Option und "Schleusung" (1)

Durch den Umsiedlungsvertrag zwischen Deutschland und Italien, der am 1. Oktober 1941 in Kraft getreten war, und durch Himmlers Befehl vom 10. Oktober 41 (1a), das für die Gottscheer vorgesehene Ansiedlungsgebiet von den Slowenen zu räumen und diese ins "Altreich" zu evakuieren, waren die beiden größten Widerstände, die der Umsiedlung bisher noch entgegengestanden hatten, aus dem Wege geräumt. Der endgültige Umsiedlungsbeschluß für die Gottscheer sowie die Aussiedlung der Slowenen wurden gleichzeitig am 20. Oktober 1941 der jeweils betroffenen Bevölkerung bekanntgegeben. Diese Tatsache wie auch der Passus in der von HIMMLER erlassenen Anordnung: "Die Absiedlung der untersteirischen Grenzbevölkerung hat so schnell zu erfolgen, daß die Umsiedlung der Gottscheer von Hof zu Hof sichergestellt ist" (2), lassen wieder einmal den engen Zusammenhang in der Planung zwischen Um- und Aussiedlung deutlich werden.

Für die vorletzte Phase der Umsiedlung, die infolge der sehr kurzen Optionszeit - vom 20. Oktober bis 20. November 1941 - gekennzeichnet ist durch Nervosität und Hektik bei den letzten Umsiedlungsvorbereitungen, sollen die Stellung der Volksgruppenführung zur Umsiedlung, die Optionswilligkeit der Gottscheer und die Beurteilung der Stimmung innerhalb der Volksgruppe durch das Stabshauptamt untersucht werden.


1. Die Aktivität der Volksgruppenführung

In einem von der EWZ - die ihre Arbeit in der Gottschee inzwischen aufgenommen hatte - angeforderten Bericht über "Die augenblicklichen politischen Verhältnisse der Gottscheer Volksgruppe" (3) vom 20. 10. 41 erläutert der Mannschaftsführer die Haltung der Bevölkerung zur Umsiedlung:

"III. Stellung zur Umsiedlung: Die Umsiedlung fällt an und für sich keinem Gottscheer leicht, da eine ausgeprägte Heimatliebe bei den Gottscheern vorhanden ist. Da wir den Gottscheeren die politische Notwendigkeit unserer Heimkehr klargemacht haben, folgt der größte Teil freudigen Herzens dem Rufe des Führers.
Es gibt in der Gottscheer Volksgruppe Einzelne, die gegen die Umsiedlung Propaganda machen, selbst nicht umsiedeln wollen und darum auch gerne andere Volksgenossen zurückhalten möchten. Darunter fallen ein Teil der Volksdeutschen Pfaffen
und einzelne Bürger aus der Stadt (4). Auf dem Lande sind es verhältnismäßig wenige, die mit sich nicht fertig werden können und der Propaganda von Seiten der Genannten zugänglich sind. Den Prozentsatz der Nichtumsiedlungswilligen schätze ich im höchsten Falle auf 5 v. H., von denen [bei] 3% (4a) geradezu erwünscht ist, daß sie nicht umsiedeln, da sie weder für die Volksgruppe noch für das Reich ein Aktivum bedeuten würden. ..."

Die geheime Analyse der politischen Situation in der Volksgruppe offenbart zum erstenmal das Eingeständnis des Mannschaftsführers, daß "eine ausgeprägte Heimatliebe" den Gottscheern die Umsiedlung schwermacht. Erstaunlicherweise wird hier nämlich der Begriff der Heimatliebe im alten, positiven Sinne benutzt, während er in der Propaganda gegenüber der Bevölkerung entweder abgewertet, totgeschwiegen oder gar auf die "neue Heimat" bezogen wurde. Der nächste Satz zeigt dann das Wunschdenken der Volksgruppenführung, das durch das Klischee (5) "freudigen Herzens dem Rufe des Führers folgen" noch besonders deutlich wird.

Dagegen räumt der Mannschaftsführer ein, es mache sich eine gewisse Opposition bemerkbar, bagatellisiert diese Tatsache aber gleich wieder mit dem Hinweis, daß sich die Zahl der "Nichtumsiedlungswilligen" auf höchstens 5 v. H. belaufe, wobei er 3% als unqualifiziert hinsichtlich der Umsiedlung beurteilt und sie damit von sich aus abschreibt.

