2. Die Opposition von Seiten der "Bürger"

Als zweite ernst zu nehmende Gruppe der "Opposition" erwies sich ein großer Teil der gesellschaftlich führenden Schicht in der Stadt Gottschee.

Die militant ideologische Haltung der jungen Volksgruppenführung führte bereits vor Ausbruch des Krieges zu internen Spannungen zwischen ihr und diesem Kreis. Der Angriff der Volksgruppenführung richtete sich konkret z. B. gegen deren Kinderarmut, die man als bezeichnendes Symptom von Dekadenz geißelte.

"Leider gibt es auch bei uns noch Leute, denen die üblichen Gedankengänge aus einer verflossenen liberalistischen Zeit noch recht geläufig sind, trotzdem sie sich bei den verschiedensten Gelegenheiten ein nationales Mäntelchen umzuhängen verstehen. ,Ich habe schon zwei Kinder und mehr brauche ich nicht' oder ,ein Kind ist für meine Verhältnisse gerade genug . ..' usw. sind die beliebtesten Ausreden. - Wir glauben, daß die Zeit nicht mehr ferne ist, wo auch bei uns die Volksgemeinschaft über Leute von diesem Schlag, die ihren nationalen Pflichten nicht nachkommen wollen, ohne Rücksicht auf ihr sonstiges nationales Getue einfach zur Tagesordnung übergehen wird." (18)

Im wesentlichen handelt es sich auch hier um Vorwürfe, die in Begriffen wie "Spießbürger", "liberal-kapitalistisches Denken", "Taugenichts", "schwaches Volksbewußtsein", "Großmäuler" gipfeln. - Stutzig macht jedoch die Tatsache, daß dieser Ton schon im jugoslawischen Staat angeschlagen wurde (19), obwohl man doch im allgemeinen versuchte, Streitigkeiten innerhalb der Volksgruppe möglichst nicht in der Öffentlichkeit (20) auszutragen.

Die pausenlosen Angriffe auf die Lebensweise und Lebenshaltung der "Bürger" und die aggressive Diktion erzeugten im Kern die Schwierigkeiten, welche nun der Volksgruppenführung durch die Städter erwuchsen.

Als Beispiel dafür stehe der teilweise öffentlich geführte Kampf gegen die Gottscheer Juristen (21), deren prominentester Vertreter dann auch zu einem der Initiatoren der Opposition wurde. Es entspricht ja durchaus simplifizierenden nationalsozialistischen Verhaltensweisen, daß die als abstrakt-denkend und formal-urteilend verspotteten Juristen (22) zum dankbaren Objekt der nationalsozialistischen Propaganda wurden. In der Gottschee trat zu dieser ideologischen Grundhaltung noch der Gegensatz: Städter-Bauer hinzu.

Aus der Sicht der Volksgruppenführung wurden die führenden Städter folgendermaßen skizziert und beurteilt:

"Diese Spießbürger aus der Stadt sind es auch, die überall und jederzeit die Arbeit der Volksgruppenführung unterwühlen, Propaganda gegen die Umsiedlung machen und stets bestrebt sind, ein falsches Bild von unserer Volksgruppe erstehen zu lassen." (23)

Der Konflikt zwischen Volksgruppenführung und dieser Gruppe wird eingestanden: Die "Spießbürger" werden angeprangert, wobei man im Zuge der Umsiedlung auf eine immerhin ansehnliche Zahl bislang führender Familien aus der Stadt gern verzichten will. Es ist daher verständlich, daß sich diese Gruppe, die sich als die kulturelle und gesellschaftliche Elite betrachtete, gegen eine solche Haltung zur Wehr setzte. In einer langen Verteidigungsschrift an die EWZ, in der zunächst eingehend die Verdienste der alten Volksgruppenführung und die durch den Zusammenbruch Jugoslawiens in Gottschee aufgekommenen großen Hoffnungen auf "Anschluß an das Reich" dargelegt wurden, stellte Dr. ARKO fest:

"Als aber der Führer für uns Gottscheer eine andere Mission bestimmt hat und unsere Aussiedlung beschlossen worden ist, herrschte wohl kein Zweifel, daß die überwiegende Mehrheit diesem Rufe folgen wird, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Gottscheer ihre jahrhundertealte Heimat nicht gerne aufgeben. Es wäre daher Aufgabe der Führung gewesen, die Umsiedlung seelisch vorzubereiten, und nicht in einem Tone, der alles andere als herzlich zu nennen war.

