Der Hausierhandel, von Dr. Hugo Grothe, 1931


Eine gewichtige Rolle im Erwerbsleben der Gottscheer spielt der Hausierhandel. Wir sahen bereits, daß die Bauernwirtschaften im Gottscheerland in ihrem Ausmaße zumeist klein und der erzielte Ertrag dürftig ist. So liegen triftige Gründe für die Bevölkerung vor, anderweitigen Verdienst zu suchen. Die Entstehung des Hausierhandels geht zeitlich weit zurück.

Kaiser Friedrich IV. verlieh den Gottscheern für die deutschen Reichslande im Jahre 1492 ausdrücklich das Privileg des Hausierhandels, das durch spätere Kaiser erneuert und erweitert wurde. Es geschah dies, um den Gottscheern die Möglichkeit zu bieten, ihrer durch die Verwüstungen der ersten Türkeneinfälle geschwächten wirtschaftlichen Kraft aufzuhelfen und ihnen für den ausgefallenen Ertrag der Felder einen geeigneten Ersatz zu bieten. "In Ansehen des erlittenen Türkenruins" heißt es in der Urkunde. War damals schon die Neigung zum Verschleiß erzeugter Waren in den Städten des östlichen Adriagestades bei den Bewohnern von Gottschee vorhanden und ein Hausieren bereits in
Übung? Darüber wissen wir nichts. Jedenfalls scheinen die Gottscheer schnell und gern die ihnen gebotene Gelegenheit ergriffen zu haben.



Hausierer


Schon zu Ende des 16. Jahrhunderts finden wir Gottscheer im westlichen Ungarn, wie aus einem Verhörbuch der Stadt Preßburg von 1597-1601 hervorgeht. Und im 17. Jahrhundert wird berichtet, daß Gottscheer Händler durch die Alpenländer und die Landschaften der kroatischen und ungarischen Tiefebene von Sau und Donau "auf Saumrossen" daherzogen und die Erzeugnisse ihrer Heimat, vor allem kunstvoll angefertigte Holzgeräte für den Hausbedarf sowie schön gesponnene Leinewand feilboten.

Hacquet erzählt, auf den Feldzügen in der Moldau und Walachei, in denen er als Regimentsarzt teilnahm, Gottscheer angetroffen zu haben. Das kaiserliche Privileg hatte ihnen hinreichend weiten Spielraum gegeben, indem es besagte, daß die Gottscheer "auf das Croatische und anderweitig hin handeln" dürfen.

Die ursprüngliche Hausierware bestand laut dem Privileg Kaiser Friedrichs IV. von 1495 aus "Vieh, Leinwand und anderem so sie erarbeiten" (womit wohl Holzartikel gemeint sind). Diese Freiheit fand verschiedentlich Bestätigung und Erneuerung, wie aus dem Archivrepertorium des Bestandes des früher in Laibach befindlichen Auerspergschen Zentralarchivs hervorgeht, so durch Erzherzog Karl von Österreich am 16. Juni 1571 wie durch Erzherzog Ferdinand am 12. Februar 1596.

Das Gottscheer Urbar von 1574 verzeichnet unter den Abgaben, die der Herrschaft zu leisten waren, des öfteren bestimmte Erträge der Flachsernte. Der Flachs war also ehedem stark angebaut und die Verarbeitung zu Leinwand eine rege häusliche Beschäftigung. Einzelne Grossisten kauften die Leinwand in den Dörfern zusammen und verfrachteten sie nach dem Auslande, vor allem von Triest und Fiume aus. Hier lernten die dort ansässig gewordenen Gottscheer Firmen auch den Handel mit Südfrüchten kennen, die sie anfänglich als Rückfracht nach Krain brachten. Bald sollten die Südfrüchte allgemeines Hausiergut für die Gottscheer werden.

Ein neuer Zweig des Hausierhandels wird den Gottscheern auf amtlichem Wege zu Ende des 18. Jahrhunderts eröffnet. Dies, weil der Verschleiß von Leinwand und Holzgefäßen wenig lohnend geworden war. Die Leinwandspinnerei hatte sich in den
verschiedensten Gegenden verbreitet, die Artikel der Holzindustrie bildeten für weitere Reisen eine Ware von zu geringem Wert und zu großer Belastung. Den Gottscheern wird also das Hausieren mit "Öl, Pomeranzen, Limonen, Feigen u. a."auch "außerhalb der Städte und Märkte" gemäß Patent vom 4. November 1774 durch Kaiser Joseph II. gestattet.

Die Gottscheer Hausierer betätigten ihren Erwerb in der Zeit, da die landwirtschaftlichen Arbeiten den bäuerlichen Kleingrundbesitzer nicht in Anspruch nahmen. Das sind die Monate Oktober bis März oder April. Seit Jahrhunderten brachen daher ältere männliche Familienmitglieder im Herbst unter Zurücklassung von Weib und Kind zur Wanderung durch Stadt und Land auf, um als Hausierer ihr Glück in der Fremde zu versuchen. Und sie blieben der Heimat fern bis zum Frühjahr, wo die ersten Aussaaten zu leisten waren, jubelnd begrüßt von Frauen und Kindern, die ihnen entgegenmarschierten, als die erste Kunde umlief, "die Hausierer kehren heim".

