Planungen für die Ansiedlung der Gottscheer


1. Planungen der Gottscheer Volksgruppenführung

Die Volksgruppenführung stellte nach dem Schock des Umsiedlungsbefehls im April 1941, den sie als "eherne Notwendigkeit" akzeptierte, Überlegungen an, wie die neue Situation am günstigsten im Sinne einer "Erneuerung" der Volksgruppe zu nutzen sei. Die Mitte Mai 1941 in Berlin mit dem Stabshauptamt geführten Besprechungen lassen die Umrisse der Gottscheer Planungen in den dabei aufgestellten Prinzipien deutlich werden:

1. Die geschlossene Ansiedlung der Volksgruppe;
2. Das Recht der Volksgruppenführung auf Auslese der Gottscheer (1).

Während der erste Grundsatz bereits von HITLER während des Marburger Empfanges ausdrücklich bestätigt worden war, wurde der zweite Mitte Mai vom Stabshauptamt stillschweigend gebilligt. Von diesem Zeitpunkt an waren sie für die Volksgruppenführung ein Dogma.

Als selbstverständlich galt die "geschlossene" Ansiedlung. Die 600jährige Geschichte und der erbitterte Nationalitätenkampf der vergangenen 20 Jahre hatten bei den Gottscheern ein Zusammengehörigkeitsgefühl entstehen lassen, das sich als das stärkste Band während der verschiedenen Krisensituationen erwiesen hatte. Im Verlaufe der Ansiedlungsvorbereitungen im Ranner Dreieck mußte sich aber für die Volksgruppenführung bereits im Anfangsstadium der Planungen die Frage erheben, wie sich dieser Leitsatz angesicht der völlig verschiedenen landschaftlichen Struktur von "alter" und "neuer" Heimat realisieren ließe; zumindest mußte es fraglich sein, ob die alten Dorfgemeinschaften bestehen bleiben und ob die Dörfer die gleichen Nachbarschaften behalten konnten. Diese Probleme, wie schwer sie auch auf den Gottscheern lasteten, wurden jedoch in der Turbulenz der Umsiedlungsvorbereitungen kaum erörtert, zumal die Volksgruppenführung von sich aus jede Diskussion darüber vermied, um die Option nicht zu gefährden; denn für die Umsiedlungspropaganda war das Schlagwort "geschlossene Ansiedlung" eine zugkräftige Parole.

Gefährlicher - für die Volksgruppe - und schwieriger - gegenüber den reichsdeutschen Dienststellen - war der Versuch einer Durchsetzung des zweiten Prinzips.

Bei der Bekämpfung der als "politisch unzuverlässig" gestempelten ehemaligen Gottscheer Führungsschicht hatten die jungen Nationalsozialisten eine Schlappe einstecken müssen, weil das Stabshauptamt den radikalen Forderungen die Spitze nahm (2).

Die Volksgruppenführung hatte präzise Vorstellungen, wie sie das rassische Auslesekriterium auf die "Mischehen", in denen ein Partner slowenischer Herkunft war, anwenden wollte. Aus jeder Gemeinde hatte sie der EWZ lange Listen dieser Ehen übergeben (2a). Doch rang sich die Volksgruppenführung unter dem Druck des Stabshauptamtes in dieser Frage offensichtlich zu einer gemäßigteren Auffassung als im Mai (3)
durch; denn damals hatte sie kategorisch alle "Mischehen" von der geschlossenen Ansiedlung ausnehmen wollen. - Da während des Volkstumskampfes vor dem Zusammenbruch des jugoslawischen Staates Familien, in denen Vater und Mutter verschiedener Volkstumszugehörigkeit waren, entweder auf Volksdeutscher oder auf slowenischer Seite gestanden hatten, war man nun geneigt, die deutschgesinnten Familien vom Makel der Unzuverlässigkeit zu befreien.

Als drittes Ausleseprinzip hatte die Kennzeichnung "bauernfähig und bauernwürdig" gegolten. Auch hierzu hatte die Volksgruppenführung bereits im Mai eine Forderung angemeldet, indem sie das Stabshauptamt bat, "untüchtige Keuschler" von der geschlossen Ansiedlung auszuschließen (4). Im Laufe des Sommers und Herbstes 1941 hatte sich die Volksgruppenführung außerdem noch entschlossen, etwa ein Drittel der selbständigen Gottscheer Bauern "abzumeiern", d. h. ihnen die Bauernfähigkeit abzuerkennen (5), was bedeutete, daß sie in der neuen Heimat keinen eigenen Bauernhof mehr bewirtschaften durften. Als positives Gegenstück zur "Abmeierung" waren die sogenannten "Förderungsfälle" vorgesehen. Dabei handelte es sich um junge Gottscheer, "die ohne Landanspruch es trotzdem verdienen, auf eigene Hofstellen angesiedelt zu werden" (6). Auch diesen Gedanken hatte die Volksgruppenführung schon im Mai 1941 ventiliert, als die Möglichkeit angedeutet worden war, einige tüchtige Keuschler zu "Vollbauern" zu machen.

