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20.
Jahrhundert / I.,
Jahrhundertbuch der Gottscheer, Dr. Erich Petschauer, 1980.
Die
Feststellung, daß nun in unserer Gottscheer Geschichtsschreibung das
20. Jahrhundert beginnt, ist eigentlich nur eine kalendarische Pflichtübung,
kerne Zeitenwende, kein tiefer Einschnitt, die beiden Jahrhunderte liefen
in Gottschee ebenfalls glatt ineinander über. Die gravierenden Veränderungen
waren bereits im 19 Jahrhundert geschehen. Die ungehemmte Auswanderung lief
weiter - immer weniger Amerika-Fahrer kehrten zurück. Die Zahl der
Hausierer nimmt ab. Ihre Wandergewerbescheine sind doppelsprachig geworden,
Deutsch steht noch an erster Stelle.
Die Stadt Gottschee wächst und modernisiert sich weiter. In allen ihren
Lebensbereichen ist die energisch führende Hand des Bürgermeisters
Alois Loy zu spüren. Er lebte von 1860 bis 1923. Er war einer der bedeutendsten
Persönlichkeiten, die das Gottscheerland hervorgebracht hat. Seine
ungewöhnliche Begabung für die Kommunalpolitik und seine Überlegenheit
als Mensch und Charakter wurden frühzeitig erkannt. Bereits mit 21
Jahren gehörte er dem leitenden Ausschuß der Stadtsparkasse an
und mit 29 Jahren wurde er zum Bürgermeister gewählt. 33 Jahre
blieb er, von keiner Seite angefochten, erst nach 1918 von der neuen Staatsgewalt
aus dem Amt vertrieben, seiner Stadt treu. Die Gottscheer Zeitung vom September
1962 widmete ihm ein Gedenkblatt folgenden Inhalts: "Unter ihm wurde
aus dem dorf- und marktähnlichen Ort ein schmuckes Städtchen.
Überall hatte er seine ordnende und betriebsame Hand im Spiele. Daß
beim Bau der Unterkrainer Bahn die Interessen
Gottschees ausreichend Berücksichtigung fanden, war mit sein Verdienst.
Unter seiner tatkräftigen Initiative entstand der imponierende Bau
der Volksschule, wurden das städtische Wasser- und Elektrizitätswerk
und die untere Brücke errichtet.
Alois Loy, letzter deutscher Bürgermeister der Stadt Gottschee
Ein besonderes Verdienst Loys ist der Ausbau des Gymnasialgebäudes.
Er verstand es auch durchzusetzen, daß die Anstalt ein Obergymnasium
erhielt und daß die Holzfachschule vom Staat übernommen wurde.
Der Verein Studentenheim kam durch ihn zu Haus und Besitz. Als Obmann des
Kirchenbauausschusses verstand er es tatkraftig, den Bau der Stadtpfarrkirche
- noch heute eine Zierde der Stadt - voranzutreiben. Für seine Verdienste
erhielt Loy das "Goldene Verdienstkreuz mit der Krone und den Titel
eines kaiserlichen Rates." - Die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit
befruchtete das ganze "Ländchen".
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts tauchten in der Stadt Gottschee zum erstenmal
Presse-Erzeugnisse auf: Die "Gottscheer Nachrichten", der "Gottscheer
Bote" und Der Landwirt". Alle drei Blätter erschienen 14tägig
und wurden in der eben gegründeten Druckerei des J. Pavlicek gedruckt.
Sie wendeten sich in erster Linie an die Bauern. 1905 entstand der "Gottscheer
Bauernbund".
Eine lebhafte
Diskussion über Fragen der österreichisch-ungarischen Monarchie
und die eigenen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Belange
beschäftigte die Gemüter. Die Abonnentenzahlen von Grazer und
Wiener Zeitungen stiegen im Gottscheerland.
1907 dürfen die Gottscheer - zum erstenmal als eigener Wahlkreis
organisiert - einen Abgeordneten zum Wiener "Reichsrat" wählen.
Zwei Parteien stellen ihren Kandidaten auf, die "Liberalen"
- von ihren politischen Gegnern als "die Roten" bezeichnet -
und die "Christlich-Sozialen", von der Gegenseite als "die
Schwarzen" abgestempelt. Der Kandidat der Liberalen heißt Fürst
Karl von Auersperg, Herzog von Gottschee (1859 bis 1927).
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Fürst
Karl von Auersperg,
Herzog von Gottschee (1859-1927).
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Josef
Obergföll
Schulrat, Gymnasiallehrer in
Gottschee |
Sein Gegenkandidat: Schulrat Josef Obergföll, Gymnasiallehrer in
Gottschee. Der Wahlkampf wurde mit einer bis dahin unbekannten Heftigkeit
geführt und artete vielfach zu Schlägereien aus. Einer der eifrigsten
Wahlredner war der Student Peter Jonke aus Obermösel, ein Liberaler.
Der Fürst gewann die Wahl. Er konnte kraft seiner vielseitigen Beziehungen
in Wien, die bis ins Kaiserhaus und in die Ministerien reichten, für
die Bewohner seines Wahlkreises natürlich mehr tun, als sein unterlegener
Gegner.
1910 erhielten dann die Gottscheer gewissermaßen die Quittung für
das 19. Jahrhundert, das Ergebnis der letzten und damit authentischen
Volkszählung in der österreichisch-ungarischen Monarchie: Nur
noch 17.350 Menschen bekannten sich im Gottscheerland zur deutschen Muttersprache
(Grothe, Seite 80). Die Differenz von rund 8600 auf die geschätzte
Bevölkerung des Jahres 1875 (25.000-26.000) gibt nicht einmal den
wirklichen Wanderungsverlust wieder, er ist tatsächlich wesentlich
höher. Seit der Mitte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren
ja 35 Jahrgänge zur Welt gekommen. Davon waren die ersten sieben
noch in voller Stärke geboren worden, weil in der Regel keine Ehepaare,
sondern nur ledige, aber heiratsfähige junge Leute fortzogen. Sie
heirateten erst in den USA. In der Bevölkerungsbilanz des "Ländchens"
fehlten daher nicht nur sie selbst, sondern auch ihre "drüben"
geborenen Nachkommen. Daheim wurde Jahrgang für Jahrgang schwächer.