Etwa eine Woche danach machte der Mannschaftsführer in einer weiteren Aufstellung für die EWZ präzise Angaben in der "Liste der politisch unzuverlässigen Gottscheer" (5a). Dabei handelt es sich um eines der düstersten Kapitel der Umsiedlungsvorbereitungen durch die Volksgruppenführung. Einerseits ist eine Ursache dafür zu sehen in dem Recht zur Selbstauslese, das man den Gottscheern zugebilligt hatte. Andererseits ist diese Personenliste sicherlich zu werten als eine Abrechnung der Volksgruppenführung mit ihren Gegnern und als Folge des Konfliktes, der innerhalb der Volksgruppe über Fragen der Umsiedlung ausgebrochen war. Es ist nur konsequent, wenn dann auch Angehörige der beiden von der Volksgruppenführung als innere Gegner betrachteten Gruppen als politisch Unzuverlässige dastehen.

Besonders die zwischen "alter" und neuer Volksgruppenführung schon lange schwelende Vertrauenskrise hatte die Jungen nun zu diesem - vorläufig zwar vor der Bevölkerung noch geheimgehaltenen - extremen Schritt veranlaßt; denn der Mannschaftsführer mußte wissen, daß seine Beurteilungen in Anbetracht der beginnenden Partisanenkämpfe, der als deutschfeindlich erachteten italienischen Volkstumspolitik und der Gesamtumsiedlung der Gottscheer Volksgruppe schwere Konsequen
zen für die Betroffenen, die er ja in der alten Heimat zurücklassen wollte, nach sich ziehen würden. Er glaubte wahrscheinlich, so handeln zu können, weil nach dem Zusammenbruch des jugoslawischen Staates der gemeinsame Gegner nicht mehr existierte und weil durch die Umsiedlung seine Führungsrolle gesichert erschien - er war ja als zukünftiger Volksgruppenführer der Gottscheer im Ansiedlungsgebiet bereits vorgesehen. Er meinte, so vorgehen zu müssen, weil er das Recht auf eine Selbstauslese geradezu als Pflicht zur Selbstauslese verstand.

Ein kurzer Überblick über den bei der Anfertigung der "Liste der politisch unzuverlässigen Gottscheer" verwendeten Wortschatz wirft auf diese Einstellung einige erhellende Schlaglichter. Feste Begriffe und stehende Wendungen aus der Nomenklatur vulgärer nationalsozialistischer Sprachgebung tauchen immer wieder auf: "Spießbürger", "Meckerer", "Großmäuler", "Taugenichts", "Drückeberger" "Intrigant" weiter "feige", "hinterlistig", "unfähig"; als politische Kategorien: "politisch nationalliberal", "politisch nicht einwandfrei", "liberal-kapitalistisches Denken", "schwaches Volksbewußtsein", "hat Slowenin zur Frau", "hat keine Kinder".

Es zeigt sich sehr deutlich, daß es sich hier im wesentlichen nicht um eine Beurteilung spezifisch politischer Verhaltensweisen handelt, sondern um einseitige, bösartige, emotional gefärbte Abwertungen, in denen der Mannschaftsführer vor diskriminierenden Wertungen nicht zurückscheut. Die Stoßrichtung der Lampeterschen Beurteilungen ist klar: die solcherweise Charakterisierten werden als Objekte betrachtet, die den Anforderungen nationalsozialistischer Moral nicht genügen und die daher aus der Volksgemeinschaft auszustoßen sind. Wer also als "politisch unzuverlässig" eingestuft wurde, hatte nach dem Wunsch der Volksgruppenführung sein Recht auf Leben in der Volksgruppe verloren.

Daß durch dieses Verdikt die Pfarrer (6) und 25 angesehene Bürger der Stadt Gottschee betroffen wurden, stempelte diese beiden Gruppen aus der Sicht der Volksgruppenführung als Opposition ab, die nach bewährter nationalsozialistischer Sprachregelung als "Volksschädlinge" zu klassifizieren und danach zu behandeln waren.

Nicht übersehen werden darf in diesem Zusammenhang, daß der Mannschaftsführer eine solche Haltung einnahm, obwohl er selbst eingestand: ". . . von der national-sozialistischen Weltanschauung so durchdrungen, daß sie keine Kirche mehr braucht und sobald sich die Möglichkeit ergibt, aus der Kirche austritt, dürften meiner Meinung nach höchstens 2-5% sein." (7)

Hier beanspruchten also junge Volksdeutsche Nationalsozialisten das Recht für sich, als kleine Elite - 2-5% - den restlichen Teil der Bevölkerung - 95-98% - ohne Legitimation durch diese zu kontrollieren, zu manipulieren und je nach ihren Vorstellungen zu selektieren, wobei man sogar wünschte, 3% der Bevölkerung in der Gottschee zurückzulassen, und sich darüber hinaus anmaßte, weitere 139 Familien von der Ansiedlung im vorgesehenen Ansiedlungsgebiet auszuschließen (8).

