3.
Die Bekämpfung der "Gerüchte" und die Umdeutung des
bisherigen Heimatbegriffs Die Unsicherheit der Volksgruppenführung war zu einem großen Teil begründet in den immer wieder auftauchenden Gerüchten und in dem Zwang, sie zu bekämpfen. Das Hauptmotiv dieser Spekulationen in der Bevölkerung ist zu sehen in der Taktik der Volksgruppenführung, Umsiedlungstermin und Ansiedlungsgebiet nicht bekanntzugeben. Dieses Faktum - verbunden mit anderen Begleiterscheinungen - mußte zu einer Quelle latenten Mißtrauens und innerer Unruhe in der Bevölkerung werden. Das spiegelt sich deutlich in Anweisungen, Bekanntgaben und Glossen wider, die von der Volksgruppenführung in der Gottsdieer Zeitung publiziert wurden. Am 29. Mai 1941- eine Woche nach Veröffentlichung des Umsiedlungsbeschlusses - erschien in Fettdruck die Aufforderung: "In Fragen der Umsiedlung soll nur den Weisungen und Richtlinien, die von der Volksgruppenführung herausgegeben werden, Glauben geschenkt werden. Die Äußerungen anderer Personen sind nicht maßgebend." (55) Am 12. Juni 41 wurde eine auffällig placierte Glosse "Das Gerücht" mit der aggressiven Bemerkung eingeleitet: "Jene, die auf jedes dumme Gerücht und alles leere Gerede immer wieder hereinfallen, mögen folgendes zur Kenntnis nehmen: ..." Die folgenden Bekanntmachungen der Volksgruppenführung erhellen schlaglichtartig die Situation: "Die Dienststelle für Organisation und Propaganda gibt bekannt: [Am 26. 6. 41] "Der römisch-katholische Geistliche ... stellt ... durchwegs falsche Behauptungen über die bevorstehende Umsiedlung auf . . ." [Am 3.7.41] "Nach den in letzter Zeit gemachten Erfahrungen werden besonders unsere älteren Volksgenossen durch hartnäckig verbreitete, durchaus erdachte Gerüchte, die mit den Fragen unserer bevorstehenden Umsiedlung im Zusammenhang stehen, verwirrt und verängstigt ..." [Am 10. 7. 41] "Im Zuge der Stellungnahme und Bekämpfung allerhand dunkler Gerüchte wird festgestellt, daß der Termin der Umsiedlung für den heurigen Herbst festgelegt ist." Unter dem Druck der öffentlichen Meinung - immer weiter um sich greifende Mißstimmung der Bevölkerung wegen einer Ungewissen Zukunft und teilweise offen geäußerte Mißbilligung - mußte die Volksgruppenführung schließlich sieben Wochen nach Veröffentlichung des Umsiedlungsbeschlusses einen ersten Schritt von ihrer bisherigen Linie abweichen: Der Umsiedlungstermin wurde bekanntgegeben. Es hatte sich also gezeigt, daß die jungen Führer die psychologischen Imponderabilien ihrer Taktik offenbar zu wenig berücksichtigt und die "völkische Disziplin" der Gottscheer zu hoch eingeschätzt hatten. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang noch, daß nach Beginn des Rußlandkrieges auch die slowenische kommunistische Partei ihre Zurückhaltung aufgab. Am 10. Juli 1941 gab die "Dienststelle für Organisation und Propaganda" bekannt: "In letzter Zeit versuchen die Elemente, die immer schon auf den berühmten Onkel Joseph aus Rußland warteten, unsere Volksgenossen durch Schaudermärchen über angebliche Riesenverluste der deutschen Wehrmacht kleinmütig zu machen ... Laß das jüdisch-bolschewistische Gesindel nach Herzenslust schwätzen. Diesmal ist es sein letztes Lied." (56) Wahrscheinlich ist diese Bekanntmachung eine Reaktion auf ein Flugblatt (57), in dem der "Gottscheer Kreisausschuß der KP Sloweniens" in deutscher Sprache verkündete: "Die nationalsozialistischen Führer und ihre Gottscheer Führerlein wollen .. . Euch auf der Erde und auf den Höfen ansiedeln, die die nationalsozialistischen Führer dem slowenischen Bauer und Arbeiter gestohlen und sie ohne Hab und Gut in die Fremde verjagt haben. Die ganze Umsiedlung ist ein Verbrechen gegen das Gottscheer Volk! Mit Recht werden Euch die Einheimischen als aufgedrängte Hergewanderte betrachten, als die Verbündeten der faschistischen Räuber, als Diebe des fremden Bodens und der Früchte fremder Arbeit. Sie werden Euch die Häuser, in denen Ihr Euch ansiedeln werdet, anzünden, auf jedem Schritt werden sie Euch erschlagen und stets werden sie Euch verfolgen . . ." Dieses Flugblatt und die damit verbundene Flüsterpropaganda mußte die