Trotzdem gab es noch einen, wenn auch bescheidenen. Geburtenzuwachs. Setzen
wir ihn vorsichtigerweise für die Zeit von 1875 bis 1910 mit rund
3500 Köpfen an.
Diese Zahl überdeckt den Verlust durch die Auswanderer, sie muß
daher den rechnerisch ermittelten 8600 zugezählt werden. Dadurch
erhöht sich der wirkliche Bevölkerungsverlust auf 12.000 bis
12.500 Seelen. Soweit die nüchternen Zahlen, in denen auch die Angehörigen
von Intelligenzberufen, die außerhalb der engeren Heimat ein Unterkommen
suchen mußten, und deren Zahl auch nicht annähernd angegeben
werden kann, mit inbegriffen sind. Der Bedarf an Lehrern und Geistlichen
war begrenzt, die Stadt Gottschee bot nur ganz wenigen Juristen, Ärzten
und Beamten oder Unternehmern mit höherer Schulbildung berufliche
Chancen. Auf dem Lande bestand für die aufgezählten Berufsgruppen
kein Bedarf.
Die natürliche Bevölkerungsbewegung innerhalb der Gottscheer
Bauern war durch den schweren Aderlaß seit den achtziger Jahren
empfindlich gestört. Der kleine Volkskörper hatte so viel biologische
Substanz abgegeben, daß es nicht nur nicht mehr möglich war,
sondern auch nicht mehr nötig war, die ein Menschenalter zuvor erforderliche
Kulturfläche weiterhin in vollem Umfange zu bewirtschaften. Die Folge
war eine Vernachlässigung des Weidelandes und der höher gelegenen
Wiesen, die wiederum das Absinken des Viehbestandes nach sich zog.
Der
Wald aber trieb unverzüglich
sein niederes Fußvolk, Gestrüpp und Stauden, in das ihm überlassene
Gelände vor.
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Erzherzog
Franz Ferdinand mit seiner
Frau
Sophie
von Hohenberg kurz vor dem Attentat. |
Attentäter
Gavrilo Princip wird
abgeführt. |
Kulturell war die Sprachinsel Gottschee zu Beginn des 20. Jahrhunderts
infolge des voll ausgebauten Schulwesens und der ausschließlichen
Verwendung der deutschen Hochsprache in den Kirchen, im Umgang mit
den
Ämtern, im Geschäftsleben, in der Presse und im Buch bis hinein
in die privateste Sphäre des Gebetbuches und des Tischgebets ein
Bestandteil jenes Lebensraumes in Mitteleuropa geworden, in dem alles
Schriftliche deutsch ausgedrückt wurde. Als alltägliche Umgangssprache
hatten die Gottscheer jedoch ihren mittelalterlichen bairisch-österreichischen
Dialekt behalten. Freilich war noch ein anderer Gedanke in die Dörfer
des Siedlungsgebiets eingezogen, die Sorge um das Gottscheerland.
Sie
steigerte sich zur Befürchtung, als am 28. Juni 1914 der österreichisch-ungarische
Thronfolger Franz Ferdinand einem Attentat zum Opfer fiel. Mit dem Instinkt
der gefährdeten Kreatur ahnten die Gottscheer das kommende Unheil,
den Zerfall der Donaumonarchie unter der Zentrifugalkraft des west-südslawischen
Nationalismus. Das Völkchen im Karst hatte, wie auf das Jahr
genau ein halbes Jahrtausend vorher, seine Schutzmacht verloren ..
.
Kaiser Franz Josef I.
Am 21. November 1916 starb "der alte Kaiser" Franz Josef I.,
in seinem 86. Lebens- und 68. Regierungsjahr, schon zu Lebzeiten eine
legendäre Erscheinung, auch und besonders für die Gottscheer.
Gottschee war dem Monarchen ein fester Begriff, vor allem durch den Fürsten
Karl von Auersperg. Wiederholt hatte der Kaiser Bittgesuche aus der
Sprachinsel
mit Geldspenden aus seiner Privatschatulle beantwortet.
Ganz Wien trug in jenen trüben Novembertagen nicht nur die sterbliche
Hülle des alten Kaisers zu Grabe, sondern auch die Staatsidee und
die Tradition des Hauses Habsburg. Der Zusammenbruch ihres geschichtlich
gewachsenen Nationalitätenstaates war nur noch eine Frage der Zeit.
Franz Josefs Nachfolger, Kaiser Karl I. von Habsburg-Lothringen, hatte
der vorandrängenden Katastrophe nichts entgegenzusetzen, auch Franz
Ferdinand hätte sie nicht aufhalten können. Ende November, Anfang
Dezember 1918 konstituierte sich das Königreich der Serben, Kroaten
und Slowenen (SHS) unter König Petar I. Karadjordjevic. Das frühere
Kronland Krain wurde mit der Untersteiermark zu der neuen Provinz Slowenien
zusammengelegt. Ihre Nachbarn waren im Westen Italien, im Norden die Republik
Österreich und im Osten das verkleinerte Ungarn.
König Petar I. Karadjordjevic
Die Gottscheer waren zunächst ratlos. An einen Widerstand wie zu
Zeiten Napoleons war nicht zu denken. Alles war plötzlich anders.
Bis auf jene in russischer Kriegsgefangenschaft kehrten die Krieger bald
heim. Zunächst zaghaft setzte eine Diskussion, wie der neuen Lage
zu begegnen wäre, ein. Eines Tages war ein faszinierender Plan aufgetaucht.
Es läßt sich nicht mehr rekonstruieren, wer als erster den
Gedanken aussprach, aus dem Gottscheerland eine kleine Republik, ähnlich
wie Andorra, zu machen und sie dem Protektorat der Vereinigten Staaten
anzuvertrauen. Man erhoffte sich für diesen Vorschlag eine wirksame
Unterstützung von selten der Amerika-Gottscheer. Vielleicht gelang
es ihnen, einen Machtspruch des Präsidenten Wilson herbeizuführen.
Wilson, damals der mächtigste Mann der Welt, hatte mit seinen 14
Punkten bei allen neu entstandenen Minderheiten Europas Hoffnungen auf
das Selbstbestimmungsrecht ausgelöst. Eine Denkschrift mit allen
wesentlichen Angaben über Land und Leute von Gottschee wurde erarbeitet
und ein Flugblatt herausgegeben.
Eine Delegation für eine Vorsprache bei der Pariser Friedenskonferenz
wurde gebildet.