Diese Planungen blieben der Volksgruppe selbstverständlich verborgen. Ihr gegenüber bemühte sich die Volksgruppenführung, Vertrauen zu erwecken, Zuversicht auszustrahlen und alle Bedenken gegen die Umsiedlung zu zerstreuen. Die mit dem 20. Oktober einsetzende Option und die "Schleusung" wurden als "Letzte Bewährungsprobe" (9) der Gottscheer wirkungsvoll propagiert. Zu Beginn sollte in einer letzten großen Kundgebung noch einmal die Geschlossenheit der Volksgruppe gegenüber allen Zweiflern, aber auch gegenüber den Reichsdiensstellen demonstriert werden. Am 19. 10. 41 waren 900 "Sturmmänner" sowie 1010 Jungen und Mädel zum "letzten Appell" vor der Volksgruppenführung und vor dem in Gottschee weilenden DUB Dr. Wollert angetreten. Ein für diese kleine Volksgruppe imposantes Schauspiel rollte ab, als "Traditionswimpel" an die Jugendgruppen verliehen wurden und die 1900 Uniformierten durch das Städtchen marschierten.

Der Bericht über dieses Ereignis in der "Gottscheer Zeitung" zeigt bereits im ersten Satz den Hauptzweck dieser Veranstaltung:

"Alle Zweifel der kleinen Geister, alles Gerüchtemachen der Dummen und Böswilligen ging am vergangenen Sonntag im Marschtritt unserer Formationen unter." (10)
Darüber hinaus versucht der Mannschaftsführer, der Opposition den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er einmal unter Berufung auf den allmächtigen Reichsführer-SS Zusicherungen wirtschaftlicher Art macht (11), zum andern das Gewissen der Gottscheer mit dem Hinweis darauf zu beruhigen sucht, daß die für die Gottscheer Ansiedlung auszusiedelnden Slowenen für ihr gesamtes Vermögen genau entschädigt werden wie die Gottscheer. - In dieser Argumentation der Volksgruppenführung dringen bereits neben der Sorge über den Verlust der Heimat zwei andere Motive der Gottscheer, welche die Volksgruppenführung zu zerstreuen suchte, durch: die Furcht vor dem Verlust der wirtschaftlichen Existenzgrundlage und die Scheu davor, anderen Menschen die Heimat nehmen zu können.

Psychologische "Beruhigungspillen" (12) - verpackt in politischer Rabulistik und publizistisch geschickt dargeboten - sollten die als "Humanitäts- und Gefühlsduselei" abgewerteten Bedenken übertönen.

Ebenso charakteristisch für diese Propagandamethode in der Gottscheer Zeitung ist besonders im Oktober die Behandlung des Themas "Heimkehr", dessen Problematik in immer wiederkehrender Variation - 2. Oktober 1941: "Heimkehr, nicht Auswanderung" - 23. Oktober 1941: "Unsere Heimkehr" - 30. Oktober 1941: "Unsere Heimkehr ist nah" - den Gottscheern dadurch verschleiert werden sollte, daß die Umsiedlung als Rückkehr in die rechte Heimat dargestellt wurde, um das eigene Volkstum überhaupt noch bewahren zu können.

Mit dieser Art des Vorgehens konnte aber die Volksgruppenführung die Vorbehalte der Opposition offenbar nicht ausräumen, zumal diese sich durch das Auftreten Dr.
ELLMERS gestärkt fühlen konnte, der nach seinen Untersuchungen die Lage in der Volksgruppe, wie Dr. ARKO sie sah, weitgehend in seine Darstellung übernahm; denn Dr. ELLMER - quasi als inoffizieller Beobachter und Vermittler des RKFDV - kam bei seinen Recherchen zu dem Ergebnis, "daß die augenblickliche Volksgruppenführung - mit Ausnahme des Ingenieurs SCHOBER [dessen Funktion aber nur dekorativer Art war] - zu jung sei, und die Leute falsch behandle. Sie ginge zu scharf und straff vor und nehme zu wenig Rücksicht auf die Psychologie der Bergbauern. Es sei zu befürchten, daß hierdurch manche von der Umsiedlung abgehalten würden" (13).