Gottscheer Bevölkerung zutiefst beunruhigen, zumal darin von Riesenverlusten der deutschen Wehrmacht und von slowenischen Vertreibungen zugunsten der Gottscheer berichtet wurde. Auch die schaurigen Visionen des kommenden Partisanenkrieges und der späteren Austreibung wurden ja bereits darin beschworen. Doch der im Flugblatt enthaltene Aufruf "Für eine einheitliche Front des deutschen und slowenischen Volkes im Gottscheerland" mußte logischerweise bei der Masse der Gottscheer ohne Erfolg bleiben, da der Volkstumskampf der vergangenen Jahre die Atmosphäre zwischen Deutschen und Slowenen völlig vergiftet hatte, zu diesem Zeitpunkt die deutschen militärischen Erfolge als gewaltig erschienen und die Mehrheit der Gottscheer daher den Parolen der Nationalsozialisten immer mehr erlag. Trotzdem sah der Mannschaftsführer in der Summierung und Aktivierung der Gerüchte offensichtlich eine ernsthafte Beeinträchtigung der Umsiedlungsvorbereitungen. In der nächsten Nummer der "Gottscheer Zeitung" nahm er deshalb im Leitartikel grundsätzlich Stellung zum Problem der Umsiedlung: "Von verschiedenen Seiten wird mehr oder weniger Stimmung gegen die Umsiedlung gemacht. Es wird dabei immer die scheinbar große Heimatliebe vorgetäuscht .. ," (58) Der Mannschaftsführer suchte hier die "Stimmung gegen die Umsiedlung" an der Wurzel zu fassen: "die scheinbar große Heimatliebe" wird angeprangert! Damit nimmt er den Begriff auf, der bei allen Erörterungen um die Aussiedlung im Zentrum der Diskussion innerhalb der Volksgruppe stand. In dieser Lage trat der seltsame Fall ein, daß die bisherige Verherrlichung und Akzentuierung des Völkischen den Umsiedlungsabsichten der Nationalsozialisten entgegenwirkte; denn die Liebe zur alten Heimat, wie sie sich z. B. in der Pflege des Gottscheer Volksliedes zeigte, auf das die Gottscheer besonders stolz sind und waren, mußte ja die Bindung an "den armen Flecken Karsterde" und das Beharrungsvermögen noch verstärken. In einer vorwiegend bäuerlichen Volksgruppe hätte das zu unliebsamen Reaktionen führen können, wenn die alten Führungskräfte eine geschlossene Abwehrfront gebildet hätten. Um den natürlichen Traditionalismus der Gottscheer grundsätzlich zu überwinden, blieb der Volksgruppenführung nur der deus ex machina in der Berufung auf die "politische Notwendigkeit". Für die jungen Nationalsozialisten ergab sich die Einsicht in diese "politische Notwendigkeit" als eine Selbstverständlichkeit. Was dieser Kernbegriff nationalsozialistischen Denkens in der jeweiligen historischen Situation bedeutete, das bestimmte auch bei den Volksdeutschen der Befehl des Führers. Charakteristisch für das Bestreben der Volksgruppenführung, den Heimatbegriff den Gottscheern neu zu interpretieren und ihn ihren Intentionen entsprechend umzudeuten, ist das "neue Lied der Gottscheer", das vom verantwortlichen Stabsführer für das Kulturwesen verfaßt wurde:
In diesem neuen Lied "der Gottscheer", wurde der einfache Gottscheer unter das einhämmernde Leitmotiv gestellt: "Wir kehren heim ins Vaterland, die Heimat unserer Ahnen." Demgegenüber sollte es wenig bedeuten, daß die Gottscheer ihr "Ländchen", in dem sie sechshundert Jahre ihre Heimat gesehen hatten, verlassen mußten. Aber erst die Schlußparole macht deutlich, welchem Ziel die Volksgruppenführung letztlich zustrebte: "Ein Volk, ein Reich, ein Führer!" Damit war aber in der Praxis eine plötzliche Umwertung des alten Geschichtsbildes, bisheriger Lebensgewohnheiten und selbst ideologischer Grundüberzeugungen nationalsozialistischen Volksgruppendenkens verbunden. Den jungen Nationalsozialisten gelang dieser gewaltsame Schnitt anscheinend bruchlos. Die Masse der Bevölkerung - vor allem die älteren Bürger und Bauern - mußte dadurch aber verwirrt werden. Die vielfältigen Reaktionen dieser Verwirrung reduzierte die simplifizierende Propaganda nun auf die beiden Diffamierungen: "vorgetäuschte Heimatliebe" und "liberal-kapitalistisches Denken". Daß der "Heimruf" des Führers mit dem bisherigen Kampf um die sechshundert Jahre alte Heimat nicht bruchlos in Einklang zu bringen war, das erkannte auch die fanatische Volksgruppenführung. Daher