Bei der Auswahl zum "Wehrbauern" an der Grenze - unter diesem Aspekt sollten die Gottscheer Bauern ihre künftige Arbeit sehen - hatte die junge Volksgruppenführung also ebenso wie bei der Beurteilung der "politisch unzuverlässigen Gottscheer" und der "Mischehen" kompromißlose Härte zur Basis aller Planungen gemacht (7). Angesichts der Kontinuität der rassischen und fachlichen Auslesekriterien seit Mai 1941 drängt sich die Vermutung auf, daß die Volksgruppenführung die Grundlagen ihrer Planungen schon lange vorher gelegt haben muß.

Zu den Forderungen der Volksgruppe nach einer "geschlossenen Ansiedlung" und der "Selbstauslese" kam nach dem 15. September als dritte die nach genügend Raum hinzu.

Bereits Anfang Oktober 1941 übermittelte der DUB Dr. WOLLERT in einem Fernschreiben an den Leiter des Stabshauptamtes die Sorgen der Volksgruppenführung.

"Nach den Feststellungen des hiesigen Bodenamtes reiche der in Aussicht genommene Raum nicht aus, um sämtliche Gottscheer Bauern mit genügend Ackernahrung zu versehen. Vielmehr würden nach der jetzigen Planung über 800 Zwergbauernbetriebe von nicht mehr als 7 ha Fläche zu bilden sein, so daß damit alle Gefahren eines unbefriedeten Bauerntums auftauchten." (8)

Das Bodenamt - eine Gaubehörde -, das wegen der erst Mitte Oktober 1941 geklärten Slowenenaussiedlung seine Erhebungen bis dahin nur unzulänglich betrieben hatte, konnte der Volksgruppenführung nur vage Auskünfte geben. Aufgrund der allgemeinen Animosität der Gaubehörden gegenüber den Gottscheern versuchte der Leiter des Bodenamtes auch gar nicht, LAMPETER zu beruhigen. Dieser wußte, daß der Gottscheer "Bodenanspruch" - das heißt, die "Gesamtfläche, die sich bisher im Aussiedlungsgebiet in deutschen Händen befand" (9) - weit über dem Bodenbedarf lag, den er im Ansiedlungsgebiet forderte. Um so stärker fühlte er sich berechtigt, seine Bedenken dem Gauleiter selbst vorzutragen, als sich auch Anfang November an dieser Sachlage noch nichts geändert hatte.

"Ich bin der Auffassung, daß die Ansiedlung der Gottscheer Bauern an der Grenze so gemacht werden muß, daß sie Jahrhunderten standhält. Dies ist nur gewährleistet bei genügender Hofgröße. Meiner Überzeugung nach muß der durchschnittliche gesunde Bauernhof in diesem Gebiete 20 ha groß sein, ... Nach beendigtem Kriege wird zweifellos die Intensität in der Landwirtschaft zurückgehen, bedingt durch die ungeheure Landgewinnung im Osten. Zwangsläufig wird dann erst ein größerer Hof als bisher Ackernahrung dem deutschen Bauern sein.

Herr Gauleiter! Werden jetzt den Gottscheer Bauern zu kleine Höfe zugewiesen, so haben wir in 5 oder 10 Jahren bereits Flickarbeiten. Auch die Landflucht würde einsetzen, wie überall, wo enge bäuerliche Verhältnisse vorliegen. Dies kann weder im Interesse der Gottscheer Volksgruppe, noch in Ihrem und des Deutschen Reiches liegen." (10)

LAMPETER schreibt in apodiktischer Schärfe, die den Gauleiter schockieren muß. Er erklärt fast unumwunden, daß die den Gottscheern in den Anordnungen des Stabshauptamtes vom Juli 1941 zugesicherte "gesunde Lebensgrundlage" voraussichtlich nicht gesichert sei, wenn nicht das Ansiedlungsgebiet erweitert werde. Auch sein Anspruch, als agrarpolitischer Experte die Zukunft der deutschen Landwirtschaft richtig einzuschätzen, mußte dem Gauleiter in diesen Formulierungen zumindest unangenehm auffallen. Wie konnte es dieser "junge Volksdeutsche" wagen, die Arbeit bewährter Männer der Steiermark indirekt zu kritisieren (11)! Die Reihenfolge im letzten Satz dürfte sicherlich auch nicht im "Interesse" des Gauleiters gelegen haben. Es ist offensichtlich, daß die in dieser Form vorgebrachte Forderung LAMPETERS nach genügend "Ackernahrung" die Beziehungen zwischen ihm und dem Gauleiter erheblich belastete.