Der Plan schlug fehl, wie jener im 16. Jahrhundert, als die Gottscheer
beschlossen, den Grafen von Blagay finanziell abzulösen und sich
selbst zu verwalten. Die Gottscheer fanden allenthalben verschlossene
Türen. Der Weg zur Beseitigung des Gottscheerlandes aber war nun
frei.
Es ist nicht Aufgabe zu untersuchen, auf
welchen geschichtlichen Wegen die slowenischen Romantiker des 19. und
20. Jahrhunderts im Rahmen
ihrer Eigenbewertung zu der bei Dr. Pozar vorgefundenen Konfrontation
gegenüber dem Deutschtum gekommen sind, die darin gipfelt, daß
der Deutsche stets und überall der Unterdrücker war, der sich
der Entwicklung des slowenischen Volkstums entgegenstellte. Der Habsburger
Monarchie warf man darüber hinaus vor, daß sie slowenische
Menschen unter politischem und wirtschaftlichem Druck germanisiert habe
und verstieg sich zeitweilig unter Ableugnung der geschichtlichen Tatbestände
zu der Behauptung, die Gottscheer seien germanisierte Slowenen. Der slowenischen
Führungsschicht wurde es schon im 19. Jahrhundert unerträglich,
daß sie, wollte sie sich politisch, kulturell und gesellschaftlich
durchsetzen, deutsch sprechen mußte. Vom Panslawismus gelenkt, übertrug
sie schließlich ihre Antipathie gegen alles, was deutsch war, auf
das deutsche Wesen, auf die gesamte deutsche Kultur, wo immer sie auch
in Erscheinung trat.
Wenn nun im folgenden Kapitel die staatlichen Maßnahmen zur Slawisierung
der Gottscheer aufgezeigt werden, so geschieht dies nicht, um alte Wunden
aufzureißen. Die Gottscheer haben sich mit dem Verlust ihrer alten
Heimat politisch abgefunden. Die Aufzählung der Unterdrückungsmaßnahmen
nach 1918 geschieht auch nicht, um beschwerdeführend vor die Geschichte
hinzutreten: Sie sind jedoch ebenfalls Gottscheer Geschichte und werden
ausgesprochen, weil sonst das Verhalten der Gottscheer in den dreißiger
Jahren unverständlich bliebe. Schließlich ging seit dem Ende
des Jahres 1918 eine Flut von Gesetzen des Staates, Verordnungen der Landesregierung,
Verfügungen der Bezirkshauptmannschaft und der Sicherheitsorgane
mit entsprechenden Strafandrohungen auf die wehrlosen Gottscheer nieder.
Zum slowenischen Führer hatte sich bereits bis 1918 Dr. Anton Korosec
kraft seiner politischen Erfahrung als Volkstumskämpfer und Parlamentarier
emporgearbeitet. Die Ironie des Schicksals: "Korosec" heißt
zu deutsch "der Kärntner".
Noch bevor der eben gegründete Staat der Serben, Kroaten und Slowenen
vollends zur Ruhe gekommen war, forderte ein Komitee in Laibach, das sich
"Narodna vlada" nannte, etwa gleichbedeutend mit "nationale
Regierung", die Schließung aller deutschen Schulen und die
Beschlagnahme aller Schulvereinshäuser in Gottschee. Daraus war bereits
die Hauptstoßrichtung gegen das Gottscheerland erkennbar. Im Gegensatz
zu den eigenen Erfahrungen im Volkstumskampf verweigerte die slowenische
Führung den Gottscheern die politische Selbstbestimmung, ja, sie
gewährte ihnen nicht einmal die kulturelle Selbstverwaltung. Ihre
Art der "Selbstbestimmung" sah so aus: Sie stellte den Deutschen
in Slowenien frei, sich um die Staatsbürgerschaft Österreichs
zu bewerben. Da jedoch nur die Intelligenz bezüglich des Wohnortes
beweglich genug war, um nach Österreich wirklich umzuziehen, zielte
dieser Lockruf in erster Linie auf die Gottscheer Lehrer und die Beamtenschaft.
Schon im Laufe des Jahres 1919 wurde erkennbar, daß das "Ländchen"
führungslos gemacht werden sollte, um dann nach dem Beispiel der
Sprachinsel Zarz in Oberkrain innerhalb von zwei, drei Menschenaltern
als deutsche Enklave verschwunden zu sein. Um bei diesem Vorhaben nicht
durch internationale Bindungen von außen gestört zu werden,
unterschrieb der SHS-Staat im Jahre 1919 zwar den Vertrag von St-Germain
mit Österreich sowie jenen von Trianon mit Ungarn. In beiden Verträgen
hat sich Jugoslawien zum Schütze seiner Minderheiten verpflichtet,
diesen jedoch nicht in seine Verfassung eingebaut. Der Völkerbund
hat ebenfalls den Minderheitenschutz in Jugoslawien garantiert, eingehalten
wurde er nie.
Karl Renner, Kanzler der Republik Österreich,
Saint Germain, 1919.
Außer dem deutschen Schulwesen sollten aber auch alle anderen tragenden
Elemente des Gottscheertums zu Fall gebracht werden. Diese waren das Hochdeutsche
als Verwaltungs- und Geschäftssprache, die Mundart als Umgangssprache
der Landbevölkerung und unverwechselbare Trägerin der Gottscheer
Traditionen. Zu brechen waren außerdem der Widerstandswille im Volkstumskampf
und die wirtschaftliche Standfestigkeit. Die deutsche Schriftsprache ließ
sich aus dem ländlichen Leben ohne Schwierigkeiten entfernen. Bei
der familiengebundenen Mundart war das schwieriger, aber auch da fand
man einen Weg. In seiner Dokumentation: "Warum sind die Gottscheer
umgesiedelt?" stellt der in Villach lebende Rechtsanwalt Dr. Viktor
Michitsch aus Göttenitz die wesentlichsten Maßnahmen zur Entvolkung
der alten Sprachinsel zusammen:
Die erste einschneidende Maßnahme war die Absetzung der deutschen
Landbürgermeister zum 31. Dezember 1918. Wenige Monate später
wurde der Bezirkshauptmann Otto Merk vom Dienst suspendiert. Das
Slowenische
wurde an den Volksschulen als Pflichtfach eingeführt. Der Bezirksschulinspektor
Mathias Primosch wurde seines Amtes, das seit 1891 bestand, enthoben.