Vielen gelang es von Zeit zu Zeit, kleine Geldbeträge der meist in Armut zurückgebliebenen Familien zu senden und im Frühjahr noch mit einem ansehnlichen Spargroschen zurückzukehren. In der österreichisch-ungarischen Monarchie und in Obenbayern waren diese wandernden Händler als "Kraner" (Krainer) wohlbekannt. Im Magyarischen und Serbischen bezeichnet man als "Gottschewer" einen Hausierer schlechthin. Die Gottscheer Händler wanderten aber mit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht mehr hochbepackt durch die Dörfer. Sie zogen vor, einen Korb an Bändern über den Schultern vor sich zu tragen, in denen sie billige Südfrüchte und Zuckerwaren feilboten, und suchten sich Gaststätten und Kaffeehäuser zu Verkaufsorten aus.

Als geschickte Geschäftsleute - unstreitig steckt im Gottscheer ein Stück zähen kaufmännischen Geistes - suchten junge Hausierer den Absatz ihrer Artikel durch allerhand kleine Kunstgriffe zu fördern. So gingen sie daran, ihre Waren "auszuspielen", indem sie das Ziehen von Nummern aus einem bereitgehaltenen Beutelchen gegen "gerade" oder "ungerade", auch gegen die Erzielung von mehr oder weniger als 100 Punkten bei fünf Nummern anregten. Gewann der Spielende, fiel dem Hausierer immer noch ein mäßiger Verdienst anheim. Denn die verspielte Ware hatte nicht den Wert der 5
oder 10 Kreuzer, die den Spieleinsatz bildeten. Die ausgebotenen Früchte und Süßigkeiten wußten die Gottscheer Hausierer wohlfeil einzukaufen, indem sie sich an den Stätten ihrer Tätigkeit zu freien Genossenschaften zwecks gemeinsamen Einkaufs ihrer Waren vereinigten, und brachten diese in den freien Tagesstunden in saubere, äußerlich anziehende bunte Verpackungen.

Ich habe in Gottschee mehrere Leute gesprochen, die mir erzählten wie karg es in der Abwesenheit des hausierenden Vaters im Haushalte zuging und oft erst eine Geldsendung des Abwesenden der Mutter im Winter ermöglichte, Mehl zum Brotbacken einzukaufen. Ein Gastwirt, bei dem ich Quartier nahm, scheute sich nicht mir anzuvertrauen, daß sein Vater durch einen 25 Jahre geführten emsigen Hausierhandel in den Städten Triest, Klagenfurt Graz und Wien mit im Elternhause von Mutter und Schwester gesponnener Leinwand die Mittel zum Ankauf eines Hauses und schließlich zur Eröffnung einer Gastwirtschaft erworben habe.

Seit Kriegsbeginn ist diesem, auch nach 1900 noch einigermaßen einträglichen Hausierhandel so ziemlich ein Ende gesetzt. In Südslawien findet ein wandernder Gottscheer, wenn er nicht gut slowenisch, kroatisch oder serbisch spricht, bei der Bevölkerung selten freundliche Aufnahme. Die Tschechoslowakei verweigert den Gottscheern die Erlaubnis zu diesem Gewerbe. In Österreich, wo die Hausierer durch Handelsverträge wieder Zulaß erfahren haben, liegen die wirtschaftlichen Verhältnisse wenig günstig, blühen ihnen also nicht die früher recht guten Einnahmen. Vergeblich blicken die Gottscheer also nach neuen Wanderzielen für das Hausiergewerbe, besonders nach solchen im Deutschen Reiche. Auch ersehnen sie Beschäftigungen, die ihnen in den Wintermonaten die für die Erhaltung der bäuerlichen Wirtschaft unbedingt nötigen Einnahmen verschafft. Die Einrichtung von Hausindustrien bietet leider bei der noch unvollkommenen Entwicklung der Industrie im Südslawenstaate und bei dem mangelnden Barkapital recht geringe Aussichten. Eine geeignete Fabrikindustrie neu zu schaffen, die eine regere Vergebung von Arbeit im Gottscheer Lande bewerkstelligen könnte, wäre eine wirtschaftlich bedeutsame Tat.

Zu Zeiten der Blüte des Hausiergewerbes zählten die in jedem Herbst Hinauswandernden zu Hunderten. Bei den Volkszählun
gen ergab sich ein starkes Überwiegen des weiblichen Geschlechts, was die hohe Ziffer der außerhalb der Sprachinsel auf Verdienst ausgehenden Männer belegt. 1913 schätzte man die Hausiererfamilien des Gottscheer Landes auf 500-600. Einen Schaden brachte begreiflicherweise die durch Geschlechter sich abspielende Hausiererbeschäftigung. Dieselbe zog eine Abneigung zu schwerer körperlicher Arbeit groß, die beim Hausiergewerbe nicht aufzuwenden war. So lockte der leichtere Verdienst, den die Heimat nicht zu bieten vermochte. Auch das Behagen am guten und reichlichen Trunk, durch ständigen Verkehr in den Gastwirtschaften beim Hausiergeschäft hervorgerufen, ist wohl durch die Hausierer ins Land getragen worden.

Aus einzelnen Händlern, die in wirtschaftlichen Zentren saßen, wurden frühzeitig große Kaufherren. Ein derartiger "Großkaufmann" namens Kosler hatte so viel Vermögen erworben, daß er zur Zeit der Franzosenherrschaft in Krain das Schloß Ortenegg bei Reifnitz zu kaufen vermochte. Gerade die Vertrautheit mit dem Südfruchthandel, den die Gottscheer bis nach Ungarn und Polen von Triest und Fiume aus beherrschten, ließ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ganze Anzahl namhafter Firmen entstehen, so die von Hönigmann, Knaus, Kren, Plesche, Schleimer, Stampfl, Verderber, Weber, Wetz.

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