Auf organisatorischem Gebiete versuchte die Volksgruppenführung zunächst, ihre besonders während der Umsiedlungsvorbereitungen verhältnismäßig gut geschulte "Mannschaft" - lediglich mit der Unterstellung unter den Gauleiter - mit in das neue Ansiedlungsgebiet hinüberzunehmen. Als Begründung diente ihr die bisher geleistete erfolgreiche Volkstumsarbeit in der Gottschee (12) und die große Aufgabe an der
künftigen Grenze des Reiches, der sie am besten mit Hilfe ihrer eigenen Organisation gerecht zu werden hoffte (13).

Diesem Vorhaben stimmte die Gauleitung jedoch nicht zu. Sie wollte die Gottscheer in den für die "Rückvolkung der Untersteirer" geschaffenen "Steirischen Heimatbund" hineinführen. Diese Absicht mußte aber schon deswegen zu einem Grundsatzkonflikt führen, weil die Gottscheer eine Volksgruppe mit großem Selbstbewußtsein und ausgeprägtem Stolz auf die eigene Geschichte waren, gerade in Anbetracht der Leistungen im Volkstumskampf der letzten 20 Jahre gegen die Slowenen. Die Deutung der Slowenen als "heimattreuer Untersteirer" in der "neuen Heimat" wurde daher von den Gottscheern skeptisch aufgenommen, deshalb weigerte sich LAMPETER anfangs auch spontan, durch eine Aufnahme in den "Steirischen Heimatbund" die Gottscheer - zumindest prinzipiell - auf eine Stufe mit den Slowenen stellen zu lassen (14).

Die Gauleitung fand sich dann aber zu einer Konzession bereit: sie bot Lampeter die Stellung eines Kreisführers des "Steirischen Heimatbundes" (15) in Rann an - in diesem Kreis sollte die Hauptmasse der Gottscheer angesiedelt werden. Damit hätten personalpolitisch für die Volksgruppenführung relativ große Einwirkungsmöglichkeiten bestanden, die LAMPETER auch zu nutzen gedachte (16).

Die psychologische Behandlung der Gottscheer Volksgruppenführung von seiten der Gaubehörden war insgesamt gesehen ungeschickt. Dies führte bereits im Oktober / November zu Spannungen, zumal bei der Volksgruppenführung berechtigterweise der Eindruck entstand, daß sich die Dienststellen des Gaues auf die Ansiedlung der Gottscheer sachlich nicht adäquat vorbereitet hatten und diese am liebsten gar nicht sähen (17). Andererseits darf nicht übersehen werden, daß die forsche, fast anmaßende Art LAMPETERS und die daraus resultierenden Umgangsformen kein günstiges Klima für die Pläne der Volksgruppenführung erzeugte, die ja nur mit Billigung und Unterstützung des Gauleiters durchzuführen waren.

Im Gegensatz zu den Gaubehörden hatte der junge Leiter der Planungsabteilung
im "Ansiedlungsstab Südmark", A. DOLEZALEK (18), ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu der Volksgruppenführung hergestellt. Er anerkannte die Leistungen der jungen Nationalsozialisten bei den Umsiedlungs- und Ansiedlungsvorbereitungen (19) und war auch bereit, den Vorstellungen der Gottscheer entgegenzukommen. In seinem Arbeitsbericht vom 23. Oktober 1941 stellte er klar heraus: "Hierbei wird sehr weitgehend den Wünschen der Gottscheer Volksgruppe, die bereits von sich aus Vorschläge gemacht hat, Rechnung getragen werden." (20)

Die Konzeption des "Generalsiedlungsplanes" der Planungsabteilung mußte erweisen, ob die Gottscheer Volksgruppenführung in Dolezalek einen wohlgesinnten Planer finden würde.

Die Umsiedlung der Gottscheer Deutschen, Hans Hermann Frensing, 1970

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Anmerkungen :

1  
s.o. S. 64.

2
 s. o. S. 93 f.

2a
 s. u. S. 110.

3
 s.o. S. 64.

4
 Diese Gottscheer befanden sich unter den 139 Familien, die nicht im geschlossenen Ansiedlungsgebiet geduldet werden sollten. Schreiben LAMPETERS vom 2. 11. 41 an UIBERREITHER; im Besitz des Verf.