Mit dem Schuljahr 1919/20 begann die vollständige Slowenisierung
des Gymnasiums. Deutsch war nicht einmal mehr als Wahlfach zugelassen.
Das dem Gymnasium angegliederte Studentenheim wurde entschädigungslos
beschlagnahmt und einem slowenischen Verein übereignet. Das Waisenhaus
mit der Mädchen-Bürgerschule wurde unter slowenische Leitung
gestellt, der deutsche Schulunterricht verboten. Die Fachschule
für
Holzbearbeitung wurde geschlossen. Die beiden deutschen Kindergärten
in der Stadt mußten ihre Tätigkeit einstellen. Der Gottscheer
Lehrerverein wurde nach 41 jährigem Bestehen verboten, sein
Vermögen
eingezogen, seine Korrespondenz beschlagnahmt.
Parallel
zur Zurückdrängung des deutschen Schulunterrichts wurde die
Zahl der Lehrer dezimiert. Von den 71 im Jahre 1918 unterrichtenden
deutschen Lehrpersonen wurden von 1919 bis 1922 nicht weniger als 33 über
das zweifelhafte Optionsverfahren für Österreich aus dem
Lande gedrängt. Sie hatten keine Möglichkeit zu bleiben,
auch nicht, außerhalb ihres Berufs. Unter ihnen befanden sich
geistig führende Männer, wie der Gymnasialprofessor Peter
Jonke und sein Kollege Josef Obergföll, der bedeutende Volkstumsforscher
Wilhelm Tschinkel, Bezirksschulinspektor Mathias Primosch u. a. ältere
Lehrer, die des Slowenischen nicht mächtig waren, wurden vorzeitig
pensioniert.
Josef Perz and Wilhelm
Tschinkel
Die Dezimierung der bäuerlichen Bevölkerung der Sprachinsel
wurde in Etappen durchgeführt. Nach der weitgehenden Entfernung der
Lehrer wurde das Slowenische als Unterrichtssprache eingeführt. Gleichzeitig
wurden die "deutschen Abteilungen" erfunden. 1926 gab es davon
nur 16. Von einem zusammenhängenden deutschen Unterricht war dabei
keine Rede mehr, weil bestimmte Fächer nur in slowenischer Sprache
unterrichtet werden durften und weil kaum noch Lehrer, die den deutschen
Restunterricht hätten erteilen können, zur Verfügung standen.
- Die nächste Stufe waren die sogenannte Grundschule und die "National-Schule".
Die letztere umfaßte die 5. bis 8. Klasse. Der Besuch der "National-Schule"
wurde auch für die Schüler der deutschen Abteilungen verbindlich.
Die nächste Stufe: Um die Zahl der deutschen Schüler weiter
zurückzudrängen, führte die Schulverwaltung eine "Namensanalyse"
ein. Kinder, deren Familiengeschichte auch nur einen einzigen Großelternteil
mit einem slowenisch klingenden oder slowenischen Namen aufwies, wurden
in die slowenische Volksschule eingereiht. Auf Wünsche der Eltern
wurde keine Rücksicht genommen. Dazu berichtet Dr. Michitsch ein
eindrucksvolles Beispiel: Bereits 1922 ging die Schulleitung in Stockendorf
dazu über, die dortige Volksschule vollständig zu slowenisieren.
Sie behauptete, zum Schulbeginn würden 22 slowenische und nur 10
deutsche Schulpflichtige erscheinen. Die Nachprüfung dieser Angabe
durch Gottscheer Eltern ergab, daß die Schule von 46 deutschen und
nur von 6 slowenischen Kindern besucht wurde. Bei den letzteren sprachen
drei mit Vater und Mutter slowenisch und drei nur mit der Mutter.
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Gottscheer
Lehrerschaft, 1905 |
Gottscheer
Lehrerschaft, 1930 |
Dem flüchtigen Betrachter mögen die angeführten Schikanen
als eine leichtfertige Ausdeutung guter slowenischer Absichten erscheinen.
Wiederum drängt sich der Vergleich mit Kärnten auf. Dort verlangte
man für die eigene Minderheit Kulturautonomie, und mehr, die Gottscheer
aber wurden gleichzeitig im Eiltempo slawisiert. Man bediente sich dabei
raffinierter psychologischer Mittel: Man drängte zwischen Mutter
und Kind, die innigste Bindung zwischen Individuen, eine Sprache, die
die Mutter nicht verstand und zwang gleichzeitig das Kind, diese Sprache
zu erlernen und anzuwenden. Der Lehrer aber sah seine Hauptaufgabe nicht
darin, dem Gottscheer Kind Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen,
sondern ihm alles Deutsche, ja sogar das Denken in der Mundart, auszutreiben.
Schließlich verbot man den Kindern, auf dem Schulweg gottscheerisch
zu sprechen. Gleich einem dichtmaschigen Netz lag die slowenische Schulpolitik
über dem "Ländchen". Es gab kein Entrinnen. Blieb
man im Lande, und das war die Regel, mußte man slowenisch
lernen. 1924 wurde auch die letzte deutsche Ausbildungsmöglichkeit
so gut wie unterbunden. 1919/20 war es üblich geworden, daß
vielleicht zwei bis drei Dutzend schulentlassene Lehrer- und Bürgerkinder
bzw. Gymnasiasten, ihre Ausbildung an Gymnasien, Lehrerbildungsanstalten,
Handelsakademien, Staatsrealschulen und anderen Fachschulen in Österreich,
namentlich in Kärnten, fortsetzten oder vollendeten. Einige wenige
nahmen ihre Studien an Universitäten auf. 1924 erhielten die Eltern
dieser Schüler und Studenten die amtliche Mitteilung, daß sie
von 1925 an nicht mehr mit Reisepässen für die Ausbildung ihrer
Kinder im Ausland rechnen dürften.
Die Auswirkungen dieser Schulpolitik auf die Gottscheer Jugend zeigte
sich - in der ganzen Breite sichtbar - bereits nach einem Jahrzehnt. Die
Buben und Mädchen waren bei ihrem Schulabgang sozusagen zweieinhalbsprachig.