Ich habe keiner Volkskundgebung beigewohnt, bei der nicht auf gewisse Kreise in beleidigendem Ton hingezielt worden ist und wo das Wort Konzentrationslager nicht gefallen wäre. Auch die Gottscheer Zeitung (24) schrieb in einem Tone, der die Leute nicht anziehen, sondern nur abstoßen konnte. Es war daher natürlich, daß man gegen ein solches Vorgehen mit kritischen Bemerkungen vorging. Wenn die Gottscheer trotzdem beinahe 100%ig aussiedeln, so ist das gewiß nicht das Verdienst der heutigen Führung, sondern dem gesunden Menschenverstande der Gottscheer zuzuschreiben. Die heutige Führung hat auch die Verdienste der früheren Führung nie wahrhaben wollen, sondern öfters behauptet, daß bis zum Jahre 1933 oder 1938 in Gottschee nichts geleistet worden ist, was aber durch die Tatsachen widerlegt erscheint." (25)

Der ehrliche und erregte Grundton der Schrift läßt aufhorchen: Es wird zwar konstatiert, "daß die überwiegende Mehrheit diesem Rufe [des Führers] folgen wird", es wird aber ebenso unmißverständlich darauf hingewiesen, daß die Gottscheer ihre Heimat nur schweren Herzens aufgeben. Dr. ARKO straft damit das der Gottscheer Bevölkerung publizistisch immer wieder suggerierte "freudigen Herzens dem Rufe des Führers folgen" schlicht Lügen. Der letzte Satz zeigt, wie sehr die Verstimmung über die Wertung der Verdienste der alten Volksgruppenführung seitens der neuen sich verbindet mit der Kritik an der psychologischen Vorbereitung der Umsiedlung durch die junge Volksgruppenführung. Wenn sogar in den Versammlungen das Wort "Konzentrationslager" fiel, dann wird nun unmißverständlich hörbar, mit welch drohender Sprache und mit welch radikaler Entschlossenheit die Volksgruppenführung alle Gegner mundtot zu machen sucht. Daß dagegen in einem offiziösen Schreiben jemand aufzubegehren wagte, zeugte einmal von Zivilcourage, andererseits aber auch von der naiven Gläubigkeit, die man bei den Gottscheern allgemein den Dienststellen des Reiches gegenüber hatte, wobei Dr. ARKO so weit ging, der "heutigen Führung" das Verdienst um die Umsiedlungswilligkeit der Gottscheer sogar abzusprechen. Es war diesem Juristen bis zu jenem Zeitpunkt sicher nicht bewußt, daß im nationalsozialistischen Staat der Unwille über den Befehlston einer wie auch immer übergeordneten Führung nicht ohne Gefahr bis zur offenen Kritik oder gar bis zur Opposition gehen durfte. Es erscheint geradezu als Ironie des Schicksals, daß die junge Volksgruppenführung später eine ähnliche Erfahrung mit den ihr übergeordneten Stellen im Reich machen mußte (26).

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

18
 Artikel: "Das muß jeder wissen", Untertitel "Sieg der Waffen - Sieg des Kindes" in: Gottscheer Zeitg. Nr. 13, Jg. 38 vom 27. 3. 1941.

19
 Ebenso erstaunlich scheint eine Formulierung wie "nationale Pflichten" zu sein; denn das Bekenntnis zum jugoslawischen Staat galt offiziell als unabdingbare Voraussetzung des Wohlverhaltens der jugoslawischen Regierung gegenüber den Volksdeutschen Minderheiten. Dazu s. o. S. 21.

20
 s. o. S. 22.

21
 Gottsch. Zeitg. Nr. 45, Jg. 38 vom 6. 11. 41: "Der Bauer nach beendigtem Prozeß" darin "Gottlob, daß ich ein Bauer bin, und nicht ein Advokat, Der alle Tage seinen Sinn auf Zank und Streiten hat." (M. CLAUDIUS).

22
 HITLER, Tischgespräche, a.a.O. S. 213; "Heute erkläre er [HITLER] deshalb klar und eindeutig, daß für ihn jeder, der Jurist sei, entweder von Natur defekt sein müsse oder aber es mit der Zeit werde."

23
 Bericht LAMPETERS "Die augenblicklichen politischen Verhältnisse . .." vom 20. 10. 41, a.a.O.

24
 Im Leitartikel der Gottsch. Zeitg. Nr. 18, Jg. 38 vom 1. 5. 41 erschien tatsächlich das Wort "Konzentrationslager", gemünzt auf "gewisse Kreise".

25
 Gedächtnisschrift des Dr. ARKO; NAW Roll 306, frame 2434014 ff. keine Datierung (wahrscheinlich Ende November 1941).

26
 s. u. S. 128 f. "Konflikt bei der Ankunft".
 

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