Damit war die Situation eingetreten, welche die Volksgruppenführung mit allen Mitteln zu verhindern gesucht hatte. Es war dem Kreis um Dr. ARKO gelungen, einen nach Ansicht des Mannschaftsführers "bewußt falschen Bericht über die Volksgruppe" (14) zu vermitteln, dem sich nun in den Grundzügen Dr. ELLMER angeschlossen hatte. Wenn das Stabshauptamt dieser Darstellung Seriosität zuerkannte, dann mußte das allein schon die Führungsqualitäten der jungen Volksgruppenführung aus der Sicht des RKFDV zweifellos herabsetzen.

Jedenfalls hatte man in Berlin nun seine Schlüsse daraus zu ziehen.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

1
 Rassebiologische und volkspolitische Untersuchung sowie Einbürgerung der Gottscheer.

1a
 Anordnung 53/I vom 18. 10. 1941; NAW Roll 279, frame 2400650 ff.

2
 Dabei setzte sich die SS über die Interessen des Gauleiters hinweg; "Der Gauleiter UIBERREITHER hat noch Bedenken." Schreiben Dr. STIERS vom 11. Oktober 1941 an Reichsführer-SS; Handakte Dr. Stier.

3
 Abschrift; NAW Roll 306, frame 2433989 ff.

4
 Brief LAMPETERS vom 22. 9. 1941 an alle Sturmführer, verlesen auf einem "außerordentlichen Diensttag" Ende September 1941; BA Slg. Schumacher 343; "Feindliche Propaganda versucht Verwirrung in unsere Reihen zu tragen. Diese Feinde sind die Kommunisten und die Pfaffen, auch jene verbonzten Spießbürger .. . Unsere Aufgabe ist es, den inneren Feind zu bekämpfen."

4a
 Der Prozentsatz ist auf die Gesamtzahl zu beziehen.

5
 Diese stereotype Wendung wirft die Frage auf, ob die Volksgruppenführung durch die ständige Propaganda einer Autosuggestion erlegen war, indem sie wirklich glaubte, die Gottscheer würden "freudigen Herzens" umsiedeln, oder ob der Mannschaftsführer die Floskel bewußt als wirksames Mittel der Propaganda betrachtete, weil er HITLERS Lektionen gut gelernt hatte. Dazu: A. HITLER Mein Kampf, München 1939, S. 198.

5a
 "Liste der politisch unzuverlässigen Gottscheer"; NAW Roll 306, frame 2434025 ff.

6
 Die Pfarrer bekamen mit zwei Ausnahmen das Pauschalurteil "national-klerikale, wodurch die positive Bedeutung: "national" durch die Bindung an "klerikal" im Lichte national-sozialistischer Moral logischerweise entwertet wurde. Die zwei Ausnahmen: Pfarrer J. KRAKER wird als "deutschfeindlich-klerikal" bezeichnet - damit eindeutig abgelehnt; von einem anderen Pfarrer, H. WITTINE, nimmt LAMPETER an: "wird voraussichtlich seinen Beruf lassen". Dazu s. u. S. 111: Haltung der EWZ. zu Gottscheer Pfarrern.

7
 Notiz für die EWZ. von LAMPETER vom 28. 10. 41; NAW Roll 306, frame 2433842.

8
 Schreiben LAMPETERS vom 2. 11. 41 an UIBERREITHER; im Besitz d. Verf.

9
 Überschrift des Leitartikels in der Gottscheer Zeitung Nr. 45, Jg. 38 vom 6. 11. 41.

10
 "Der letzte Appell", Gottscheer Zeitung Nr. 43, Jg. 38, vom 23. 10. 41.

11
 In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß LAMPETER am 2. 11. 41 in einem Schreiben an den Gauleiter seine Sorge über die nach seiner Ansicht nicht ausreichende landwirtschaftliche Nutzfläche im künftigen Ansiedlungsgebiet der Gottscheer zum Ausdruck brachte. Im Besitz des Verf.; s. auch u. S. 100 f.

12
 s. o. S. 81: die Haltung des Pfarrers A. KRISCH zur Umsiedlung, der von der Propaganda als "Beruhigungspille" spricht.

13
 Bericht vom 6. 11. 1941 (ohne Zeichnung, wahrscheinlich von Dr. Gradmann); NAW Roll 306, frame 2433944 ff.

14
a)"Liste der politisch unzuverlässigen Gottscheer", ohne Datum; NAW Roll 306, frame 2434025 ff. b) Bericht über "Die augenblicklichen politischen Verhältnisse .. ." a.a.O.

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