Als Mutter- und Haussprache verwendeten sie die Mundart, konnten leidlich
slowenisch lesen und schreiben, waren aber des Deutschen nur sehr mangelhaft
mächtig. Mit der Gottscheer Mundart konnten sie außerhalb der
Sprachinsel nichts anfangen, ihr Deutsch war so schlecht, daß sie
im Normalfall kaum einen Brief schreiben konnten, blieb also das Slowenische,
wollte man außerhalb des bäuerlichen Wirtschaftssektors eine
berufliche Laufbahn anstreben. Diese jungen Menschen standen gleichsam
im Niemandsland zwischen den beiden Völkern. Da ihnen aber das Deutsche
dennoch näher lag, die Wirtschaftslage sich zunehmend verschlechterte,
reifte auch bei ihnen der Entschluß zur Auswanderung, die in bescheidenem
Umfange 1920 wieder eingesetzt hatte. Dazu bekam man allerdings mühelos
einen Reisepaß.
So wie der Jugend der Zugang zum Deutschtum und seiner Schriftsprache
verbaut wurde, so tat die Landesregierung in Laibach alles, um den erwachsenen
Gottscheern die Organisationsformen, die das Gemeinschaftsgefühl
stärkten, und in denen hochdeutsch die offizielle Sprache war,
wegzunehmen oder zumindest zu verleiden. Zuerst wurde der Bauernbund
aufgelöst
und die beiden politischen Parteien des "Ländchens" aus
dem Vereinsregister gestrichen. Von den drei oben genannten Blättern
überlebte nur der 1903 gegründete "Gottscheer Bote".
Er durfte, ab 1919 in "Gottscheer Zeitung" umbenannt, weitergeführt
werden. Selbstverständlich verschwanden sogleich nach der Gründung
des neuen Staates die Schulvereinsortsgruppen. Die zu einem eigenen
Gau
zusammengeschlossenen freiwilligen Feuerwehren mußten die slowenische
Kommandosprache einführen. 1925 durfte der verbotene Gesangsverein,
ein gemischter Chor, wiedergegründet werden. Da er sich aber rasch
zu einem neuen Kulturzentrum entwickelte, suchte man abermals nach
einem
Verbotsgrund. Man fand ihn in einer politisch harmlosen Sängerreise
nach Kärnten.
17 Vereinsmitglieder, Frauen und Männer, besuchten
am 5./6. Juni 1926 den von allen hoch verehrten Volkstumsforscher Wilhelm
Tschinkel, um ihm zu seinem 50. Geburtstag die Grüße und Glückwünsche
der alten Heimat zu überbringen. Der Gefeierte hatte in Rosegg
eine neue Heimat gefunden. Nach ihrer Heimkehr wurde die Sängergruppe
wegen Hochverrats angezeigt. Wahrheitswidrige Begründung: Die
Sänger
hätten in Kärnten an einem nationalen Sängerfest teilgenommen.
Hier kann man nur noch von National-Hysterie sprechen. Zu einer Gerichtsverhandlung
kam es jedoch nicht, weil ein einsichtiger Richter am zuständigen
Amtsgericht in Rudolfswert (Novo mesto) das Verfahren wegen Nichtigkeit
niederschlug. Die örtliche Sicherheitsbehörde in Gottschee/Stadt
gab sich jedoch lieber der Lächerlichkeit preis, als einen deutschen
Vogelschutzverein zu dulden. Ein Jahr nach der Gründung wurde
er unter dem Vorwand verboten, daß die im Freien aufgestellten
Futterkästen
die Aufschrift "Vogelschutzverein" trugen. Dieselbe Behörde
machte auch vor dem deutschen Leseverein nicht halt, er wurde verboten,
seine 2500 Bücher beschlagnahmt und vernichtet.
Die Amtssprache bei den Behörden war selbstverständlich längst
das Slowenische. Wer diese Sprache nicht beherrschte, mußte auf
eigene Kosten einen Dolmetscher mitbringen. Die Ortstafeln durften nach
einer kurzen Übergangszeit auch in den rein deutschen Dörfern
nur slowenische Aufschrift tragen. Die oft willkürlich ins Slowenische
übersetzten Ortsnamen der Gottscheer durften in der Gottscheer Zeitung
nicht mehr deutsch gedruckt werden. Das 14tägig erscheinende Blatt
war im übrigen einer scharfen Zensur unterworfen, das heißt,
die fertig umbrochenen Seiten mußten der Bezirkshauptmannschaft
vor dem Druck vorgelegt werden. Anfänglich nahm die Redaktion die
gestrichenen Artikel und Notizen einfach heraus und ließ die weißen
Flächen offen. Dadurch war die Zensur für jedermann sichtbar.
Um dies zu verhindern, erhielt die Redaktion den Auftrag, für gestrichene
Artikel Stehsatz bereitzuhalten.
In aller Stille wurde die Ablösung der Geistlichkeit vollzogen. An
sich ließ das Ordinariat in Laibach die noch amtierenden Gottscheer
Geistlichen gewähren. Es versetzte auch keinen Geistlichen in rein
slowenisches Gebiet, wie die Schulbehörde dies mit einigen Lehrern
tat. Wenn jedoch ein Mitglied des Gottscheer Klerus durch Tod oder Pensionierung
ausfiel, trat an seine Stelle ein nationalbewußter Slowene im Priesterrock.
Verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit widmete man anfänglich
dem Bodenbesitz im "Ländchen", obwohl der slowenische Anteil
äußerst gering war. Herbert Otterstädt nennt in seinem
Bildband auf Seite 37 dazu folgende Zahlen: "Im Jahre 1940 waren
nach einer sehr gewissenhaften privaten Besitzzählung von den insgesamt
840 Quadratkilometern der Volksinsel 547 Quadratkilometer in den Händen
der Gottscheer Waldbauern, 63 Quadratkilometer waren Gottscheer Gemeindebesitz,
176 Quadratkilometer enteigneter deutscher Waldbesitz und lediglich 53
Quadratkilometer, also keine 8 der Gesamtfläche, waren slowenischer
Zwergbauernbesitz".
Deutscher
Besitz in Krain, Herbert Otterstädt,
nationalsozialistisches
Südostdeutsches Institut Graz, 1940.