bemühte sie sich, den alten Heimatbegriff, der auf der Bindung an das "Gottscheer Ländchen" beruhte, zunächst einmal als "sentimental" (60) - der neuen Zeit nicht mehr entsprechend - erscheinen zu lassen, ihn seiner Substanz zu berauben und ihn schließlich gar durch einen neuen - der national-sozialistischen Ideologie nahtlos angepaßten - zu ersetzen (61): "Das Entscheidende, das die Gottscheer durch mehr als sechs Jahrhunderte deutsch bleiben ließ, war nun nicht vielleicht eine plötzlich aufgegangene große Liebe zur Heimat, die ja nie eigentlich Heimat war, sondern eben das Bewußtsein, Vorposten zu sein, das Bewußtsein, verantwortlich zu sein für etwas ganz Großes, Einmaliges, für das lebendige Deutschtum auf Erden, für das Reich. ... Es ist eben diese Einstellung, die uns heute wieder beseelen muß. Nicht der Gedanke an eine Heimat, die wir aufgeben müssen, darf in uns hochkommen, sondern bloß das innere Bewußtsein, daß wir als Vorposten des Deutschtums im Südosten unsere Pflicht voll und ganz erfüllt haben." (62) Das war die offen vorgetragene Diktion der "Erneuerer". Sie brauchten nun keine Rücksicht mehr auf die einst von HITLER angeordneten Wohlverhaltensbefehle gegenüber dem jugoslawischen Staat zu nehmen. Wie hier nach der Zwangsjacke der nationalsozialistischen Volkstumsideologie die Heimatliebe der Gottscheer als Vorpostenbewußtsein interpretiert wurde, das mußte manch alten Gottscheer verblüffen. Doch sicherlich fand diese heroische Deutung der Gottscheer Geschichte - vor allem unter der Jugend - viele Anhänger. Solange das "Vorpostenbewußtsein" die - wenn auch relativierte - Heimatliebe nicht direkt ausschloß, brauchte eine unmittelbare Konfrontation von bedingungslos gehorchenden jungen Nationalsozialisten und alten heimattreuen Gottscheern nicht stattzufinden. Doch diese Interpretation der Gottscheer Geschichte hatte ja noch eine andere Seite, die Zukunftsperspektive: "Aus dieser Einstellung heraus erst können wir den Ehrenplatz verstehen, der uns zugewiesen wurde an Deutschlands vorderster Front. Das Land, wohin wir ziehen, ist keine sentimentale Heimat, von der man süßtraurige, verliebte Lieder singen kann. Wir ziehen an des Reiches Grenze. .. . Der wehrhafte Grenzbauer kennt nur eine Heimat, das ist das ganze große Deutsche Reich." (63) Damit hatte sich der Kreis geschlossen: Der Grenzbauer (64) - und jeder wertvolle Gottscheer Bauer hatte sich nach Mannschaftssatzung als künftigen Grenzbauern zu betrachten - kennt nur eine Heimat. Mit sarkastischem Seitenhieb wird die "alte Heimat" beiläufig abgewertet als "sentimentale Heimat, von der man süßtraurige, verliebte Lieder singen kann". Aber von dieser ideologischen Rabulistik und von einem solchen Werturteil über die alte Heimat distanzierte sich offenbar ein ernstzunehmender Teil der Gottscheer Bevölkerung. Er verstand unter Heimat "das Gottscheer Ländchen" und verbarg seine Liebe dazu nicht (65). Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970 www.gottschee.de Inhaltsverzeichnis Anmerkungen : 55 Gottsch. Zeitg., Nr. 29, Jg. 38, 10. 7. 41. 56 ebda. 57 Flugblatt, in Gottschee gefunden, undatiert, wahrscheinlich Juli 1941 (Die gesperrt ge-druckten Wörter im Zitat sind im Original unterstrichen.); im Besitz d. Verfassers. 58 Gottscheer Zeitung, Nr. 25, Jg. 38, 17. 7. 1941. 59 Gottscheer Zeitung, Nr. 29, Jg. 38, 17. 7. 1941. 60 Gottscheer Zeitung, Nr. 22, Jg. 38, 29. 5. 1941: "Großdeutschland nimmt uns heim. ... Und doch wird sich so mancher schwer trennen von der rauhen Scholle, die er trotz aller Not und Pein liebgewonnen hat. Die Einsicht und der Gedanke an die sichere Zukunft und die Gemeinschaft aller Deutschen werden auch diese sentimentale...Treue, besonders der älteren Jahrgänge, zur alten Heimat, überwiegen." 61 Gleichzeitig wurden all die Schwierigkeiten angesprochen und psychologisch hochgespielt, die vielen das Leben der vergangenen Jahre in der Gottschee verleidet hatten. 62 Gottscheer Zeitung, Nr. 25, Jg. 38, 19. 6. 1941 "Die Vorposten werden eingezogen". 63 ebda. 64 ebda. "Gebote des Wehrbauern" (Gedicht). 65 s. u. S. 78 f. www.gottschee.de Inhaltsverzeichnis |