhabung des landwirtschaftlichen Betriebes die Sprachinsel in ihrer notwendigen völkischen und wirtschaftlichen Festigkeit erhalten kann."

38
 HERMANN ULLMANN, Pioniere Europas, Die Volksdeutsche Bewegung und ihre Lehren, München, 1956, S. 37: "Die Methoden der nationalsozialistischen Propaganda befolgten dasselbe Rezept wie bei der Machtergreifung im Reiche: man schlich sich ein. Zunächst arbeitete man mit einem ideologischen Programm, das man der Haltung der Volksgruppen äußerlich anpaßte ...".

39
 Bericht von K. MARSCHELKE, Leiter der Außenstelle für Südslawien der "Deutschen Studentenschaft", vom 31. 5. 1935; PA VI A, Akten betr. Förderung des Deutschtums in Jugoslawien, Bd. 13, Jugoslawien.

40  
Um die Kontakte zur "alten Jugendbewegung" bemühte sich offenbar seit 1930 mit Erfolg der Gottscheer Gesangverein, der besonders 1934/35 und 1936 Trachtenfeste und Wettsingen unter Beteiligung reichsdeutscher Gruppen veranstaltete. - Das Ergebnis umfangreicher statistischer Untersuchungen in der Gottschee auf den Gebieten der Ethnologie, der Soziologie und der Wirtschaftswissenschaft liegt vor im Artikel "Gottschee" im HWB, der 1938 fertiggestellt wurde.

41
 WILHELM LAMPETER, Die Gottscheer Volksgruppe 1930-1942; a.a.O.

42  
So waren im Winter 1934/35 etwa 200, 1935/36 etwa 290 und 1936/37 etwa 250 Hausierer in Deutschland tätig. Angaben nach "Gottscheer Kalender", Jahrgänge 1936-1938.

43
 WILHELM LAMPETER, Die Gottscheer Volksgruppe 1930-1942, a.a.O.

44  
ebda.

45
 KURT HUBER, Gottschee-Fahrt 1935, Mitteilungen der Akad. z. wissenschaftl. Erforschung u. z. Pflege des Deutschtums, Jg. 10, 1935, S. 673 ff.

46
 Bericht des VDA-Kreises "Volksdeutscher Süd" von FRITZ BERTHOLD, undatiert (Begleitschreiben vom 28. 11. 1935); PA VI A Akten betreffend den Volksbund für das Deutschtum im Ausland, Bd. 14. "Schon seit einer Woche [seit Ende Juli] weilte in der Gottschee eine Gruppe von 55 (!!!) Mann der Turnerschaften aus der Henleinfront. Diese Gruppe war militärisch angezogen und zog singend und mit ihren Fahnen durch die Dörfer und die Stadt Gottschee. Deswegen entstand eine große Aufregung in slowenischen Kreisen. . . . Außerdem berichteten mir die Bauern, daß sich diese Gruppe auch durchgebettelt habe, wie es auch ständig andere Gruppen (?) aus dem Reich tun .. .".

47
 ebda.

48  
Eine Parallele dazu bilden die Vorgänge im Baltikum. s. HANS v. RIMSCHA, Zur Gleichschaltung der deutschen Volksgruppen durch das Dritte Reich, HZ 182, 1956 S. 29 ff.

49  
Interessant scheint, daß der vom zuständigen Sachbearbeiter des VDA an das Auswärtige Amt geschickte Bericht des Fahrtenleiters BERTHOLD diesen als "katholischer Tendenzen" verdächtig charakterisiert. So hatte diese Gruppe beispielsweise an einem deutschen Gottesdienst in Gottschee teilgenommen und dabei eine Bauernmesse gesungen.

50  
Beilage zum Bericht des Rates JANSON vom 17. 2. 1937; Pa Kult. A. Bd. 15, Deutsche Gesandtschaft Belgrad.

51  
dazu Dr. ARKO a.a.O. S. 9.

52  
Beilage zum Bericht des Rates JANSON vom 17. 2. 37; Pa Kult. A. Bd. 15, Deutsche Gesandtschaft Belgrad.
 

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