Der einzelne Gottscheer Bauernhof interessierte die slowenische Führung
noch in den zwanziger Jahren kaum. Erheblich störte es sie jedoch,
daß der aller Titel entkleidete Fürst Auersperg bei der Staatsgründung
noch 229 Quadratkilometer herrlichen Mischwaldes besaß und nach
modernen forstwirtschaftlichen Methoden nutzte. Die Beschlagnahme dieses
Rests der ursprünglichen Herrschaft Ortenburg begann 1921 mit einer
schlichten "Agrarverordnung". Zehn Jahre später wurde diese
zum Gesetz ausgestattet und damit endgültig gemacht. 176 Quadratkilometer
wurden damals der Familie Auersperg genommen. Der konfiszierte Waldbesitz
wurde jedoch nicht etwa den Gottscheern zugeteilt, die als uralt eingesessene
Bewohner des Gottscheerlandes wohl als erste Anspruch hätten erheben
können. Die Nutzung des Baumbestandes wurde vielmehr slowenischen
Dörfern außerhalb der Sprachinsel überlassen. Die Gottscheer
Mitarbeiter der Auerspergschen Forstverwaltung wurden entlassen.
Wie wenig die abseits liegenden neuen Nutzungsberechtigten bzw. die Landesforstbehörde
mit den beschlagnahmten Wäldern anfingen, bewies unter anderem der
Verfall des größten Auerspergischen Sägewerks samt den
Arbeiterwohnhäusern im Revier
Hornwald. Was der vordringende Urwald sowie Wind und Wetter übriggelassen
hatten, wurde 1938 gesprengt. Nicht einmal die 50 Kilometer lange Waldschmalspurbahn
durfte bestehen bleiben. Sie wurde im gleichen Jahr verschrottet.
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Auerspergsche
Sägewerk, 1931
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1943 |
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Merkantilna
Banka / Merkantil
Bank, 1925 |
Der Gottscheer Landwirtschaft rückte man als Ganzes dergestalt zu
Leibe, daß man alles beseitigte, was geeignet war, sie zu fördern
und zu befruchten. So wurde gleich nach dem Kriege die aus der Zeit
Kaiser
Joseph II. stammende Filiale der "landwirtschaftlichen Gesellschaft
von Krain" verboten, der Bauernbund eingestellt, 12 ländliche
Raiffeisenkassen erlitten dasselbe Schicksal. Die Stadtsparkasse wurde
finanziell ruiniert, und die Einleger verloren ihr Geld. Sie sollten
auf diese Weise gezwungen werden, mit der Filiale der Laibacher "Merkantil
Bank"
zusammenzuarbeiten. Auf Anordnung ihres Chefs durfte in den Geschäftsräumen
nur slowenisch gesprochen werden.
Die Geschäftsleute und Handwerker in Stadt und Land, aber auch die
Bauern, ruhten nicht eher, bis sie wieder über ein eigenes Geldinstitut
verfügten: 1926 wurde die "Spar- und Darlehenskasse", eine
Gesellschaft mit unbeschränkter Haftung, ins Leben gerufen. Zum Obmann
wählten die Mitglieder den Mitbegründer Alois Kresse, angesehener
Kaufmann in Gottschee/Stadt. Kresse besaß große wirtschaftliche
Erfahrung und war im ganzen "Ländchen" bekannt. Von 1912
bis 1925 war er Obmann des Gottscheer Handelsgremiums. Von 1928 bis 1930
war er als Vizebürgermeister Obmann der Städtischen Vermögensverwaltung.
Nach 1930 durften die Bewohner des Städtchens keine Vertreter mehr
in den Stadtrat entsenden. 1945 gelang es Alois Kresse nicht mehr, rechtzeitig
aus der Untersteiermark, wo er sich in Cilli eine neue Existenz geschaffen
hatte, zu fliehen. Er wurde mit seiner Gattin von Partisanen umgebracht.
All diese kulturellen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Beseitigung
der Sprachinsel Gottschee zeigten in den ersten dreißiger Jahren
die beabsichtigte Wirkung - nicht bei den vor 1914 geborenen Jahrgängen,
wohl aber bei den im Jahre 1933 etwa Sieben- bis Siebzehnjährigen.
Slowenische Worte mischten sich in den heimatlichen Dialekt, slowenische
Lieder klangen da und dort außerhalb der Schule auf, die eigenen
Mundartlieder traten noch stärker in den Hintergrund. Das Fundament
des nationalen Selbstverständnisses als Deutsche stand bei diesen
jungen Leuten nicht mehr auf sicherem Boden.
Gleichgeblieben war indessen das Interesse von Wissenschaftlern für
die Sprachinsel Gottschee. Namentlich aus Österreich, immer öfter
aber aus dem Deutschen Reich, erschienen um die Wende der zwanziger zu
den dreißiger Jahren Sprachforscher, Historiker, Volkskundler, Volskliedforscher
sowie landschaftsbegeisterte Touristen, einzeln und in Gruppen. Die Besucher
fanden in den abgelegenen Dörfern im großen und ganzen noch
das urwüchsige Gottscheer Bauernleben, wie es Sepp König in
seinem Beitrag: "Das Dorf in der Einschicht" (Gottscheer Zeitung,
März 1973) etwa für die Zeit der Jahrhundertwende schildert:
"Jedes Dorf hatte seine Eigentümlichkeiten in seiner schaffenden
Arbeit. Die Menschen in der Einschicht waren daher Alleskönner: Korbflechter,
Schaufelmacher, Faßbinder und Schnapsbrenner, sie besorgten Zimmermannsarbeiten
ebenso mit Geschick wie bäuerliche Verrichtungen. Ihre Geschicklichkeit
reichte über die bescheidene Heimat hinaus und war als nachbarliche
Hilfe bei einem Unglück im Stall geschätzt.
Der Bau eines Kalkofens war ihnen nicht unbekannt, und daß das Weib
in der Einschicht im Krankheitsfalle Hilfe zu geben wußte, war keine
Seltenheit."
Den Besuchern aus dem geschlossenen, deutschen Lebensraum entging allerdings
auch nicht der wirtschaftliche Zusammenbruch der Gottscheer und ihre Mutlosigkeit.
Helfen konnten sie ihnen nicht. - Unter den Gästen aus dem Deutschen
Reich befand sich der Leipziger Orientologe und Volkstumsexperte Prof.