5
 Der Leiter der Planungsabteilung des "Ansiedlungsstabes Südmark" weist am 6. 11. 1941 hin auf die von der Volksgruppe selbst vorgenommenen "Abmeierungen" von 577 Familien. Diese Abmeierungen gingen ein in die Planungen zum "Generalsiedlungsplan"; Vermerk DOLEZALEKS vom 6. 11. 1941; im Besitz des Verf.

6
 Anlage zu dem Generalsiedlungsplan der Grenzsiedlungszone der Untersteiermark, Posen, den 11. Januar 1942, gez. DOLEZALEK, S. 20; NAW Roll 306 frame 2434152.

7
 Schreiben LAMPETERS vom 2. 11. 41 an UIBERREITHER, a.a.O.: "Von den 2665 Familien auf dem Lande haben wir selbst nur 1201 als bauernfähig und bauernwürdig bezeichnet."

8
 Blitz-FS Dr. WOLLERTS vom 4. 10. 41 an GREIFELT; im Besitz d. Verf.

9
 Vermerk DOLEZALEKS vom 6. 11. 1941; im Besitz d. Verf.

10
 Schreiben LAMPETERS vom 2. 11. 41 an UIBERREITHER, a.a.O.

11
 S. dazu die ironisierende Äußerung des Dr. SCHERZ vom "Landhunger der Gottscheer" in "Stabsbesprechungen" vom 5. 1. 42; im Besitz d. Verf.

12
 S. dazu: Gottscheer Zeitung Nr. 50, 38. Jg., vom 3. 12. 41 (letzte Nummer in der Gottschee).

13
 In diesem Zusammenhang erscheint es interessant, wie konkret LAMPETER die Planung für das Ideal des "Wehrbauern" noch während der Umsiedlungsvorbereitungen auffaßte: "Es ist unser Wunsch, daß wir in der neuen Heimat als Wehrbauern angesetzt werden, die sofort den Selbstschutz der Grenze übernehmen. Ich will die Gottscheer Mannschaft zahlenmäßig einschränken und werde Ihnen demnächst eine Liste geben mit den Namen der gesunden jüngeren Kameraden, die nach einer kurzen Waffenausbildung sofort den Schutz der Volksgruppe in der neuen Heimat übernehmen können. Wir müssen damit rechnen, daß zumindest in den ersten Monaten immer wieder Gruppen von ausgesiedelten Slowenen zurückkehren werden und, wenn sie größere Überfälle schon nicht durchführen, einzelne Gehöfte in Brand stecken werden."
Schreiben LAMPETERS vom 2. 10. 1941 an LAFORCE; im Besitz d. Verf.


14
 vgl. Protokoll über die Verhandlung am 16. 1. 1942 ..., Marburg, 16. 1. 1942, S. 16; im Besitz d. Verf; - Der "Steirische Heimatbund" umfaßte allerdings auch die Volksdeutschen aus der Untersteiermark. Im Unterschied zu den "heimattreuen" Slowenen, die grüne Mitgliedskarten bekamen, besaßen die Volksdeutschen aus der Untersteiermark jedoch rote Mitgliedskarten.

15
 Die Stellung des Kreisführers im "Steirischen Heimatbund" entsprach in etwa der Position des Kreisleiters der NSDAP im Reich. Gedächtnisschrift von LAMPETER vom 9. 2. 1942, BA NS 21/160.

16
 Bericht über die "Ansiedlung Gottschee im Siedlungsbereich des Kreissiedlungsstabes Rann" vom Leiter des Kreissiedlungsstabes Rann, STIGER, 31. 12. 1941; im Besitz d. Verf.

17
 s. o. S. 55.

18
 Im Winter 1939/40 Leiter der Wissenschaftsabteilung beim VDA. Dazu ROBERT L. KOEHL a.a.O. S. 70: "Three hundred students of regional planning were banded together under the auspices of the Student section of the League for Germans Abroad (VDA) . . ."

19
 Vermerk über die "Zusammenarbeit der Abteilungen bei der Ansiedlung der Gottscheer", Marburg, 24. September 1941 (ohne Verfasser); im Besitz d. Verf.: "Die Gottscheer Volksgruppe hat mit 4 Fragebogen bereits Erhebungen vorgenommen. In Fragebogen 1 und 2 sind Angaben über Art und Ausmaß der bäuerlichen Betriebe, in Fragebogen 3 über die Person des Umsiedlers und in Fragebogen 4 über die nichtbäuerlichen Betriebe enthalten."

20
 Arbeitsbericht der Planungsabteilung des Ansiedlungsstabes Südmark von A. DOLEZALEK, 23. 10. 1941; im Besitz d. Verf.

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