Dr. jur. et. phil. Hugo Grothe. Seine wiederholten Aufenthalte im "Ländchen"
führten in der Monografie "Die deutsche Sprachinsel Gottschee
in Slowenien" zu einem freudig begrüßten Erfolg, waren
doch seit dem Erscheinen des letzten repräsentativen Werks über
das Gottscheerland (Hauffen 1895) immerhin 35 Jahre verstrichen. Man sagte
ihm nach, er habe der damaligen Gottscheer Führung geraten, mit einer
weithin wirkenden 600-Jahr-Feier der deutschen Kolonisation ihres Siedlungsgebiets
die breite Öffentlichkeit auf die aktuelle, nationale Bedrängnis
und die schier ausweglose wirtschaftliche Notlage der Gottscheer zu lenken.
Mit diesem Ereignis sollte ihr Selbstbewußtsein gestärkt, neuer
Lebensmut geweckt werden.
Der Grothesche Gedanke wurde mit Freuden und sofort aufgegriffen. 1929
bildete sich unter dem Vorsitz des Rechtsanwaltes Dr. Hans Arko ein Festausschuß,
der die 600-Jahr-Feier auf den 1. bis 4. August 1930 festsetzte. Dr. Arko,
ein vielseitig begabter Mann, war in den zwanziger Jahren in die Rolle
des Sprechers der Gottscheer hineingewachsen. Unter anderem dirigierte
er den gemischten Chor und führte als Gauhauptmann die Feuerwehr.
Seit 1917 unterhielt er in der Stadt eine Rechtsanwaltskanzlei.
Dr. Hans Arko, Gottscheer
Sängerschaft, 1928
Die organisatorisch wohl vorbereitete 600-Jahr-Feier wurde zum größten
Fest, das die Gottscheer jemals auf ihrem Heimatboden veranstalteten.
Seit dem Bestehen des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen,
das sich nunmehr als "Jugoslawien" bezeichnete, hatten die Gottscheer
keinen Zweifel über ihre - von der Vernunft diktierte - loyale Einstellung
zum Staat, aber auch ihre innere Bindung an ihr Volk gelassen. Konsequent
und mutig lud der Festausschuß daher den König, damals Alexander
I., die Staatsregierung in Belgrad, die Landesregierung in Laibach, künftig
"Banschaftsverwaltung" genannt, mit dem "Banus" an
der Spitze, sowie die Republik Österreich und das Deutsche Reich
offiziell ein. Der König entsandte einen Minister und hohe Militärs
als seine Vertreter. Von der Banschaftsverwaltung in Laibach erschien
der Banus, das Deutsche Reich und die Republik Österreich ließen
sich durch ihre Missionschefs bei der jugoslawischen Regierung vertreten.
Deutscher Gesandter in Belgrad war dazumal Ulrich von Hassel. Erschienen
waren unter anderem auch die beiden Spitzenpolitiker der deutschen Gesamtvolksgruppe
in Jugoslawien, der Abgeordnete in der Skupstina, Dr. Stefan Kraft, und
der Senator Dr. Georg Graßl, ferner der Präsident des "Schwäbisch-deutschen
Kulturbundes" in Neusatz, Johann Keks, und der Hauptschriftleiter
des "Deutschen Volksblattes", ebenfalls in Neusatz, ein gebürtiger
Gottscheer aus Mitterndorf, Dr. Franz Perz. Viele Gottscheer in Österreich
und in den USA benutzten das große Fest zu einem Besuch der alten
Heimat.
Erster Höhepunkt der Feierlichkeiten war der Festgottesdienst in
der Stadtpfarrkirche. Nur ein Bruchteil der riesigen Menschenmasse fand
im Dekanatsgotteshaus Platz. Selbst tiefergriffen, hielt der geistliche
Rat August Schauer, Nesseltal, eine politisch wie menschlich und historisch
ausgewogene Predigt von imponierender Sprachgewalt.
- Die hohen Gäste vereinigte ein offizielles Bankett, auf dem Ulrich
von Hassel diplomatisch geschickt und geistvoll die Beziehung zwischen
dem Stadtwappen der Stadt Gottschee aus dem Jahre 1471 und dem aktuellen
Anlaß herstellte. - Der öffentliche Festakt zur Erinnerung
an die Besiedlung des Gottscheerlandes vor 600 Jahren fand in einem
Großzelt
statt, das an der Allee für diesen Zweck aufgestellt worden war.
- Durch ein staunendes, glückseliges Spalier ritt und fuhr und
schritt der selbst Geschichte gewordene historische Festzug von einem
Ende der
Stadt zum anderen. Es schien, als ob außer den Ältesten und
den Jüngsten kein Gottscheer daheimgeblieben war, um sein Bekenntnis
zu den sechs Jahrhunderten der Geschichte des "Ländchens"
abzulegen. - Ein Festbuch mit Beiträgen zur Vergangenheit, Landes-
und Volkskunde des Gottscheerlandes war Bestandteil der bewegten Woche.
-
Gottschee
600-Jahr-Feier, 1.-4. August 1930
Presse, Rundfunk und Wochenschauen berichteten über die festlichen
Tage von Gottschee. Der politische Erfolg blieb jedoch aus. Die Hochstimmung
der Gottscheer klang wieder ab. Nur allzubald stellte sich der Alltag
des Volkstumskampfes und der zermürbenden, wirtschaftlichen Erfolglosigkeit
wieder ein. Nichts hatte es den Gottscheern genützt, ihre Staatstreue
in den Vordergrund zu stellen. 1931 wurde beispielsweise das Minderheitenschulwesen
in Jugoslawien "neu geordnet". Es richtete sich vor allem gegen
die deutsche Minderheit und verfügte, daß in Orten, in denen
"Staatsbürger mit anderer Muttersprache" lebten, Schulabteilungen
mit 30, in Ausnahmefällen 25 Schulkindern errichtet werden durften.
Die Entscheidung darüber behielt sich der Unterrichtsminister
vor. Woher der Schuß kam, ließ sich leicht daran ermitteln,
daß
der Innenminister in der damaligen Regierung Dr. Milan Stojadinovic
Dr. Anton Korocec hieß. Als Kabinettsmitglied hatte er keine Schwierigkeit,
seinen Kollegen, den Unterrichtsminister, zu diesem Erlaß zu
bewegen. Er traf die Gottscheer doppelt hart. Die "deutschen
Abteilungen"
waren nun zahlenmäßig nach oben begrenzt. In den größeren
Dörfern war es trotz der Namensanalyse noch möglich, 30 Kinder
für eine deutsche Abteilung aufzubringen. Die kleineren Schulsprengel
aber brachten als Folge der Auswanderung und der Namensanalyse vielfach
nicht einmal die 25 Schulkinder auf.
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König
Peter II. v. Jugoslawien - |
in
Sokoluniform und
Ministerpräsident Dr. Stojadinovic, Mai 1937 |
Zu der entmutigenden und entwürdigenden nationalen Unterdrückung
kommt die fortschreitende wirtschaftliche Not. Die Weltwirtschaftskrise
von 1929/30 trug direkt und indirekt wesentlich dazu bei. Nicht nur sanken
die ohnehin geringer gewordenen eigenen Umsätze weiter, sondern auch
der Dollarsegen ebbte ab. - Der Wald ergriff vom weiteren Kulturland Besitz.
Der Viehbestand sank katastrophal. Selbst die stark zurückgegangene
Milchproduktion war nicht mehr verwertbar. Die Milch wurde an die Schweine
verfüttert. Die Obsternten blieben liegen. Der Holzhandel stockte.
Nur noch wenige Männer gingen hausieren. Kleinhöfe und Keuschler
unterschritten vielfach das Existenzminimum.
Der kleinste, deutsche Stamm, wie sich die Gottscheer gerne nannten,
fand sich nicht mehr im Gleichgewicht. Manche Anzeichen schienen darauf
hinzuweisen,
daß er sich selbst aufzugeben begann. Einer der damals Jungen, Richard
Lackner aus der Stadt, hat das bitterste Wort jener Tage nicht vergessen:
"Hier zahlt sichs nicht mehr aus!"
Dr. Josef Krauland erinnert sich in seinem Beitrag "Ein Arzt erzählt..."
(Gottscheer Zeitung, August 1970) noch gut an ein Gespräch mit einem
Gottscheer Bauern über die Auswanderung: "Ich befand mich auf
der Rückfahrt von Ebental. Mein Kutscher,
ein intelligenter Bauer, mit dem man sich über alles Mögliche
unterhalten konnte. Endlich kamen wir auf seine Familienverhältnisse
und seinen Besitz zu sprechen. Auf meine Frage, welches von seinen Kindern
einmal den Hof übernehmen werde, antwortete er: Keines, alle wollen
nach Amerika, und ich will es ihnen nicht verwehren. Als ich dagegen einwandte,
daß doch wenigstens eines in der Heimat bleiben sollte, meinte er:
Ich kann es von keinem verlangen. Sie sehen doch selbst, wie man sich
hier auf einem Bauernhof abrackern muß und dabei kann man nicht
einmal die Substanz erhalten. Wenn die Kinder in Amerika fleißig
sind und etwas Glück haben, bringen sie es in einigen Jahren weiter
als hier ihr ganzes Leben."
Die Gottscheerin hat es verlernt, zu singen und zu fabulieren. Die Lebensschule,
in der sie die Lehrerin ihrer Kinder und in der die Unterrichtssprache
das Gottscheerische war, entgleitet ihr ...
30. Januar 1933, Berlin. Hitler ist an der Macht.
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Der
Anfang der Diktatur.
Hitler und Göring am Abend
des
30. Januar 1933
am Fenster der
Neuen Reichskanzlei
während
des Fackelszuges. |
Größenwahn
und Gleichschaltung.
Der Fackelzug der NSDAP-Verbände und
des
"Stahlhelm" am Brandenburger
Tor, 30.01.1933. |
Wie alle deutschen Volksgruppen in Südosteuropa und in der deutsch-slawischen
Mischzone zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer blickten auch die
Gottscheer nach Berlin. Wer will ihnen dies angesichts der geschilderten
Lebensumstände verdenken?! Sie blieben ruhig, wurden jedoch von den
jugoslawischen Sicherheitsorganen noch mißtrauischer beobachtet
als zuvor. Nicht minder mißtrauisch - aufmerksam registrierte die
slowenische Führung alle Vorgänge in der Reichshauptstadt. Die
Machtergreifung Hitlers löste bei ihr etwa folgenden Gedankengang
aus: Hitler war Altösterreicher. Sein politischer Werdegang wies
ihn als extremen Nationalisten aus. Zu seinen obersten erklärten
Zielen gehörte der Anschluß der Republik Österreich an
das Deutsche Reich. Krain war jahrhundertelang ein Kronland der Habsburger
gewesen. Konnte man sicher sein, daß er beim "Anschluß"
nicht auch ganz Slowenien dem Reich einverleibte? Wer konnte ein hochgerüstetes
Deutschland daran hindern, darüber hinaus in den Donauraum - oder
und - an die Adria vorzustoßen? In beiden Fällen bot sich Gottschee
als machtpolitischer Brückenpfeiler an. Schon aus diesen Gründen
mußte Gottschee nun erst recht verschwinden .. .
Dieses völkische Eiland aber wollte weiterleben, aus eigener Kraft,
nur für sich selbst, ohne Machtanspruch, ohne politische Ambitionen.
Die Slowenen standen dem in ihrem Nationalstolz entgegen. Sie bedachten
allerdings dabei nicht, daß es bereits im 6. Jahrhundert nach Christi
eine Art italienische Ostpolitik gab, dargestellt durch die Patriarchen
von Aquileja und später durch die Republik Venedig. In Rom erinnerten
sich die Nationalisten indessen seit längerer Zeit der Tatsache,
daß der Patriarch von Aquileja die Mark Krain viele Jahrhunderte
lang zu seiner Kirchenprovinz zählte und von 1077 an bis 1420 ausgedehnte
Reichslehenschaften besaß.
Das Völkchen im Karst aber geriet wiederum, diesmal endgültig,
zwischen die Mühlsteine der "großen Politik". Mit
dem Urwald wäre es durch Modernisierung der Land- und Forstwirtschaft
fertiggeworden, auch dem Wassermangel wäre durch noch sorgsamere
Pflege und Nutzung der natürlichen Bestände beizukommen gewesen.
Vielleicht hätten sich die Bauern unter dem Druck der Wirtschaftslage
zu einer Neuordnung der Bodenverfassung, einer Flurbereinigung bewegen
lassen. Das alles hätte dazu beigetragen, das "Ländchen" attraktiver
zu gestalten. Gegen die Diktaturen in Berlin, Rom und Laibach wuchs im
Gottscheerland jedoch kein Kraut.
("Jahrhundertbuch
der Gottscheer", Dr. Erich Petschauer, 1980)
www.gottschee.de
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